933. Sitzung des Bundesrates am 8. Mai 2015
Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Sondergutachten wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zur Vorlage allgemein
- a) Der Bundesrat teilt die Sorgen des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) über die durch Stickstoffeinträge hervorgerufenen Umweltbelastungen. Vor allem eutrophierungsempfindliche Lebensräume, die Meere und das Grundwasser werden erheblich durch zu hohe Einträge von reaktivem Stickstoff belastet, so dass die Ziele der Natura-2000 Richtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie und Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie nicht erreicht werden können.
- b) Der Bundesrat hält die im SRU-Sondergutachten vorgeschlagene Zusammenführung der im Interesse von Luftreinhaltung, Gewässer-, Boden-, Natur- und Klimaschutz bestehenden Maßnahmen und Regelungen und die Festlegung übergreifender Stickstoff-Reduktionsziele im Rahmen einer nationalen integrierten Stickstoffstrategie für zielführend und unterstützenswert. Er bittet die Bundesregierung, eine nationale integrierte Stickstoffstrategie unter Beteiligung der Länder zu erarbeiten. Hierzu gehören
- aa) die Bündelung der relevanten, quantitativen Ziele der Stickstoffemissionsminderung in Luft, Boden und Wasser,
- bb) bestehende nationale Maßnahmen und Regelungen aus den Bereichen Landwirtschaft (u.a. Düngeverordnung, Emissionsminderung aus Tierhaltung, Steigerung der Stickstoffausnutzungseffizienz), Luftreinhaltung (Emissionsminderung aus Industrie, Gewerbe und Verkehr einschließlich Schifffahrt) sowie Naturschutz (Verbesserung der Stickstoffrückhaltung in der Landschaft durch Wiederherstellung von Auen, Mooren und Feuchtgebieten) zur Stickstoffemissionsminderung zusammenzustellen, den mittel- bis langfristigen Handlungsbedarf zu bestimmen, und
- cc) darauf aufbauend, ein wirksames Maßnahmenprogramm aufzulegen und dessen Umsetzung durch ein medienübergreifendes Monitoring zu begleiten.
- c) Der Bundesrat unterstützt weiterhin die Ansicht des Sachverständigenrates, dass die Stickstoffstrategie einander ergänzende Handlungsansätze verfolgen muss, um die Emissionen reaktiver Stickstoffverbindungen dauerhaft zu senken. Die Hintergrundbelastung muss gemindert werden, um empfindliche Ökosysteme, die Meere sowie die menschliche Gesundheit zu schützen. Hier sind vor allem nationale Regelungen einzuführen, um messbare flächenhafte Wirkungen zu erzeugen. Um weitere Biodiversitätsverluste zu verhindern, sind umgehend hotspot-Gebiete und empfindliche Gebiete zu identifizieren und durch jeweils geeignete Maßnahmen wie ausreichende Pufferstreifen an Gewässern von weiteren Stickstoffeinträgen zu entlasten und deren Schutz zu verbessern. Flankierend ist die Stickstoffstrategie durch Öffentlichkeitsarbeit, die für einen ressourcenschonenden Lebensstil wirbt, zu begleiten.
- d) Die nationale integrierte Stickstoffstrategie soll u.a. folgende Maßnahmen prüfen und bewerten:
- aa) Ammoniak-Emissionsminderung mittels Abluftreinigungsanlagen bei großen Schweine- und Geflügelhaltungen,
- bb) Einführung einer Stickstoffüberschussabgabe,
- cc) stärkere Ausschöpfung bestehender technischer Emissionsminderungspotenziale für Stickstoffoxidemissionen bei Energieerzeugungsanlagen und industriellen Feuerungen, insbesondere auch bei bestehenden Anlagen,
- dd) umweltgerechte Kraftstoffbesteuerung,
- ee) Einführung des Instrumentes einer Stickstoffoxidsteuer für Industrieanlagen entsprechend dem Beispiel von Schweden.
- e) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Ausführungen im SRU-Sondergutachten zum Verkehr zum Anlass zu nehmen, sich auf europäischer Ebene vehement für zeitnah wirkende Regelungen zur Sicherstellung niedriger Emissionen im realen Fahrbetrieb durch entsprechende Verbesserungen des Typprüfverfahrens für Kraftfahrzeuge einzusetzen. Dies umfasst die kurzfristige Beschlussfassung eines belastbaren, eindeutigen und insbesondere die städtischen Fahrbedingungen umfassenden Messverfahrens für die Emissionen im realen Fahrbetrieb ("Realdriving emissions") als Grundlage für die nachfolgende Festlegung ambitionierter Begrenzungen der Kfz-Emissionen auf der Straße. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, für die unverzügliche, verbindliche Einführung strenger Regelungen einzutreten. Der Bundesrat sieht mit Sorge, dass andernfalls die rechtlich verpflichtende, schnellstmögliche Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte für Stickstoffdioxid gefährdet wird und das Risiko von Fahrbeschränkungen in städtischen Belastungsgebieten für Diesel-Kfz mit hohen realen Fahremissionen wächst. Ergänzend dazu bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die Verordnung zur Kennzeichnung von Kraftfahrzeugen mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung (35. BImSchV) zeitnah zu novellieren, und eine zusätzliche Schadstoffgruppe einzuführen, bei der der Stickstoffausstoß die maßgebliche Größe darstellt.
- f) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich bei den Beratungen zur Neufassung der NEC-Richtlinie für die Festlegung verbindlicher Zwischenziele bei der Minderung der Stickstoffoxidemissionen und der Minderung der Emissionen der anderen Schadstoffe für das Jahr 2025 einzusetzen. Damit soll sichergestellt werden, dass bereits deutlich vor dem Zieljahr 2030 die erforderlichen Minderungsmaßnahmen eingeleitet werden.
- g) Der Bundesrat unterstützt die Empfehlung des SRU, die Luftqualitätsziele der EU an die neuen Erkenntnisse zum Gesundheitsschutz anzupassen und bittet die Bundesregierung, sich für eine ambitionierte Fortschreibung der Luftqualitätsziel- und -grenzwerte einzusetzen.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Das Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen zu Einträgen von Stickstoffverbindungen in die Umwelt äußert die Besorgnis, dass weitere Biodiversitätsverluste drohen, wenn nicht die Emissionen von reaktivem Stickstoff in Luft, Boden und Wasser verringert werden. Die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie und Meerstrategie-Rahmenrichtlinie werden angesichts der hohen Belastungen in den Meeren und im Grundwasser verfehlt. Die zum Schutz der menschlichen Gesundheit festgelegten Grenzwerte werden insbesondere in verkehrsbelasteten Bereichen oft nicht eingehalten.
Die bisher auf diese Einzelaspekte ausgerichteten Stickstoffminderungsansätze werden der Stickstoffproblematik in ihrer Gesamtheit nicht gerecht. Eine nationale Gesamtstrategie bietet die Möglichkeit, die Kräfte zu bündeln und zu koordinieren. Mit dem im Januar 2015 vom Sachverständigenrat für Umweltfragen vorgelegten Sondergutachten "Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem" werden die vielfältigen Belastungen der Umweltmedien durch Stickstoffverbindungen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf Biodiversität, Gesundheit und Klima umfassend dokumentiert.
Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft sowie dem Energie- und Verkehrssektor haben vielfältige Auswirkungen auf Luft, Boden, Wasser, Klima, Natur und Gesundheit.
Das vorgelegte SRU-Gutachten zeigt Vorteile und Möglichkeiten einer medienübergreifenden Stickstoffstrategie auf. Das SRU-Gutachten zeigt außerdem auf, welche Elemente eine nationale Stickstoffstrategie enthalten sollte und auf welchen unterschiedlichen Ebenen und durch welche Maßnahmen Minderungsfortschritte erreicht werden können. Diese Vorschläge sollen aufgegriffen und im Rahmen einer nationalen integrierte Stickstoffstrategie weiterverfolgt werden.
Dem SRU-Vorschlag einer Prüfung der Kraftstoffbesteuerung soll wegen der emissionsseitigen Bedeutung von Dieselfahrzeugen und der daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte gefolgt werden.
Zu den aktuell auf EU-Ebene laufenden Aktivitäten zur Neufassung der NEC-Richtlinie und zum EU-Typprüfverfahren für Pkw fordert der Bundesrat ambitionierte Regelungen, die die Bemühungen der Länder zur Reduzierung der Stickstoffdioxidbelastungen in Ballungsräumen unterstützen. Der Bundesrat unterstreicht damit seine Stellungnahme zur BR-Drucksache 817/13.
Bei der Fortschreibung der Luftqualitätsziele der EU müssen weitergehende Erkenntnisse zum Gesundheitsschutz frühzeitig Berücksichtigung finden.
2. Zum Bereich Landwirtschaft
- a) Der Bundesrat teilt die Auffassung des Sachverständigenrates, dass der Emissionsminderung im Bereich der Landwirtschaft eine Schlüsselrolle zukommt und unterstützt dessen Forderung nach einer Verbesserung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums zur Stärkung des Vollzuges in diesem Bereich. Einer ambitionierten Reduzierung der landwirtschaftlichen Emissionen sowie der effektiveren Überwachung der Stickstoffströme kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
- b) Der Bundesrat weist darauf hin, dass neben einem zügigen Abschluss der Novellierung der Düngeverordnung mit künftig, aus Gründen der von der Europäischen Kommission zur sachgerechten Umsetzung der Nitratrichtlinie geforderten, deutlich anspruchsvolleren Anforderungen parallel das Düngegesetz überarbeitet werden muss, um die Novelle der Düngeverordnung mit den jetzt schon im Entwurf enthaltenen Regelungen in Kraft setzen zu können und das angelaufene Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission noch abzuwenden.
- c) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, neben den bereits vorgenommenen notwendigen materiellen Verbesserungen in einer novellierten Düngeverordnung und den im gemeinsamen "Eckpunktepapier BMEL/BMUB zur Änderung des Düngegesetzes und zur Novelle der Düngeverordnung" angekündigten Änderungen im Düngegesetz die Voraussetzungen für eine Stärkung des Vollzugs des Düngerechts zu schaffen. Hierzu müssen folgende gesetzliche Grundlagen geschaffen werden:
- aa) Aufnahme einer Länderermächtigung zur Einführung einer Meldepflicht für aufzeichnungspflichtige Nährstoffvergleiche in der Düngeverordnung,
- bb) Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung auf das Inverkehrbringen und Befördern von Wirtschaftsdünger, um sowohl Nährstoffanfall als auch den Verbleib nachvollziehen zu können,
- cc) Änderung einschlägiger Rechtsvorschriften (z.B. InVeKoS-Daten-Gesetz, Tiergesundheitsgesetz, Viehverkehrsverordnung), um dort vorliegende düngerelevante Daten für gezielte Kontrollen im Rahmen des Düngerechts sowie gebietsbezogene Auswertungen für die Beurteilung der wasserwirtschaftlichen Folgen des landwirtschaftlichen Handelns nutzen zu können,
- dd) Änderung des Düngegesetzes dahingehend, dass der Qualitätszielwert von 50 mg Nitrat je Liter im Grundwasser einzuhalten ist.
- d) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, umgehend den Entwurf eines Artikelgesetzes zur Änderung des Düngegesetzes und anderer Rechtsvorschriften in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, um zügig die für die skizzierte Änderung der Düngeverordnung notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Das Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen zu Einträgen von Stickstoffverbindungen in die Umwelt betont die Schlüsselrolle der Landwirtschaft bei der Minderung dieser Einträge. Der Sachverständigenrat fordert sowohl eine deutliche Verbesserung der ordnungsrechtlichen Instrumente zur Stickstoffemissionsminderung als auch eine Steigerung der Effizienz und der Effektivität des Vollzugs.
Mit der Novelle der Düngeverordnung werden bereits wichtige Maßnahmen umgesetzt. Eine wirksame und effiziente Kontrolle des Anfalls, des Verbleibs und der ordnungsgemäßen Anwendung anfallender Nährstoffmengen ist auf eine gezielte Risikobewertung und die systematische und automatisierte Auswertung vorliegender Daten zu Flächen und Anzahl gehaltener Tiere angewiesen. Diese Daten liegen vor, sind aber im Rahmen der Kontrolle des Düngerechts nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzbar. Entsprechendes gilt für die Nutzung dieser Daten für Zwecke der wasserwirtschaftlichen Bewirtschaftung bzw. zur Beurteilung der wasserwirtschaftlichen Folgen des landwirtschaftlichen Handelns. Hierfür müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Beispiele aus Nachbarländern wie den Niederlanden zeigen, dass durch eine sinnvolle Nutzung vorhandener Daten die Überwachung in ihrer Wirksamkeit und Effizienz deutlich verbessert werden kann.
Der Bundesrat hat schon mit dem Beschluss vom 19. September 2014 (BR-Drucksache 354/14(B) -, Ziffer 4) die Bundesregierung aufgefordert, die notwendigen Voraussetzungen für eine Nutzung vorhandener Daten für die düngerechtliche Kontrolle zu schaffen. Die Düngeverordnung ist das nationale Instrument zur Umsetzung der Nitratrichtlinie. Bislang fehlt jedoch eine Verankerung des Qualitätszielwertes im düngerechtlichen Regelwerk.
- 3.
- a) Der Bundesrat betont, dass die Land- und Forstwirtschaft bereits große Anstrengungen zur Reduzierung des Stickstoffeintrags geleistet hat und weiterhin Teil einer Lösung für verantwortungsvolle Politik in diesem Bereich sein wird. Die Vorleistungen der Landwirtschaft sollten adäquate Beachtung dabei finden.
- b) Die zukünftigen Anstrengungen müssen die grundsätzliche Nutzungsorientierung der Landwirtschaft wahren. Insbesondere sind etwaige Produktionseinschränkungen, Ertragsminderungen und weitere indirekte Folgen in der Landwirtschaft sowie mögliche Zielkonflikte mit einzubeziehen. Dabei ist europaweit eine transparente Vorgehensweise unverzichtbar.