Der Bundesrat hat in seiner 879. Sitzung am 11. Februar 2011 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Anpassung an den Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV)
- 1. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO) an die durch den Vertrag von Lissabon geänderte Rechtslage insbesondere im Hinblick auf die Artikel 290 und 291 AEUV - angepasst werden soll.
Der Bundesrat stellt fest, dass der Vorschlag den Vorgaben des Vertrags von Lissabon und der Mitteilung der Kommission zur Umsetzung von Artikel 290 AEUV (BR-Drucksache 875/09 (PDF) ) nicht ausreichend Rechnung trägt.
Die vorgeschlagene Anpassung der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 an die neuen Anforderungen gemäß den Artikeln 290 und 291 AEUV lässt eine den Ermächtigungsgrundlagen genügende Differenzierung zwischen den Befugnissen der Kommission hinsichtlich "delegierten Rechtsakten" einerseits und "Durchführungsrechtsakten" andererseits vermissen.
Darüber hinaus werden der Kommission Befugnisse eingeräumt, die in dieser Reichweite nicht von den Artikeln 290 und 291 AEUV gedeckt sind. Eine Ermächtigung der Kommission zum Erlass von "Durchführungsrechtsakten" zur Lösung spezifischer praktischer Probleme (vgl. Artikel 315 des Verordnungsvorschlags), mit denen gleichzeitig von der Verordnung "Einheitliche GMO" abgewichen werden darf, findet keine Stütze in den Regelungen des AEUV. Dieser sieht eine Änderung von Sekundärrecht im Wege von "Durchführungsrechtsakten" durch die Kommission nicht vor.
Nach Auffassung des Bundesrates führt die vorgeschlagene Anpassung zu Einschränkungen der Beteiligungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten, da das für Vollzugvorgaben notwendige regional differenzierte Expertenwissen nicht mehr in hinreichendem Umfang in die einheitlichen Regeln einfließt.
Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen,
- - dass keine zusätzlichen Tatbestände aufgenommen werden, die über die bisherigen Ermächtigungen in der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO) und über die Regelungsinhalte der bisher erlassenen Durchführungsbestimmungen hinausgehen; - dass Regelungen, die sich auf die verwaltungsmäßige Umsetzung in den Mitgliedstaaten auswirken, vor allem Aspekte der Finanzierungs-, Verwaltungs-, Kontroll- und Sanktionsbestimmungen, im Wege von Durchführungsrechtsakten festgelegt werden;
- - dass, sofern bestimmte nicht wesentliche Änderungen oder Ergänzungen im Wege von delegierten Rechtsakten festgelegt werden, diese erst nach vorheriger Anhörung von Experten aus den Mitgliedstaaten erlassen werden.
- 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Ratsverhandlungen darauf hinzuwirken, dass die Änderungen nicht zu einer Erhöhung des Verwaltungs- und Kontrollaufwands oder zu anderen Belastungen der Haushalte der Länder führen. Insbesondere sollte der EU-Haushalt soweit möglich gemäß Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 die dort geregelten Kosten finanzieren. Ein zusätzlicher Kostenaufwand der Länder aus Kofinanzierungen ist abzulehnen. Zusätzliche Beihilfen, zum Beispiel im Rahmen einer Umstrukturierung eines Marktsektors, sind kritisch zu sehen, soweit sie die nationalen Haushalte belasten, statt aus dem EU-Haushalt gewährt zu werden; die Situation der Länderhaushalte lässt solche Belastungen nicht zu.
Zu einzelnen Vorschriften
3. Zu Artikel 126 und Artikel 162 Absatz 2 Buchstabe g
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Ratsverhandlungen darauf hinzuwirken, dass Regelungen zur obligatorischen Angabe des Erzeugungs- und/oder Ursprungsorts eines landwirtschaftlichen Produkts (vgl. Artikel 162 Absatz 2 Buchstabe j des Vorschlags) und zu Betriebsfonds und operationellen Programmen sowie finanziellen Beihilfen im Sektor Obst und Gemüse (vgl. Artikel 126 des Vorschlages) nicht im Rahmen eines delegierten Rechtsakts gemäß Artikel 290 AEUV erlassen werden können, sondern nach den Bestimmungen für Durchführungsrechtsakte gemäß Artikel 291 AEUV.
Die Erarbeitung und Festsetzung weitgehender Regelungen im Bereich der Durchführungsbestimmungen zur Einheitlichen GMO ohne eine hinreichende Beteiligung der Mitgliedstaaten ist abzulehnen, da hier umfangreiche Auswirkungen auf die betroffenen Wirtschaftsbeteiligten sowie die Länder und Kommunen (z.B. im Bereich der Überwachung) zu erwarten sind.
4. Zu Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe u (Anhang I Teil XXI)
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei den weiteren Verhandlungen dafür einzusetzen, dass bei der Aktualisierung der kombinierten Nomenklatur (KN) die Codenummern von Waren gemäß Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe u (Anhang I Teil XXI) nicht mehr geführt werden, deren Handel EU-weit keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat und nach geltenden nationalen rechtlichen Bestimmungen nicht zulässig ist.
So kennzeichnet zum Beispiel die Auflistung der KN-Codenummer 0210 91 00 den Handel mit genießbarem Mehl von Fleisch oder von Schlachtnebenerzeugnissen von Primaten. Gemäß § 22 der Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung ist es jedoch verboten, Fleisch von Affen zum Zwecke des menschlichen Verzehrs zu gewinnen oder in den Verkehr zu bringen.
5. Zum weiteren Verfahren
Unbeschadet der voranstehenden inhaltlichen Aussagen bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bei den weiteren Behandlungen auf EU-Ebene darauf zu achten, dass das Beratungsverfahren dem Umfang und der Komplexität des Vorschlags hinreichend Rechnung trägt. Der Bundesrat hält dies auch im Hinblick auf die erst beginnenden Beratungen zu Teilbereichen der Einheitlichen GMO, die der vorliegende Vorschlag bereits jetzt aufgreifen möchte (vgl. BR-Drucksache 813/10 (PDF) "Vertragsbeziehungen im Sektor Milch" und BR-Drucksache 816/10 (PDF) "Vermarktungsnormen"), für angebracht.
Der Bundesrat behält sich vor, nach vertiefter Prüfung auch und insbesondere zu den vorgesehenen Anpassungen an den AEUV - erneut Stellung zu nehmen.