982. Sitzung des Bundesrates am 8. November 2019
A
1. Der Ausschuss für Kulturfragen empfiehlt dem Bundesrat, zu dem vom Deutschen Bundestag am 26. September 2019 verabschiedeten Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel zu verlangen, zwischen Bund und Ländern eine einvernehmliche Aufteilung des durch die Umsetzung des Bundesgesetzes entstehenden Erfüllungsaufwandes der Länder herbeizuführen (vgl. BR-Drucksache 098/19(B) vom 12. April 2019).
Begründung:
Die finanziellen Folgen der Reform der Psychotherapeutenausbildung sowie weiterer akademischer und nichtakademischer Gesundheitsberufe erfordern eine übergreifende Verständigung zwischen Ländern und Bund, da zahlreiche neue Aufgaben zusätzlich auf die Landeshaushalte, in erster Linie die Wissenschaftsetats, zukommen.
Bisher ist der Bund nicht in die von Gesundheits- und Kultusministerkonferenz gemeinsam vorgeschlagenen Gespräche zu der von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung angesprochenen, interessensgerechten Gesamtlösung mit den Ländern eingetreten (Anlage 4 zu BT-Drucksache 19/9770).
Angesichts der begrenzten Haushaltsmittel im Hochschulbereich besteht derzeit kein finanzieller Spielraum, um die nach dem Gesetz erforderlichen Studienkapazitäten im Bereich Psychotherapie an den Hochschulen aus den bestehenden Landesmitteln zu schaffen und ein angemessenes Verhältnis zu den Studienkapazitäten der weiteren psychologischen Fachrichtungen zu etablieren.
Aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrens ist eine Einigung im Vermittlungsausschuss anzustreben.
B
2. Der federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, dem vom Deutschen Bundestag am 26. September 2019 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 84 Absatz 1 Satz 5 und 6 des Grundgesetzes zuzustimmen.
C
Der federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, folgende Entschließung zu fassen:
3. Zu Artikel 2 Nummer 2a ( § 65e SGB V)
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Finanzierung der ambulanten Krebsberatungsstellen schnellstmöglich abschließend zu regeln, insbesondere durch eine Änderung des SGB VI.
Begründung:
Das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz sieht durch die Einfügung des § 65e SGB V die Finanzierung der ambulanten Krebsberatungsstellen durch die gesetzlichen und privaten Krankenkassen vor. Jedoch wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die gesetzlichen und privaten Krankenkassen lediglich 40 Prozent der Kosten der ambulanten Krebsberatungsstellen übernehmen sollen. Die Finanzierung der verbleibenden 60 Prozent der Kosten der Krebsberatungsstellen ist nicht geregelt. Damit ist die Finanzierung der Krebsberatungsstellen nicht sichergestellt. Eine Beteiligung der gesetzlichen Rentenversicherung sollte vorgesehen werden.
4. Zu Artikel 2 Nummer 3a (§ 75 Absatz 1a Satz 14 SGB V), Nummer 4a (§ 87 Absatz 2a Satz 26 und Absatz 2c Satz 8 SGB V), Nummer 5 (§ 92 Absatz 6a und Absatz 6b SGB V), Nummer 8a (§ 100 Absatz 1 Satz 1 SGB V), Nummer 9 (§ 101 Absatz 1 SGB V), Nummer 9a (§ 103 Absatz 1 Satz 1 SGB V) und Nummer 10a (§ 120 Absatz 2 Satz 6 SGB V)
Der Bundesrat sieht die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung durch die in Artikel 2 Nummern 3a, 4a, 5, 8a, 9, 9a und 10a des vorliegenden Gesetzes vorgesehenen Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gefährdet. Das Ziel, im Interesse der Patientinnen und Patienten die ambulanten Strukturen zu verbessern und stationäre Aufnahmen möglichst zu verhindern sowie Entlassungen frühzeitig zu ermöglichen, wird durch diese Änderungen konterkariert. Zudem werden regionalisierte Versorgungskonzepte hierdurch erheblich erschwert.
Begründung:
Die vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderungen gefährden die ambulante Versorgung und erhöhen den Druck auf den stationären Bereich. Dieser wird eine Ausweitung der Bettenkapazitäten nach sich ziehen.
Für psychisch kranke Menschen werden zusätzliche Hürden aufgebaut und dadurch der Zugang zur Psychotherapie erschwert.
Die für den G-BA vorgesehene Regelungskompetenz widerspricht dem Ziel regionalisierter Versorgungskonzepte und ist für die Gruppe schwer und chronisch psychisch kranker Menschen unpassend, da der Bedarf hier ganz besonders durch ausgeprägte Fähigkeitsstörungen und diagnostische Komorbiditäten geprägt wird.
Das Ziel, eine umfassendere Datenbasis zur Ermittlung der regionalen Versorgungslage zu erhalten, wird grundsätzlich unterstützt. Die diesbezüglich beabsichtigten Änderungen zur Bedarfsplanung und Anrechnung von in ermächtigten Einrichtungen tätigen Ärzten wird allerdings zu einem unangemessen hohen Dokumentationsaufwand führen und wird deshalb als nicht geeignet angesehen.
5. Zu Artikel 2 Nummer 10a (§ 120 Absatz 2 Satz 6 SGB V)
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Auswirkungen der Anknüpfung der Vergütung Psychiatrischer Institutsambulanzen (PIAs) an den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) kritisch zu prüfen. Sollte sich dabei bestätigen, dass auf dieser Grundlage die Leistungsfähigkeit der PIAs bei wirtschaftlicher Betriebsführung nicht zu gewährleisten ist, wird die Bundesregierung aufgefordert, diese Rechtsänderung zurückzunehmen, um den Fortbestand des unverzichtbaren Versorgungsbeitrags, den PIAs in der ambulanten Versorgung schwer psychisch kranker Patientinnen und Patienten leisten, zu gewährleisten.
Begründung:
Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung am 26. September 2019 unter anderem mit folgender Ergänzung des § 120 Absatz 2 SGB V beschlossen:
"Die Vergütung der Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen soll der Vergütung entsprechen, die sich aus der Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen nach § 87 Absatz 2a Satz 26 ergibt."
Ziel der Regelung soll laut ihrer Begründung einerseits sein, der Einbeziehung der PIAs in die neue berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgungsform auch auf der Leistungs- und Vergütungsseite Rechnung zu tragen. Andererseits sollen Fehlanreize aus unterschiedlichen Vergütungen für gleiche Leistungen vermieden werden. Doch bereits die dahinter stehende Grundannahme gleicher Leistungen ist zu hinterfragen. Dies zeigt bereits die spezielle Aufgabenzuweisung in § 118 Absatz 1 SGB V, die unter anderem von der Versorgung von Patienten ausgeht, die wegen Art, Schwere oder Dauer ihrer Erkrankung gerade auf eine Behandlung durch psychiatrische Krankenhäuser angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme schwer nachvollziehbar, dass in den PIAs mit ihren multiprofessionellen Teams (ausschließlich) die gleichen Leistungen wie im niedergelassenen Bereich erbracht werden.
Auch wenn ausdrücklich eine adäquate Vergütung von berufsgruppenübergreifenden Leistungen im vertragsärztlichen Bereich zu begrüßen ist, erscheinen grundsätzliche Festlegungen zur Vergütungsstruktur von PIAs im Rahmen eines Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung nicht sachgerecht. Nach jetziger Rechtslage erfolgt die Vergütung der PIAs unmittelbar von den Krankenkassen. Entsprechend § 120 Absatz 2 Satz 3 SGB V soll die Höhe der Vergütung die Leistungsfähigkeit der PIAs bei wirtschaftlicher Betriebsführung gewährleisten. Mit der Neuregelung wird eine bislang funktionierende Vergütungsfindung auf Landesebene durch eine bundeseinheitliche Vergütung abgelöst, ohne dass eine hiermit einhergehende Verbesserung erkennbar wäre. Denn bundesweite Vergütungen sind allenfalls dort zielführend, wo es auch bundesweit einheitliche Kostenstrukturen gibt. Dies ist hier aber nicht der Fall, weil beispielsweise auch die Personalkosten der PIAs von Land zu Land unterschiedlich sind. Nicht zuletzt enthält § 17d Absatz 1 Satz 3 KHG einen Prüfauftrag zur PIA-Vergütung, dem die jetzige Änderung vorgreift.
Problematisch erscheint die Rechtsänderung, weil die neue Gesetzesformulierung ohne weitere, ausdrückliche Konkretisierung bzw. Einschränkung auf den EBM verweist. Die möglicherweise intendierte Beschränkung der Anknüpfung auf Leistungen der neuen berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung schwer psychisch Kranker mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf ergibt sich aus dem gewählten Wortlaut der Norm jedenfalls nicht eindeutig. In ihrer jetzigen Fassung lässt die Norm vielmehr befürchten, dass zukünftig alle PIA-Leistungen nach EBM zu vergüten wären. Dies würde den Fortbestand des unverzichtbaren Versorgungsbeitrags, den PIAs in der ambulanten Versorgung schwer psychisch kranker Patientinnen und Patienten leisten, aus Sicht der Länder völlig unnötiger Weise gefährden.
6. Zu Artikel 2 Nummer 10b Buchstabe a (§ 136a Absatz 2 Satz 9 SGB V)
- a) Der Bundesrat kann das mit § 136a Absatz 2 Satz 9 SGB V verfolgte Anliegen, durch entsprechende Mindestvorgaben für die Zahl der vorzuhaltenden Psychotherapeuten sicherzustellen, dass die Psychotherapie entsprechend ihrer Bedeutung in der Versorgung psychisch und psychosomatisch Erkrankter abgebildet wird, nachvollziehen.
- b) Auch der Bundesrat ist der Auffassung, dass die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festzulegenden Mindestvorgaben zur Ausstattung mit therapeutischem Personal in stationären Einrichtungen der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung möglichst evidenzbasiert sein und zu einer leitliniengerechten Behandlung beitragen sollen; dabei ist der Bedeutung der Psychotherapie angemessen Rechnung zu tragen.
- c) Eine gesetzliche Verpflichtung des G-BA, zur Umsetzung dieser Zielsetzung einen bettenbezogenen Personalmindestschlüssel für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten festzulegen, hält der Bundesrat jedoch aus fachlichen Gründen für nicht geeignet und fordert daher die Bundesregierung auf, diese Vorgabe in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren zu streichen.
Begründung:
§ 136a Absatz 2 Satz 9 SGB V verpflichtet den G-BA, für den Bereich der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung insbesondere verbindliche Mindestvorgaben für die Ausstattung der stationären Einrichtungen mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal zu bestimmen.
Zur Umsetzung dieses gesetzlichen Auftrags hat der G-BA am 19. September 2019 die Erstfassung einer Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) beschlossen, in der differenzierte personelle Mindestvorgaben festgelegt sind, die sich an Behandlungsbereichen, Berufsgruppen und patientenbezogenen Minutenwerten orientieren.
Eine gesetzliche Verpflichtung des G-BA, im Gegensatz dazu nunmehr einen bettenbezogenen Personalmindestschlüssel für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten festzulegen, lehnt der Bundesrat aus fachlichen Gründen ab:
Ein solcher bettenbezogener Schlüssel, ausschließlich für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten, bildet die notwendige Differenzierung der Psychotherapiebedarfe unterschiedlicher Behandlungsbereiche innerhalb einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik nur ungenügend ab und gibt den Kliniken auch nicht die unter fachlichen und ökomischen Gesichtspunkten unbedingt notwendige Flexibilität hinsichtlich vorhandener psychotherapeutischer Ressourcen. Um der jeweiligen konkreten Versorgungs- und Behandlungssituation Rechnung tragen zu können, ist ein abgestufter, subtilerer sowie strukturelle, funktionelle und fachliche Gegebenheiten der Kliniken berücksichtigender Maßstab notwendig.
Die PPP-RL des G-BA zielt für die Bemessung des Personalbedarfs daher aus gutem Grund nicht auf die Bettenzahl, sondern auf die am konkreten Versorgungsbedarf der Patienten ausgerichteten Minutenwerte ab. Auch diesen aktuellen Vorgaben der PPP-RL würde die Etablierung einer bettenbezogenen Mindestvorgabe allein für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten widersprechen und zudem die Etablierung eines parallelen Personalbemessungssystems für die Psychotherapeuten erfordern.