A. Problem und Ziel
Polygamie ist in Deutschland verboten, § 1306 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Sie widerspricht den auf Gleichberechtigung ausgelegten Grundwerten unserer Rechtsordnung. Trotz dieses Verbots existieren nach gegenwärtiger Rechtslage in Deutschland gelebte Mehrehen dann, wenn sie nach ausländischem Recht geschlossen wurden.
Der Umgang mit Mehrehen in Deutschland ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Gemäß Artikel 13 Absatz 1 des Einführungsgesetzes des Bürgerlichen Gesetzbuches (EGBGB) entscheidet sich die Frage, ob eine polygame Verbindung wirksam ist, grundsätzlich nach dem Heimatrecht der Eheschließenden. Bei Eheschließungen von Flüchtlingen in Flüchtlingslagern kann gemäß Artikel 12 des Genfer UN-Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vorrangig das Recht des Aufnahmestaats maßgeblich sein. Ausländisches Recht ist, wie in anderen Rechtsordnungen grundsätzlich auch, dann unanwendbar, wenn seine Anwendung im Einzelfall mit wesentlichen Grundsätzen des inländischen Rechts offensichtlich unvereinbar ist ( Artikel 6 EGBGB). Dieser sogenannte ordrepublic-Vorbehalt wird im hier maßgeblichen Fall der Mehrehe uneinheitlich angewandt.
Nachdem im Zuge des Flüchtlingszustroms vermehrt Mehrehen in Deutschland zu verzeichnen sind, wird die fehlende gesetzliche Regelung und die damit verbundene Unsicherheit zunehmend als unbefriedigend empfunden.
Ziel ist es daher, Rechtsklarheit und -sicherheit im Umgang mit Mehrehen zu schaffen.
B. Lösung
Mit dem Entwurf wird die Anwendbarkeit deutschen Rechts für die Aufhebung polygamer Verbindungen angeordnet. Haben die Ehepartner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so ist deren Ehe wie eine nach deutschem Recht geschlossene grundsätzlich aufzuheben. Die Aufhebung kann dabei auch von der zuständigen Verwaltungsbehörde beantragt werden.
C. Alternativen
Keine.
D. Erfüllungsaufwand
D.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Keiner.
D.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Keiner.
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Keine.
D.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Auf Bundesebene entsteht der Verwaltung kein Erfüllungsaufwand.
Durch die klaren Vorgaben werden die Einzelfallprüfungen von im Ausland geschlossenen Mehrehen für die Verwaltungsbehörden und die Gerichte vereinfacht.
Dem steht möglicherweise ein erhöhter Verwaltungsaufwand gegenüber, da aufgrund der Anwendbarkeit deutschen Rechts zukünftig mehr gerichtliche Aufhebungsverfahren durchgeführt werden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Einsparungen und der Mehraufwand in etwa ausgleichen.
E. Sonstige Kosten
Keine.
Gesetzesantrag des Freistaates Bayern
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe
Der Bayerische Ministerpräsident München, 5. Juni 2018
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung wird der als Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe mit dem Antrag übermittelt, dass der Bundesrat diesen gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG im Bundestag einbringen möge.
Es wird gebeten, die Vorlage auf die Tagesordnung der 968. Sitzung des Bundesrates am 8. Juni 2018 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Söder
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen
Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
In § 1310 Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist, wird nach den Wörter "Artikel 13 Absatz 3" die Angabe "oder 4" eingefügt.
Artikel 2
Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche
Artikel 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 4 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Nach Absatz 3 wird folgender Absatz 4 eingefügt:
(4) Haben beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nach deutschem Recht aufzuheben, wenn bei der Eheschließung zwischen einem der Ehegatten und einer dritten Person bereits eine Ehe oder Lebenspartnerschaft bestand."
2. Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5.
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Rechtliche Ausgangssituation
Polygamie ist in Deutschland verboten, § 1306 BGB. Eine gegen dieses Verbot geschlossene Ehe ist aufhebbar (§§ 1313 ff. BGB). Die Aufhebung kann gemäß § 1316 Absatz 1 Nr. 1 BGB von (sämtlichen) Ehegatten und von der zuständigen Verwaltungsbehörde (auch gegen den Willen der Ehegatten) beantragt werden. Zuständige Behörde in Bayern ist die Regierung von Mittelfranken, die in Polygamiefällen die Aufhebung beantragen "soll" (§ 1316 Absatz 3 BGB), wenn "nicht die Aufhebung der Ehe für einen Ehegatten oder für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint."
In islamischen Ländern werden Mehrehen hingegen teilweise akzeptiert. Dies gilt insbesondere in Syrien, mit Einschränkungen zum Beispiel auch in Ägypten, Afghanistan und Pakistan (Coester/Coester-Waltjen, "Polygame Verbindungen und deutsches Recht", FamRZ 2016, 1618).
Eine im Ausland nach dem Heimatrecht der Parteien wirksam geschlossene polygame Ehe wird nach allgemeiner Meinung in Deutschland anerkannt (Staudinger/Mankowski, Neubarbeitung 2010, Artikel 13 EGBGB, Rz. 251 m. w. N.). Die einmal wirksam geschlossene Ehe darf nach herrschender Meinung auch dann in Deutschland fortgesetzt werden, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland verlegen (Staudinger/Mankowski a.a.O. - a. A. AG Hanau, das bei starkem Inlandsbezug die Ehe auf Antrag der Verwaltungsbehörde wegen ordrepublic-Verstoßes aufgehoben hat (Entscheidung vom 7. Juni 2002 - 60 F 1451/01 E1 -)).
Zu der Frage, ob sich in einem solchen Fall auch die Frauen an der Ehe festhalten lassen müssen, findet sich in Rechtsprechung und Literatur wenig. Zum Teil wird die Meinung vertreten, dass bei starker Inlandsberührung (gewöhnlicher Aufenthalt) der Frau gestattet werden müsse, sich aus dieser Eheverbindung zu lösen und die Ehe daher aufzuheben sei (Staudinger/Mankowski, a. a. O. Rz. 255).
In Deutschland selbst kann eine polygame Ehe trotz eigentlich anwendbarem Heimatrecht nach herrschender Meinung nicht eingegangen werden, da einer solchen Eheschließung das in Artikel 6 GG verankerte Prinzip der Einehe entgegensteht. Dies ist aber nicht unumstritten, es gibt abweichende Literaturmeinungen (siehe hierzu Staudinger/Mankowski, a. a. O. Rz. 252).
Haben polygame Ehepartner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, kann nach aktuellem Recht wohl jede Ehefrau die Aufhebung der Ehe beantragen. Ein Eingreifen einer Behörde ist nach herrschender Meinung allerdings nicht möglich. Insgesamt existieren viele Unsicherheiten, da klare gesetzliche Regelungen fehlen.
II. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelung
In Deutschland ist Polygamie verboten, ihre Eingehung nach § 172 StGB strafbar. Es wird gesellschaftlich kritisch gesehen, wenn aufgrund der Anwendbarkeit ausländischen Rechts trotz dieser klaren gesetzlichen Werteaussage in Deutschland polygame Ehen gelebt werden. Ziel des Entwurfs ist es daher, auch für ausländische Mehrehen deutsches Aufhebungsrecht zur Anwendbarkeit zu bringen, um zum einen die in der Praxis bestehenden Unsicherheiten zu beseitigen und zum anderen auch dem Staat in Form der antragstellenden Behörde die Möglichkeit zu geben, bei Mehrehen einzugreifen. Darüber hinaus soll klargestellt werden, dass in Deutschland keine polygamen Ehen geschlossen werden können.
Zur Erreichung dieses Ziels ist ein milderes Mittel nicht ersichtlich. Zwar existieren in bestimmten Spezialgesetzen wie zum Beispiel im Aufenthaltsrecht oder im Sozialrecht Sonderregelungen für die Behandlung von Mehrfachehen. Diese Einzelregelungen sind aber zur Durchsetzung der gesetzlichen Werteaussage nicht geeignet. Hierfür muss die Ehe in ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit angegriffen werden.
Dies geschieht im vorliegenden Fall durch Verweis auf die deutschen Aufhebungsvorschriften, die ein in sich austariertes System enthalten. Danach sind Mehrehen grundsätzlich aufzuheben, da deren Verbot im öffentlichen Interesse liegt und diese somit nicht heilbar sind (vgl. BeckOK BGB/Hahn, Stand: 01.11.2017, § 1315 Rn. 1; MüKo BGB/Wellenhofer, 7. Auflage, § 1315 Rn. 1). Verfassungsmäßigen Bedenken im Einzelfall kann mittels der in §§ 1315, 1316 BGB geregelten Ausschlussgründen und Härtefallklauseln Rechnung getragen werden.
III. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs
Der Entwurf ändert durch den neuen Absatz 4 des Artikels 13 EGBGB das internationale Privatrecht, so dass im Ausland geschlossene Mehrehen künftig nach deutschem Recht grundsätzlich aufzuheben sind. Voraussetzung dafür ist, dass beide Ehepartner in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Ist dies der Fall, richtet sich die Frage der Aufhebbarkeit nach deutschem Recht.
Damit werden im Ausland geschlossene Mehrehen genauso behandelt, wie in Deutschland unter Verstoß gegen § 1306 BGB geschlossene Ehen; die Aufhebungsvorschriften der §§ 1313 ff. BGB finden Anwendung. Die Berechtigung zur Stellung eines Aufhebungsantrags steht damit neben den beteiligten Ehepartnern auch der durch Rechtsverordnung der Landesregierungen bestimmten Behörde zu.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für ein Aufhebungsverfahren bestimmt sich nach Artikel 3 ff. der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000. Diese Verordnung sieht eine Reihe alternativer Gerichtsstände vor.
Nach Artikel 3 Buchstabe a erster Spiegelstrich dieser Verordnung sind insbesondere die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
IV. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderungen des BGB und des EGBGB folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 (das bürgerliche Recht) in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 1 GG.
VI. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen
Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und den völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat, vereinbar.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
Die Änderung des § 1310 Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 soll dem Standesbeamten ermöglichen, die Mitwirkung an der Eheschließung zu verweigern, wenn eine Aufhebung nach Artikel 13 Absatz 4 EGBGB-E in Betracht kommt.
Zu Artikel 2 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche)
Für die Aufhebung im Ausland geschlossener polygamer Verbindungen gilt zukünftig deutsches Recht, wenn beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Angesichts des Eingriffs in ein Statusverhältnis und unter Beachtung der Problematik hinkender Rechtsverhältnisse erfordert die Verhältnismäßigkeit, dass beide Ehepartner in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Aufenthaltsort weiterer Ehepartner, zum Beispiel der ersten Ehefrau, ist hingegen für die Anwendbarkeit des neuen Artikel 13 Absatz 4 EGBGB nicht von Belang.
Nachdem es sich bei im Ausland wirksam geschlossenen Ehen um möglicherweise bereits lange gelebte Verbindungen gegebenenfalls mit Kindern handelt, bedarf es eines Aufhebungsverfahrens, um etwaige Härten im Rahmen der bestehenden Ausschlussgründe und Härtefallklauseln angemessen zu berücksichtigen. Für die Versorgung der Ehepartner nach der Aufhebung sieht § 1318 BGB eine angemessene Lösung vor. Eine Nichtigkeit würde den berechtigten wechselseitigen Interessen nicht gerecht.
Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
Artikel 3 regelt das Inkrafttreten.