Der Bundesrat hat in seiner 824. Sitzung am 7. Juli 2006 beschlossen, die aus der Anlage ersichtliche Entschließung zu fassen.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur Integration und Einbürgerung
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, das nachstehende Integrations- und Einbürgerungskonzept aufzunehmen sowie in Zusammenarbeit mit den Ländern zügig einen abgestimmten Gesetzentwurf zur Umsetzung der vorgeschlagenen bundeseinheitlichen Einbürgerungsstandards vorzulegen.
I. Integration
- 1. Die erfolgreiche Integration rechtmäßig in Deutschland lebender Migranten liegt im wohlverstandenen Interesse der aufnehmenden Gesellschaft wie der zugewanderten und zuwandernden Menschen. Entsprechend dem Prinzip des Forderns und Förderns sind Zuwanderer und Aufnahmegesellschaft gehalten, ihren Beitrag zum Gelingen der Integration zu leisten. Schlussstein gelungener Integration ist die Einbürgerung. Erst sie eröffnet den Zugewanderten die uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mit den sich darin bietenden Chancen und bereichert unser Land durch die eingebrachte Vielfalt. Migranten müssen es als ihre selbstverständliche Aufgabe begreifen, sich und ihre Kinder in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, und ihren aktiven Beitrag leisten.
- 1.1 Integration ist ein Prozess und enthält Aufgaben sowohl auf Seiten der Zugewanderten als auch auf Seiten der Einheimischen. Integration zeigt eine Vielzahl von Facetten und beinhaltet sowohl die Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben. Keinesfalls kann lediglich der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Indiz für eine gelungene Integration sein. Es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl von Ausländerinnen und Ausländer, die hervorragend integriert sind, die deutsche Sprache sprechen und sozialisiert sind und nicht eingebürgert werden wollen. Auf der anderen Seite existieren auch Gruppierungen, die deutsche Staatsangehörige sind und Anzeichen dafür liefern, dass ihre Integration bisher noch nicht erfolgreich verläuft.
- 2. Auf der Grundlage des Prinzips des Forderns und Förderns hält der Bundesrat sowohl weitere qualitative Verbesserungen der Integrationskurse als auch die Mitarbeit der Zuwanderer daran für erforderlich. Er begrüßt die vom BMI initiierte und derzeit stattfindende Evaluierung und die Bemühungen der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass u. a. folgende Eckpunkte Grundlage der weiteren Beratungen sein sollen:
- 3.1. Das Grundgesetz bestimmt die Grundwerte unserer Gesellschaft. Es ist auch für Migranten die verbindliche Grundlage des Lebens in der Bundesrepublik Deutschland. Zu den Grundwerten gehören auch die Glaubens- und Religionsfreiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Benachteiligungsverbot und die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Der Staat bekämpft den Islamismus und alle anderen Ausprägungen des Extremismus. Er muss aber auch gegenüber allen Bestrebungen extremistischreligiöser Gruppen, die zu einem Rückzug aus der Gesellschaft führen, eine klare Haltung einnehmen.
- 3.2. Migranten müssen sich aktiv zu Demokratie und moderner Gesellschaft als gemeinsamer Grundlage des Miteinanders bekennen. Integrationsvereinbarungen können ein gutes Mittel sein, um bleibeberechtigte Neuzuwanderer und bereits hier lebende Ausländer mit Integrationsbedarf frühzeitig und zielgerichtet auf dem Weg der Integration in unsere Gesellschaft zu begleiten.
- 3.3 Neben Eltern und Familien müssen auch Lehrer und Erzieher einen aktiven Part bei der Erziehung zu Demokratie, Gewaltfreiheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Mann und Frau und religiöser Toleranz übernehmen.
- 3.4 Parallelgesellschaften gefährden die Basis des gesellschaftlichen Miteinanders. Bei aller Achtung des verfassungsmäßigen Rechts der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder findet dieses Recht da seine Grenzen, wo Eltern ihre Kinder von Bildung und Erziehung in einer modernen Gesellschaft ausschließen. Kinder müssen z.B. am vollen Schulunterricht, d.h. auch am Sport- und Biologieunterricht und an Klassenfahrten, teilnehmen. Ziel muss es sein, dass alle Kinder und Jugendlichen angemessene Bildungsperspektiven erhalten und jeder einzelne junge Mensch so gut wie möglich gefördert und gefordert wird.
- 3.5 Wer in Deutschland lebt, muss deutsch verstehen, sprechen und schreiben können. Der Vermittlung der deutschen Sprache an junge Menschen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Der Bundesrat erklärt, dass die Länder das in ihrer Zuständigkeit Mögliche unternehmen werden, die Anstrengungen zur Sprachvermittlung in Schule und Kindertagesstätten zu unterstützen und zu verstärken.
- 3.6 Erwachsenen Zuwanderern bietet das Zuwanderungsgesetz mit den bundesunterstützten Integrationskursen ein Startangebot, das auch den bereits hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern weiter offen stehen muss. Wo trotz staatlichen Förderangebotes die Bereitschaft zum Kursbesuch nicht besteht, müssen Sanktionen verstärkt werden. Denkbar wären hier Kürzungen von staatlichen Transferleistungen oder die Koppelung des Arbeitsmarktzuganges bei Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderern an die vorherige Teilnahme an einem Integrationskurs.
- 3.7 Städtebau, Wohnraumförderung und Stadtumbau sind wichtige Instrumente erfolgreicher Integration um zu verhindern, dass Stadtviertel "sozial umkippen" und zu Räumen werden, in denen Gesetze keine Beachtung finden und Parallelgesellschaften ihre eigenen Regeln durchsetzen. Der Bundesrat appelliert an die Kommunen und die Wohnungsunternehmen, durch ein vorausschauendes Belegungsmanagement ethnisch abgeschlossene Wohnquartiere zu vermeiden.
- 3.8. Integration in den Arbeitsmarkt ist eine entscheidende Voraussetzung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Vorhandene Vorurteile und Hemmnisse gegenüber ausbildungs- und arbeitsplatzsuchenden Migranten sind abzubauen. Der Bundesrat appelliert an die Kommunen, Arbeitsagenturen, Unternehmerverbände u. a., sich daran aktiv zu beteiligen.
- 4. Der Bundesrat sieht in den vorstehenden Eckpunkten eine geeignete Grundlage für die anstehenden weiteren Gespräche im Rahmen des geplanten Integrationsgipfels der Bundesregierung im Sommer 2006.
II. Einbürgerung
Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass in Zukunft für die Einbürgerung bundesweit grundsätzlich folgende gleiche Standards gelten sollen:
- a) Regelmäßig rechtmäßiger Daueraufenthalt von acht Jahren.
- b) Beherrschen der deutschen Sprache, orientiert am Sprachniveau B 1 des gemeinsamen europäischen Sprachrahmens, was durch einen schriftlichen und mündlichen Sprachtest nachzuweisen ist.
- c) Höhere Anforderungen an die Rechtstreue:
Die bisherigen Bagatellgrenzen, innerhalb derer Straftaten die Einbürgerung nicht hindern, sind unverhältnismäßig hoch. Um die Rechtstreue des Einbürgerungsbewerbers sicherzustellen, soll in der Regel künftig bereits eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen die Einbürgerung ausschließen. Dabei sollen kleinere Strafen kumuliert werden können.
- d) Für Einbürgerungswillige werden in allen Ländern Einbürgerungskurse mit bundeseinheitlichen Standards und Inhalten angeboten und in eigener Verantwortung durchgeführt, in denen staatsbürgerliches Grundwissen sowie die Grundsätze und Werte unserer Verfassung vermittelt werden. Die geforderten Kenntnisse müssen insbesondere in den Themenfeldern "Demokratie", "Grundrechte", "Konfliktlösungen in der demokratischen Gesellschaft", "Rechtsstaat", "Sozialstaat", "Verantwortung des Einzelnen für das Gemeinwohl", "Teilhabe an der politischen Gestaltung", "Gleichberechtigung von Mann und Frau" sowie "Staatssymbole" erworben werden. Die Kurse sind in der Regel von den Einbürgerungswilligen zu finanzieren.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu beauftragen, aufbauend auf den Inhalten der Integrationskurse/Orientierungskurse ein Konzept für die Einbürgerungskurse sowie für eine Einbürgerungsfibel und die Standards für Nachweismodalitäten zu erarbeiten.
Ob ausreichende Kenntnisse dieser Inhalte vorliegen, ist von den Einbürgerungsbehörden zu überprüfen. Die erforderlichen Kenntnisse sind in der Regel nachgewiesen, wenn der Einbürgerungswillige eine Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an einem Staatsbürgerkurs, der den Kriterien des BAMF entspricht, erhalten hat. Bei entsprechenden Vorkenntnissen kann die Überprüfung auch ohne die in der Regel obligatorische Kursteilnahme erfolgen.
- e) Loyalitätserklärung und Bekenntnis zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung - wie im geltenden Recht vorgesehen - mit der Möglichkeit der Überprüfung von Zweifelsfällen in einem Einbürgerungsgespräch.
- f) Ausschluss verfassungsfeindlicher Bestrebungen:
Über die bereits gesetzlich vorgeschriebene Regelanfrage beim Verfassungsschutz hinaus soll der Einbürgerungsbewerber selbst zu Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen in extremistischen oder extremistisch beeinflussten Organisationen befragt werden.
- g) Die Einbürgerung soll in einem feierlichen Rahmen vollzogen werden. Sie soll durch Eid oder feierliches staatsbürgerliches Bekenntnis dokumentiert werden. Dadurch wird die Verbindlichkeit der getroffenen Entscheidung hervorgehoben.
Durch bundesgesetzliche Regelung soll festgeschrieben werden, dass von einzelnen Voraussetzungen Ausnahmen möglich sind, soweit die Integration gesichert ist, und für Bewerber, die besondere Integrationsleistungen, insbesondere beim Sprachniveau, erbringen, die Mindestzeit des rechtmäßigen Daueraufenthalts auf 6 Jahre verkürzt werden kann.
Begründung
Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) hat am 5. Mai 2006 einen Beschluss zur Integration und Einbürgerung gefasst. Der Bundesrat greift diese Bewertungen und Vorstellungen auf und macht sie sich zu eigen.
Der IMK-Beschluss ist das Ergebnis einer intensiven öffentlichen und Fachdiskussion über die Vorstellungen zu einer erfolgreichen Integration der rechtmäßig in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten sowie zu einer inhaltlichen und verfahrensmäßigen Ausgestaltung bundeseinheitlicher Einbürgerungsstandards. Indem der Bundesrat dieses auch in der Bevölkerung von einer breiten Mehrheit getragene Ergebnis übernimmt, setzt er ein integrationspolitisches Zeichen sowohl für die zugewanderten und zuwandernden Menschen als auch für die aufnehmende Gesellschaft; er formuliert die jeweiligen Beiträge zur einer gelungenen Integration und deren Schlussstein, die Einbürgerung.
Die Bundesregierung wird gebeten, dieses Signal als Empfehlung in die Beratungen des Integrationsgipfels einfließen zu lassen.