Antrag des Landes Baden-Württemberg
Entschließung des Bundesrates - Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben

Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart, den 3. März 2011
Der Staatssekretär

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
die Landesregierung Baden-Württembergs hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates - Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben zuzuleiten.

Ich bitte, die Vorlage gemäß § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Hubert Wicker

Entschließung des Bundesrates - Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben

Der Bundesrat möge beschließen:

I. Der Bundesrat stellt fest:

Für den Erfolg eines Planungsprozesses bei Großvorhaben ist die Akzeptanz auf Seiten der Öffentlichkeit und der Betroffenen von entscheidender Bedeutung. Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass diese Akzeptanz trotz der rechtlich vorgesehenen und von der Öffentlichkeit genutzten Möglichkeiten der Beteiligung am Planungsprozess nicht immer erreicht werden kann. Es hat sich gezeigt, dass die bisherige Ausgestaltung von Planungs- und Verwaltungsverfahren in ihrer vertrauensbildenden und legitimierenden Wirkung an ihre Grenzen stößt. Die Bürgerinnen und Bürger wollen rechtzeitig und umfassend informiert werden und ihre Kenntnisse, Fähigkeiten, Meinungen und Bewertungen bereits zu einem Zeitpunkt einbringen können, in dem die Planung noch nicht endgültig verfestigt ist.

Deutschland braucht - will es zukunftsfähig bleiben - auch künftig Großvorhaben zum Wohle der Allgemeinheit und zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Es ist daher dringend geboten, die bestehenden Beteiligungsrechte durch vertrauensbildende und akzeptanzfördernde Maßnahmen fortzuentwickeln.

Bereits in der Planungsphase im Vorfeld eines Planfeststellungsverfahrens treten häufig widerstreitende öffentliche und private Belange zu Tage. Diese Phase liegt außerhalb des Verwaltungsverfahrens und bisher in der alleinigen Verantwortung des Vorhabenträgers. Eine Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit ist nach derzeitiger Gesetzeslage nicht vorgesehen.

Um Vertrauen und Akzeptanz von Planungsentscheidungen zu stärken, ist deshalb eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit am Planungsprozess sinnvoll und notwendig. Ein geeignetes Mittel hierfür ist eine vorgelagerte Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben (Vorerörterung), die vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens unter Leitung einer unabhängigen Stelle und unter Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit durchgeführt wird. Dabei kann eine möglichst hohe Wirkungsbreite durch den Einsatz von elektronischen Informations- und Kommunikationsmitteln erreicht und gesichert werden.

Zur Einführung des Instruments der Vorerörterung ist eine Anpassung des Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich.

II. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung,

zur Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben in das Verwaltungsverfahrensgesetz eine gesetzliche Regelung zur Vorerörterung im Vorfeld von Planfeststellungsverfahren unter Berücksichtigung folgender Eckpunkte aufzunehmen:

1. Funktion

Die Vorerörterung hat zum einen die Funktion, die Öffentlichkeit frühzeitig, umfassend und allgemein verständlich über das Vorhaben zu informieren und damit zur Verfahrenstransparenz, Akzeptanz und Befriedung beizutragen. Zum anderen dient sie in einem sehr frühen Stadium dem Erkennen von Interessenskonflikten, die der Vorhabenträger durch Planänderung ausräumen oder mildern und damit ansonsten erst später auftretende zeit- und kostenintensive Verzögerungen vermeiden kann.

2. Anwendungsbereich

Die Vorerörterung wird für raumbedeutsame Vorhaben oder für Vorhaben mit überörtlicher Bedeutung vorgesehen, bei denen zu erwarten ist, dass sie in erheblichem Maß widerstreitende öffentliche und private Belange berühren und gegen sie eine Vielzahl von Einwendungen erhoben werden.

3. Durchführung der Vorerörterung

Die Durchführung einer Vorerörterung erfordert grundsätzlich einen Antrag des Vorhabenträgers. Bei Vorhaben der öffentlichen Hand und bei Vorhaben von Trägern, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist, bedarf es aber eines solchen Antrags nicht. Die Entscheidung über die Durchführung der Vorerörterung trifft die Planfeststellungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen.

Die Planfeststellungsbehörde bestellt eine unabhängige Stelle, die die Vorerörterung leitet und die bestimmte Voraussetzungen zur Sicherstellung ihrer Unabhängigkeit erfüllen muss. Der Termin und die Durchführung einer Vorerörterung ist der Öffentlichkeit vorher auch unter Einsatz elektronischer Medien bekannt zu machen. Die Vorerörterung steht der interessierten Öffentlichkeit offen und findet unter Beteiligung des Trägers des Vorhabens, der Anhörungsbehörde und der Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben voraussichtlich berührt wird, statt. Beschränkungen des Teilnehmerkreises bestehen nicht. In der Vorerörterung wird das Vorhaben der Öffentlichkeit umfassend, transparent und einfach verständlich vorgestellt und mit ihr diskutiert. Erörtert werden können auch Planungsalternativen und der voraussichtliche Einsatz öffentlicher Finanzmittel.

4. Abschluss der Vorerörterung

Nach Abschluss der Vorerörterung erstellt die unabhängige Stelle einen Bericht. Sie kann ebenfalls eine Stellungnahme z.B. in Form einer unverbindlichen Empfehlung abgeben. Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde haben den Bericht in das anschließende Planfeststellungsverfahren einzubeziehen. Eine Vorerörterung kann auch wegen besonderer Umstände wiederholt werden, beispielsweise bei Planänderungen.

5. Umsetzung in den Fachplanungsgesetzen

Fachspezifische Anforderungen im Fachplanungsrecht bleiben auch für den Bereich der Vorerörterung unberührt.

6. Sicherstellung von Transparenz im Planfeststellungsverfahren

Auch im anschließenden Verwaltungsverfahren ist ein Höchstmaß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Verfahrensschritte eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz der am Ende stehenden Verwaltungsentscheidung. Es wird ferner gebeten, eine Regelung aufzunehmen, die sicherstellt, dass alle Unterlagen einschließlich Planänderungen während des gesamten Verfahrens unter Nutzung elektronischer Medien für die Öffentlichkeit einsehbar zur Verfügung stehen.