Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz
Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Rechtsansprüchen im Staatsangehörigkeitsrecht

A. Problem

Mehr als 70 Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft treten immer noch Fälle auf, bei denen die gesetzlichen Regelungen nicht ausreichen, um geschehenes Unrecht im Staatsangehörigkeitsrecht wieder gut zu machen. Zwar gibt Artikel 116 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) früheren deutschen Staatsangehörigen und ihren Abkömmlingen, die durch Verfolgungsmaßnahmen ihre Staatsangehörigkeit verloren haben, einen Anspruch auf Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Diese Regelung erfasst jedoch nicht alle Konstellationen, in denen das nationalsozialistische Unrecht staatsangehörigkeitsrechtliche Folgen hatte. Gerade Abkömmlinge, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt die Staatsangehörigkeit von ihren verfolgten Vorfahren nicht ableiten konnten, sollen die Möglichkeit erhalten, unbürokratisch die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben.

Die Bundesregierung hat durch Erlasse vom 30. August 2019 reagiert und Vorgaben zur großzügigeren Nutzung bestehender Regelungen für im Ausland lebende Personen (§§ 13 und 14 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG) gemacht. Diese Erlasse geben deutliche Verbesserungen vor und sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Eine einheitliche Anwendung auf gleichgelagerte Fälle können die Erlasse jedoch aufgrund der Zuständigkeit der Landesbehörden bei der Einbürgerung von im Inland lebenden Betroffenen nicht gewährleisten. Zudem handelt es sich - auch bei Übernahme der Erleichterungen durch Erlasse der Länder - um Vorgaben, die im Rahmen des Ermessens geprüft werden sollen. Rechtsansprüche sind damit nicht gegeben.

B. Lösung

Im Staatsangehörigkeitsgesetz werden Anspruchstatbestände auf Einbürgerung verankert, um alle Konstellationen zu erfassen, in denen nationalsozialistisches Unrecht wieder gut zu machen ist.

Wegen des öffentlichen Interesses an einer Wiedergutmachung wird klargestellt, dass Gebührenbefreiung zu gewähren ist.

C. Alternativen

Die einzige Alternative ist die Beibehaltung des bisherigen Rechtszustands. Der vorgeschlagene Anspruch auf Wiedergutmachung gewährleistet besser als bislang eine einheitliche Anwendung.

D. Kosten

Es fallen keine zusätzlichen Kosten an, da bereits jetzt bei Einbürgerungen zur Wiedergutmachung im Rahmen des Ermessens nach § 38 Absatz 2 Satz 5 StAG Gebührenfreiheit gewährt wird. Die Aufnahme eines eigenen Gebührenbefreiungstatbestands in die Gebührenvorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes macht transparent, dass Einbürgerungen zur Wiedergutmachung von nationalsozialistischem Unrecht im öffentlichen Interesse liegen und es wird ein Anspruch auf Gebührenfreiheit verankert.

Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz
Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Rechtsansprüchen im Staatsangehörigkeitsrecht

Die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, 3. März 2020

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Rheinland-Pfalz hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Rechtsansprüchen im Staatangehörigkeitsrecht zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 986. Sitzung des Bundesrates am 13. März 2020 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Malu Dreyer

Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Rechtsansprüchen im Staatsangehörigkeitsrecht

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes

Das Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 14 wird folgender § 15 eingefügt:

" § 15

(1) Abkömmlinge ehemaliger deutscher Staatsangehöriger, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aufgrund nationalsozialistischer Diskriminierung oder Verfolgung entzogen worden ist, sind auf Antrag einzubürgern, auch wenn sie nach dem zum Zeitpunkt ihrer Geburt geltenden Recht die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Abstammung erworben hätten.

(2) Im Übrigen ist in der Regel einem Antrag auf Einbürgerung unter den Voraussetzungen des § 8 Absatz 1 Nummer 1 und 2 stattzugeben, wenn ein Wiedergutmachungsinteresse besteht.

(3) Ein Wiedergutmachungsinteresse im Sinne des Absatzes 2 besteht insbesondere bei Personen, die

und ihren Abkömmlingen."

2. § 38 Absatz 2 Satz 3 erhält folgende Fassung:

"Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 5, die Einbürgerung von ehemaligen Deutschen, die durch Eheschließung mit einem Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben und die Einbürgerung nach § 15 sind gebührenfrei."

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Mehr als 70 Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft treten immer noch Fälle auf, in denen das geschehene Unrecht im Staatsangehörigkeitsrecht nicht gut gemacht wurde (siehe BT-Drs.19/9777 vom 30.04.2019 und Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, WD 3 - 3000- 093/19 (PDF) ). Dabei gibt es eine Reihe von Fallgruppen, in denen es notwendig erscheint, dem berechtigten Anliegen der Betroffenen durch eine Einbürgerung zeitnah Rechnung zu tragen (vgl. Weizsäcker in Exilforschung, Ein Internationales Jahrbuch, 036/2018, Hrsg. Bischoff/Rürup, S. 135 ff.).

Unklarheiten und Unsicherheiten in diesem Bereich sollen durch eine gesetzliche Regelung beseitigt werden. Die Notwendigkeit besteht auch angesichts der geänderten Erlasslage der Bundesregierung zur Einbürgerung von im Ausland lebenden Betroffenen (§§ 13, 14 StAG) weiter. Durch diese verwaltungsrechtlichen Vorgaben ist nicht gewährleistet, dass Einbürgerungserleichterungen im vergleichbaren Umfang auch den Betroffenen gewährt werden, die in Deutschland leben und hier ihre Einbürgerung beantragen.

Zur Klärung der Frage der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung sowie der damit verbundenen rechtlichen Fragen diente die Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss des Bundestages für Inneres und Heimat am 21. Oktober 2019. Die Mehrheit der Sachverständigen hält eine Erlassreglung für nicht ausreichend und befürwortet eine gesetzliche Regelung (siehe Stellungnahme Prof. Dr. Tarik Tabbara, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin - "Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht" - Ausschussdrucksache 19 (4)369 C)). Mehrere Fraktionen im Bundestag haben gefordert, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu schaffen (vgl. BT-Drucksachen 19/13505, 19/12200, 19/14063).

Der Entwurf enthält Einbürgerungsansprüche (§ 15 StAG) für alle Gruppen, in denen eine Einbürgerung zur Wiedergutmachung geboten ist. Besonders berücksichtigt wird dabei eine Problematik aus dem Bereich des Artikel 116 Absatz 2 GG. Nach höchstrichterlicher Entscheidung gibt diese Norm in bestimmten Konstellationen Abkömmlingen von mit Ausländern verheirateten Frauen, denen die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund nationalsozialistischer Diskriminierung oder Verfolgung entzogen worden ist, keinen Anspruch auf Einbürgerung, weil die Kinder dieser Frauen die deutsche Staatsangehörigkeit nach der damals geltenden Rechtslage nicht erworben haben. Rechtspolitisch kann dies nicht hingenommen werden, weil der Ausschluss der Betroffenen vom Erwerb der Staatsangehörigkeit nach der Zugehörigkeit zum Geschlecht mit der grundlegenden Wertung des Grundgesetzes in Artikel 3 Absatz 2 und 3 GG nicht vereinbar ist (vgl. Kokott in Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 116 GG, Rn. 25). Deshalb wird für diese Gruppe nunmehr in Parallelität zu Artikel 116 Absatz 2 Satz 1 GG ein einfachgesetzlicher Einbürgerungsanspruch geschaffen. Aus der Parallelität zu Artikel 116 Absatz 2 Satz 1 GG folgt dabei auch, dass alle Abkömmlinge (ohne "Generationenschnitt") von der Anspruchsnorm erfasst werden. Zudem erfordert die Parallelität zu Artikel 116 Absatz 2 Satz 1 GG eine generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit.

Im Übrigen wird durch einen Regelanspruch (§ 15 Absatz 2 StAG) gesichert, dass in allen relevanten Fällen dem deutschen Interesse an einer Wiedergutmachung Rechnung getragen wird ("Wiedergutmachungsinteresse"). Dabei wird das Wiedergutmachungsinteresse beispielhaft und klarstellend für bestimmte Fallgruppen in § 15 Absatz 3 StAG näher konkretisiert. Erfasst werden durch die Nummer 1 insbesondere Fälle, in denen Betroffene die deutsche Staatsangehörigkeit deshalb nicht erworben haben, weil sie von deren Erwerb aus politischen, vermeintlich rassischen oder religiösen Gründen ausgeschlossen wurden ("Danziger-Fälle", Sammeleinbürgerungen). Erfasst werden durch diese Regelung aber auch Fälle, in denen Frauen - bereits vor dem Zeitpunkt, in denen ihnen bei Verbleib in Deutschland die Staatsangehörigkeit entzogen worden wäre (vgl. Artikel 116 Absatz 1 GG) - aus Furcht vor Verfolgung Deutschland verlassen haben und die in der Folge die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Eheschließung mit einem Ausländer verloren haben. Gleiches gilt für andere vergleichbare Fälle, in denen die Flucht früh geglückt ist und die deutsche Staatsangehörigkeit durch den - letztlich fluchtbedingten - Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit verloren ging. Darüber hinaus erfasst die Nummer 2 auch z.B. Fälle von in Deutschland bereits seit längerem niedergelassenen Jüdinnen und Juden, die noch nicht deutsche Staatsangehörige waren, die diese Staatsangehörigkeit aber bei voraussichtlichem Lauf der Dinge erworben hätten, wenn sie nicht vor dem nationalsozialistischen Terrorregime hätten fliehen müssen.

Der Regelanspruch auf Einbürgerung nach § 15 Absatz 2 und 3 StAG wird dabei heute angesichts der vergangenen Zeit im Wesentlichen vor allem für die Abkömmlinge (§ 15 Absatz 3 StAG) derjenigen Personen Relevanz haben, die von den Unrechtsmaßnahmen der Nationalsozialisten unmittelbar betroffen waren und z.B. die Flucht selbst erlebt haben.

Eine Ergänzung des Ausnahmekatalogs der Gebührenvorschriften (§ 38 Absatz 2 Satz 3 StAG) ist erforderlich, um klar zu stellen, dass aus öffentlichem Interesse Gebührenbefreiung zu gewähren ist. Dadurch wird eine Gleichbehandlung von Einbürgerungen mit Wiedergutmachung im Ausland und im Inland sichergestellt. Einbürgerungen mit Wiedergutmachungsgehalt im Ausland (§§ 13 und 14 StAG) werden bereits gebührenfrei vorgenommen (siehe BT-Drs.19/9777 vom 30.04.2019).

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 73 Absatz 1 Nummer 2 GG.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1 (§ 15 StAG)

In Absatz 1 ist in Parallelität zu Artikel 116 Absatz 2 GG ein besonderer Anspruch auf Einbürgerung von Abkömmlingen primär deutscher Mütter verankert, die ihren Kindern die Staatsangehörigkeit nach einer - den Wertungen des Artikel 3 Absatz 2 und 3 GG widersprechenden - Regel im Staatsangehörigkeitsrecht nicht vermitteln konnten (siehe auch Begründung unter A.).

Absatz 2 gibt Betroffenen einen Einbürgerungsanspruch, wenn ein Wiedergutmachungsinteresse besteht. Dieses wird durch die in Absatz 3 beispielhaft genannten Fallgruppen (siehe ebenfalls Begründung unter A.) näher konturiert, wobei das Wiedergutmachungsinteresse in beiden in Absatz 3 geregelten Fallgruppen auch bei den jeweiligen Abkömmlingen gegeben ist.

Zu Nummer 2 (§ 38 StAG)

Die Gebührenbefreiung bei allen Einbürgerungen mit Wiedergutmachungsgehalt wird gesetzlich verankert.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.