Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - "Fahren ohne Fahrschein" als Ordnungswidrigkeit -

A. Problem und Ziel

Die derzeitige strafrechtliche Ahndung des Massendelikts des schlichten "Fahrens ohne Fahrschein" (Beförderungserschleichung gemäß 265a StGB) zeitigt in einer Zusammenschau erhebliche negative Folgen für die Gesellschaft, ist mit maßgeblichen Prinzipien des Strafrechts und seiner Systematik nicht in Einklang zu bringen und lässt sich daher nicht mehr rechtfertigen.

Die strafrechtliche Verfolgung des "Fahrens ohne Fahrschein" bis hin zur Anordnung der Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen verfestigt und verschärft soziale Probleme und Ungleichheiten, da sie insbesondere sozial schwächere Menschen mit zum Teil auch körperlichen und seelischen Defiziten trifft, die für den von der Strafandrohung ausgehenden Appell gar nicht mehr empfänglich sind und für deren Probleme auch die Verbüßung einer Ersatzfreiheitstrafe keine Lösung bietet. Darüber hinaus bindet die Verfolgung und Ahndung des "Fahrens ohne Fahrschein", bei dem der Schaden in der Regel den Preis für einen Fahrschein nicht übersteigt, erhebliche Ressourcen bei Polizei und Justiz, die für die Verfolgung schwerer Kriminalitätsformen nicht zur Verfügung stehen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 2018 bundesweit rund 210.000 Fälle der Beförderungserschleichung aus. Für Thüringen beträgt die Zahl 5.663 Fälle mit einer Aufklärungsquote von 97,3 % bei 4.145 ermittelten Tatverdächtigen. Ein erheblicher Anteil der bei nichteinbringlicher Geldstrafe vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen betrifft Fälle der Beförderungserschleichung, wobei ein Hafttag pro Person in Thüringen Kosten von gut 130 Euro (Tageshaftkosten, ohne Bau- und Sachinvestitionskosten) verursacht.

Die strafrechtliche Sanktionierung des "Fahrens ohne Fahrschein" widerspricht im Weiteren auch dem Prinzip des Strafrechts als "ultima ratio", wonach die strafrechtliche Verfolgung als letztes, weil schärfstes Mittel nur dann zur Anwendung kommen darf, wenn andere Steuerungsinstrumente, insbesondere solche des Zivil- und Verwaltungsrechts, nicht zur Verfügung stehen. Die freiwillig weitgehend auf Zugangskontrollen verzichtenden Verkehrsbetriebe können indes auch jenseits des Straf(prozess)rechts auf ein vielfältiges Instrumentarium zur Wahrung ihrer Rechte zurückgreifen. Das von ihnen geforderte erhöhte Beförderungsentgelt entfaltet in der Regel eine abschreckende Wirkung; als Reaktion auf beharrliches Fehlverhalten steht es ihnen frei, auch Hausverbote auszusprechen. Für die zur Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche notwendige Personalienfeststellung können sie zudem auf das Selbsthilferecht des § 229 BGB zurückgreifen.

Bei Verkehrsverstößen verzichtet der Staat in weiten Teilen auf eine Kriminalisierung massenhaften Fehlverhaltens und beschränkt sich in diesem wichtigen Bereich des alltäglichen Lebens mit guten Gründen auf das Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts. Beim "Fahren ohne Fahrschein" als einem Massendelikt mit einem im Einzelfall nur sehr geringen Schaden, der insbesondere in Großstädten das schuldig gebliebene Entgelt bei einem Parkverstoß des Öfteren unterschreiten dürfte, kann unter rationalen Gesichtspunkten nichts anderes gelten.

B. Lösung

Das "Fahren ohne Fahrschein" wird durch die Streichung der Tatbestandsvariante der Beförderungserschleichung in § 265a StGB entkriminalisiert und es wird ein neuer Ordnungswidrigkeitentatbestand der unbefugten Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels eingeführt, dessen Formulierung - insbesondere durch Verzicht auf den Begriff des "Erschleichens" - die bisherigen Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten vermeidet. Mit der Entkriminalisierung entfällt auch die Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafen wegen Beförderungserschleichung.

C. Alternativen

Keine. Vorschläge, den Straftatbestand insbesondere auf unter Umgehung von Kontrollmaßnahmen begrenzte Verstöße einzuschränken, sind nicht zielführend. Zum einen wird eine dem Bestimmtheitsgebot entsprechende gesetzliche Definition der in Betracht kommenden Kontrollmaßnahmen erhebliche Schwierigkeiten bereiten und die Anwendung in der Praxis unnötig verkomplizierende Auslegungsprobleme schaffen. Zum anderen sind im öffentlichen Personennahverkehr derzeit ohnehin weitgehend keine Kontrolleinrichtungen vorhanden.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentliche Haushalte

Es entfallen Kosten für die Strafverfolgungsbehörden, Gerichte und die Strafvollstreckung durch Aufhebung des bisherigen Straftatbestandes der Beförderungserschleichung. Kosten entstehen bei den zuständigen Verwaltungsbehörden aus der Verfolgung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit, wobei sich die Wirtschaftlichkeit durch Bußgeldleitlinien und technische Maßnahmen optimieren lässt und anders als bei Straftaten keine Verfolgungspflicht besteht, sondern das Opportunitätsprinzip gilt. Des Weiteren fallen Kosten bei den Gerichten an, die über Einsprüche gegen die Bußgeldbescheide zu entscheiden haben sowie über Anträge auf die Anordnung von Erzwingungshaft, für deren Vollstreckung ebenfalls Kosten entstehen. Außerdem entfallen Einnahmen aus der Vollstreckung von Geldstrafen, während Einnahmen aus Bußgeldern gegenzurechnen sind.

Für die Verkehrsunternehmen entstehen durch die Gesetzesänderung unmittelbar keine Kosten.

Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - "Fahren ohne Fahrschein" als Ordnungswidrigkeit - Freistaat Thüringen Erfurt, 10. September 2019

Der Ministerpräsident

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Thüringer Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - "Fahren ohne Fahrschein" als Ordnungswidrigkeit - zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 980. Sitzung des Bundesrates am 20. September 2019 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - "Fahren ohne Fahrschein" als Ordnungswidrigkeit - Vom

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

In § 265a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist, werden nach dem Wort "Telekommunikationsnetzes" das Komma und die Wörter "die Beförderung durch ein Verkehrsmittel" gestrichen.

Artikel 2
Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten

Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2571) geändert wurde, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 118 folgende Angabe eingefügt:

" § 118a Unbefugte Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels"

2. Nach § 118 wird folgender § 118a eingefügt:

" § 118a Unbefugte Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels

(1) Ordnungswidrig handelt, wer ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt, ohne das erforderliche Entgelt zu entrichten.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden."

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Das schlichte "Fahren ohne Fahrschein", das heißt die vertragswidrig entgeltlose und damit unbefugte Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels ohne besondere Begleitumstände, ist, sofern es vorsätzlich geschieht, nach derzeitiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nach § 265a StGB als "Erschleichen von Leistungen" in der Tatbestandsvariante der Beförderungserschleichung strafbar (Strafrahmen: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr). Dies wird von weiten Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur zwar mit der Begründung abgelehnt, dass diese unbefugte Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels kein Element der Täuschung oder Manipulation enthalte und daher nicht als "Erschleichen" gewertet werden könne (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 66. Auflage, § 265a Rz. 5e mit weit. Nachw.). Die Rechtsprechung lässt es aber ausreichen, dass der Fahrgast sich allgemein mit einem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt.

Faktisch liegt es dabei in der Hand der Verkehrsbetriebe, ob jemand strafrechtlich verfolgt wird. Wird ein "Fahren ohne Fahrschein" nicht angezeigt, wird der Sachverhalt in den meisten Fällen den Ermittlungsbehörden gar nicht erst bekannt. Darüber hinaus fehlt es dann jedenfalls auch an dem nach § 265a Absatz 3 StGB i.V.m. § 248a StGB in der Regel erforderlichen Strafantrag, so dass, falls die Strafverfolgungsbehörden kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annehmen, auch ein Prozesshindernis besteht. Zwar hat der Gesetzgeber auch in anderen Fällen insbesondere der Bagatellkriminalität durch die Statuierung eines Strafantragserfordernisses den durch eine Straftat verletzten Personen die Möglichkeit eingeräumt, über die Strafverfolgung zu entscheiden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Falle der Beförderungserschleichung die Verkehrsbetriebe nicht einheitlich vorgehen. So erstatten die Thüringer Verkehrsbetriebe regelmäßig Strafanzeige, wenn die zivilrechtlichen Forderungen nicht beglichen werden oder es sich um Mehrfachtäter handelt. Demgegenüber erstattet beispielsweise in Berlin die S-Bahn Berlin GmbH Strafanzeige, wenn eine Person in einem Zeitraum von einem Jahr mindestens drei Mal ohne gültigen Fahrschein angetroffen wird, während die für den U-Bahn-, Bus- und Tramverkehr zuständigen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) drei Vorgänge innerhalb von zwei Jahren zum Anlass für eine Strafanzeige nehmen. Ob ein Sachverhalt zur Anzeige gebracht wird, kann somit davon abhängen, welches Verkehrsmittel genutzt wird und ob der maßgebliche Zeitraum geringfügig unter- oder überschritten wird. Dies trägt Züge des Zufälligen und ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bedenklich.

Die strafrechtliche Ahndung der unbefugten Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels zeitigt in einer Zusammenschau erhebliche negative Folgen für die Gesellschaft und stellt daher kein legitimes staatliches Handeln mehr dar. Diese Einschätzung stützt sich auf folgende Erwägungen:

1. Die Praxis der strafrechtlichen Ahndung der Beförderungserschleichung verschärft und verfestigt soziale Probleme und Ungleichheiten.

Sie führt nämlich in vielen Fällen zur Bestrafung sozial und gesellschaftlich benachteiligter Personen. Diese können sich oft den Preis für einen Fahrschein nicht leisten,

sind aber mangels anderer Beförderungsmöglichkeiten (zum Beispiel privater PKW) oft auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Darunter sind auch viele Personen, die aufgrund psychiatrischer Erkrankungen, Suchtmittelabhängigkeit oder anderer Problemlagen erhebliche Schwierigkeiten haben, sich sozialadäquat zu verhalten. Personen mit höheren Einkommen fällt es hingegen leicht, den Preis für einen Fahrschein aufzubringen. Auch wenn sie im Rahmen einer Kontrolle ohne Fahrschein angetroffen werden sollten, sind sie ohne Weiteres in der Lage, das erhöhte Beförderungsentgelt zu begleichen und bieten den betroffenen Verkehrsunternehmen dann in der Regel keinen Anlass mehr, eine Strafanzeige zu erstatten.

Das soziale Ungleichgewicht verstärkt sich im Rahmen der Strafvollstreckung. Zwar wird die Beförderungserschleichung in der Regel nur mit einer Geldstrafe geahndet. Wer diese aber nicht zahlen kann, dem droht letztlich die Anordnung der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Auch die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Abwendung einer Ersatzfreiheitsstrafe (zum Beispiel gemeinnützige Arbeiten) können von dem betroffenen Personenkreis in der Regel auf Grund vielfältiger, auch unverschuldeter Defizite gar nicht wahrgenommen werden. Nach Auskunft der Thüringer Justizvollzugseinrichtungen handelt es sich bei den Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Beförderungserschleichung verbüßen, weit überwiegend um Personen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind und/oder unter vielfältigen psychischen Störungen, seelischen und körperlichen Krankheiten bzw. Rauschmittelabhängigkeit leiden. Dies sind Problemlagen, auf die das Strafrecht und der Strafvollzug keine angemessene Antwort finden können.

2. Die gesellschaftlichen Kosten übersteigen bei Weitem den gesellschaftlichen Nutzen.

Insbesondere die Polizei und die Justiz müssen zur Bearbeitung der wegen Beförderungserschleichung eingeleiteten Verfahren erhebliche Ressourcen aufwenden. So wies die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2018 bundesweit rund 210.000 registrierte Fälle der Beförderungserschleichung aus. Für Thüringen beträgt die Zahl 5.663 Fälle mit einer Aufklärungsquote von 97,3 % bei 4.145 ermittelten Tatverdächtigen. In den wegen § 265a StGB geführten Verfahren (fast ausschließlich Fälle der Beförderungserschleichung) wurden in Thüringen insgesamt 1.567 Personen abgeurteilt (Verurteilungen und Freisprüche). Dies sind rund 6,6 % aller abgeurteilten Personen. Darüber hinaus entstehen erhebliche Kosten bei der Vollstreckung von Haftstrafen wegen Erschleichens von Leistungen. Laut einer Stichtagsabfrage verbüßten am 5. April 2019 in Thüringen insgesamt 30 Personen wegen des Vorwurfs des Erschleichens von Leistungen eine Haftstrafe, wofür alleine an diesem Tag Haftkosten von rund 4.000,- € aufliefen.

Deutlich tritt somit zutage, dass durch die strafrechtliche Verfolgung der Beförderungserschleichung in großem Umfang Ressourcen bei Polizei und Justiz gebunden werden, die eigentlich für die Bekämpfung schwerer Formen der Kriminalität, insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts dringend benötigt werden. Diesem immensen Aufwand steht kein relevanter gesellschaftlicher Nutzen gegenüber. Die Verurteilungen betreffen in der Regel Fälle der Bagatellkriminalität, bei denen der Schaden den Preis für eine Fahrkarte nicht überschreitet. Alleine ein Tag der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe kostet in Thüringen pro Person aber rund 130,- € (Tageshaftkosten, ohne Bau- und Sachinvestitionskosten). Hinzu kommt, dass das Strafrecht seine abschreckende Wirkung in den in Rede stehenden Fällen weit überwiegend verfehlt. Der Personenkreis, aus dem sich die Mehrzahl derjenigen rekrutiert, die wegen Beförderungserschleichung verurteilt werden, ist auf Grund der oben beschriebenen Defizite und für den mit einer Strafdrohung verbundenen Appell schlicht nicht empfänglich.

3. Die derzeitige strafrechtliche Sanktionierung des schlichten "Fahrens ohne Fahrschein" als Beförderungserschleichung widerspricht dem Prinzip des Strafrechts als "ultima ratio", wonach das Strafrecht als letztes, weil schärfstes Mittel nur dann zur Anwendung kommen darf, wenn andere Steuerungsinstrumente, insbesondere solche des Zivil- und Verwaltungsrechts, nicht zur Verfügung stehen.

Die freiwillig weitgehend auf Zugangskontrollen verzichtenden Verkehrsbetriebe können aber auch jenseits des Straf(prozess)rechts auf ein vielfältiges Instrumentarium zur Wahrung ihrer Rechte zurückgreifen. Das erhöhte Beförderungsentgelt, das Personen zu entrichten haben, die ohne Fahrschein angetroffen werden (in Thüringen derzeit 60,- €), entfaltet gegenüber der überwiegenden Mehrheit der Kundinnen und Kunden eine abschreckende Wirkung; als Reaktion auf beharrliches Fehlverhalten steht es den Verkehrsbetrieben darüber hinaus frei, auch Hausverbote auszusprechen. Für die zur Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche notwendige Personalienfeststellung können sie nach der Rechtsprechung (u.a. BGH, NStZ 2012, 144; BayObLG, SSt RR 69/97) auf das Selbsthilferecht des § 229 BGB zurückgreifen. Dies berechtigt auch zum Festhalten des Fahrgastes, gegebenenfalls bis zum Eintreffen der Polizei, die dann auch ohne Vorliegen einer Straftat zum Schutz privater Rechte die Personalien feststellen dürfte, weil gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen wäre und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Es verbietet sich im Übrigen, ein unerwünschtes Verhalten unabhängig vom Grad seiner Vorwerfbarkeit nur deshalb unter Strafe zu stellen, weil man meint, strafprozessualer Befugnisse zu bedürfen.

Letztlich gebietet auch der Vergleich mit anderen Formen der bagatellhaften Massenkriminalität wie dem Ladendiebstahl keine andere Beurteilung. Dies ergibt sich schon aus der Verfassung. So ist durch Artikel 14 des Grundgesetzes das beim Diebstahl betroffene körperliche Eigentum - anders als das Vermögen - umfassend geschützt. Vermögensschädigungen ohne besondere Begleitumstände (bloße Vertragsbrüche) hat der Gesetzgeber daher bewusst von der Strafbarkeit ausgenommen. Die Entkriminalisierung des schlichten "Fahrens ohne Fahrschein", also der umstandslosen Nutzung eines Verkehrsmittels, passt sich in diese Systematik des Vermögensstrafrechts zwanglos ein.

Nach alledem ist die Entkriminalisierung des "Fahrens ohne Fahrschein" dringend geboten. Sie ist ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit und führt durch die Entlastung von Polizei und Justiz auch zu einer effektiveren Strafverfolgung von Formen schwerer Kriminalität jenseits von Bagatellen.

Allerdings wäre es nicht angebracht, die unbefugte Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels überhaupt nicht zu ahnden, während beispielsweise das Falschparken mit einem Bußgeld belegt werden kann. Durch die vorgesehene Einstufung der Beförderungserschleichung als Ordnungswidrigkeit wird klargestellt, dass die unbefugte entgeltlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten ist, ähnlich wie viele verkehrsrechtliche Verstöße, bei denen der Staat bereits jetzt in weiten Teilen auf eine Kriminalisierung massenhaften Fehlverhaltens verzichtet und sich auf das Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts beschränkt. Der Tatbestand ist im Übrigen auf "öffentliche Verkehrsmittel" zu beschränken, das heißt auf solche, die allgemein zugänglich sind und bei denen (anders als bei privaten Fahrdiensten) regelmäßig eine Beförderungspflicht besteht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass im Ordnungswidrigkeitenrecht in der Regel allgemeine Belange betroffen sind und es anders als bei § 265a StGB nicht um Vermögensschutz geht.

Die Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafen wegen schlichten "Fahrens ohne Fahrschein" ist nach der Entkriminalisierung ausgeschlossen. Auch wenn das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) zur Unterstützung bei der Beitreibung verhängter Bußgelder grundsätzlich die Möglichkeit der Erzwingungshaft vorsieht ( § 96 OWiG), kommt deren Verhängung bei erweislich zahlungsunfähigen Personen nicht in Betracht (§ 96 Absatz 1 Nr. 2 und Nr. 4 OWiG). Damit ist gewährleistet, dass eine Freiheitsentziehung nur gegen Personen angeordnet wird, die das Bußgeld grundsätzlich zahlen könnten.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Die Tatbestandsalternative der Beförderungserschleichung wird aus § 265a Strafgesetzbuch gestrichen. Es wird ein neuer Ordnungswidrigkeitentatbestand der unbefugten Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels geschaffen.

III. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Artikel 72 Grundgesetz.

IV. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat

Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union sowie mit den von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen vereinbar.

V. Auswirkungen des Gesetzentwurfs

1. Geschlechtsspezifische Auswirkungen

Der Entwurf hat keine erkennbaren gleichstellungspolitischen Auswirkungen.

2. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Es entfallen Kosten für die Strafverfolgungsbehörden, Gerichte und die Strafvollstreckung durch Aufhebung des bisherigen Straftatbestandes der Beförderungserschleichung. Kosten entstehen bei den zuständigen Verwaltungsbehörden aus der Verfolgung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit, wobei sich die Wirtschaftlichkeit durch Bußgeldleitlinien und technische Maßnahmen optimieren lässt und anders als bei Straftaten keine Verfolgungspflicht besteht, sondern das Opportunitätsprinzip gilt. Des Weiteren fallen Kosten bei den Gerichten an, die über Einsprüche gegen die Bußgeldbescheide zu entscheiden haben sowie über Anträge auf die Anordnung von Erzwingungshaft, für deren Vollstreckung ebenfalls Kosten entstehen. Außerdem entfallen Einnahmen aus der Vollstreckung von Geldstrafen, während Einnahmen aus Bußgeldern gegenzurechnen sind.

3. Sonstige Kosten; Bürokratiekosten; Nachhaltigkeitsaspekte

DasGesetz führt zu keinen sonstigen Kosten und Bürokratiekosten.

Der Entwurf berührt keine Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Der Tatbestand der Beförderungserschleichung entfällt.

Zu Artikel 2 (Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten)

Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)

Es handelt sich um eine Anpassung der Inhaltsübersicht aufgrund der Einfügung des § 118a (siehe Nummer 2).

Zu Nummer 2 (neuer § 118a OWiG)

Der neu geschaffene Tatbestand des § 118a wird in den Zweiten Abschnitt des Dritten Teils des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eingestellt, weil das "Fahren ohne Fahrschein" als die Allgemeinbelange beeinträchtigende Handlung ebenfalls einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellt.

Der Tatbestand wurde so formuliert, dass die bisherigen Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten vermieden werden. Insbesondere wurde auf den Begriff des "Erschleichens" verzichtet. Darüber hinaus fällt es nicht unter den Tatbestand, wenn eine personengebundene Zeitkarte entgegen der Beförderungsbedingungen nicht mitgeführt wird, weil in diesem Fall das "erforderliche Entgelt" bezahlt ist.

Der Tatbestand erfasst nur vorsätzliches Handeln ( § 10 OWiG). Der Bußgeldrahmen bewegt sich gemäß § 17 Absatz 1 OWiG zwischen 5 und 1.000 € und ist, auch im Zusammenspiel mit den von den Verkehrsbetrieben erhobenen erhöhten Beförderungsentgelten, geeignet, insbesondere wirtschaftlich kalkulierende, zahlungsfähige Personen vom "Fahren ohne Fahrschein" abzuhalten.

Gemäß § 96 OWiG kann zur Unterstützung der Forderungsbeitreibung Erzwingungshaft angeordnet werden. Da diese aber - anderes als die Ersatzfreiheitsstrafe - nicht an die Stelle der ursprünglich verhängten Sanktion tritt, sondern nur ein Beugemittel ist, kommt ihre Anordnung gegenüber zahlungsunfähigen Personen nicht in Betracht (vgl. § 96 Absatz 1 Nr. 2 und Nr. 4 OWiG).

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.