986. Sitzung des Bundesrates am 13. März 2020
A
1. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem vom Deutschen Bundestag am 13. Februar 2020 verabschiedeten Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
B
Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, die folgende Entschließung zu fassen:
2. Zu Artikel 0 (Änderung des AMG) und Artikel 5 Nummer 9a (§ 129 Absatz 4c SGB V)
- a) Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) weitere Regelungen zur Vermeidung von Lieferengpässen von Medikamenten getroffen werden sollen.[3.]
- b) Der Bundesrat unterstützt insbesondere die Absicht der Bundesregierung,
- - dass pharmazeutische Unternehmer und Arzneimittelgroßhändler den Bundesoberbehörden auf Anforderung Informationen über Bestände, Absatzmengen und drohende Lieferengpässe von versorgungsrelevanten Arzneimitteln übermitteln sollen;
- - dass für die zuständigen Bundesoberbehörden eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen wird, damit diese bei drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen geeignete Maßnahmen anordnen können und - dass bei Lieferengpässen zur bedarfsgerechten Versorgung der gesetzlich Versicherten bei der Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels künftig die Krankenkasse die Mehrkosten trägt, wenn kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar ist.
- 3.[c) Der Bundesrat bedauert, dass diese Regelungen von der Bundesregierung nicht in einem eigenen Gesetz vorgelegt wurden. Die Einbringung als Änderungsanträge aus dem Deutschen Bundestag zum GKV-FKG führt zu einer Umgehung eines vollständigen Bundesratsverfahrens und verhindert so eine umfassende Beteiligung der Länder bei der wichtigen Frage der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung weitere erforderliche Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit unter angemessener Beteiligung der Länder zu prüfen.]
Begründung:
Die Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer und Arzneimittelgroßhändler, auf Anforderung der Bundesoberbehörden (BfArM und PEI) Daten über Bestände, Absatzmengen und drohenden Lieferengpässen zu übermitteln, dient dem Erreichen einer Übersicht über die aktuelle Liefersituation versorgungsrelevanter und versorgungskritischer Wirkstoffe. Im folgenden Schritt können die Bundesoberbehörden geeignete Maßnahmen anordnen um einen drohenden Lieferengpass abzuwenden oder seine Auswirkungen zu mildern. Die Maßnahmen können Vorgaben zur Vorratshaltung und Kontingentierung versorgungsrelevanter Arzneimittel beinhalten.
Die Aufhebung des "gesetzlichen Preisankers" des Rahmenvertrags durch Einfügung von § 129 Absatz 4c SGB V schließt eine Lücke in der bedarfsgerechten Versorgung der GKV-Versicherten. So kann bei der fehlenden Verfügbarkeit eines Arzneimittels und wirkstoffgleicher, preislich gleich oder darunter liegender Arzneimittel der Patient dennoch versorgt werden, die dann anfallenden Mehrkosten gehen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Über die finanziellen Auswirkungen für die gesetzlichen Krankenkassen soll 18 Monate nach Inkrafttreten ein Bericht erstellt werden.
4. Zu Artikel 5 ( § 125 SGB V)
- a) Der Bundesrat stellt kritisch fest, dass die umfangreichen Änderungsbitten des Bundesrates von der Bundesregierung nahezu vollständig abgelehnt wurden. Dies betrifft auch die Bitte des Bundesrates, den Heilmittelbereich auch zukünftig für ergänzende Verträge auf regionaler Ebene zu öffnen, um auf regionale Besonderheiten angemessen reagieren zu können.
- b) Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er bereits im Kontext des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) deutlich gemacht hat, dass er die deutliche Tendenz, im Gesundheitsbereich Aufgaben auf die Bundesebene zu verlagern und zu zentralisieren, mit Sorge sieht. Die föderale Struktur sichert nach Überzeugung des Bundesrates anders als zentrale Vorgaben eine passgenaue Versorgung und ist Motor für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens.
- c) Dass zentrale Vorgaben der Bundesebene ohne Öffnung für ergänzende Landesregelungen zu kritischen Entwicklungen führen können, zeigt sich derzeit im Heilmittelbereich. Mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderung im Zuge des TSVG sollte eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, um ergänzend zu den Bundesverträgen noch regionale Verträge zur Versorgung mit Heilmitteln vereinbaren bzw. bestehende aufrechterhalten zu können.
- d) Durch die alleinige Verengung der Vertragskompetenz auf die Bundesebene stehen etwa jahrelange, kassenartenübergreifende Individualverträge mit Einrichtungen und Einrichtungsträgern zur Versorgung von dort betreuten behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern und Jugendlichen vor dem Ende. Unter Hinweis auf das TSVG haben die Krankenkassen deutlich gemacht, dass sie für eine Fortführung dieser Verträge über den 30. Juni 2020 hinaus keine Rechtsgrundlage mehr sehen. Damit würde die Versorgung der betreffenden Kinder und Jugendlichen durch einen gesetzlichen Eingriff des Bundes massiv beeinträchtigt
- e) Soweit in diesen Individualverträgen historisch bedingt ausdrücklich auch Behandlungen zu Lasten der GKV durch angestellte Therapeuten der Einrichtungen übergangsweise zulässig sind, drohen hier kurzfristig Entlassungen, die vor dem Hintergrund der langlaufenden Verträge nicht zu rechtfertigen sind.
- f) Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, schnellstmöglich insbesondere einen Bestandsschutz für laufende regionale Individualverträge zu schaffen. Er fordert zugleich das Bundesgesundheitsministerium auf, angesichts des engen Zeitfensters kurzfristig schriftlich klarzustellen, dass laufende Individualverträge zur Heilmittelversorgung bis zu einer gesetzlichen Klarstellung weitergeführt werden können.
5. Zu Artikel 5 Nummer 26 ( § 273 SGB V)
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Maßstäbe der Vertrags- und der RSA-Prüfung nicht auseinanderfallen. Bei der RSA-Prüfung muss der jeweils gültige Rechtsrahmen zum Zeitpunkt der Vertragsgenehmigung zu Grunde gelegt und darf nicht rückwirkend verändert werden. Es kommt sonst zu einem Aufsichtswiderspruch, wenn bereits genehmigte Verträge nachträglich für unwirksam erklärt werden. Deshalb sollte nach Auffassung des Bundesrates anstelle der Regelung nach Artikel 5 Nummer 26 eine von den Vertragspartnern im Vorwege selbst veranlasste Überprüfung möglich sein.
Begründung:
Die neue Fassung des § 273 SGB V hat zum Ziel, die Prüfung zur Sicherung der Datengrundlage für den RSA zu vereinfachen und in Bezug auf die Kompetenzen des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) zu verstärken. Unter anderem erhält das BAS als RSA-Durchführungsbehörde ein eigenständiges, anlassbezogenes Prüfrecht für Selektivverträge im Hinblick auf RSA-relevante Verstöße. Die Beweislast für rechtswidriges Verhalten wird umgekehrt.
Ziel muss aber vor allem eine verlässliche Versorgungs- und Rechtssicherheit sein. Die jeweils betroffene Krankenkasse und die beteiligten Vertragspartner müssen sich darauf verlassen können, dass sie einer durch die Aufsicht erteilten Genehmigung oder Nichtbeanstandung vertrauen können. Der Anreiz für diese Art der Verträge, die für die regionale Versorgung von großer Bedeutung sind, darf nicht durch potenziell rückwirkende nachteilige Neuregelungen und Rechtsfolgen nach RSA-Prüfung konterkariert werden. Das nachgelagerte Prüfrecht des BAS bezogen auf Versorgungsverträge aus RSA-Sicht bietet den Krankenkassen selbst bei Vorliegen der Genehmigung oder Nichtbeanstandung- 5
der Aufsicht keine hinreichende Rechtssicherheit. Wenn das BAS den Vertrag rückwirkend für unzulässig erklären und dessen Änderung oder Aufhebung verlangen kann, würden die Entscheidungen der Länderaufsichten ausgehebelt und damit obsolet. Dies widerspricht grundlegend den verfassungsrechtlich vorgegebenen Kompetenzen.
Die neue Regelung des § 273 SGB V ist nicht notwendig, weil das BAS bereits heute weitgehende Prüfrechte im RSA-Bereich inne hat, diese aber nicht ausreichend und zeitnah ausübt. Die Verhinderung des Missbrauchs von sogenannten Betreuungsstrukturverträgen erfolgte daher ausschließlich durch konzentrierte Bemühungen der Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder und nicht durch das BAS im Rahmen seiner Sonderzuständigkeiten nach § 273 SGB V.
Darüber hinaus stellt die geplante Neufassung des § 273 SGB V eine unzulässige und unsystematische Vermischung der Zuständigkeiten von Aufsichtsbehörde und Prüfdienst dar, die insbesondere auch Länderzuständigkeiten in der Rechtsaufsicht ignoriert.
Ferner besteht bei einer vorgesehenen Rückwirkung bis zum Jahr 2013 ein erhebliches Potenzial, durch rückwirkende Feststellungen Krankenkassen in finanzielle Schieflage zu bringen, selbst wenn diese sich rechtsaufsichtlich im Hinblick auf gegebenenfalls diskussionswürdige Vertragsinhalte haben beraten lassen.
Soweit hier die Manipulationssicherheit des Morbi-RSA in Bezug auf eine mögliche Beeinflussung durch Selektivverträge verbessert werden soll, wäre alternativ eine Wiederherstellung der Vorlagepflicht von Selektivverträgen entsprechend § 71 Absatz 4 SGB V in der Fassung des GKV-VStG zu erwägen. Liegt zu einem vorgelegten Versorgungsvertrag innerhalb einer angemessenen Frist kein Prüfergebnis des BAS vor, kann dieser im Zeitraum ab Eingang der Vorlage bis zum Zugang des Prüfergebnisses insoweit nicht als Verstoß gegen die Vorgaben des § 267 Absatz 1 Satz 2 SGB V gewertet werden.
6. Zu Artikel 6 Nummer 7 (§ 8 Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 RSAV)
- a) Der Bundesrat bedauert, dass die Bitte des Bundesrates abgelehnt wurde, dass die Merkmale der Regionalkomponente im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich auch unter Einbindung der Länder, die die Verantwortung für die regionale Gesundheitsversorgung innehaben, festgelegt werden.
- b) Der Bundesrat beobachtet mit Sorge, dass die konkrete Ausgestaltung der neu zu implementierenden Regionalkomponente letztlich allein dem Bundesamt für Soziale Sicherung obliegt und vorerst gemäß den Empfehlungen im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats aus dem Jahr 2018 ausgestaltet wird
- c) In dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats ist aber festgestellt worden, dass sich die Zusammensetzung der relevanten Regionalvariablen im Zeitverlauf ändern kann und die Variablenselektion entsprechend regelmäßig überprüft werden muss.
- d) Weiterhin hat der Wissenschaftliche Beirat festgestellt, dass mit zehn Variablen, die die höchste statistische Signifikanz aufweisen, ein Großteil der potenziell möglichen statistischen Erklärungskraft erreicht wird. Danach sollen derzeit sogenannte Angebotsvariablen (beispielsweise Krankenhausbettendichte) explizit nicht mit einbezogen werden; die Regelung selbst schließt dies allerdings für die Zukunft nicht aus. Grundsätzlich sollen regionale Merkmale ausgewählt werden, die die regionale Ausgabenstreuung erklären können. Steuerungseffekte im Bereich der Versorgung, die einen Einfluss auf regionale Über- und Unterdeckungen haben können, sollen allerdings nicht berücksichtigt werden. Wenn regionale Über- oder Unterdeckungen also durch das Handeln von Krankenkassen oder durch die Gestaltung der Länder, Kreise und Kommunen beeinflusst werden, bleibt dies unberücksichtigt.
- e) Der Bundesrat befürchtet, dass durch den geplanten Ausschluss von Angebotsvariablen bei der Regionalkomponente ineffiziente Strukturen weiterhin geduldet und beibehalten werden sollen. Die blinde Berücksichtigung und der Ausgleich regionaler Ausgabeunterschiede ohne genaue Analyse ihrer Ursachen festigt ineffiziente und veraltete Strukturen in den unterdeckten Regionen und missachtet das Wirtschaftlichkeitsgebot im Sozialrecht.
- f) Aus diesen Gründen hält es der Bundesrat für zwingend notwendig, dass zukünftig die Merkmale der Regionalkomponente auch unter Einbindung der Länder, die die Verantwortung für die regionale Gesundheitsversorgung innehaben, festgelegt werden.
- g) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die gewährleisten, dass die Merkmale der Regionalkomponente im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich nicht ohne die Beteiligung der Länder festgesetzt werden.