Beschluss des Bundesrates
Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung
(Terminservice- und Versorgungsgesetz - TSVG)

Der Bundesrat hat in seiner 976. Sitzung am 12. April 2019 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 14. März 2019 verabschiedeten Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.

Der Bundesrat hat ferner die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst

Anlage
Entschließung zum Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz - TSVG)

Begründung:

Zu den Buchstaben e und f:

Die vom Deutschen Bundestag beschlossene Ergänzung des TSVG in § 132e SGB V, nach der das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) den durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erhobenen und gemeldeten Bedarf an saisonalen Grippeimpfstoffen unter Berücksichtigung einer zehnprozentigen Reserve mit den durch die Hersteller/Anbieter nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) gemeldeten Daten vergleicht und anschließend die Hersteller/Anbieter sowie die KBV über das Ergebnis der Prüfung informiert, wird aus fachlicher Sicht kritisch gesehen. Im gesetzlich normierten Planungsprozess sind die Bedarfe für die Impfungen von Privatpatienten, durch Gesundheitsämter und Betriebsärzte nicht berücksichtigt; es erfolgt also eine Untererfassung. Ob die einzukalkulierende Reserve von zehn Prozent die Lücke sicher abdeckt, ist ungewiss.

Diese neue, mehrstufige Planungsarbeit mit mehreren Beteiligten (Vertragsärzte, Kassenärztliche Vereinigungen (KVen), KBV, PEI, Robert-Koch-Institut (RKI)), die ausschließlich dazu dient, festzustellen, wieviel Grippeimpfstoffverbrauch in der kommenden Saison für die Versorgung der gesetzlich Versicherten erwarten werden kann, ist nicht sinnvoll, weil sie damit endet, dass allen (miteinander konkurrierenden) Herstellern/Anbietern das Ergebnis mitgeteilt und dann alles Weitere dem freien Spiel der Kräfte überlassen wird. Dann kann jeder Hersteller/Anbieter entscheiden, wieviel er produziert und zu welchem Preis - im schlechtesten Fall ohne verbindliche Vorbestellungen von Apotheken (siehe unten), also ohne Abnahmegarantie. Wenn die Hersteller/Anbieter ihre Produktionsmengen (und Preise) deswegen untereinander absprechen würden, wäre das nicht im Sinne des Wettbewerbs. Die Preisgestaltung für die Hersteller/Anbieter sowie der Zeitpunkt, zu dem diese die Preise veröffentlichen, sind offen gelassen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (vgl. BR-Drucksache 053/19(B) HTML PDF , Ziffer 27) den Wunsch geäußert, dass die Preis- und Produktangaben bis spätestens zum 1. März eines Jahres veröffentlicht werden sollten.

Der KBV und den KVen werden erstmalig Aufgaben im Zusammenhang mit der Erhebung von geplanten Grippeschutzimpfungen übertragen. Diese haben keinerlei Erfahrungen damit. Ein Nichtmelden der Ärztinnen und Ärzte ist nicht sanktioniert. Eine solch aufwendige Planung wäre unnötig, wenn man sich an den aus der jeweiligen Vorsaison vorliegenden Abrechnungsdaten oder an den Vorjahreszahlen der Apotheken orientieren würde.

Die Apotheken, die das Verfahren jahrelang mit den von ihnen versorgten Praxen geübt haben, sind in diesen Prozess nicht eingebunden. Die fehlende Einbindung der Apotheken wird nicht zur Verbesserung des späteren Versorgungsprozesses durch die Apotheken führen. Grippeimpfstoffe unterliegen, bis auf die Vertriebswegausnahmen des § 47 Absatz 1 Nummer 3 AMG, der Apothekenpflicht. Vertragsärztinnen und -ärzte beziehen diese als Sprechstundenbedarf von einer Apotheke ihrer Wahl. Nur die Apotheken können die Impfstoffe beim Hersteller/Anbieter bestellen.

Da Grippeimpfstoffe unterschiedlicher Anbieter zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden, ist die Frage der Wirtschaftlichkeit maßgeblich. Mit dem TSVG wird in § 106b Absatz 1a SGB V zwar festgelegt, dass bei Verordnungen der Grippeimpfstoffe eine angemessene Überschreitung der Menge gegenüber den tatsächlich erbrachten Impfungen grundsätzlich nicht als unwirtschaftlich gelten soll; die konkrete Ausgestaltung dieser Regelung sowie Regelungen zu sonstigen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit der Verordnung der Grippeimpfstoffe ist jedoch den Krankenkassen und den KVen überlassen. Vor einer anbieterbezogenen Bedarfsmeldung durch die Vertragsärztinnen und -ärzte muss bei gleicher Zweckmäßigkeit unterschiedlicher Grippeimpfstoffe zunächst die Frage geklärt werden, welcher Impfstoff in der kommenden Saison der wirtschaftlichste sein wird. Dazu müssten zum Beispiel Ende Dezember 2019 Daten der jeweiligen Anbieter zu den Preisen der Grippeimpfstoffe für die Saison Winter 2020/2021 vorliegen. Bisher wurden diese Daten jedoch regelmäßig erst etwa zwei bis drei Monate vor Saisonbeginn veröffentlicht. Das hieße hier dann im Juni/Juli 2020.

Die ebenfalls mit dem TSVG vorgenommene Anpassung der Regelungen zum EU-Referenzpreisabschlag (§ 130a SGB V) wird letztlich nicht dazu führen, dass die Kosten, die bei den Krankenkassen für Grippeimpfstoffe unterschiedlicher Anbieter anfallen, identisch sind.

Durch die Änderung der nach § 78 AMG zustimmungspflichtigen Arzneimittelpreisverordnung wird die Apothekenvergütung bei der Versorgung der Praxen mit Grippeimpfstoffen auf 1 Euro pro Impfdosis limitiert und auf 75 Euro je Verordnungszeile gedeckelt. Diese Vergütung deckt nicht, wie behauptet, den Aufwand der Apotheken. Bisher wurden zum Beispiel in den Ländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern maximal 250 Dosen je Verordnungszeile/Rezept verordnet. Diese Begrenzung der Menge pro Verordnung war zwischen den Vertragspartnern AOK Nordost und den drei Apothekerverbänden jeweils vereinbart worden. Bestellungen von jeweils 75 Dosen wären den bei der Grippeimpfstoffversorgung agierenden Krankenkassen vor dem Hintergrund der TSVG-bedingten Änderung der Arzneimittelpreisverordnung vermutlich nicht vermittelbar, das heißt ab der 76. Dosis arbeitet die Apotheke ohne weitere Vergütung. Das ist angesichts der Ausgaben für die meistens für die Ärztin oder den Arzt vorgenommene Kühllagerung und den sonstigen logistischen Aufwand kontraproduktiv, weil unternehmerisch unattraktiv. Die Vertragsärztinnen und -ärzte rufen üblicherweise die benötigten Impfstoffdosen entsprechend den in der Arztpraxis vorhandenen Kühlkapazitäten in Tranchen zu 50 oder 100 Dosen sukzessive von den Apotheken ab.

Offen ist, ob Apotheken unter den im TSVG neu geregelten Vergütungsbedingungen bereit sind, das mit den frühzeitigen verbindlichen Bestellungen verbundene wirtschaftliche Risiko (zwingende Bezahlung des Einkaufes) zu tragen. Es ist zu befürchten, dass Apotheken Grippeimpfstoffe erst dann bestellen, wenn eine vertragsärztliche Sprechstundenbedarfsverordnung vorgelegt wird. Dies wird voraussichtlich erst im August/September eines Kalenderjahres der Fall sein, da derartige GKV-Verordnungen aufgrund untergesetzlicher (Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)) und vertraglicher Regelungen in der Regel lediglich einen Monat gültig sind. Die Produktion des Impfstoffes ist zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits abgeschlossen. Wenn alle hergestellten Grippeimpfstoffe verkauft sind, kann wegen der Dauer des Prozesses nichts nachproduziert werden. Im Übrigen besteht für die Apotheke, anders als bei Individualverschreibungen, kein Kontrahierungszwang bei dieser Sprechstundenbedarfsversorgung.

Die Begründung, eine Beratung der Ärztinnen und Ärzte sei nicht erforderlich, deckt sich nicht mit den Erfahrungen der Praxis. Zudem ist die Beratung der Ärztinnen und Ärzte über Arzneimittel eine im § 20 Absatz 1 Apothekengesetz normierte Aufgabe der Apotheken, die nicht durch die Begründung eines anderen Bundesgesetzes (hier TSVG) ausgehöhlt werden kann.

Das TSVG regelt nicht eindeutig, wer letztlich die Verantwortung für die Bereitstellung ausreichender Mengen Grippeimpfstoff trägt. Den Krankenkassen, die bisher diese Verantwortung zum Beispiel in den Ländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit den Apotheken übernommen haben, wird dies aufgrund der vom Gesetzgeber jetzt vorgenommen Einschränkungen nicht mehr in der bisherigen Form möglich sein.