- - Punkt 28a der 950. Sitzung des Bundesrates am 4. November 2016 und zu Punkt 28b Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes sowie zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen - Drucksache. 499/16 (PDF) (sogenannte Anerkennungs-Verordnung)
- - Punkt 28c Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU - Drucksache. 503/16 (PDF) (sogenannte Verfahrens-Verordnung)
- - Punkt 28d Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung) - Drucksache. 513/16 (PDF) (sogenannte Aufnahme-Richtlinie)
- - Punkt 28e Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Neuansiedlungsrahmens der Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 516/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates - Drucksache. 501/16 (PDF) (sogenanntes Neuansiedlungsprogramm) -
Der Bundesrat möge ergänzend zu den Empfehlungen in BR-Drucksachen 390/1/16, 499/1/16, 503/1/16, 513/1/16 und 501/1/16 wie folgt zum Paket der Kommission zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschließen:
I. Der Bundesrat stellt fest, dass
- 1. das Asylrecht, wie es in Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge niedergelegt ist, eine der zentralen rechtsstaatlichen Errungenschaften der jüngeren europäischen Geschichte ist,
- 2. sich die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen in den vergangenen fünf Jahren weltweit mehr als verdoppelt hat,
- 3. die deutschen Länder mit der Unterbringung von Flüchtlingen bereits wesentlich dazu beigetragen haben, allein im Jahr 2015 rund 890 000 Asylsuchende in Deutschland aufzunehmen,
- 4. sich jedoch erhebliche strukturelle Schwächen und Mängel bei der Gestaltung und Umsetzung des europäischen Asylsystems und insbesondere der Bestimmungen der sogenannten Dublin-III-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist) gezeigt haben,
- 5. das Asylrecht auch unter dem Eindruck von globalen Flüchtlings- und Migrationsbewegungen zu bewahren und gleichzeitig im Sinne einer gesamteuropäischen Lösung weiter zu entwickeln ist und
- 6. dabei auch die EU als Ganzes in der Pflicht steht, bestehende Fluchtursachen zu beseitigen und Flüchtlinge aufzunehmen.
Der Bundesrat teilt grundsätzlich die Zielsetzungen der Kommission,
- 7. einen nachhaltigeren Ansatz zur Steuerung der Migration auf europäischer Ebene zu schaffen, nachdem die Ereignisse des Jahres 2015 nachdrücklich aufgezeigt haben, dass die existierenden Instrumente nicht auf vergleichbare Belastungssituationen ausgerichtet sind,
- 8. durch eine stärkere Harmonisierung des GEAS zu gewährleisten, dass Asylsuchende überall in der EU gleich und in angemessener Weise behandelt werden und den notwendigen Schutz erhalten,
- 9. im Sinne des von ihr vorgeschlagenen Neuansiedlungsprogramms für diejenigen Menschen, die Schutz benötigen, sichere und legale Wege in die EU zu schaffen und so irregulären und gefährlichen Migrationsbewegungen ein Ende zu setzen sowie die Verantwortung mit Drittstaaten, die eine hohe Anzahl von Flüchtlingen aufgenommen haben, zu teilen,
- 10. mit der Neufassung der Dublin-Verordnung eine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen,
- 11. das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen zu einer vollwertigen Europäischen Asylagentur mit eigenen Ressourcen und als Kompetenzzentrum im Asylbereich mit stärkerer operativer Einbindung auszubauen,
- 12. mit der Anerkennungs-Verordnung Unterschiede bei den Anerkennungsquoten sowie bei der Art des gewährten Schutzstatus und der Geltungsdauer der Aufenthaltstitel zu reduzieren und die von Antragstellerinnen und Antragstellern zu erfüllenden Kriterien für Asyl und subsidiären Schutz und die Rechte von Personen, die einen solchen Status genießen, stärker zu harmonisieren,
- 13. mit der Verfahrens-Verordnung gemeinsame Vorgaben für die Mitgliedstaaten zur An- und Aberkennung internationalen Schutzes zu treffen und so rasche, aber qualitativ hochwertige Entscheidungen auf allen Verfahrensstufen zu gewährleisten und 14. mit der Aufnahme-Richtlinie für einheitlichere Aufnahmebedingungen in der EU zu sorgen und die Einhaltung der für eine menschenwürdige Behandlung der Antragstellerinnen und Antragsteller erforderlichen Aufnahmestandards sowie eine Verbesserung ihrer Eigenständigkeit und ihrer Integrationsaussichten sicherzustellen.
Der Bundesrat betont, dass die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele
- 15. nur nach Maßgabe der Grundrechtecharta der EU, insbesondere Artikel 18, bzw. des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie der bestehenden Verträge ergriffen werden dürfen,
- 16. die bestehenden rechtstaatlichen und humanitären Standards für Schutzsuchende in den Mitgliedstaaten der EU nicht unter das bisher erreichte Niveau absenken dürfen,
- 17. den Vollzugsaufwand der Mitgliedstaaten - der in föderal organisierten Mitgliedstaaten insbesondere die Länder betrifft - nicht weiter erhöhen sollten, sofern dies zur Zielerreichung nicht unbedingt erforderlich ist.
Der Bundesrat unterstützt das Anliegen,
- 18. sich mit der Neufassung der Dublin-Verordnung für einen dauerhaften und verbindlichen Verteilungsmechanismus in Europa einzusetzen,
- 19. die Möglichkeiten der Familienzusammenführung zu verbessern, und
- 20. mit der Aufnahme-Richtlinie auch Maßnahmen zur Verbesserung der Integrationsaussichten von Asylbewerberinnen und -bewerbern zu treffen, wie etwa die Sperrfrist für die Aufnahme von Arbeit bei solchen Asylbewerberinnen und -bewerbern, bei denen zu erwarten ist, dass sie als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz anerkannt werden, von derzeit neun auf künftig sechs Monate herabzusetzen.
Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass
- 21. das Ziel einer gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten nur erreicht werden kann, wenn auch eine wesentliche Entlastung der derzeit stark belasteten Mitgliedstaaten an den Außengrenzen erfolgt, und 22. die beabsichtigte verstärkte Überprüfung des Status der Flüchtlinge, welche im Wesentlichen durch die Mitgliedstaaten zu vollziehen sein wird, nicht das gleichfalls erklärte Ziel, die Integration, Selbständigkeit und Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, konterkarieren darf.
II. Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich gegenüber der Kommission und im Rat dafür einzusetzen, dass
- 1. bei der Reform der Dublin-Verordnung der Vorrang der freiwilligen Ausreise festgeschrieben wird, die sich als humaner, effektiver und kostengünstiger erwiesen hat, als die zwangsweise Überstellung,
- 2. im Rahmen des "Fairness-Mechanismus" ein Mitspracherecht der aufnehmenden Staaten vorgesehen wird und auch vorhandene individuelle Anknüpfungspunkte der Flüchtlinge zu bestimmten Mitgliedstaaten berücksichtigt werden können, und dieser sich nicht auf eine rein mathematische, computergestützte Verteilung beschränkt,
- 3. Ermessensspielräume für die Mitgliedstaaten auch bei der Harmonisierung des GEAS, beispielsweise durch die Verwendung von Öffnungsklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen, erhalten bleiben, sofern dies notwendig ist, um weiterhin humanitäre Besonderheiten berücksichtigen und auf Einzelfälle eingehen zu können,
- 4. auch positive Signale für die Aufnahme von Flüchtlingen gesetzt werden, wie zum Beispiel finanzielle Anreize für die Aufnahme von Flüchtlingen,
- 5. das Recht auf effektiven Rechtsschutz insgesamt nicht verkürzt wird, insbesondere bei Rechtsbehelfen gegen Überstellungsentscheidungen, sowie
- 6. zusätzliche Maßnahmen der EU zur Reduzierung der weltweiten Fluchtursachen und zur Aufnahme von Flüchtlingen ergriffen werden.