Der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg Hamburg, 4. September 2020
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage mit Begründung beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Versuchstierverordnung zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 993. Sitzung des Bundesrates am 18. September 2020 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Tschentscher
Erster Bürgermeister
Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Versuchstierverordnung
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Tierversuche lassen sich zur Bearbeitung wissenschaftlicher Fragen in der Medizin derzeit nicht in jedem Fall vermeiden. Gleichwohl bekennt sich der Bundesrat zu dem Ziel, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Anzahl von Tierversuchen so gering wie möglich zu halten. Insbesondere spricht er sich für eine konsequente Abkehr von der Durchführung von Tierversuchen aus, wenn starke Schmerzen und schwere Leiden verursacht werden, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können.
- 2. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im Tierschutzrecht die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
- a) die vorgeschriebenen Kontrollintervalle gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 Tierschutzgesetz für Einrichtungen und Betriebe, in denen Tierversuche durchgeführt werden, Wirbeltiere zu den in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 genannten Zwecken verwendet werden, Wirbeltiere zu wissenschaftlichen Zwecken getötet werden und für Einrichtungen und Betriebe mit einer Erlaubnis zur Zucht und Haltung von für derartige Zwecke bestimmten Tieren erhöht werden. Dies soll unter Berücksichtigung entsprechender Risiken und Einbeziehung einer Überwachung der Personen, die Tierversuche durchführen, auf mindestens jährliche und regelhaft unangekündigte Besichtigungen erhöht werden. Die Berücksichtigung von Risiken soll dabei anhand einer Risikoanalyse nach einheitlich festgelegten Kriterien erfolgen.
- b) jedes Versuchsvorhaben einer Genehmigungspflicht unterworfen wird. Ein Anzeigeverfahren soll nur für Tierversuche vorgesehen werden, die in Folge eines genehmigten Versuchsvorhabens als gleichartig im Sinne von § 37 Abs. 1 Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) angesehen werden können.
- c) die Ausnahmeregelung für Tierschutzbeauftragte mit einem anderem als einem veterinärmedizinischen Hochschulabschluss zukünftig entfällt, wobei ein Bestandsschutz für derzeit bereits tätige Tierschutzbeauftragte zu berücksichtigen ist.
- d) Einrichtungen oder Betriebe, in dem Tierversuche durchgeführt werden, grundsätzlich verpflichtet werden, kontinuierlich Maßnahmen und Verfahren zur Entwicklung von Alternativen zum Tierversuch leisten zu müssen und diese an geeigneter Stelle zu veröffentlichen. Sofern Einrichtungen oder Betriebe dieser Verpflichtung nicht nachkommen, sollten diese über eine finanzielle Beteiligung an einem Fonds, der eigens für die Entwicklung von Alternativmethoden geschaffen werden soll, einen Beitrag zur Entwicklung von Alternativen von Tierversuchen leisten müssen.
- e) an geeigneter Stelle eine Datenbank dauerhaft eingerichtet und gepflegt wird, in der verfügbare Alternativverfahren digital erfasst und dargestellt werden und für Wissenschaftler und Vollzugsbehörden eine übersichtliche und verlässliche Möglichkeit zum Abruf entsprechender Informationen besteht.
- f) an geeigneter Stelle eine Datenbank eingerichtet wird, in der durchgeführte Versuchsvorhaben eingetragen werden, insbesondere zur Darstellung von Versuchsansätzen, die in wissenschaftlichen Fachjournalen nicht publiziert werden.
- 3. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, inwieweit für die Öffentlichkeit eine über die bisherigen Möglichkeiten hinausgehende Transparenz und Zugang zu Informationen über Tierversuche geschaffen werden kann.
Begründung:
- 1. Ein grundsätzliches Verbot findet sich derzeit in § 25 der Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV). Mit diesem wird das grundsätzliche Verbot von Versuchsverfahren in Artikel 15 der Richtlichtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere umgesetzt, wenn starke Schmerzen, schwere Leiden verursacht werden, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können. Der Begriff eines grundsätzlichen Verbots impliziert Ausnahmen, so dass schwer belastende Versuche bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen durchgeführt werden können. Dies steht zwar im Einklang mit der grundgesetzlich festgeschriebenen Forschungsfreiheit, das langfristige Ziel muss aber sein, insbesondere schwer belastende Tierversuche zu vermeiden.
- 2.
- a) Die in den Medien berichteten Vorwürfe über Missstände in einer Tierversuchseinrichtung in Niedersachsen zeigen, dass Verbesserungen im Versuchstierschutz erforderlich sind. Darüber hinaus zeigt das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland (Vertragsverletzung Nr. 2018/2207), dass einige Vorgaben der RL 2010/63/EU national nicht korrekt umgesetzt worden sind.
Einrichtungen, in denen Tiere zu wissenschaftlichen Zwecken gezüchtet und gehalten werden, unterscheiden sich grundlegend von anderen Haltungsformen. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung und Überwachungspflicht für die Vollzugsbehörden, um sicherzustellen, dass den Tieren nicht über das versuchsbedingt unvermeidbare Maß hinaus weitere Belastungen zugefügt werden. Die Kontrollintervalle sollen entsprechend RL 2010/63/EU auf einer Risikoanalyse basiert sein. Um einen einheitlichen Vollzug zu gewährleisten sollen Faktoren für eine Risikoeinschätzung (z.B. Art und Anzahl der Tiere, Art und Anzahl der Versuchsvorhaben, bisherige Kontrollergebnisse) festgelegt werden.
- b) Die derzeit bestehende Möglichkeit, Tierversuche bei der zuständigen Behörde anzuzeigen, mindert die Prüf- und Eingriffsmöglichkeit der zuständigen Behörden. Die Beteiligung der Kommission nach § 15 Tierschutzgesetz ist für anzeigepflichtige Versuchsvorhaben nicht regelhaft vorgesehen. Überwiegend sind die nach derzeitiger Rechtslage anzuzeigenden Versuchsvorhaben im Prüfaufwand nicht weniger anspruchsvoll und erfordern entsprechend Zeit und Expertise, u.U. auch von Seiten Dritter. Die Möglichkeit Erlaubnisse nicht oder nur unter Erteilung von Auflagen oder Bedingungen zu erteilen ist auch für anzeigepflichtige Versuchsvorhaben eine für die Behörden entscheidende Möglichkeit zur Einwirkung und Verbesserung des Schutzes der Versuchstiere.
Lediglich für Versuchsvorhaben, die gleichartig Wiederholung finden, ist tatsächlich eine Anzeigepflicht angemessen.
- c) Die geltende Ausnahmeregelung für Tierschutzbeauftragte mit einem anderen als einem veterinärmedizinischen Hochschulabschluss sollte gestrichen werden. Die Erkennung, Bewertung und Behandlung von Schmerzen und Leiden, sowie die Bewertung korrekter Vorgehensweisen, insbesondere bei chirurgischen Eingriffen erfordert fundierte veterinärmedizinische Fachkunde, die kaum durch andere Ausbildungen oder Erfahrungen in gleichem Maße erlangt werden kann. Darüber hinaus sind angemessene medikamentöse Behandlungen ohnehin dem Tierarzt vorbehalten. Die Anwesenheit eines benannten Tierarztes sieht auch die RL 2010/63/EU vor. Um unbillige Härte zu vermeiden, sollen bereits jetzt tätige Tierschutzbeauftragte mit anderer Ausbildung einen Bestandsschutz erhalten.
- d) Einrichtungen und Betriebe, die selbst Tierversuche durchführen, sollten einen eigenen Beitrag dazu leisten, die Entwicklung von Alternativverfahren zu fördern. Dabei ist eigene Forschungstätigkeit in diesem Bereich ebenso denkbar, wie das Beauftragen Dritter hierzu. Eine öffentliche Darstellung soll über entsprechende Projekte informieren und eine kontinuierliche Weiterbewegung gewährleisten.
- e) Die beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) aufrufbare Datenbank AnimAlt-ZEBET wird seit 2013 nicht mehr aktualisiert. Eine zentrale Datenbank, in der laufend Alternativverfahren gesammelt werden und im Rahmen der Versuchsplanung und während des Genehmigungsverfahrens abgerufen werden können, erhöht die Bekanntheit solcher Verfahren und erleichtert sowohl die Versuchsplanung, sowie die behördliche Überwachung.
- f) Versuchsansätze, die nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, werden selten in der Fachpresse veröffentlicht. Dies führt zu der Gefahr von Wiederholungen des Versuchsansatzes. Eine zentrale Datenbank, die Übersicht gerade über derartige Versuchsansätze gibt, ist im Rahmen der Versuchsplanung hilfreich, um sicherzustellen, dass Versuche nicht wiederholt werden.
- a) Die in den Medien berichteten Vorwürfe über Missstände in einer Tierversuchseinrichtung in Niedersachsen zeigen, dass Verbesserungen im Versuchstierschutz erforderlich sind. Darüber hinaus zeigt das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland (Vertragsverletzung Nr. 2018/2207), dass einige Vorgaben der RL 2010/63/EU national nicht korrekt umgesetzt worden sind.
- 3. In der Öffentlichkeit wird das Thema Tierversuche äußerst kontrovers und größtenteils emotional diskutiert und es besteht ein hoher Bedarf, Informationen zur Durchführung von Tierversuchen zu erhalten. Besonders die Regelungen des Datenschutzes setzen hier Grenzen. Geeignete Informationen für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen, kann einen Beitrag zur Akzeptanz erforderlicher Tierversuche leisten und bietet die Chance Verbesserungen für den Schutz der Tiere, zum Beispiel durch die Anwendung des 3R-Prinzips, darzustellen. Seit dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Versuchstierverordnung im Jahr 2013 ist jedem Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchsvorhabens eine allgemeinverständliche Nicht technische Projektzusammenfassung (NTP) beizufügen. Die Veröffentlichung aller NTPs in der Datenbank Animal Test Info ist bereits etabliert. Es hat sich jedoch gezeigt, dass diese Datenbank für die Erwartungen der Öffentlichkeit zu wenig Transparenz bietet.