956. Sitzung des Bundesrates am 31. März 2017
A
Der federführende Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu den Abschlägen bei Erwerbsminderungsrenten:
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die schrittweise Verlängerung der Zurechnungszeit für Rentenzugänge auf das vollendete 65. Lebensjahr. Diese Maßnahme ist aber bei Weitem nicht ausreichend, um Personen mit einer Erwerbsminderung vor den Gefahren der Altersarmut zu schützen. Deshalb fordert der Bundesrat im weiteren Gesetzgebungsverfahren, darüber hinaus die Abschläge bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wieder abzuschaffen.
Begründung:
Die Verlängerung der Zurechnungszeit für Rentenneuzugänge ist allein nicht ausreichend, um Altersarmut bei Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern zu verhindern. Schon heute zeigt sich bei der durchschnittlichen Rentenhöhe der Rentenneuzugänge bei Erwerbsminderung, dass diese sich nahezu auf der Höhe der bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bewegt. Im Gegensatz zur privaten Altersvorsorge mangelt es an einer Förderung der zusätzlichen Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos, insbesondere an Verträgen ohne Gesundheitsprüfung und risikoabhängige Beiträge, so dass gesundheitlich eingeschränkte Personen sich nicht zusätzlich privat gegen das Erwerbsminderungsrisiko absichern können. Die Forderung nach Abschaffung der Abschläge bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird deshalb als angemessene Lösung erachtet.
Das Argument, Erwerbsgeminderte würden dann eine Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Höhe der Abschläge als günstigere Alternative zu einer vorzeitigen Altersrente beanspruchen, überzeugt nicht. Erwerbsgeminderte Personen haben nicht die Möglichkeit zu wählen, ob sie eine Erwerbsminderungsrente oder eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen möchten. Der Zeitpunkt der Erwerbsminderung kann nicht selbstständig bestimmt werden im Gegensatz zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente.
Der Tatbestand der Erwerbsminderung wird auch heute bereits durch die Rentenversicherungsträger verbindlich festgelegt. Wer erwerbsgemindert ist, kann seinen Lebensunterhalt nicht mehr durch eine Erwerbstätigkeit sichern. Wer eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nimmt, kann dies sehr wohl, da er ja nicht verpflichtet ist, vorzeitig in Altersrente zu gehen.
Daher ist hier eine unterschiedliche Behandlung bei den Rentenabschlägen berechtigt und angemessen.
Hilfsempfehlung zu Ziffer 1:
2. Zu den Abschlägen bei Erwerbsminderungsrenten:
Der Bundesrat ist der Ansicht, dass weitere Maßnahmen erforderlich sind, um die Absicherung von erwerbsgeminderten Menschen zu verbessern. Insbesondere die Abschaffung der Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten sollte geprüft werden.
Begründung:
Für sich genommen ist die Maßnahme der Anhebung der Zurechnungszeit nicht ausreichend, vielmehr sollte auch die Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten geprüft werden. Denn die Abschläge verfehlen bei den Erwerbsminderungsrenten ihren Sinn und Zweck, die Vorteile eines längeren Rentenbezugs auszugleichen. Anders als bei einer Regelaltersrente kann eine erwerbsgeminderte Person den Zeitpunkt ihres Renteneintritts nämlich nicht frei wählen. Der Renteneintritt ist vielmehr auf die - amtlich durch Feststellung der Erwerbsminderung bestätigte - Verschlechterung des Gesundheitszustandes zurückzuführen.
Die Abschläge führen für den weit überwiegenden Teil der Erwerbsgeminderten zu Rentenkürzungen von durchschnittlich rund 10 Prozent. Die Abschaffung der Abschläge hätte damit für den Großteil der erwerbsgeminderten Menschen eine beträchtliche Rentensteigerung zur Folge und würde die Abhängigkeit von Grundsicherungsleistungen verringern.
3. Zum Gesetzentwurf allgemein:
- a) Der Bundesrat teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass erwerbsgeminderte Menschen unbedingt besser gegen Armut geschützt werden müssen. Die schrittweise Anhebung der Zurechnungszeit von 62 Lebensjahren auf das vollendete 65. Lebensjahr ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen.
- b) Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Zugangsvoraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente vereinfacht werden sollten. Die geltende Regelung, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen müssen, stellt eine zu hohe Zugangshürde dar.
Begründung:
Zu Buchstabe a:
Verbesserungen bei der Absicherung erwerbsgeminderter Menschen sind dringend geboten. Während im Jahr 2014 nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund lediglich 2,5 Prozent der Altersrentnerinnen und Altersrentner auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen war, betrug der Anteil bei Erwerbsminderungsrentnerinnen und Erwerbsminderungsrentnern nahezu 15 Prozent. Hinzu kommt, dass derzeit in der zweiten und dritten Säule oftmals nicht von einer ausreichenden Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos ausgegangen werden kann.
Die Anhebung der Zurechnungszeit führt zu einer Erhöhung der Zahlbeträge bei Erwerbsminderungsrenten und ist deshalb zu begrüßen.
Zu Buchstabe b:
Im Übrigen sollten die Zugangsvoraussetzungen zu einer Erwerbsminderungsrente herabgesetzt werden. Die geltende Regelung, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre mit Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen müssen, sollte modifiziert werden. Bei nicht abgesicherten Selbstständigen, Hausfrauen und insbesondere auch beim Wechsel des Beschäftigungsstatus kann diese sogenannte "Drei aus Fünf"-Regelung zum Verlust des Erwerbsminderungsschutzes führen. Eine Möglichkeit könnte zum Beispiel sein, eine weitere alternative Zugangsvoraussetzung "20 Beitragsjahre" einzuführen: neben den Erwerbsgeminderten, die die Voraussetzungen der "Drei aus Fünf"-Regelung erfüllen, hätten dann auch Versicherte mit 20 Beitragsjahren Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente.
4. Zum Gesetzentwurf allgemein:
Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem Entwurf des EM-Leistungsverbesserungsgesetzes zielgenau die rentenrechtliche Absicherung von Menschen mit verminderter Erwerbsfähigkeit als armutsgefährdete Personengruppe verbessert. Hierdurch wird ein Beitrag zur Verringerung von Altersarmut geleistet.
Die nur für Neurentner vorgesehene Erhöhung der Zurechnungszeit geht jedoch nicht weit genug. Es sind weitere Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner erforderlich.
Der Bundesrat bittet daher, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Regelung aufzunehmen, wonach ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aufgrund der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht vor Ablauf einer gewissen Übergangsfrist entfällt.
Begründung:
Zum 1. Juli 2017 werden aufgrund des Flexirentengesetzes die Hinzuverdienstregelungen sowohl von Alters-, als auch von Erwerbsminderungsrentnern verbessert. Hierdurch können niedrige Renten aufgestockt und gleichzeitig eine bessere Wiedereingliederung von Erwerbsminderungsrentnern in die Arbeitswelt ermöglicht werden. Allerdings sollte das Risiko der Anspruchsberechtigten, ihren Anspruch auf Erwerbsminderungsrente durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu verlieren, abgefedert werden. Ihnen sollte eine gewisse Zeit der Arbeitserprobung eingeräumt werden, bevor der Rentenanspruch wegfällt. Andernfalls wären Bemühungen der Versicherten um ihre Wiedereingliederung in das Erwerbsleben für diese zu riskant.
B
- 5. Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Finanzausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.