869. Sitzung des Bundesrates am 7. Mai 2010
A.
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Mit dem Vertrag von Lissabon werden die Entscheidungsprozesse in der EU transparenter. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat grundsätzlich den vorliegenden Verordnungsvorschlag der Kommission, in dem die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Mitgliedstaaten transparenter und effizienter gestaltet werden sollen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission den Verordnungsvorschlag zeitnah nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vorgelegt hat und die mit dem Komitologiebeschluss geschaffene Ausschussstruktur beibehalten möchte.
- 3. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Bemühungen der Kommission, die Kontrolle der Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse zu vereinfachen. Der Bundesrat betont jedoch, dass die zahlenmäßige Reduzierung und Neugestaltung der Verfahren nicht zulasten der Mitgliedstaaten gehen darf, denen aufgrund ihrer originären Zuständigkeit für den Vollzug des Unionsrechts effektive Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen. Insbesondere dürfen die Mitgliedstaaten verglichen mit dem derzeitigen Regelungsregime nicht schlechter gestellt werden.
- 4. Der Bundesrat bittet sicherzustellen, dass Durchführungsbefugnisse der Kommission nach Artikel 291 AEUV nicht in Betracht kommen, wenn bereits der zugehörige Basisrechtsakt von der Kommission (nach Artikel 290 AEUV) erlassen wurde. Andernfalls käme es zugunsten der Kommission zur Möglichkeit einer Selbstermächtigung, die im Interesse ausgewogener institutioneller Machtbalance mit gutem Grund vermieden werden sollte.
Zu Artikel 2 Absatz 2 und Absatz 3
- 5. Im Hinblick auf die Wahl des Verfahrens nach Artikel 2 des Verordnungsvorschlags stellt der Bundesrat fest, dass es dem EU-Gesetzgeber obliegt, im Einzelfall zu entscheiden, welches Verfahren er für zweckmäßig erachtet. Der EU-Gesetzgeber sollte daher nach Auffassung des Bundesrates im Einzelfall auch dann das Prüfverfahren wählen können, wenn die Kriterien des Artikels 2 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags nicht erfüllt sind. Sollten die Kriterien des Artikels 2 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags allerdings erfüllt sein, sollte entgegen der Möglichkeit des Artikels 2 Absatz 3 grundsätzlich nicht auf das Beratungsverfahren zurückgegriffen werden. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass - bei gleichzeitiger Wahrung der notwendigen Flexibilität - die Kriterien für die Auswahl der Komitologieverfahren klarer gefasst werden sollten. In Artikel 2 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags sollte klargestellt werden, dass die dort genannten Voraussetzungen alternativ und nicht kumulativ zur Anwendung des Prüfverfahrens führen.
Zu Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b Unterbuchstabe i
- 6. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b Unterbuchstabe i des Verordnungsvorschlags klargestellt wird, dass nicht nur Durchführungsmaßnahmen zur gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik Gegenstand des Prüfverfahrens sein sollen, das den Mitgliedstaaten stärkere Kontrollrechte ermöglicht, sondern auch materielle Vorschriften zu deren Finanzierung. Gerade hier werden die Rechte der Mitgliedstaaten stark tangiert, indem die Kommission Durchführungsregelungen erlassen kann, die zu erheblichen finanziellen Sanktionen bei Verstoß gegen Gemeinschaftsvorschriften führen können.
Zu Artikel 3 Absatz 3
- 7. Der Bundesrat regt an, die Position der Mitgliedstaaten dadurch zu stärken, dass der Ausschuss Änderungsanregungen zum Entwurf der Kommission unterbreiten kann. (bei Annahme entfällt Ziffer 8)
- 8. Der Bundesrat regt an, die Position der Mitgliedstaaten dadurch zu stärken, in dem auch Ausschussmitglieder einen Entwurf über zutreffende Maßnahmen unterbreiten können.
Zu Artikel 3 Absatz 4 und Absatz 5
- 9. Aus den Erfahrungen der Beratungen der Ausschüsse, die bisher auf Grundlage des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Komitologiebeschluss) tätig waren und nun gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags fortbestehen bzw. neu gebildet werden sollen, hält es der Bundesrat für geboten, das Beratungsverfahren zu straffen, indem der Ausschuss seine Stellungnahme zu dem Vorschlag innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben hat.
- 10. Der Bundesrat erkennt das Engagement der Bundesregierung für die Aufnahme von Fristen für die Ausschussbefassung an und bittet die Bundesregierung, sich in diesem Zusammenhang dafür einzusetzen, dass dies nicht der Entscheidung des Ausschussvorsitzenden überlassen wird. In diesem Zusammenhang erinnert der Bundesrat daran, dass die Kommission in ihrer Mitteilung zur Umsetzung des Artikels 290 AEUV unter Punkt 5.3.1 ausdrücklich gefordert hat, die Festlegung völlig unterschiedlicher Fristen für einzelne Bereiche zu vermeiden.
- 11. Die Fristen sollten klar und angemessen sein, um den Ausschüssen eine ausreichende Befassung mit den Kommissionsvorschlägen zu ermöglichen. Sie sollten auch für das schriftliche Verfahren gelten. Das Einberufungsschreiben, die Tagesordnung und die Maßnahmenentwürfe, zu denen die Ausschüsse um Stellungnahme ersucht werden, sollten den Ausschussmitgliedern spätestens 14 Tage vor dem Sitzungstermin übermittelt werden. In dringenden Fällen sollte diese Frist verkürzt werden können.
- 12. Damit die Entwürfe des Vorsitzes von den Ausschussmitgliedern ausreichend geprüft und beispielsweise in föderalen Mitgliedstaaten wie Deutschland auch auf den maßgeblichen Ebenen abgestimmt werden können, sollte nach Auffassung des Bundesrates hierfür eine angemessene Frist vorgesehen werden.
- 13. Darüber hinaus schränkt es die Beratungs- und Einflussnahmemöglichkeiten der Mitgliedstaaten zu stark ein, wenn der Vorsitzende allein entscheiden kann, das schriftliche Verfahren entgegen dem Antrag eines Ausschussmitglieds fortzusetzen.
- 14. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, darauf hinzuwirken, dass in Artikel 3 Absatz 5 Unterabsatz 2 des Verordnungsvorschlags ein Quorum an Ausschussmitgliedern die Beendigung des schriftlichen Verfahrens erzwingen kann und die Entscheidung darüber nicht in das Ermessen des Ausschussvorsitzenden gestellt wird.
Zu Artikel 5
- 15. Der Bundesrat fordert mit Nachdruck, dass die Kommission - anders als im Kommissionsvorschlag vorgesehen - die vorgeschlagenen Maßnahmen im Prüfverfahren nicht erlässt, wenn der Ausschuss keine oder eine negative Stellungnahme abgibt. Artikel 5 Absatz 4 des Verordnungsvorschlags ist entsprechend anzupassen. Eine Ausnahme ist nicht vorzusehen. Artikel 5 Absatz 5 des Verordnungsvorschlags ist daher zu streichen.
- 16. Der Bundesrat hält es nicht für sinnvoll, wenn die Kommission gemäß Artikel 5 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags nach einer ablehnenden Stellungnahme des Ausschusses einen unveränderten Maßnahmeentwurf zur weiteren Beratung vorlegt.
- 17. Der Bundesrat regt an, dem Ausschuss das Recht einzuräumen, Änderungen zu Maßnahmenvorschlägen einzubringen.
Zu Artikel 6
- 18. Der Bundesrat hält es einerseits durchaus für erforderlich, dass es ein Verfahren geben sollte, wonach die Kommission in Fällen äußerster Dringlichkeit - die nach dem vorliegenden Verordnungsvorschlag allerdings nicht näher definiert sind und daher sehr weit ausgelegt werden könnten - Adhoc-Maßnahmen erlassen kann.
- 19. Er ist deshalb der Auffassung, dass zwar ein Eilverfahren vorgesehen werden kann, durch die textliche Fassung des Verordnungsvorschlags aber sichergestellt werden muss, dass dieses die Ausnahme bleibt. Auch sollten für das Eilverfahren klare Verfahrensvorgaben gelten.
- 20. Andererseits kann das Verfahren dazu führen, dass auf Grund besonderer Ausnahmegründe erlassene Adhoc-Maßnahmen auf unbestimmte Zeit gelten, ohne dass dies durch die Mitgliedstaaten - hier im Wege der Stellungnahme des Ausschusses mit jeweils hinreichenden Mehrheiten - gebilligt worden ist. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn sich die Mitglieder im zuständigen Ausschuss trotz hoher oder wegen unterschiedlich bewerteter Dringlichkeit kurzfristig nicht auf eine Stellungnahme einigen können. Deshalb sollten derartige Adhoc-Maßnahmen zeitlich befristet sein.
- 21. Der Bundesrat betont insbesondere, dass die Kommission verpflichtet sein muss, im Eilverfahren erlassene Maßnahmen wieder aufzuheben, wenn sie nicht mit der nachträglichen Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmen. Ausnahmen sind nicht vorzusehen; Artikel 6 Absatz 5 des Verordnungsvorschlags ist daher zu streichen.
22. Zu Artikel 8
Der Bundesrat fordert, dass den Mitgliedstaaten die gleichen Zugriffsmöglichkeiten auf die Informationen nach Artikel 8 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags eingeräumt werden wie Rat und Europäischem Parlament, um die Aufgabenwahrnehmung durch die Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
Zu den Übergangsregelungen
- 23. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Bemühungen der Kommission, den Übergang auf das neue Regelungsregime möglichst einfach zu gestalten, bittet jedoch darum, dabei den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit ausreichend zu berücksichtigen.
- 24. Der Bundesrat stellt fest, dass die Aufhebung des Komitologiebeschlusses die bestehenden Sonderregelungen unberührt lässt.
B.
- 25. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.