Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen

E. Sonstige Kosten

F. Bürokratiekosten

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 10. August 2007
Die Bundeskanzlerin

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff

Sehr geehrter Herr Präsident,

hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen


mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.


Mit freundlichen Grüßen
Der Stellvertreter der Bundeskanzlerin
Franz Müntefering
Fristablauf: 21.09.07

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union 1

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen

Das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl I S. 1537), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 17. Dezember 2006 (BGBl I S. 3175), wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Entstehungsgeschichte

Der Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (ABl. EU 2003 Nr. L 196 S. 45, im Folgenden: RbSich) wurde vom Rat der Europäischen Union am 22. Juni 2003 als zweites auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen fußendes Rechtsinstrument beschlossen.

Das erste Rechtsinstrument, das auf diesem Grundsatz beruhte, war der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 (RbEuHb), der durch das vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2005 für nichtig erklärte Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) vom 21. Juli 2004 (BGBl. 2004 I, S. 1748) in das deutsche Recht umgesetzt worden war. Die erneute Umsetzung des Rahmenbeschlusses ist nunmehr durch das Gesetz vom 20. Juli 2006 (BGBl. 2006 I S. 1721) erfolgt.

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung geht auf die Sondertagung des Europäischen Rates vom 15. bis 16. Oktober 1999 im finnischen Tampere zurück, auf der er als Eckstein der zukünftigen justitiellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen bezeichnet wurde.

Er fand Fortsetzung im Maßnahmenprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen (ABl. C 12/10 vom 15. Januar 2001), in welchem unter dem Prioritätsgrad 1 die Ausarbeitung eines Instrumentes für die Anerkennung von Entscheidungen über das Einfrieren von Beweismaterial und eines Instrumentes für das Einfrieren von Guthaben (Maßnahmen 6 und 7) bezeichnet wurde.

Im Anschluss hieran wurde auf Initiative der Französischen Republik, des Königreichs Schweden und des Königreichs Belgien im März 2001 der Vorschlag eines Rahmenbeschlusses Sicherstellung vorgelegt.

Der schließlich am 22. Juli 2003 beschlossene RbSich orientiert sich an der Struktur des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, indem er auf dem bestehenden rechtshilferechtlichen Gerüst aufbaut und an Schnittstellen, die bei der Ausgestaltung der Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten als Hindernisse erkannt wurden, wesentliche Erleichterungen vorsieht.

II. Neuerungen des RbSich im Verhältnis zur bisherigen Regelung

Ebenso wie bereits der RbEuHb sieht der RbSich in seinem Artikel 3 Abs. 2 vor, dass die - im Grundsatz beibehaltene - beiderseitige Strafbarkeit für insgesamt 32 Deliktsgruppen, die abschließend in einer Positivliste aufgezählt sind, nicht mehr zu prüfen ist. Hierbei handelt es sich um dieselben Deliktsgruppen, die bereits Inhalt des RbEuHb (Artikel 2 Abs. 2 RbEuHb) waren.

Diese Listenlösung hebt inhaltlich die bisherige Regelung in Artikel 5 des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk) auf, in dem vorgesehen war dass jede Vertragspartei bei auf Durchsuchung und Beschlagnahme gerichteten Ersuchen deren Erledigung von der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig machen konnte (Artikel 5 Abs. 1

Buchstabe a EuRhÜbk). Deutschland hatte von dieser Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch gemacht (BGBl. 1976 II S. 1799).

Als weitere Neuerung des RbSich wurden, ebenso wie beim RbEuHb, Art und Anzahl der zur Verweigerung der erbetenen Rechtshilfe berechtigenden Gründe reduziert. Die Verweigerungsgründe finden sich in Artikel 7 des RbSich.

Darüber hinaus besteht lediglich die Möglichkeit, die Vollstreckung der Sicherstellungsanordnung aus bestimmten Gründen aufzuschieben (Artikel 8).

Der RbSich sieht überdies eine Beschleunigung der Sicherstellungsverfahren vor. Nach seinem Artikel 5 Abs. 3 soll über die Anerkennung der Sicherstellungsentscheidung des ersuchenden Staates so bald wie möglich, nach Möglichkeit innerhalb von 24 Stunden nach deren Erhalt, entschieden werden. Ferner treffen die zuständigen Justizbehörden im ersuchten Staat nach Anerkennung der Sicherstellungsentscheidung unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen für deren unmittelbare Vollstreckung auf dieselbe Weise wie bei einer von einer Behörde des ersuchten Staates erlassenen Sicherstellungsentscheidung.

Der Inhalt des Formulars zur Übersendung der Sicherstellungsentscheidung wird in einer dem Rahmenbeschluss angefügten Bescheinigung (Artikel 9) innerhalb der Mitgliedstaaten einheitlich geregelt.

Der Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses ist jedoch auf die bloße Sicherstellung eines Vermögensgegenstandes oder eines Beweismittels begrenzt. Die Herausgabe des Gegenstandes an den ersuchenden Staat richtet sich dagegen grundsätzlich nach den sonstigen rechtshilferechtlichen Verfahren, etwa nach dem EuRhÜbk, vgl. Artikel 10 Abs. 2 RbSich.

Hieraus wird deutlich, dass es sich beim vorliegenden RbSich lediglich um einen Teilschritt auf dem Weg zur gegenseitigen Anerkennung strafjustitieller Entscheidungen handelt (näher dazu nachfolgend unter III.).

III. Gründe für die Umsetzung des RbSich im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)

Die Mitgliedstaaten haben für die vorliegenden Regelungen wiederum die Rechtsform eines Rahmenbeschlusses gemäß Artikel 34 Abs. 2 Buchstabe b des Vertrages über die Europäische Union (EUV) gewählt. Der Rahmenbeschluss ist damit hinsichtlich des zu erreichenden Zieles für die Mitgliedstaaten verbindlich überlässt diesen jedoch bei der Umsetzung die Wahl der Form und der Mittel.

Ebenso wie der RbEuHb führt der RbSich neue Begrifflichkeiten im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit ein. Insbesondere spricht er vom "Entscheidungsstaat" (Artikel 2 Buchstabe a) und "Vollstreckungsstaat" (Artikel 2 Buchstabe b). Da die Mitgliedstaaten indes frei sind, im Rahmen der Umsetzung auf die in den nationalen Rechtsordnungen gebräuchlichen Begrifflichkeiten abzustellen, soll im IRG, wie bereits bei der Umsetzung des RbEuHb durch das EuHbG gehandhabt, auch zukünftig mit den bisher üblichen Begriffen des "ersuchenden" und "ersuchten" Staates gearbeitet werden. Die rechtshilferechtliche Praxis ist mit den Begrifflichkeiten des IRG, die in den Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) Widerspiegelung finden vertraut. Auch ist zu bedenken, dass sich die Herausgabe der sichergestellten Vermögensgegenstände und Beweismittel nach den herkömmlichen rechtshilferechtlichen Regelungen richtet, in denen die bisherigen Begrifflichkeiten ohnehin auch international fortgelten.

Der Regelungsinhalt des RbSich ist im Wesentlichen bereits Gegenstand des im IRG normierten Rechtshilferechtes. Die Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln ist Inhalt des § 67 IRG. Das Gesetz bedarf durch die Vorgaben des RbSich nur verhältnismäßig geringfügiger Änderungen. Die deutsche Praxis bei der Behandlung von auf Sicherstellung gerichteten Ersuchen bedarf keiner systematischen Veränderung. Die Zielvorgaben des RbSich sind bereits heute mit dem vorhandenen System des IRG kompatibel. Weil demnach die Regelungsinhalte des RbSich häufig nur einer Klarstellung in der Form von Verwaltungsvorschriften bedürfen, kann entsprechend der bisherigen Systematik des Rechtshilferechts eine Umsetzung im Wesentlichen in den RiVASt erfolgen. Dies gilt auch für aus Deutschland ausgehende Ersuchen.

Aus der durch das EuHbG in das IRG eingefügten und mit diesem Gesetzentwurf neu gefassten Vorschrift des § 1 Abs. 4 IRG sowie aus dem neu eingefügten § 91 IRG-E folgt, dass auch bei der Prüfung eingehender Ersuchen um Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hilfsweise die allgemeinen Vorschriften des IRG, also insbesondere dessen Fünfter und Siebenter Teil, Anwendung finden, soweit die Regelungen des neu eingefügten Zehnten Teils nicht abschließend sind. Ergibt sich aus einer Vorschrift des Zehnten Teils jedoch ausdrücklich die Unzulässigkeit eines Ersuchens, so kann das Ersuchen auch nicht nach Maßgabe der Bestimmungen des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens oder der §§ 59 ff. IRG bewilligt werden.

Der Anwendungsbereich des RbSich ist auf vorläufige Maßnahmen beschränkt. Gemäß der Begriffsbestimmung in Artikel 2 Buchstabe b handelt es sich bei der Sicherstellungsentscheidung um eine Maßnahme, mit der vorläufig jede Vernichtung, Veränderung, Verbringung, Übertragung oder

Veräußerung von Vermögensgegenständen verhindert werden soll, deren Einziehung angeordnet werden könnte oder die ein Beweismittel darstellen könnten. Die Sicherstellungsentscheidung umfasst somit letztlich die Ermittlungsmaßnahmen der Beschlagnahme, der sonstigen Sicherstellung und der Durchsuchung (vgl. §§ 67 Abs. 1, 77 IRG i.V.m. §§ 94, 102 ff., 111b ff. der Strafprozessordnung (StPO)). Die Herausgabe der sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände ist dagegen ausdrücklich nicht Gegenstand des RbSich, diese richtet sich gemäß Artikel 10 Abs. 2 vielmehr "nach den Regeln für die Rechtshilfe in Strafsachen und nach den Regeln für die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Einziehung", also beispielsweise nach dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk). Der Rahmenbeschluss selbst verpflichtet nur dazu, für den Fall der Herausgabe eines Gegenstands als Beweismittel bei Vorliegen eines Listendelikts auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit zu verzichten (Art. 10 Abs. 3 RbSich). Er regelt dagegen nicht den Verzicht auf die Prüfung für den Fall der Herausgabe zwecks Vorbereitung einer Einziehungsentscheidung.

Damit regelt der RbSich lediglich einen sehr beschränkten Ausschnitt des Bereiches der sonstigen ("kleinen") Rechtshilfe. So haben die Initiativstaaten des RbSich im Laufe der Verhandlungen auch betont ihr Entwurf stelle lediglich ein teilweises Abgehen von den Grundsätzen der bisherigen justiziellen Zusammenarbeit dar. Dies hat zur Folge, dass für die in der Praxis häufige Fallgestaltung eines einheitlichen, auf Beschlagnahme und Herausgabe eines Gegenstandes gerichteten Ersuchens unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu beachten sein können. Diese letztlich wenig befriedigende Sachlage ist Folge der von der Europäischen Union durch den RbSich bewusst angestrebten und in den weiteren verabschiedeten oder derzeit in Verhandlung befindlichen Rahmenbeschlüssen sich fortsetzenden teilweisen Abkehr vom herkömmlichen Rechtshilferecht und seiner sukzessiven Ersetzung durch Regelungen, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verwirklichen sollen. Im Zuge der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen vom 6. Oktober 2006 (Rb Einziehung) dürfte auch der Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bei Vorliegen eines Listendelikts für die Herausgabe von Gegenständen, die Einziehung oder Verfall unterliegen, zu regeln sein. Bei der Umsetzung des RbSich soll dem nicht vorgegriffen werden.

Im Rahmen der Umsetzung des RbSich wird das IRG allerdings insoweit wesentlich verändert, als durch die Neufassung des Neunten Teil und die Schaffung eines neuen Zehnten Teils die Frage, welche Regelungen im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU im Bereich der Vollstreckungshilfe und der Sonstigen Rechtshilfe gelten, klargestellt wird. Gleichzeitig verfolgt die insoweit vorgenommene Umstrukturierung des IRG das Ziel, die zukünftige Umsetzung weiterer Rahmenbeschlüsse zu erleichtern. Zu nennen sind hier gegenwärtig die bereits verabschiedeten Rahmenbeschlüsse über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Geldstrafen und Geldbußen vom 24. Februar 2005 (Rb Geld) und über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen vom 6. Oktober 2006 (Rb Einziehung). Zu dem Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (Rb EBA) zur Erlangung von Sachen,

Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen hat der Rat der Justiz- und Innenminister ferner am 1. Juni 2006 eine politische Einigung erzielt. Zu dem Entwurf für einen Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union hat sich der Rat der Justiz- und Innenminister am 15. Februar 2007 auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt. Weitere Rahmenbeschlussentwürfe befinden sich derzeit in Verhandlung.

Außerdem wird anlässlich der Umsetzung des RbSich die Gelegenheit genutzt, um im Bereich der Vollstreckungshilfe die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung zu verbessern. Durch die Neufassung des § 58 Abs. 3 wird die Möglichkeit eines vorläufigen sichernden Zugriffs auf die dem Verfall oder der Einziehung unterliegenden Gegenstände bereits vor der Vollstreckbarkeitserklärung einer ausländischen Einziehungs- oder Verfallsentscheidung und auch bereits vor Eingang eines förmlichen Sicherstellungsersuchens geregelt.

IV. Änderungsbedarf im deutschen Recht auf Grund des RbSich

Das bestehende deutsche Rechtshilferecht in strafrechtlichen Angelegenheiten entspricht, wie oben unter III. dargestellt, in weiten Teilen den Vorgaben des RbSich. Insbesondere das IRG und die RiVASt enthalten bereits umfassende Vorschriften zu dem durch den RbSich geregelten Bereich.

Die nachfolgende Darstellung des innerstaatlichen Umsetzungs- bzw. Änderungsbedarfs erfasst daher insbesondere diejenigen Punkte, die eine tatsächliche Rechtsänderung erforderlich machen.

Artikel 1 RbSich beschreibt in seinem Satz 1 Inhalt und Zweck des Rahmenbeschlusses und bedarf keiner Umsetzung. In Satz 2 wird festgelegt, dass der Rahmenbeschluss nicht die Wirkung einer Änderung der Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) hat. Dieser "Europäische Ordre Public" ist bereits Gegenstand des § 73 Satz 2 IRG, dessen Geltung durch die vorgenommene Änderung in § 73 Satz 2 IRG-E auch auf die neuen Teile Neun und Zehn des IRG erstreckt wird.

Artikel 2 RbSich enthält mehrere Definitionen der im Rahmenbeschluss verwendeten Begriffe. Wie bereits unter Gliederungspunkt A. III. dargelegt, wird bei der Umsetzung die bisherige Begrifflichkeit des IRG beibehalten. Somit wird der "Entscheidungsstaat" nach Buchstabe a als ersuchender Staat, der "Vollstreckungsstaat" nach Buchstabe b als ersuchter Staat bezeichnet.

Die Definition des Begriffes "Sicherstellungsentscheidung" in Buchstabe c bedarf als solche ebenfalls keiner Umsetzung, da es sich inhaltlich um Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 67 IRG bzw. dem neu eingefügten § 94 IRG-E handelt.

Die in Buchstabe d enthaltene weite Definition des Begriffs "Vermögensgegenstand" entspricht ebenfalls bereits heute dem Inhalt des Begriffs des "Gegenstandes" (vgl. §§ 66, 67 IRG). Soweit der erste Anstrich des Buchstaben d bestimmt, dass auch Vermögensgegenstände umfasst sind, die ganz oder teilweise dem Wert des Ertrages einer Straftat entsprechen, so wird auf die Neuregelungen der §§ 58 Abs. 3 und 66 Abs. 1 Nr. 2 - 4 IRG-E verwiesen.

Die in Buchstabe e definierten "Beweismittel" werden ebenfalls von dem im IRG verwendeten Begriff des Gegenstandes mit umfasst.

Artikel 3 RbSich enthält in seinem Absatz 1 eine Bestimmung der Zwecke einer Sicherstellungsentscheidung, nämlich nach Buchstabe a die Beweismittelsicherung und nach Buchstabe b die Sicherung der späteren Einziehung nach rechtskräftigem Urteil, wobei der verwendete Begriff der Einziehung auch den Verfall im Sinne von §§ 73 ff. des Strafgesetzbuchs (StGB) umfasst. Durch die in § 94 IRG-E vorgesehene entsprechende Anwendung des neu gefassten § 58 Abs. 3 IRG-E auf Ersuchen um Sicherstellung von Vermögensgegenständen zur Vorbereitung einer Einziehungs oder Verfallsentscheidung und des § 67 IRG auf Ersuchen um Sicherstellung von Beweismitteln werden die durch Artikel 3 Absatz 1 genannten Zwecke abgedeckt.

Absatz 2 der Vorschrift bestimmt die bereits im RbEuHb enthaltene Liste von 32 Deliktsgruppen, bei denen die beiderseitige Strafbarkeit nicht mehr zu überprüfen ist. Dies wird in § 94 Abs. 1 Nr. 1 IRGE umgesetzt. Die in Absatz 3 der Vorschrift enthaltene Befugnis des Rates, die Liste zu erweitern, bedarf keiner Umsetzung. Nach einer Erweiterung muss das IRG entsprechend angepasst werden, um die erweiterte Liste in das nationale Recht umzusetzen (statische Verweisung).

Absatz 4 erlaubt dem ersuchten Staat bei Straftaten, die nicht unter die Deliktsgruppen des Absatzes 2 fallen, die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit; dies entspricht § 67 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 1 IRG.

Artikel 4 RbSich regelt die Modalitäten der Übermittlung der Sicherstellungsentscheidung und bedarf keiner gesetzlichen Umsetzung. Entsprechende Regelungen für die Praxis werden in die RiVASt aufgenommen werden, insbesondere auch solche, die den Geschäftsweg betreffen.

Artikel 5 RbSich beschreibt die Anerkennung und Vollstreckung im ersuchten Staat.

Absatz 1 sieht eine Pflicht zur Anerkennung und unverzüglichen Vorbereitung der Vollstreckung durch die zuständige Justizbehörde vorbehaltlich eines Verweigerungs- oder Aufschubgrundes vor.

Diese Bewilligungspflicht wird durch § 96 IRG-E umgesetzt, der sich entsprechend den Vorgaben des RbSich allein auf Sicherstellungsentscheidungen gemäß §§ 94 ff., 111b-d StPO bezieht und keine Pflicht zur Bewilligung der von Art. 5 RbSich nicht erfassten Herausgabeentscheidungen vorsieht.

Die durch Absatz 1 Satz 2 getroffene Bestimmung der Einhaltung der Formvorschriften des ersuchenden Staates bedarf, ebenso wie die in Absatz 1 Satz 3 normierte Unterrichtungspflicht des ersuchenden Staates angesichts der Regelungen in den RiVASt (vgl. Nr. . Nr. 4, 19, 22, 23) keiner gesetzlichen Umsetzung.

In Absatz 2 ist geregelt, dass sich aus der Sicherstellungsentscheidung ergebende weitere Zwangsmaßnahmen nach den allgemeinen Vorschriften des ersuchten Staates richten; dies bedarf im Hinblick auf §§ 59 Abs. 3, 77 IRG und Nr. 22 RiVASt keiner Umsetzung.

Absatz 3 bestimmt eine Sollfrist zur Anerkennung der Sicherstellungsentscheidung von 24 Stunden, die im Hinblick darauf, dass entsprechende Ersuchen bereits heute als Eilsachen behandelt werden, keiner Umsetzung bedarf (vgl. auch Nr. 19 RiVASt).

Artikel 6 RbSich enthält Bestimmungen über die Dauer der Sicherstellung. Sie entsprechen den heutigen rechtshilferechtlichen Abläufen und bedürfen deshalb keiner gesetzlichen Umsetzung.

Artikel 7 RbSich enthält die zur Verweigerung der Anerkennung oder Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung berechtigenden Gründe.

Absatz 1 Buchstabe a bestimmt als Verweigerungsgrund die Unvollständigkeit der nach dem Anhang zum Rahmenbeschluss zu verwendenden Bescheinigung, also des zukünftig zu verwendenden Formulars. Der Verweigerungsgrund wird in § 95 IRG-E umgesetzt.

Die in Absatz 1 Buchstabe b vorgesehenen Befreiungen und Vorrechte werden in § 94 Abs. 2 Nr. 1 IRG-E umgesetzt, soweit es Beschlagnahmeverbote für bestimmte Berufsgruppen und zeugnisverweigerungsberechtigte Personen betrifft. Es besteht kein Umsetzungsbedarf zum Schutz der Immunitätsrechte von Mitgliedern der Organe der Gesetzgebung, da insoweit § 77 Abs. 2 IRG Anwendung findet.

Absatz 1 Buchstabe c (Grundsatz des "ne bis in idem") wird durch § 94 Abs. 2 Nr. 2 IRG-E umgesetzt.

Absatz 1 Buchstabe d, der es gestattet, bei Delikten, die nicht unter den Katalog des Art. 3 Abs. 4 fallen die Vollstreckung mangels beiderseitiger Strafbarkeit zu verweigern, wird in § 94 Abs. 1 Nr. 1 und 2 IRG-E umgesetzt. Von dem Verweigerungsgrund kann jedoch nicht mit der Begründung Gebrauch gemacht werden, das Recht des Vollstreckungsstaates sehe keine gleichartigen Steuern oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen vor, § 94 Abs. 1 Nr. 2 IRG-E.

Absatz 2 Buchstabe a wird durch den neu eingefügten § 95 Abs. 2 IRG-E umgesetzt, nach dem für den ersuchten Staat die Möglichkeit besteht, Unterlagen bzw. deren Vervollständigung oder Berichtigung nachzufordern und hierfür dem ersuchenden Staat eine Frist zu setzen. Zu den in Absatz 2 Buchstaben b und c vorgesehenen Maßnahmen des ersuchten Staates zur Abwendung eines Verweigerungsgrundes wegen Unvollständigkeit der Unterlagen wird auf Nr. 18 RiVASt verwiesen.

Absatz 3 und Absatz 4 bestimmen, dass die Anwendung eines Verweigerungsgrundes bzw. die Unmöglichkeit der Vollstreckung dem ersuchenden Staat mitzuteilen sind. Soweit über die Unterrichtungsvorschriften der RiVASt hinaus noch Umsetzungsbedarf besteht, wird dieser durch § 96 Satz 2 IRG-E abgedeckt.

Artikel 8 RbSich enthält Gründe für den vorübergehenden Aufschub der Vollstreckung. Diese in Absatz 1 normierten Aufschubgründe werden, soweit erforderlich, durch § 94 Abs. 3 IRG-E umgesetzt.

Die in den Absätzen 2 bis 4 enthaltenen Unterrichtungspflichten werden, soweit sie nicht bereits geltendem Rechtshilferecht entsprechen, voraussichtlich in den RiVASt geregelt werden.

Artikel 9 RbSich befasst sich mit der Bescheinigung, die im Anhang zum Rahmenbeschluss abgedruckt ist.

Die in Absatz 1 vorgesehene Verwendung der Bescheinigung für ausgehende Ersuchen kann in den RiVASt vorgeschrieben werden. § 95 Abs. 1 IRG-E sieht für eingehende Ersuchen die Unzulässigkeit der Bewilligung von Rechtshilfe nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses vor, wenn keine Bescheinigung vorgelegt wird, die die wesentlichen Angaben aus dem Formblatt im Anhang des Rahmenbeschlusses enthält.

Artikel 10 RbSich enthält in seinen Absätzen 1 und 2 Regelungen zur weiteren Behandlung des sichergestellten Gegenstandes. Diese richtet sich regelmäßig nach den bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen über die sonstige Rechtshilfe in Strafsachen bzw. nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und bedarf daher keiner gesonderten Umsetzung. Absatz 3 schließt jedoch für die Listendelikte des Artikel 3 Abs. 2 die Möglichkeit aus, die Herausgabe von Beweismitteln unter Berufung auf die fehlende beiderseitige Strafbarkeit zu verweigern. Dies wird in § 97 IRG-E umgesetzt, der insoweit auf § 94 Abs. 1 IRG-E verweist.

Artikel 11 RbSich befasst sich mit den Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Betroffenen und gutgläubiger Dritter. Für den Fall, dass Deutschland Entscheidungsstaat bzw. der ersuchende Staat ist, gelten die Regelungen der StPO. Sollen deutsche Behörden auf ausländisches Ersuchen eine Beschlagnahme oder Durchsuchung vornehmen, so entscheidet das Amtsgericht (§ 67 Abs. 3 IRG).

Gegen dessen Entscheidung ist die Beschwerde zum Landgericht zulässig (§ 77 IRG i.V.m. § 304 StPO). Das Rechtsmittel der Beschwerde wird durch § 304 Abs. 2 StPO jeder Person zugebilligt, die durch einen Beschluss oder eine Verfügung eines Gerichts betroffen wird. Beschwerdeberechtigt sind neben den Verfahrensbeteiligten auch der letzte Gewahrsamsinhaber sowie der nichtbesitzende Eigentümer, wenn sein Rückforderungsrecht beeinträchtigt ist. Wird durch sichernde Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO in die Rechte Dritter eingegriffen, kommen bei Anordnung eines Arrestes als weitere Rechtsbehelfe die Vollstreckungserinnerung nach § 766 der Zivilprozessordnung (ZPO) und die Drittwiderspruchsklage (§§ 771 ff. ZPO) in Betracht. Eine besondere Umsetzung des Art. 11 RbSich ist folglich nicht erforderlich.

Artikel 12 RbSich normiert einen Regressanspruch des ersuchten Staates gegen den ersuchenden Staat bei Schadensersatzansprüchen. Dieser Ausgleich entspricht bereits der heutigen Rechtslage im staatshaftungsrechtlichen Verkehr und bedarf daher, ebenso wie Absatz 2, der bestimmt, dass Absatz 1 die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über Schadensersatzansprüche natürlicher oder juristischer Personen unberührt lässt, keiner Umsetzung.

Artikel 13 RbSich regelt die Anwendung des Rahmenbeschlusses auf Gibraltar.

Artikel 14 RbSich normiert die Pflichten (Fristen, Notifizierungen) der Mitgliedsstaaten im Zuge der Umsetzung des Rahmenbeschlusses.

Artikel 15 RbSich regelt das Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses.

V. Verhältnis zu anderen Übereinkommen

Anders als Artikel 31 RbEuHb enthält der RbSich keine Vorschrift, die sein Verhältnis zu den sonstigen völkerrechtlichen Übereinkommen regelt. Seinem Inhalt nach umfasst der RbSich auch lediglich einen Teilbereich der sonstigen Rechtshilfe, nämlich den vorläufigen Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Vermögensgegenstände und Beweismittel. Überdies wird durch die die Herausgabe des Gegenstandes regelnde Vorschrift des Artikel 10 Abs. 2 deutlich, dass es erforderlich ist auf die sonstigen Regeln der Rechtshilfe und der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Einziehung zurück zu greifen. Demzufolge bleiben die sonstigen völkerrechtlichen Instrumente der strafrechtlichen Zusammenarbeit grundsätzlich unberührt und werden durch die Verpflichtungen des Rahmenbeschlusses nur punktuell verändert. Insbesondere ist hiervon Artikel 5 EuRhÜbk betroffen, der die nunmehr bei den Listendelikten des Artikel 3 Abs. 2 ausgeschlossene Möglichkeit vorsah Ersuchen um Durchsuchung und Beschlagnahme von der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig zu machen (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A.II.).

Innerstaatlich wird die subsidiäre Fortgeltung der sonstigen vertraglichen und vertragslosen Grundlagen durch §§ 1 Abs. 4, 91 IRG-E klargestellt (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A.III.).

VI. Gesetzgebungskompetenz und Gesetzesfolgenabschätzung

Die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten ist Teil der Pflege der auswärtigen Beziehungen nach Artikel 32 des Grundgesetzes (allgemeigg_ges.htm ). Die durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses erforderlichen Änderungen des IRG fallen deshalb in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 73 Nr. 1 GG.

Die Neuregelung enthält auf dem Gebiet der heute schon möglichen Rechtshilfe in Form des Zugriffs auf Beweismittel und Vermögensgegenstände Verfahrensvereinfachungen zwischen den Mitgliedstaaten. Diese Verbesserung der strafrechtlichen Zusammenarbeit ist gewollter und unverzichtbarer Bestandteil der Entwicklung eines einheitlichen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts innerhalb der Europäischen Union. Obwohl sich die konkreten Auswirkungen auf den Aufwand der deutschen Justizbehörden zur Bearbeitung ein- und ausgehender Ersuchen nicht genau abschätzen lassen, dürften die Neuregelungen unter anderem wegen des ausgedehnten Wegfalls der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit eher zu einer Ent- denn zu einer Mehrbelastung führen.

B. Besonderer Teil

I. Zu Artikel 1 - Änderung des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen

1. Zur Neufassung des § 1 Abs. 4 IRG

Die zuvor in § 1 Abs. 4 Satz 2 und 3 IRG enthaltenen Bestimmungen zum Verhältnis der Regelungen des IRG über die Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu den in § 1 Abs. 3 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen sind in die neu strukturierten Teile verortet worden. Nachdem die - vormals allein im Achten Teil enthaltenen - Bestimmungen des IRG zur Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch die vorgenommene Umstrukturierung auf drei Teile (Acht, Neun und Zehn) ausgedehnt worden sind, soll in jedem Teil gesondert das Verhältnis der dort enthaltenen Bestimmungen zu den in § 1 Abs. 3 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen geregelt werden, um insofern Klarheit und eine bessere Übersichtlichkeit zu gewährleisten. Für den Achten und Zehnten Teil sehen nunmehr bereits § 78 Abs. 2 IRG-E und § 91 Abs. 2 IRG-E die entsprechenden, zuvor in § 1 Abs. 4 Satz 2 und 3 IRG enthaltenen Regelungen vor. Eine gleich lautende Bestimmung für den im Wesentlichen neu geschaffenen Neunten Teil ist noch nicht erforderlich, da dieser noch keine Bestimmungen enthält, die in einem Konfliktverhältnis mit völkerrechtlichen Vereinbarungen stehen könnten. Im Rahmen der zukünftigen Umsetzung der bereits verabschiedeten und noch in Verhandlung befindlichen Rahmenbeschlüsse wird eine entsprechende Regelung auch im Neunten Teil zu treffen sein.

2. Zur Neufassung des § 58 Abs. 3

Der neue § 58 Abs. 3 IRG-E ist erforderlich, um im Sinne einer effektiven grenzüberschreitenden Gewinnabschöpfung insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität bereits vor der Vollstreckbarkeitserklärung einer ausländischen Einziehungs- oder Verfallsentscheidung einen vorläufigen sichernden Zugriff auf die dem Verfall oder der Einziehung unterliegenden Gegenstände oder Forderungen des Täters nehmen zu können. Die Herausgabe des verfallenen Wertersatzes und damit der Zugriff auf das sonstige, auch rechtmäßig erlangte Vermögen des Täters ist nach § 66 IRG nicht möglich, sondern unterliegt den allgemeinen Vorschriften der Vollstreckungsrechtshilfe nach §§ 48 ff. IRG. Nach dem neugefassten § 58 Abs. 3 Satz 1 IRG-E können bereits vor Eingang des förmlichen Ersuchens um Vollstreckung einer ausländischen Einziehungs- oder Verfallsentscheidung Sicherstellungsmaßnahmen getroffen werden. Nach dem neu eingefügten § 58 Abs. 3

Satz 2 können auf Ersuchen zur Vorbereitung einer erst noch zu treffenden Einziehungs- oder Verfallsentscheidung des ersuchenden Staates, die sich auch auf den Wertersatz beziehen kann, Sicherstellungsmaßnahmen, wie zum Beispiel ein dinglicher Arrest getroffen werden. Der Arrest wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland bewirkt, die als Arrestgläubiger anzugeben ist. Durch diese Neuregelungen soll verhindert werden, dass der Täter den Zugriff zum Beispiel durch kurzfristige Transaktion von Werten ins Ausland im Zeitraum zwischen Bekanntwerden der Ermittlungsmaßnahmen und der Entscheidung über das Vollstreckungshilfeersuchen vereitelt. Voraussetzung für die Sicherstellungsmaßnahme vor Eingang des förmlichen Ersuchens um Vollstreckung einer ausländischen Einziehungs- oder Verfallsentscheidung ist eine, an die Voraussetzungen für die Haft zur Sicherung der Vollstreckung in § 58 Abs. 1 IRG angelehnte, hinreichende Begründung des Sicherungsbedürfnisses.

Durch die entsprechende Anwendung von § 67 Abs. 1 IRG müssen die übrigen Voraussetzungen für eine Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstands vorliegen. Voraussetzung für eine Sicherstellungsmaßnahme zur Vorbereitung einer noch zu treffenden ausländischen Einziehungs- oder Verfallsentscheidung ist durch den Verweis auf § 66 Abs. 2 Nr. 1 und 2 IRG die beiderseitige Strafbarkeit und die Vorlage einer Sicherstellungsentscheidung im Sinne des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG durch den ersuchenden Staat, aus der das Sicherungsbedürfnis hervorgeht.

Die Sicherstellung selbst erfolgt auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des zuständigen deutschen Gerichts nach §§ 67 Abs. 1, 77 Abs. 1 IRG, 94 ff., 111 b ff. StPO, der mit den Rechtsmitteln des deutschen Verfahrensrechts angefochten werden kann. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass eines entsprechenden Beschlusses hat das deutsche Gericht dieselben verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten wie bei einem innerstaatlichen Sachverhalt.

Nach der Sicherstellung kann dann nach Vorliegen eines rechtskräftigen Erkenntnisses des ersuchenden Staates im Wege der Vollstreckungsrechtshilfe gemäß §§ 48 ff. IRG die Einziehung oder der Verfall (auch von Wertersatz) bewirkt werden.

3. Zu § 66 - Herausgabe von Gegenständen

a) Neufassung des § 66 Abs. 1 IRG

§ 66 Abs. 1 Nr. 2 IRG erlaubt in seiner bisherigen Fassung lediglich, Gegenstände, die der Betroffene oder ein Beteiligter durch die einem Rechtshilfeersuchen zu Grunde liegende Tat oder als Entgelt für diese erlangt hat, an einen anderen Staat herauszugeben. Gezogene Nutzungen (§ 73 Abs. 2 Satz 1 StGB) und Ersatz- bzw. Rechtserwerb (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Varianten 2 und 3 StGB) sind derzeit nicht erfasst. Gleiches gilt für Gegenstände, die der Einziehung unterliegen. Die bisherige Regelung hat sich als unbefriedigend erwiesen, weil sie ohne sachliche Rechtfertigung in praktisch bedeutsamen Fallkonstellationen die grenzüberschreitende Vermögensabschöpfung behindern und verkomplizieren sowie den im Ausland verfolgten Tatverdächtigen gegenüber den in einem inländischen Verfahren verfolgten Tatverdächtigen privilegieren kann. Es bedarf daher einer den innerstaatlichen Möglichkeiten nach §§ 73 ff. StGB entsprechenden Ergänzung von § 66 Abs. 1 IRG, die durch die Neufassung des Absatzes 1 Nr. 2 bis 4, bewirkt wird, welche die oben genannten Varianten von Verfall und Einziehung umfasst. Dabei ist zu beachten, dass die Grenze der jeweiligen Rechtshilfe durch die allgemeine Vorschrift des § 59 Abs. 3 IRG gezogen wird. Bezieht sich das Herausgabeersuchen also beispielsweise auf einen Beziehungsgegenstand und wäre dessen Einziehung nach innerstaatlichen Vorschriften nicht möglich (vgl. § 74 Abs. 4 StGB), so führte dies zur Unzulässigkeit der erbetenen Rechtshilfe.

b) Einfügung des § 66 Abs. 3 IRG

Das Verhältnis der Herausgabe nach § 66 IRG zu den Vorschriften über die Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse (§§ 48 ff. IRG), mithin die Frage, ob eine Herausgabe nach § 66 IRG auch dann noch zulässig ist, wenn die Einziehung oder der Verfall im ersuchenden Staat rechtskräftig und vollstreckbar angeordnet worden ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet (zum Streitstand vgl. nur Grützner/Pötz-Wilkitzki, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Auflage, § 66 Rn. 12 IRG). Aus Gründen der Rechtsklarheit ist es geboten, durch die Einfügung von § 66 Abs. 3 Satz 1 IRG die gesetzgeberische Bestimmung vorzunehmen, dass eine Herausgabe nach § 66 IRG nur bis zum Erlass eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Erkenntnisses zulässig ist und ab diesem Zeitpunkt ausschließlich die §§ 48ff. IRG Anwendung finden.

4. Zur Neufassung des § 74 Abs. 4 S. 1

Durch die Einfügung des neuen Zehnten Teils für die sonstige Rechtshilfe wurde die Regelung des § 83j IRG in § 92 IRG-E verschoben, so dass die Verweisung in § 74 Abs. 4 Satz 1 entsprechend anzupassen ist.

5. Zur Neufassung des § 78

Nachdem der sonstige Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nunmehr in dem neu geschaffenen Zehnten Teil geregelt ist, bedarf es in § 78 keines Verweises auf den Fünften Teil mehr. Der neue § 91 IRG-E stellt klar, dass die Bestimmungen des Fünften Teils auf die Ersuchen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sonstige Rechtshilfe hilfsweise Anwendung finden (vgl. Ausführungen unter A. III.).

6. Zur Neufassung des Neunten Teils (§§ 84 - 90)

a) Umstrukturierung (§§ 84 - 88 und 90)

Durch die Einfügung der neuen §§ 84 - 88 und 90 wird die Frage, welche Regelungen im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU im Bereich der Vollstreckungshilfe gelten, klargestellt. Gleichzeitig wird der Teil des IRG, der die Unterstützung von Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der Rechtshilfe behandelt, der Systematik des übrigen IRG entsprechend strukturiert, indem in nunmehr getrennten Teilen Regelungen zum Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr (Achter Teil), zum Vollstreckungshilfeverkehr (Neunter Teil) und Sonstigen Rechtshilfeverkehr (Zehnter Teil) getroffen werden. Neben der so bereits jetzt gewonnenen Klarheit und Übersichtlichkeit verfolgt die Umstrukturierung auch das Ziel, die zukünftige Umsetzung der bereits verabschiedeten Rb Geld und Rb Einziehung, des politisch geeinigten Rb EBA, des zu erwartende Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen (Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union) sowie weiterer Rahmenbeschlüsse, deren Entwürfe sich derzeit in Verhandlung befinden zu erleichtern. Diese Rahmenbeschlüsse folgen weder inhaltlich noch in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Annahme der Systematik des IRG. Durch die vorgenommene Umstrukturierung können die jeweils erforderlichen Umsetzungsvorschriften jedoch in einen teilweise neu strukturierten, teilweise neu geschaffenen "EU-Teil des IRG" eingefügt werden, der die Systematik des übrigen IRG durch die Reihenfolge Aus- und Durchlieferungsverkehr (Achter Teil), Vollstreckungshilfeverkehr (Neunter Teil) und Sonstiger Rechtshilfeverkehr (Zehnter Teil) widerspiegelt.

Die neu eingefügten Regelungen zum Vollstreckungshilfeverkehr im Neunten Teil differenzieren zwischen Ersuchen um Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen, Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen sowie Vollstreckung von Einziehungs- und Verfallsentscheidungen.

Die §§ 84 - 88 und 90 zur Vollstreckungshilfe stellen klar, dass im Verhältnis mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorerst (d.h. bis zur Umsetzung weiterer Rahmenbeschlüsse) auf ein25 gehende Ersuchen weiterhin die Vorschriften des Vierten Teils und auf ausgehende Ersuchen die §§ 71, 72 IRG Anwendung finden. Ferner gelten sowohl für eingehende als auch ausgehende Ersuchen im Übrigen die allgemeinen Bestimmungen des Ersten und Siebten Teils. Gegenüber diesen Vorschriften des IRG vorrangig sein können jedoch völkerrechtliche Vereinbarungen gemäß § 1 Abs. 3 IRG.

Als solche völkerrechtlichen Vereinbarungen kommen zum Beispiel für den Bereich der Vollstreckungshilfe in Betracht:

b) Zur Neufassung des § 89

§ 89 setzt Artikel 3 Abs. 1 RbSich um. Danach regelt der Rahmenbeschluss neben den Sicherstellungsentscheidungen zum Zweck einer Beweismittelsicherung auch solche zur Sicherung der späteren Einziehungs- oder Verfallsentscheidung nach rechtskräftigem Urteil. Auf Ersuchen eines Mitgliedstaats um eine Sicherstellungsentscheidung zur Vorbereitung einer Einziehungs- oder Verfallsentscheidung in dem ersuchenden Staat finden die daher Regelungen der §§ 91, 94 bis 96 IRG-E entsprechende Anwendung.

7. Zu § 91 - Vorrang des Zehnten Teils

Aus dem neu eingefügten § 91 IRG-E folgt, dass die Regelungen des Zehnten Teils zum sonstigen Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union den übrigen Vorschriften des IRG, insbesondere den Regelungen des Fünften Teils und den in § 1 Abs. 3 genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vorgehen. In § 91 IRG-E wird mithin neben der Vorrangregelung gegenüber den übrigen Teilen des IRG (Abs. 1) die Vorrangregelung vor völkerrechtlichen Vereinbarungen, die zuvor in § 1 Abs. 4 Satz 2 IRG enthalten war, speziell für den Zehnten Teil aufgenommen (Abs. 2).

Allerdings finden auch hier die allgemeinen Vorschriften des IRG und die völkerrechtlichen Vereinbarungen hilfsweise Anwendung, soweit die Regelungen des neu eingefügten Zehnten Teils nicht abschließend sind.

8. Zu §§ 92 und 93

Durch die Neustrukturierung des Achten und Neunten Teils sowie Neuschaffung des Zehnten Teils des IRG sind die Regelungen der §§ 83j und 83 k IRG in §§ 92 und 93 IRG-E verschoben worden.

9. Zu § 94 - Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung

a) Zu Absatz 1

aa) Zu Absatz 1 Nr. 1

§ 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG-E setzt Artikel 3 Abs. 2 des RbSich um, indem er für die dort vorgesehenen Deliktsgruppen, abweichend von der bisherigen Rechtslage nach §§ 66 Abs. 2 Nr. 1, 67 Abs. 2 Nr. 1, bestimmt, dass es keiner Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit mehr bedarf. Die Vorschrift orientiert sich an der Systematik des durch das EuHbG eingefügten § 81 Nr. 4 IRG.

Nach Artikel 3 Abs. 2 RbSich ist die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen, wenn die dem Ersuchen zugrundeliegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und nach dessen Recht als eine der folgenden Straftaten definiert ist:

Zur Entstehungsgeschichte der Listenlösung und ihrer Berechtigung in einem sich zunehmend fortentwickelnden Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird auf die Begründung des EuHbG vom 21. Juli 2004 (BT-Drs. 015/1718, S. 17 f.) verwiesen. Der Rat der Europäischen Union hat nach Artikel 3 Abs. 3 RbSich die Möglichkeit, diese Liste im Zuge fortschreitender Harmonisierungsarbeiten jederzeit zu erweitern oder zu ändern. Jede Änderung müsste, da im IRG statisch und nicht dynamisch verwiesen wird, in das deutsche Recht durch ein neues Gesetz eingefügt werden.

Die in der Liste aufgeführten Deliktsgruppen sind das Ergebnis von Verhandlungen, bei denen unterschiedliche Ansätze der Mitgliedstaaten zusammengefasst wurden. Die Bezeichnungen folgen daher nicht den deutschen strafrechtlichen Definitionen. Entscheidend für die Zuordnung zu einer Listentat ist die Definition des ersuchenden Staates. Im Rahmen der Beratungen zum Rahmenbeschluss Europäische Beweisanordnung (Rb EBA) hat sich die Bundesrepublik Deutschland dafür eingesetzt einige inhaltlich wenig bestimmte Deliktsgruppen, bei denen eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt, zu konkretisieren, um so in höherem Maße die Rechtssicherheit für den Bürger und die Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns zu gewährleisten. Der Rat der Justiz- und Innenminister einigte sich am 01./02. Juni 2006 auf einen Vorschlag zum Rb EBA und forderte zudem die zuständigen Fachgremien auf, für die im Zuge der Beratungen zur Europäischen Beweisanordnung von Deutschland aufgeworfene Frage einer Definition unbestimmter Listendelikte eine mögliche horizontale Lösung zu suchen. Frist für einen Bericht an den Rat wurde bis Ende 2007

gesetzt. Im Rahmen der Beratungen zum Rb EBA hat sich Deutschland das Recht vorbehalten, im Wege einer Erklärung, die Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung bei den in Artikel 16 Absatz 2 des Vorschlages eines Rb EBA aufgelisteten Straftaten Terrorismus, Cyberkriminalität,

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Sabotage, Erpressung und Schutzgelderpressung sowie Betrug von der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig zu machen, sofern für die Vollstreckung der EBA eine Durchsuchung oder Beschlagnahme erforderlich ist, es sei denn die Anordnungsbehörde hat erklärt, dass die betreffende Straftat nach dem Recht des Anordnungsstaats die in der Erklärung Deutschlands enthaltenen Kriterien erfüllt.

Die Liste ist, ebenso wie beim EuHbG, nicht in den Gesetzeswortlaut aufgenommen worden. Hintergrund ist dass die Umsetzung der weiteren bereits verabschiedeten oder politisch geeinigten Rahmenbeschlüsse ansteht (Rb Geld, Rb Einziehung, Rb EBA) und sich weitere Rahmenbeschlüsse in Verhandlung befinden. Eine abweichende Handhabung hätte zur Folge, dass auch die - zum Teil sogar inhaltlich leicht abweichenden - Deliktsgruppen der zukünftig umzusetzenden Rahmenbeschlüsse in den Gesetzeswortlaut aufgenommen werden müssten, was zu einer der Übersichtlichkeit abträglichen Überfrachtung des Gesetzes führen würde. Eine Abbildung der Liste kann vielmehr in den RiVASt erfolgen.

Bei der Prüfung einer Sicherungsanordnung auf der Grundlage des RbSich werden Zweifelsfragen hinsichtlich der Zugehörigkeit der dem Ersuchen zugrunde liegenden Straftat zu den Listendelikten aus Art. 3 Abs. 2 RbSich regelmäßig durch Anforderung einer Bescheinigung des ersuchenden Staates zu lösen sein, aus der sich ergibt, dass ein Delikt, dessentwegen eine Sicherstellungsentscheidung ergangen ist, unter einen in der Liste erfassten Straftatbestand fällt. Eine entsprechende Regelung wird voraussichtlich in den RiVASt vorgesehen werden.

bb) Zu Abs. 1 Nr. 2

§ 94 Abs. 1 Nr. 2 IRG-E setzt Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe d RbSich um. Die Rechtshilfe darf in Steuer-, Abgaben- und Währungsangelegenheiten nicht mit der Begründung verweigert werden, dass in Deutschland als dem ersuchten Staat keine Abgabe etc. gleicher Art erhoben werde.

b) Zu Absatz 2

aa) Zu Absatz 2 Nr. 1

§ 94 Abs. 2 Nr. 1 IRG-E erklärt in Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 b des Rahmenbeschlusses zunächst die Bewilligung von Ersuchen für unzulässig, wenn ein Beschlagnahmeverbot nach § 77 Abs. 1 IRG i.V.m. § 97 StPO vorliegt. Die Regelung des Rahmenbeschlusses soll neben dem bereits in § 77 Abs. 2 IRG ausdrücklich vorgesehenen Schutz der Immunität der von einer Maßnahme betroffenen Person aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einem Organ der Gesetzgebung auch Beschlagnahmeverbote für bestimmte Berufsgruppen schützen. Über den Schutz der in § 97 StPO in Verbindung mit § 53 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b, 5 StPO genannten Berufsgruppen hinaus ist auch ein Schutz der in § 97 StPO genannten Zeugnisverweigerungsberechtigten nach § 52 StPO geboten, um die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch die Sicherstellung von schriftlichen Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten zu verhindern.

bb) Zu Absatz 2 Nr. 2

§ 94 Abs. 2 Nr. 2 IRG-E setzt den Verweigerungsgrund des Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe c RbSich ("ne bis in idem") um. Hierdurch werden die im Fünften Teil geregelten Zulässigkeitsvoraussetzungen des IRG ergänzt. § 94 Abs. 2 Nr. 2 IRG-E entspricht in seinem Regelungsgehalt § 83 Nr. 1 IRG, der durch das EuHbG eingefügt wurde, um Artikel 3 Nr. 2 RbEuHb umzusetzen. Mit dieser Regelung übernahm der RbEuHb den in Artikel 1 des Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung vom 25. Mai 1987 verankerten Grundsatz "ne bis in idem", der später in Artikel 54 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen [Schengener Durchführungsübereinkommen - SDÜ], BGBl. 1993 II S. 1010, überführt wurde.

Anders als Artikel 3 Nr. 2 RbEuHb verzichtet Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe c RbSich auf eine Definition der Voraussetzungen des Doppelbestrafungsverbotes, sondern spricht nur vom "Grundsatz ne bis in idem". Da dieser Grundsatz innerhalb der EU noch nicht rechtsgültig definiert ist, geht der Gesetzgeber in Anlehnung an Art. 54 SDÜ von der dortigen Definition und der hierzu entwickelten Rechtsprechung deutscher Gerichte sowie des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aus. Die Sperrwirkung tritt ein, wenn der Betroffene freigesprochen wurde oder im Falle der Verurteilung die Sanktion vollständig vollstreckt wurde, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. "Vollstreckt" im Sinne dieser Regelung wird eine Sanktion auch, wenn eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Ein "zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Betroffenen vereinbarter Vergleich" wirkt wie ein rechtskräftiges Urteil (EUGH, Urteil vom 11. Februar 2003, C-187/01 u. C-385/01, Gözütok u. Brügge), so dass die Einstellung des Strafverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat nach der Erfüllung von Auflagen einer strafrechtlichen Verfolgung wegen derselben Tat entgegen steht. Als maßgebendes Kriterium für die Definition des Begriffs "derselben Tat" knüpft der EuGH an den materiellen Tatbegriff an, der rein sachverhaltsbezogen und somit unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung der Tatsachen oder dem geschützten Rechtsgut zu ermitteln sei (EuGH, Urteil vom 9. März 2006, C-436/04, van Esbroeck).

In Abweichung von Artikel 3 Nr. 2 RbEuHb bezeichnet Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe c RbSich den Grundsatz "ne bis in idem" nicht als zwingendes Vollstreckungshindernis, sondern gestaltet diesen als fakultativen Verweigerungsgrund aus. Dennoch wird die Verletzung des Doppelbestrafungsverbots in § 94 Abs. 2 Nr. 2-E IRG als Zulässigkeitshindernis ausgestaltet. Ist wegen der dem Ersuchen um Beschlagnahme, Durchsuchung oder Herausgabe zu Grunde liegenden Straftat bereits eine rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten erfolgt, erscheint es nicht sachgerecht und im Hinblick auf Art. 14 GG nicht zulässig, eine - erneute - ausländische Sicherstellungsmaßnahme, und sei sie nur vorläufiger Natur, anzuordnen, wenn das der Maßnahme zugrunde liegende (ggf. zukünftige)

Erkenntnis Strafcharakter hat. Etwas anderes gilt für sichernde Maßnahmen im Hinblick auf weitergehende Einziehungs- bzw. Verfallsentscheidungen, die mangels Strafcharakters keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbots zur Folge haben, wie zum Beispiel die rein sicherungsbedingte Einziehungsentscheidung oder der erweiterte Verfall.

c) Zu Absatz 3

§ 94 Abs. 3 IRG-E dient der Umsetzung von Artikel 8 Abs. 1 RbSich.

§ 94 Abs. 3 Nr. 1 IRG-E bestimmt in Umsetzung von Artikel 8 Abs. 1 Buchstabe a, dass die Bewilligung eines Ersuchens um Beschlagnahme, Durchsuchung und Herausgabe aufgeschoben werden kann wenn und solange die Bewilligung ein laufendes Ermittlungsverfahren beeinträchtigen könnte, wobei hierunter nach Sinn und Zweck des Rahmenbeschlusses sowohl in- als auch ausländische Verfahren fallen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass im betreffenden Verfahren ebenfalls ein Zugriff auf die begehrten Vermögensgegenstände oder Beweismittel möglich oder erforderlich wäre. Vielmehr reicht bereits das Risiko des durch die Bewilligung des Ersuchens möglicherweise verursachten Bekanntwerdens bereits begonnener Ermittlungen aus.

§ 94 Abs. 3 Nr. 2 IRG-E regelt den Fall, dass die im Ersuchen bezeichneten Gegenstände bereits für ein anderes Strafverfahren gesichert wurden. Eine Bewilligung wird erst dann möglich, wenn die bestehende Sicherstellungsentscheidung aufgehoben wird, beispielsweise durch Freispruch oder Einstellung des Verfahrens mit der Folge der Freigabe des Gegenstandes oder wenn der Gegenstand nicht mehr als Beweismittel benötigt wird.

10. Zu § 95 - Sicherungsunterlagen

a) Zu Absatz 1

Art. 7 Abs. 1 a) RbSich sieht vor, dass der ersuchte Staat die Anerkennung oder die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung versagen kann, wenn die Bescheinigung nach Art. 9 RbSich nicht vorgelegt wird.

Die Mitgliedstaaten haben sich zur äußerlichen Gestaltung der Bescheinigung nach Art. 9 RbSich auf ein Formular geeinigt, das im Anhang des RbSich abgebildet ist. Das Formular stellt sowohl für die ersuchende als auch die ersuchte Behörde eine praktische Hilfe und Erleichterung dar. Die Zulässigkeit eines eingehenden Ersuchens wird in der hier vorgenommenen Umsetzung indes nicht davon abhängig gemacht, dass das vorgelegte Formular sämtliche dort vorgesehenen Angaben enthält um die Ablehnung von grundsätzlich gerechtfertigten Rechtshilfeersuchen wegen geringfügiger Unvollständigkeiten oder Abweichungen von dem Formular zu vermeiden. Es wird vielmehr darauf abgestellt, dass das Formular die materiell für die Entscheidung des ersuchten Staats wesentlichen Angaben aufweist (vgl. auch Absatz 2 Satz 2).

Ein Ersuchen eines EU-Mitgliedstaates, das nicht den Formvorschriften des Rahmenbeschlusses entspricht weil das vorgesehene Formular nicht verwendet wurde, kann demgegenüber als Ersuchen nach dem EuRhÜbk oder nach dem Fünften Teil des IRG behandelt und unter den Voraussetzungen der §§ 66, 67 bewilligt werden.

Ausreichend aber auch erforderlich ist für die Zulässigkeit eingehender Ersuchen nach Maßgabe des RbSich, dass der ersuchende Mitgliedstaat neben der Sicherstellungsentscheidung ein Formular nach Art. 9 RbSich vorlegt, das folgende Angaben enthält:

Die Beschreibung der Umstände in dem Umfang, wie dies auch § 95 Abs. 2 SDÜ vorsieht, kann (und sollte) sich auf die Schilderung des historischen Geschehens beschränken; eine Subsumtion unter die jeweiligen Straftatbestände ist nicht erforderlich.

§ 95 Abs. 1 IRG-E setzt den fakultativen Verweigerungsgrund aus Art. 7 Abs. 1 a RbSich unter Auflistung der wesentlichen in dem Formblatt geforderten Angaben als zwingenden Verweigerungsgrund um. Ein Ersuchen um Maßnahmen nach dem RbSich, das die wesentlichen der im Formblatt nach Art. 9 RbSich bezeichneten Informationen nicht enthält, ist mangels hinreichender Bestimmtheit für eine Bewilligungsentscheidung untauglich. Durch das so erreichte hohe Maß an Bestimmtheit der zu treffenden Bewilligungsentscheidung wird deren Transparenz erhöht. Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung wird erleichtert.

b) Zu Absatz 2

Absatz 2 setzt Art. 7 Absatz 2 Buchstabe a RbSich um, nach dem für den ersuchten Staat die Möglichkeit besteht Unterlagen nachzufordern oder deren Vervollständigung zu verlangen und hierfür dem ersuchenden Staat eine Frist zu setzen. Durch die Möglichkeit der Nachforderung wird vermieden, dass die Bewilligung eines grundsätzlich gerechtfertigten Ersuchens um Rechtshilfe an ggf. technischen Fehlern wie der versehentlich unterbliebenen oder unvollständigen Übermittlung von Unterlagen scheitert. Ferner wird es zumeist zweckmäßig sein, dem ersuchenden Staat Gelegenheit zur Ergänzung der Unterlagen zu geben, um bei einer Ablehnung eine erneute Befassung mit der Sache mit ergänzten Unterlagen zu vermeiden.

Insbesondere kann auf die Nachforderung von Unterlagen verzichtet werden, wenn zwar im Formular zur Übersendung des Überstellungsersuchens Angaben fehlen, sich diese aber aus der Sicherstellungsentscheidung entnehmen lassen. Dies entspricht Art. 7 Absatz 2 Buchstaben b und c des Rahmenbeschlusses.

11. Zu § 96 - Grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung von Sicherstellungsmaßnahmen

§ 96 IRG-E regelt in Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 RbSich, dass der Grundsatz der Bewilligungspflicht auf Ersuchen um Sicherstellungsmaßnahmen nach dem RbSich Anwendung findet. § 96 IRG-E sieht dementsprechend vor, dass zulässige Ersuchen eines Mitgliedstaates um eine Sicherstellungsmaßnahme nicht abgelehnt werden können. Die Bewilligungspflicht erstreckt sich nicht auf Ersuchen um Herausgabe von Gegenständen, da Art. 5 Abs. 1 RbSich eine Bewilligungspflicht nur für Ersuchen um Sicherstellungsmaßnahmen vorsieht und bei der Umsetzung des RbSich nicht der Umsetzung des Rb Einziehung und Rb EBA vorgegriffen werden soll, im Rahmen derer eine Bewilligungspflicht auch für Herausgabeersuchen vorzusehen sein dürfte. Das innerstaatliche Verfahren der Erledigung eingehender Ersuchen nach § 67 IRG entspricht der bisherigen Systematik des IRG.

Es finden daher § 67 Abs. 3 IRG sowie nach der Verweisungsvorschrift des § 77 IRG (i.V.m. Nr. 22 RiVASt) die Regeln des deutschen Verfahrensrechts Anwendung, insbesondere die Vorschriften der Strafprozessordnung. Somit bedarf es zur Umsetzung einer ausländischen Sicherstellungsentscheidung nach dem RbSich in der Regel eines - nach den Rechtsbehelfen des deutschen Verfahrensrechts anfechtbaren - Beschlusses eines Vornahmegerichtes (§ 67 Abs. 3 IRG bzw. §§ 98, 105, 111e StPO).

12. Zu § 97 - Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln

Durch § 97 IRG-E wird Art. 10 Abs. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 a) RbSich umgesetzt, der die Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln, die bereits aufgrund eines Ersuchens nach dem RbSich sichergestellt oder beschlagnahmt wurden, betrifft. Art. 10 Abs. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 a) RbSich sieht zwar keine grundsätzliche Bewilligungspflicht für diese Ersuchen vor, trifft jedoch die Regelung, dass diese Ersuchen bei Vorliegen eines Listendelikts mit einer Mindesthöchststrafe von drei Jahren Freiheitsentzug jedenfalls nicht aufgrund des Fehlens beiderseitiger Strafbarkeit abgelehnt werden dürfen. Dieser Grundsatz wird in § 97 IRG-E umgesetzt, indem der Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bei Vorliegen eines Listendelikts aus § 94 Abs. 1 IRG-E auf Ersuchen um die Herausgabe von nach dem RbSich sichergestellten oder beschlagnahmten Beweismitteln für entsprechend anwendbar erklärt wird.

13. Zu § 98 - Schlussvorschriften

§ 98 enthält nunmehr die vor der Umstrukturierung in § 84 enthaltene Zitierung der durch das IRG eingeschränkten Grundrechte.

II. Zu Artikel 2 - Inkrafttreten

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Der in Artikel 14 Abs. 1 RbSich vorgesehene Umsetzungstermin (2. August 2005) hat sich, wie auch die Erfahrungen bei der Umsetzung des RbEuHb gezeigt haben, als zu ehrgeizig erwiesen. Grund hierfür ist insbesondere die Tatsache, dass der RbSich, wie bereits unter A.II. und A.III. der Begründung dargestellt, nur einen Teilschritt bei der Ersetzung der sonstigen ("kleinen") Rechtshilfe darstellt und deshalb mit besonderer Gründlichkeit das Augenmerk auf die Vereinbarkeit der Umsetzung mit den herkömmlichen, im IRG bereits geregelten Unterstützungsmaßnahmen bei Beschlagnahme, Durchsuchung und Herausgabe gerichtet werden musste.