Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht

A. Problem und Ziel

Im Herbst 2017 wurde bekannt, dass ein damals neunjähriger Junge aus Staufen nicht nur von seiner Mutter und ihrem Freund auf schwerste Weise sexuell missbraucht, sondern auch über das Darknet weiteren Männern gegen Geld zu diesem Zweck angeboten und von diesen missbraucht worden war.

Dieser sogenannte "Staufener Missbrauchsfall" hat in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit gefunden und neben der Frage, ob von den beteiligten staatlichen Institutionen Fehler gemacht wurden, zu der Frage geführt, ob und gegebenenfalls wie die bestehenden Verfahren des Kinderschutzes verbessert werden können, um Kindern und Jugendlichen größtmöglichen Schutz zu bieten.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat zu diesem Zweck eine "Kommission Kinderschutz" eingesetzt, um die Verfahren des Kinderschutzes auf allen Ebenen zu analysieren und mögliche Handlungsbedarfe herauszuarbeiten.

B. Lösung

Die "Kommission Kinderschutz" der Landesregierung hat über hundert Einzelempfehlungen zur Verbesserung und Weiterentwicklung des Kinderschutzes erarbeitet und der Öffentlichkeit am 17. Februar 2020 in einem Abschlussbericht vorgestellt. Die Empfehlungen, die einen Bezug zum familienrechtlichen Verfahren aufweisen, enthalten unter anderem Vorschläge zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Vorschläge zur Änderung des FamFG umgesetzt werden.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Keiner.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Keine.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Auf Bundesebene entsteht der Verwaltung kein Erfüllungsaufwand.

Auf Landesebene ergibt sich ein nicht quantifizierbarer und gemessen an der Bedeutung der Aufgabe unerheblicher zusätzlicher Erfüllungsaufwand der Verwaltung.

F. Weitere Kosten

Den Ländern entstehen durch den zu erwartenden Mehraufwand bei den Familiengerichten und die Mehrkosten für die Bestellung von Verfahrensbeiständen Kosten, deren Gesamthöhe nicht quantifiziert werden kann. Die Einzelkosten je zusätzlicher Anhörung bzw. Verschaffung eines persönlichen Eindrucks betragen ca. 60 Euro in der ersten Instanz und ca. 180 Euro in der zweiten Instanz. Die Einzelkosten je zusätzlicher Bestellung eines Verfahrensbeistands belaufen sich auf ca. 350 Euro je Rechtszug. Diese sind im Interesse verbesserten Rechtsgüterschutzes zu tragen.

Das vorgesehene Gesetz wirkt sich nicht auf die Einzelpreise, das allgemeine Preisniveau und insbesondere nicht auf das Verbraucherpreisniveau aus.

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht

Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen

Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:

2. § 158 wird wie folgt geändert:

3. § 159 wird wie folgt geändert:

4. Nach § 160 wird folgender § 160a eingefügt:

" § 160a Anhörung Dritter

Erscheint dies nach den Umständen veranlasst, soll das Gericht auch dritte Personen persönlich anhören."

5. § 162 wird wie folgt geändert:

6. § 163 wird wie folgt geändert:

7. In § 166 wird nach Absatz 2 folgender Absatz 2a eingefügt:

(2a) Wird eine Anordnung nach § 1666 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs getroffen, hat das Gericht in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen, ob die Anordnung umgesetzt wurde und die Maßnahme wirksam ist."

8. In § 213 Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe " § 2" durch die Wörter "den §§ 1 und 2" ersetzt und werden nach dem Wort "Haushalt" die Wörter "der verletzten Person oder der Täterperson" eingefügt.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Im Herbst 2017 wurde bekannt, dass ein damals neunjähriger Junge aus Staufen nicht nur von seiner Mutter und ihrem Freund auf schwerste Weise sexuell missbraucht, sondern auch über das Darknet weiteren Männern gegen Geld zu diesem Zweck angeboten und von diesen missbraucht worden war.

Dieser sogenannte "Staufener Missbrauchsfall" hat in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit gefunden und neben der Frage, ob von den beteiligten staatlichen Institutionen Fehler gemacht wurden, zu der Frage geführt, ob und gegebenenfalls wie die bestehenden Verfahren des Kinderschutzes verbessert werden können, um Kindern und Jugendlichen größtmöglichen Schutz zu bieten.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat die Erkenntnisse aus den Ereignissen daher zum Anlass genommen, eine "Kommission Kinderschutz" einzusetzen, um die Verfahren des Kinderschutzes auf allen Ebenen zu analysieren und mögliche Handlungsbedarfe herauszuarbeiten.

Die "Kommission Kinderschutz" hat über hundert Einzelempfehlungen zur Verbesserung und Weiterentwicklung des Kinderschutzes erarbeitet. Die Empfehlungen, die einen Bezug zum familienrechtlichen Verfahren aufweisen, enthalten unter anderem Vorschläge zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Vorschläge zur Änderung des FamFG umgesetzt werden.

II. Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs

Den Vorschlägen der "Kommission Kinderschutz" zur Änderung des FamFG liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Grundvoraussetzung einer tragfähigen Entscheidung des Familiengerichts neben der Einhaltung der Verfahrensregeln die umfassende Ermittlung des Sachverhalts und - bei Feststellung einer Gefährdung des Kindeswohls - die Anordnung geeigneter Maßnahmen sowie deren Wirksamkeitskontrolle ist.

Die Einbeziehung von und Befassung mit dem jeweils betroffenen Kind soll gestärkt werden, und zwar auch dann, wenn dieses sich altersbedingt noch nicht hinreichend verbal mitteilen kann.

Der Informationsaustausch zwischen Gericht und Jugendamt soll gestärkt werden.

Das Gericht soll ausdrücklich verpflichtet werden, mit dem Jugendamt auch die Umsetzbarkeit und die Umsetzung geplanter Maßnahmen zu erörtern.

Es soll klargestellt werden, dass das Gericht Anordnungen nach § 1666 Absatz 3 BGB in angemessenen Zeitabständen darauf zu überprüfen hat, ob diese umgesetzt wurden und sich als wirksam erweisen

Zusätzlich sollen die Möglichkeiten des Familiengerichts, den Sachverhalt durch die Anhörung Dritter näher aufzuklären sowie sich sachverständig beraten und unterstützen zu lassen, stärker herausgestellt werden.

Weiter soll das Institut der Verfahrensbeistandschaft durch eine Streichung des Regelvorbehalts in § 158 FamFG gestärkt werden.

III. Alternativen

Keine.

IV. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes ("gerichtliches Verfahren").

V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.

VI. Gesetzesfolgen

1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung

Der Gesetzentwurf sieht an mehreren Stellen vor, dass Anforderungen an das Verfahren in Kindschaftssachen, die in Rechtsprechung und Literatur unstreitig sind, sich aber nicht hinreichend deutlich aus dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften ergeben, ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen werden. Hierdurch wird die Rechtsanwendung durch die Gerichte vereinfacht und die Transparenz für die Verfahrensbeteiligten erhöht.

2. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Ein effektiver Kinderschutz ist ein wesentlicher Teil des Leitprinzips 5 "Sozialen Zusammenhalt in einer offenen Gesellschaft wahren und verbessern" der in der Aktualisierung 2018 der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie niedergelegten Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung.

3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

4. Erfüllungsaufwand

a) Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

b) Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft entsteht kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

c) Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Der Verwaltung des Bundes entsteht durch das Gesetz kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

Bei den Verwaltungen der Länder ist mit einem zusätzlichen Erfüllungsaufwand im Zusammenhang mit der Einbindung der Jugendämter auch in Verfahren nach § 1 des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG) gemäß § 213 Absatz 1 Satz 1 FamFG zu rechnen. Die damit verbundenen Mehrkosten sind allerdings nicht quantifizierbar. Insbesondere sind Angaben zu den den Jugendämtern je einzelnem Fall entstehenden Kosten nicht möglich, da die Kosten stark von der individuellen Fallgestaltung abhängig sind. Insgesamt dürften die Mehrkosten gemessen an der Bedeutung der Aufgabe unerheblich sein. Bei einem Teil der Verfahren gemäß § 1 GewSchG wird die Familie dem Jugendamt bereits bekannt sein. Für die übrigen Verfahren gilt, dass es für das Jugendamt unerheblich ist (und auch sein muss), woher ein Hinweis auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung kommt.

5. Weitere Kosten

Die vorgesehenen Regelungen bringen in vielen Bereichen Klarstellungen zu den bereits derzeit in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Vorgaben für das gerichtliche Verfahren in Kindschaftssachen. Insoweit ist kein relevanter Mehraufwand bei den Familiengerichten zu erwarten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Familiengerichte sich aufgrund der Regelung des § 159 Absatz 2 FamFG künftig noch häufiger gehalten sehen werden, Kindesanhörungen durchzuführen oder sich zumindest einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen. Zudem ist anzunehmen, dass es aufgrund der Änderung von § 158 Absatz 2 FamFG zu einer geringfügig höheren Zahl von Verfahrensbeistandsbestellungen kommen wird. Die hiermit insgesamt verbundenen Kosten können nicht substanziell quantifiziert werden, auch weil keine belastbaren Daten zur bisherigen Handhabung durch die Familiengerichte vorliegen. Daher ist nur folgende Schätzung des Mehraufwands möglich:

Die Einzelkosten je zusätzlicher Anhörung betragen ca. 60 Euro in erster Instanz und ca. 180 Euro in zweiter Instanz. Das ergibt sich aus folgender Berechnung: Der dem zuständigen Richter bzw. den zuständigen Richtern entstehende Zeitaufwand für eine Anhörung dürfte inklusive Vor- und Nachbereitung durchschnittlich etwa eine Stunde ausmachen. Die Lohnkosten für ein Mitglied des höheren Justizdienstes in den Ländern betragen nach der Lohnkostentabelle Verwaltung (vgl. Leitfaden zur Ermittlung und Darstellung des Erfüllungsaufwands in Regelungsvorhaben der Bundesregierung, Seite 56) 60,50 Euro, gerundet 60 Euro. In zweiter Instanz sind in Familiensachen gemäß § 119 Nummer 1 Buchstabe a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) die Oberlandesgerichte zuständig, die gemäß § 122 Absatz 1 GVG in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluss des Vorsitzenden entscheiden. Dabei kann für die Zwecke der Berechnung davon ausgegangen werden, dass die Anhörung in zweiter Instanz durch den gesamten Senat durchgeführt wird (vgl. BGH, NJW 2010, 2805, 2808 f., Rn. 40).

Die Einzelkosten je zusätzlicher Bestellung eines Verfahrensbeistands können mit ca. 350 Euro je Rechtszug beziffert werden. Dies entspricht der Fallpauschale, die der Verfahrensbeistand gemäß § 158 Absatz 7 Satz 2 FamFG je Rechtszug erhält, wenn er die Verfahrensbeistandschaft - wie in der Praxis regelmäßig der Fall - berufsmäßig führt. Mit dieser Pauschale sind anlässlich der Verfahrensbeistandschaft entstandene Aufwendungen sowie die auf die Vergütung anfallende Umsatzsteuer abgegolten, § 158 Absatz 7 Satz 4 FamFG. Die erhöhte Vergütung im Fall der Übertragung zusätzlicher Aufgaben gemäß § 158 Absatz 7 Satz 3 FamFG wird nicht in Ansatz gebracht, da für die Zwecke der Berechnung davon ausgegangen wird, dass in den Fällen, in denen dem Verfahrensbeistand zusätzliche Aufgaben übertragen werden, schon bisher eine Bestellung erfolgte.

Das Gesetz wirkt sich nicht auf die Einzelpreise, das allgemeine Preisniveau und insbesondere nicht auf das Verbraucherpreisniveau aus.

6. Weitere Gesetzesfolgen

Die Auswirkungen auf junge Menschen zwischen zwölf und 27 Jahren (Jugend-Check) wurden überprüft und positiv beurteilt.

VII. Befristung

Keine.

VIII. Evaluierung

Eine gesonderte Evaluierung ist nach der Konzeption zur Evaluierung neuer Regelungsvorhaben nicht erforderlich.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit)

Zu Nummer 1 (Änderung der Inhaltsübersicht)

Zu Buchstabe a (Angabe zu § 160a)

Folgeänderung zu Nummer 4.

Zu Buchstabe b (Angabe zu § 163)

Folgeänderung zu Nummer 6.

Zu Nummer 2 (§ 158 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 3 FamFG)

Die Generalklausel in § 158 Absatz 1 FamFG wird in § 158 Absatz 2 FamFG durch Regelbeispiele präzisiert, die als Orientierung zur Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit in § 158 Absatz 1 FamFG dienen. Die Bestellung ist also in den in § 158 Absatz 2 FamFG genannten Konstellationen "in der Regel" erforderlich. Jedoch erscheint es in diesen Konstellationen generell sinnvoll, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Zudem birgt der Regelvorbehalt die Gefahr, dass die Bestellung von Verfahrensbeiständen infolge fehlerhafter Rechtsanwendung auch in Fällen unterbleibt, in denen die Erforderlichkeit eindeutig zu bejahen ist. Gleichzeitig soll das durch Streichung des Regelvorbehalts zumindest denkbare Auslegungsergebnis vermieden werden, dass es sich bei der Aufzählung der Fälle in Absatz 2 um eine abschließende handeln könnte. Daher werden die Wörter "in der Regel" in § 158 Absatz 2 FamFG durch das Wort "insbesondere" ersetzt.

Damit bedarf es auch nicht mehr der Regelung des § 158 Absatz 3 Satz 3 FamFG, die ersatzlos entfällt.

Zu Nummer 3 (§ 159 FamFG)

Zu Buchstabe a (§ 159 Absatz 2 FamFG)
Zu Doppelbuchstabe aa (§ 159 Absatz 2 Satz 1 FamFG)

In Rechtsprechung und Literatur ist unstreitig, dass in Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls regelmäßig der betroffene Minderjährige anzuhören ist (vgl. BGH NJW 2016, 2497, 2501, Rn. 44; BeckOK FamFG/Schlünder, 34. Ed. Stand 1.4.2020, § 159 Rn. 4; Büte, in: Familienrecht, FamFG § 159 Rn. 5, beckonline). Dies ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 159 Absatz 2 FamFG. Um zu vermeiden, dass aus diesem Grund die Anhörung eines Minderjährigen in einem Kinderschutzverfahren unterbleibt, wird der Wortlaut des § 159 Absatz 2 FamFG entsprechend um Verfahren, die die Gefährdung des Kindeswohls betreffen, ergänzt.

Zu Doppelbuchstabe bb (§ 159 Absatz 2 Satz 2 und 3 - neu - FamFG)

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, FamRZ 2008, 246, 247) kann ein Minderjähriger bereits mit dem dritten Lebensjahr anzuhören sein. Gerade Minderjährige jungen Alters sind indes - je nach dem Stand ihrer Sprachentwicklung - noch nicht in der Lage, ihre Beziehungen und Bindungen zu ihren Eltern sowie ihren Willen dem Gericht verbal mitzuteilen.

Vor diesem Hintergrund wird in § 159 Absatz 2 Satz 3 FamFG für die Verfahren nach § 1666 und § 1666a BGB (Kindewohlgefährdung) vorgesehen, dass sich das Gericht auch von Minderjährigen, die sich im Rahmen einer Anhörung noch nicht oder zumindest nicht hinreichend verbal mitteilen können, einen unmittelbaren Eindruck verschafft. Diesem persönlichen Eindruck kommt in Verfahren wegen Kindeswohlgefährdungen eine besondere Bedeutung zu, kann dieser doch wichtige Anhaltspunkte über die Situation und den Zustand des Kindes liefern. Im Einzelfall kann es dabei sachdienlich sein, dass sich das Gericht den persönlichen Eindruck auch in der persönlichen Umgebung des Kindes verschafft.

Zu Buchstabe b (§ 159 Absatz 3 FamFG)
Zu Doppelbuchstabe aa (§ 159 Absatz 3 Satz 1 FamFG)

Durch die Änderung wird klargestellt, dass die restriktiven Voraussetzungen für ein Absehen von der persönlichen Anhörung auch für ein Absehen von der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks gelten. Die Einfügung des Wortes "nur" verdeutlicht den Ausnahmecharakter eines solchen Vorgehens.

Zu Doppelbuchstabe bb (§ 159 Absatz 3 Satz 2 und 3 - neu - FamFG)

Will das Gericht aus schwerwiegenden Gründen von der Anhörung des Kindes absehen (§ 159 Absatz 3 Satz 1 FamFG), müssen nach ständiger Rechtsprechung die Gründe hierfür in der Entscheidung umfassend dargelegt werden (vgl. BVerfG FamRZ 2002, 229; BGH, BeckRS 2010, 5212; OLG Brandenburg BeckRS 2014, 07026; OLG Köln, FPR 2001, 393). Im Gegensatz zu § 158 Absatz 3 Satz 3 FamFG ist diese Begründungspflicht in § 159 FamFG aber nicht explizit geregelt. Für diese Unterscheidung gibt es keine erkennbaren Gründe. Die Begründungspflicht wird daher nunmehr auch hier gesetzlich geregelt und damit hervorgehoben. Sie bezieht sich sowohl auf das Absehen von der Anhörung des Kindes als auch auf das Absehen vom Verschaffen eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

Zu Nummer 4 (§ 160a - neu - FamFG)

Eine Verpflichtung des Gerichts zur Anhörung Dritter ist derzeit nur in sehr beschränktem Umfang in den Verfahrensvorschriften betreffend die Kindschaftssachen (§§ 151 ff. FamFG) ausdrücklich geregelt. Nicht ausdrücklich normiert ist insbesondere, wie es sich mit Personen verhält, die in einem Haushalt mit dem Minderjährigen leben oder auf andere Art und Weise eine Bezugsperson des Minderjährigen darstellen. Zwar wäre auch die Anhörung einer solchen Person über die Anwendung des § 26 FamFG gegebenenfalls veranlasst. Um in diesen Fällen aber die Möglichkeit und gegebenenfalls auch bestehende Pflicht zur Anhörung eines Dritten zu verdeutlichen, wird dies mit dem neu geschaffenen § 160a FamFG explizit in das Regelungswerk des FamFG aufgenommen.

Zu Nummer 5 (§ 162 FamFG)

Zu Buchstabe a (§ 162 Absatz 1 Satz 2 - neu - FamFG)

Um sicherzustellen, dass das Gericht tatsächlich geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr trifft, wird klarstellend ausdrücklich eine Pflicht des Gerichts in das Verfahrensrecht aufgenommen, mit dem Jugendamt die Umsetzbarkeit und die Umsetzung der jeweiligen Maßnahme zu erörtern, bevor es eine entsprechende Anordnung trifft. Im Hinblick auf die Umsetzbarkeit und die Umsetzung einer Maßnahme ist dabei auch zu erörtern, wer die Umsetzung in regelmäßigen Abständen überprüft. Eine solche Erörterung kann - wie dies bereits jetzt in der Praxis häufig der Fall sein wird - im Rahmen der Anhörung nach § 162 FamFG erfolgen.

Zu Buchstabe b (§ 162 Absatz 2 Satz 3 - neu - FamFG)

Vor dem Hintergrund der Stellung des Jugendamts als Verfahrensbeteiligter in Verfahren gemäß §§ 1666, 1666a BGB (§ 162 Absatz 2 Satz 1 FamFG) muss gewährleistet sein, dass das Familiengericht vor seiner Entscheidung Tatsachen an das Jugendamt übermittelt, die für das Jugendamt nicht zugänglich, für die Wahrnehmung seiner Stellung als Verfahrensbeteiligter aber erforderlich sind. Dem dient die Änderung.

Zu Nummer 6 (§ 163 Überschrift und Absatz 3 FamFG)

Die Möglichkeit des Gerichts, nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen einen Sachverständigen nicht nur zur Begutachtung, sondern auch als Berater und Unterstützer (etwa auch im Rahmen einer schwierigeren Kindesanhörung) heranzuziehen, besteht nach herrschender Auffassung bereits nach geltendem Recht. Hiervon wird jedoch nur zurückhaltend Gebrauch gemacht, obwohl dies gerade in Kinderschutzverfahren wünschenswert sein kann. Es wird daher nun in § 163 FamFG deutlicher als bisher geregelt, dass sich das Gericht zur fachlichen Unterstützung der besonderen Sachkunde von Sachverständigen auch unabhängig von einer Beweisaufnahme verfahrensbegleitend zu Beratungszwecken bedienen kann. Eine entsprechende Verdeutlichung ist in § 144 ZPO durch das Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 erfolgt (vgl. Einzelbegründung zu Artikel 2 Nummer 6 des Gesetzentwurfes auf BR-Drucksache 366/19 (PDF) , Seite 014/15 (PDF) ).

Zu Nummer 7 (§ 166 Absatz 2a - neu - FamFG)

Aus dem Wortlaut des § 166 Absatz 2 FamFG ist nicht erkennbar, ob die Überprüfung von nach § 1666 Absatz 3 BGB angeordneten Maßnahmen lediglich mit Blick auf deren mögliche Aufhebung oder auch mit Blick auf ihre Einhaltung oder mögliche Erweiterung erfolgen soll. Durch die Regelung soll nämlich eigentlich sichergestellt werden, dass die Verhältnismäßigkeit der gerichtlichen Maßnahme regelmäßig überwacht und diese bei Wegfall der Kindesschutzgründe gem. § 166 Absatz 1 FamFG i.V.m. § 1696 Absatz 2 BGB aufgehoben wird (vgl. Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, 4 Aufl. 2018, § 166 Rn. 15; Völker/Clausius/Wagner, in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3 Aufl. 2015, Rn. 3, beckonline; Kemper, in: Saenger, Zivilprozessordnung, 8 Aufl. 2019, Rn. 4, beckonline; Zorn, in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Aufl. 2018, Rn. 10; vgl. auch BR-Drucksache 309/07 (PDF) , S. 539 f.). Es wird daher nun zumindest klarstellend im neuen Absatz 2a die Verpflichtung des Familiengerichts aufgenommen, eine entsprechende Anordnung in angemessenen Zeitabständen auch daraufhin zu überprüfen, ob sie umgesetzt wurde und die Maßnahme wirksam ist.

Zu Nummer 8 (§ 213 Absatz 1 Satz 1 FamFG)

Entscheidungen nach § 1 GewSchG müssen nach der Regelung des § 213 Absatz 2 FamFG derzeit nicht den Jugendämtern mitgeteilt werden. Auch eine Anhörung des Jugendamts in Verfahren nach § 1 GewSchG ist in § 213 Absatz 1 FamFG nicht vorgesehen. Auch in diesen Fällen können jedoch Kinder und Jugendliche, die mit der verletzten Person oder der Täterperson in einem Haushalt leben, mittelbar betroffen sein, weshalb § 213 entsprechend geändert wird (vgl. hierfür bereits Staudinger/Dürbeck (2019) BGB § 1684, Rn. 324).

Von einer gelegentlichen Ersetzung der Formulierung "wenn Kinder in dem Haushalt leben" durch die präzisere Formulierung "wenn mindestens ein Kind in dem Haushalt lebt" (vgl. Keidel, FamFG, FamFG § 213 Rn. 2, beckonline; BeckOK FamFG/Schlünder, 34. Ed. 1.4.2020, FamFG § 213 Rn. 3; Haußleiter, FamFG, FamFG § 213 Rn. 9, beckonline) ist abgesehen worden. Dadurch wären Folgeänderungen etwa in § 212 FamFG, § 2 Absatz 6 Satz 2 GewSchG und § 1361b Absatz 1 Satz 2 BGB erforderlich geworden. Das vorliegende Gesetz soll jedoch bewusst auf die Umsetzung der Empfehlungen der "Kommission Kinderschutz" beschränkt werden.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Um eine zeitnahe Umsetzung der Reform zu ermöglichen, ist ein Inkrafttreten zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich am Tag nach der Verkündung, vorgesehen.