Antrag des Landes Niedersachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung

Punkt 17 der 930. Sitzung des Bundesrates am 6. Februar 2015

Der Bundesrat möge zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung nehmen:

Zu Artikel 1 Nummer 33 ( § 62b AufenthG)

In Artikel 1 ist Nummer 33 zu streichen.

Folgeänderung:

In Artikel 1 Nummer 1 ist Buchstabe f zu streichen.

Begründung:

Der Ausreisegewahrsam ist eine Freiheitsentziehungsmaßnahme, durch die in das Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG eingegriffen wird. Die Freiheitsentziehung stellt einen der stärksten Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen dar. Sowohl bei der Durchführung von Zwangsmaßnahmen als auch bei Freiheitsentziehungsmaßnahmen ist der verfassungsmäßige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu beachten. Danach muss der Eingriff in Rechte, Freiheit oder Eigentum von Personen geeignet, erforderlich und angemessen sein. Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen darf daher nur diejenige gewählt werden, die den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt. Ferner darf die durch die Maßnahme zu erwartende Beeinträchtigung nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen. Diese Grundsätze sind auch bei der gesetzgeberischen Entscheidung, welche freiheitsentziehenden Maßnahmen ergriffen werden können, zu beachten.

Weitergehende Möglichkeiten, freiheitsentziehende Maßnahmen anordnen zu können, dürfen nur dann festgelegt werden, wenn diese sich tatsächlich als erforderlich erweisen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Sofern ein auf die gesetzlich geregelten Anknüpfungspunkte gestützter Verdacht besteht, dass sich eine Ausländerin oder ein Ausländer einer Abschiebung entziehen will, ist die geltende Regelung, die Abschiebungshaft auf § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 AufenthG zu stützen, ausreichend. Einer weiteren Rechtsgrundlage bedarf es daher nicht.

Die in dem Regelungsvorschlag vorgesehenen abgesenkten Anordnungsvoraussetzungen sind darüber hinaus mit der Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union nicht vereinbar. Die auch zunehmend in der Rechtsprechung zum Ausdruck gebrachte Maßgabe, Abschiebungshaft möglichst zu vermeiden und alle milderen Mittel auszuschöpfen, kann mit der vorgeschlagenen Regelung, die die Anordnung einer kurzzeitigen Ingewahrsamnahme nahezu voraussetzungslos ermöglicht, nicht erreicht werden. Abschiebungshaft darf insbesondere nicht allein deshalb angeordnet werden, um den Ausländerbehörden die Durchführung einer Abschiebung zu erleichtern.

Weiterhin stehen die in § 62b Absatz 1 Satz 1 AufenthG-E aufgeführten Voraussetzungen mit der beabsichtigten Rechtsfolge kaum in einem Zusammenhang. Sie sind im Ergebnis nicht ausreichend, um eine Freiheitsentziehungsmaßnahme zu rechtfertigen.

§ 62b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AufenthG-E erfordert lediglich, dass die Ausreisefrist abgelaufen ist und macht hiervon nur Ausnahmen für Fälle, in denen die oder der Betroffene unverschuldet an der Ausreise gehindert war oder die Ausreisepflicht nicht erheblich überschritten ist. Vernachlässigt wird hierbei, dass ohne die in § 62b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AufenthG-E geforderte Überschreitung einer gewährten Ausreisefrist die Voraussetzungen für eine Abschiebung schon gar nicht vorliegen (siehe § 58 Absatz 1 AufenthG). Eine Grundvoraussetzung für eine Abschiebung zugleich als Grundtatbestand für die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme auszugestalten, ist unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Person unzureichend.

Darüber vermag auch die kumulativ erforderliche Voraussetzung in § 62b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AufenthG-E nicht hinwegzuhelfen. Hier wird ein gesetzlicher Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung von Mitwirkungspflichten bzw. einer Täuschung über die Identität oder die Staatsangehörigkeit und der Erwartung, dass die Ausländerin oder der Ausländer die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird, hergestellt, der faktisch - zumindest in einer Vielzahl von Fällen - gar nicht bestehen dürfte. Ein möglicherweise lange zurückliegendes Verhalten eines Ausreisepflichtigen kann für sich genommen noch kein hinreichend sicheres Indiz dafür sein, wie sich die oder der Betroffene im weiteren Verfahren verhalten wird. Daran anzuknüpfen, ist deshalb unsachgemäß. Mit Blick auf die Eingriffsintensität der Maßnahme ist es zudem unzureichend, dass dieses einzige materielle (zusätzliche) Erfordernis ausreichen soll, um den Freiheitsentzug zu begründen.