KOM (2005) 35 endg.; Ratsdok. 6417/05
Übermittelt vom Bundesministerium der Finanzen am 21. Februar 2005 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).
Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 15. Februar 2005 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.
1. Einleitung
Das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls leitet eine neue Phase der internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Klimaänderung ein. Die EU hat damit begonnen, ihre Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und muss nun ihre mittel- und langfristigen Strategien für einen erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel - innerhalb der EU und auf Ebene der internationalen Gemeinschaft - entwickeln. Mehrere EU-Mitgliedstaaten haben bereits auf nationaler Ebene mittel- und langfristige Klimaziele angekündigt oder vorgeschlagen. Mit dieser Mitteilung kommt die Kommission der Aufforderung des Europäischen Rates vom März 2004 nach, "eine Kosten-Nutzen-Analyse zu erstellen, in der sowohl Umweltaspekte als auch Fragen der Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt werden" und die als Ausgangsbasis für Diskussionen über "verschiedene Strategien - einschließlich Zielvorgaben - zur mittel- und langfristigen Emissionsverringerung" dienen sollte. Auf der Grundlage ihrer Analyse gibt die Kommission eine Reihe von Empfehlungen für Komponenten ab, die in den künftigen Strategien der EU zur Klimaänderung enthalten sein sollten, und schlägt für 2005 einen Dialog mit den wichtigsten Partnern vor, um den Standpunkt der EU in künftigen internationalen Verhandlungen vorzubereiten. Der Mitteilung ist außerdem eine Arbeitsunterlage beigefügt, in der genauer auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Szenarien eingegangen wird, die zur Untermauerung der hier vorgestellten Informationen untersucht wurden.
2. DieHerausforderung der Klimaänderung
Die Klimaänderung ist Realität. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts stieg die durchschnittliche Temperatur auf der Erde um ca. 0,6°C, die Durchschnittstemperatur in Europa stieg um mehr als 0,9°C. Global betrachtet lagen die registrierten 10 wärmsten Jahre alle nach 1991. Die Treibhausgaskonzentrationen sind jetzt höher als jemals zuvor in den vergangenen 450 000 Jahren und dürften Projektionen zufolge noch weiter steigen.
Die Ursache sehen die Wissenschaftler mit überwältigend hoher Übereinstimmung in Treibhausgas-Emissionen aus menschlichen Tätigkeiten. Aufgrund von Verzögerungen bei den Klimaprozessen werden die bisherigen Emissionen erst im 21. Jahrhundert zu einem weiteren Temperaturanstieg führen, und die Emissionen dürften in den kommenden Jahrzehnten weiter zunehmen. Folglich dürften die globalen Temperaturen bis zum Jahr 2100 um 1,4 bis 5,8°C steigen (gegenüber den Temperaturen von 1990), und um 2,0 bis 6,3°C in Europa.
Die Klimaänderung muss gebremst und letztendlich gestoppt werden. Auf der Grundlage des 2. Bewertungsberichts des zwischenstaatlichen Gremiums für Klimaänderung (IPPC) erklärte der EU-Ministerrat 1996, dass "die durchschnittlichen globalen Temperaturen nicht über 2 °C über den vorindustriellen Stand hinaus steigen sollten"1. Dieses Ziel von 2°C muss technisch auf die politische Ebene übertragen werden. Es wird oft als atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen dargestellt und in Teile je Million (ppmv) ausgedrückt. Nach jüngsten Forschungsergebnissen bietet ein Wert von 550 ppmv (CO₂-Äquivalent) höchstens eine Chance von 1 zu 6, das Ziel von 2 °C zu erreichen, während die
Chancen für eine Einhaltung des Ziels bei Ansteigen dieses Wertes auf 650 ppmv nur noch 1 zu 16 betragen. Folglich würde die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2 °C sehr wahrscheinlich eine Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen auf einem wesentlich niedrigeren Stand erfordern. Da die Konzentration bereits jetzt über 400 ppmv liegt und im Durchschnitt um 0,5 % pro Jahr ansteigt, würde die Erreichung des Ziels von 2 °C erhebliche globale Emissionssenkungen notwendig machen.
3.Nutzen und Kosten der Eindämmung der Klimaänderung
Immer mehr wissenschaftliche Beweise sprechen dafür, dass der Nutzen einer Begrenzung des durchschnittlichen globalen Temperaturanstiegs auf 2 °C bei weitem höher ist als die Kosten der dafür erforderlichen politischen Maßnahmen (siehe detaillierte Übersichten in Anhang 1 und 2). Steigt die Temperatur um mehr als 2 °C, werden raschere und unvorhersehbare Reaktionen des Klimas wahrscheinlicher und unumkehrbare Katastrophen könnten sich ereignen. Die Kommission hat eine Analyse zu Kosten und Nutzen (Einzelheiten: siehe Arbeitsunterlage) durchgeführt; diese zeigt, dass die Kosten von Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimaänderung und die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit minimal gehalten werden können, wenn alle Sektoren und Treibhausgase einbezogen werden, wenn sich alle großen Verursacherländer an der Reduzierung der Emissionen beteiligen, wenn die Möglichkeiten von Emissionshandel und projektbezogenen Mechanismen voll ausgeschöpft werden und Synergien mit anderen Politikbereichen (z.B. Lissabonner Strategie, Energiesicherheitspolitik, weitere Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, Kohäsionspolitik und Politik zur Sicherung der Luftqualität) optimal ausgenutzt werden.
4. DieHerausforderung der Beteiligung
Die Bedeutung einer breiteren internationalen Beteiligung bei der Bekämpfung der Klimaänderung kann nicht überschätzt werden. In den kommenden Jahrzehnten dürfte der Anteil der EU-25-Emissionen an den globalen Treibhausgas-Emissionen auf unter 10 % sinken, während der Anteil der Entwicklungsländer auf über die Hälfte der Gesamtmenge ansteigen dürfte. Selbst bei gleichzeitiger Betrachtung der historischen und künftigen Emissionen ist davon auszugehen, dass die kumulierten Beiträge von Industrie- und Entwicklungsländern zwischen 2030 und 2065 den gleichen Umfang erreichen werden.
Selbst wenn die EU also ihre Emissionen bis 2050 um 50 % reduzieren könnte, würde das die Konzentrationen in der Atmosphäre nicht nennenswert beeinflussen - es sei denn, andere große Emissionsverursacher erreichen ebenfalls wesentliche Reduktionen. Effektives Handeln zur Bekämpfung der Klimaänderung erfordert daher eine breite internationale Beteiligung auf der Grundlage gemeinsamer, aber differenzierter Verpflichtungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Möglichkeiten.
Zwar sind die Entwicklungsländer einerseits anfälliger als die Industrieländer für Schäden infolge von Klimaänderungen, andererseits befürchten sie, dass durch Emissionsreduktionen ihre wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt werden könnte. Die Erfahrungen der neuen Mitgliedstaaten beim Wirtschaftsaufschwung in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall sein muss. Die Entwicklungsländer werden klimapolitische Maßnahmen wohl eher durchführen, wenn diese generell auch zu Entwicklungszielen beitragen. Die Bekämpfung der Klimaänderung ist zudem mit anderen Nutzeffekten verbunden, die nahezu ausschließlich den Ländern zugute kommen, die die Anstrengungen unternehmen. So sind z.B. wesentliche Verbesserungen der Energieeffizienz und die Einführung von Energiequellen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt möglich, diese werden ein rasches Wachstum unterstützen. Auch die gesundheitlichen Vorteile durch eine bessere Luftqualität könnten ein starkes Argument für die Senkung der Emissionen sein. In der Praxis verfolgen einige Länder bereits eine Politik in dieser Richtung. Der kürzlich verabschiedete Aktionsplan der EU im Bereich Klimaänderungen und Entwicklungszusammenarbeit2 wird ein wichtiges Instrument für die Unterstützung der Entwicklungsländer bei diesbezüglichen Maßnahmen sein.
Es könnten aber noch weitere Anreize für die Entwicklungsländer geschaffen werden, sich an internationalen Anstrengungen zur Reduzierung der Emissionen zu beteiligen. Wenn sich z.B. Unternehmen mit Sitz in Entwicklungsländern am Emissionshandel beteiligen könnten, so würde ihnen das die Möglichkeit eröffnen, von den effektiven Emissionsminderungen zu profitieren. Konkrete Anreize für Entwicklungsländer zur Beteiligung an internationalen Anstrengungen zur Reduzierung der Emissionen könnten auch die Industrieländer zu einer breiteren Beteiligung veranlassen. Nach Argumentation der USA ist beim Kyoto-Protokoll das Fehlen von Auflagen für Entwicklungsländer, die inzwischen wesentliche Verursacher von Treibhausgas-Emissionen sind, ökologisch unwirksam und könnte der Wettbewerbsfähigkeit der USA schaden. Die Entwicklungsländer haben ihrerseits Vorbehalte gegen eine Begrenzung ihrer Emissionen. Die EU sollte Anstrengungen zur Überwindung dieser Blockade unterstützen. In der Tat ist eine kleine Gruppe - EU, USA, Kanada, Russland, Japan, China und Indien - für etwa 75 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Es könnte sich der Versuch lohnen, durch Diskussionen über Emissionsminderungen innerhalb dieser relativ kleinen Gruppe großer Verursacher in einem Rahmen ähnlich wie der G8 die Fortschritte auf globaler Ebene zu beschleunigen, parallel zu energischen Anstrengungen für eine Vereinbarung im Rahmen der UN.
Hinweis: vgl. Drucksache 815/97 = AE-Nr. 973092, AE-Nr. 991708, AE-Nr. 013703, Drucksache 122/03 (PDF) = AE-Nr. 030591 und Drucksache 586/03 (PDF) = AE-Nr. 032721
1 1939. Tagung des Rates, Luxemburg, 25. Juni 1996.
2 Ratsdokument 15164/04.
5. DieHerausforderung der Innovation
Die Herausforderungen im Bereich Innovation werden in den nächsten fünf Jahrzehnten beträchtlich sein. Grundlegende Veränderungen bei Energieerzeugung und -nutzung werden erforderlich sein. Einige dieser Veränderungen bei der Energienutzung dürften ohnehin unumgänglich sein. Faktoren wie steigende Preise für fossile Brennstoffe werden wahrscheinlich zu einer teilweisen Abkehr von diesen Energieträgern führen. Trotz dieser Entwicklungen werden aber weitere technologische Veränderungen in allen Wirtschaftsbereichen zusätzlich zu Maßnahmen zur Verringerung der Nicht-CO₂-Treibhausgase und zur Erhaltung oder Erweiterung von Kohlenstoffsenken notwendig sein. Dieser Fortschritt bedarf einer ausgewogenen Strategie des "Push and Pull"."Pull-"Strategien für technologische Veränderungen
Je genauer die Preise die externen Kosten widerspiegeln und je besser die Nachfrage dem gewachsenen Klimabewusstsein der Verbraucher entspricht, desto mehr werden Investitionen in klimaverträgliche Technologien zunehmen. Die Schaffung eines Marktwertes für Treibhausgase, z.B. durch Emissionshandel oder Besteuerung, wird einen finanziellen Anreiz zur Bremsung der Nachfrage schaffen, den weit verbreiteten Einsatz solcher Technologien fördern und günstige Bedingungen für weitere technologische Entwicklungen schaffen. Auch die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen wird dazu beitragen, dass gleiche Bedingungen für die verschiedenen Energieträger entstehen. Im Jahr 2004 betrugen nach Schätzungen der europäischen Umweltagentur die jährlichen Energiesubventionen in der EU-15 für feste Brennstoffe, Öl und Gas über 23,9 Mrd. € und lediglich 5,3 Mrd. € für erneuerbare Energien. Der internationale Verkehr, z.B. Luft- und Seeverkehr, sind fast völlig von der Besteuerung ausgenommen.
Marktorientierte Instrumente können durch intelligente und kostenwirksame politische Maßnahmen ergänzt werden, die neue Technologien begünstigen und ihre rasche Verbreitung fördern - wie bei der Lissabonner Strategie vorgesehen. Sie sind besonders wirksam in einem frühen Stadium der Vermarktung, indem sie dazu beitragen, Einführungshindernisse zu überwinden und die Demonstration zu erleichtern. Nach den europäischen Erfahrungen im Zeitraum 1980-1995 haben aktive Unterstützungspolitiken dazu beigetragen, die Kosten pro Einheit erzeugter Elektrizität aus erneuerbaren Energieträgern drastisch zu senken (-65 % bei Photovoltaik, -82 % bei Windenergie, -85 % bei Elektrizität aus Biomasse). Derartige Initiativen müssen fortgesetzt und beschleunigt werden. Die Politik sollte außerdem mögliche positive Nebeneffekte nutzen, z.B. im Hinblick auf Luftqualität oder Konzepte für den Stadtverkehr. Die im EG-Aktionsplan für Umwelttechnologie vorgeschlagenen Maßnahmen können Anhaltspunkte für nationale und europäische Initiativen liefern.
Bei intelligenten und kostenwirksamen "Pull"-Politiken sollten auch die Vorteile der normalen Kapitalersatzzyklen ausgenutzt werden. Eine allmähliche Umstellung verlangt einen stabilen und langfristigen politischen Rahmen. Angesichts der Notwendigkeit von Erneuerung und Ausbau des globalen Grundkapitals in der Elektrizitätsindustrie in den kommenden drei Jahrzehnten muss ein solcher Rahmen so früh wie möglich entwickelt werden. Derartige Gelegenheiten dürfen nicht verpasst werden, da Investitionen im Energiesektor oder in Industrie, Verkehrsinfrastruktur oder Gebäude für die CO₂-Emissionen in den kommenden Jahrzehnten bestimmend sein werden. Allein in Europa müssen bis 2030 etwa 700 GW an Elektrizitätserzeugungskapazität (d.h. die gleiche Menge wie die derzeit installierte Kapazität) installiert werden (Investitionskosten: 1,2 Billionen €). Die Planung für diese Entscheidungen erfolgt etwa 5 bis 10 Jahre früher und muss sich auf die Anforderungen langfristiger Klimapolitik stützen.
Viele Technologien zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen sind entweder bereits vorhanden oder befinden sich im fortgeschrittenen Pilotstadium. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden 15 der aussichtsreichsten Technologien dieser Art aufgezeigt (siehe Anhang 3). Alle 15 Optionen bieten für den Horizont 2050 zusammen ein Reduktionspotenzial von über 54 Gt CO₂-Äq. jährlich. Bei voller Ausschöpfung dieses Potenzials könnte der größte Teil der projizierten Basislinienemissionen im Jahre 2050 vermieden werden. Fünf der Technologien betreffen die Energieeffizienz. Eine zentrale Komponente jeder künftigen Energiestrategie der EU müssen somit die kostenwirksame Steigerung der Energieeffizienz und Energieeinsparungen sein. Maßnahmen in diesem Bereich sind eine weitere Ergänzung der Lissabonner Strategie, stärken die Sicherheit der Energieversorgung, sorgen für die Entstehung einer erheblichen Zahl neuer Arbeitsplätze in Europa und fördern eine wettbewerbsfähigere Industrie mit geringerem Energieverbrauch. Schätzungen zufolge wäre es in der EU-15 wirtschaftlich machbar, in den nächsten zehn Jahren Energieeinsparungen bis zu 15 % zu erzielen, während das technische Potenzial sogar bis zu 40 % reicht. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Kohlenstoffbindung und -speicherung.
"Push"-Strategien für technologische Veränderungen: Investitionen in die wissensgestützte Wirtschaft
Die in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf breiter Basis anzuwendenden Technologien müssen noch entwickelt werden. Leider haben die Mitglieder der IEA seit Anfang der achtziger Jahre ihre Forschung im Energiebereich und ihre Mittel für Technologieentwicklung halbiert. Dieser Trend muss umgekehrt werden, wenn die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit auf diesen Märkten verbessern will. Daher müssen die Forschungsmittel in den Bereichen Klima, Energie, Verkehr sowie Produktion und Verbrauch im demnächst beginnenden siebten Rahmenprogramm wesentlich aufgestockt werden. Die internationale Zusammenarbeit zur Entwicklung bahnbrechender Technologien muss durch öffentlichprivate Partnerschaften ausgebaut werden.
Technologische Innovation: Schafung eines Wettbewerbsvorteils für Europa in einer kohlenstoffarmen Zukunft
Im Kontext der Lissabon-Strategie betont der Kok-Bericht, dass die EU sich durch ihre Vorreiterrolle einen Vorteil verschaffen und einen Wettbewerbsvorsprung erreichen kann, indem sie ihre Anstrengungen auf ressourceneffiziente und klimafreundliche Technologien konzentriert, die andere Länder letztendlich übernehmen müssen. Zum Beispiel halten die Länder, die bei der Förderung der Windenergie vorangegangen sind, jetzt einen Anteil von 95% an dem rasch wachsenden Markt für Windturbinen. Diese Entwicklung ist auch bei anderen Ländern und Wirtschaftsbereichen denkbar, z.B. bei Kraftfahrzeugen oder in der Luftfahrt. Die Wettbewerbsvorteile lassen sich noch ausbauen, wenn die Beteiligung an einem künftigen internationalen Klimaübereinkommen erweitert und vertieft wird.
6. DieHerausforderung der Anpassung
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse besagen, dass selbst die Einhaltung des Ziels von 2°C weltweit erhebliche Anstrengungen im Bereich Vorbeugung und Abhilfe verlangen wird. Bisher haben nur wenige Länder sich der Frage gestellt, wie sie ihre Anfälligkeit für Folgen der Klimaänderung verringern bzw. wie sie sich besser davor schützen können.
Die Anpassung an die Klimaänderung erfordert weitere Forschungen zur Vorhersage der Auswirkungen auf regionaler Ebene, um den lokalen Akteuren im öffentlichen und privaten Sektor die Entwicklung kostenwirksamer Anpassungsstrategien zu ermöglichen. Durch die Klimaänderung besonders gefährdet sind tief gelegene Gebiete in Küstennähe und in Flusseinzugsgebieten, Gebiete in Bergregionen und in zunehmend durch Stürme und Hurrikans heimgesuchten Regionen.
Witterungsabhängige Wirtschaftsbereiche wie Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Tourismus sind mehr gefährdet als andere und sind daher stärker zu Anpassungen an die Klimaänderung gezwungen. In dieser Hinsicht haben die Entwicklungsländer wegen ihrer starken Abhängigkeit von diesen klimasensitiven Wirtschaftsfaktoren und ihrer geringen Anpassungsfähigkeit das höchste Risiko. Die Stärkung ihrer Anpassungsfähigkeit würde auch ihre Entwicklung unterstützen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Anpassung ist die Früherkennung häufiger auftretender Naturkatastrophen mit großer Zerstörungswirkung. Die Kommission ist bereits an einem EU-weiten Frühwarnsystem für Fluten und Waldbrände beteiligt. Dieses System soll zur Verbesserung der Reaktionsfähigkeit bei Naturkatastrophen und zur Schadensverhütung beitragen. Die Erdbeobachtung kann zuverlässige Instrumente für Vorbeugung und Anpassung liefern. Privatversicherungen können Schäden und Verluste von Privateigentum vielleicht nicht angemessen abdecken bzw. könnten ihre Leistungen künftig sogar verringern. Hier müssen die Regierungen handeln und entweder eine angemessene Abdeckung fordern oder Mittel aus Solidaritätsfonds bereitstellen.
7. Schlussfolgerungen
Die Klimaänderung ist Realität. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sollten wir eine Begrenzung des durchschnittlichen globalen Temperaturanstiegs auf 2°C über vorindustriellen Werten anstreben, um den Schaden zu begrenzen. Zur Erreichung dieses Ziels müssen politische Konzepte entwickelt werden, um Anpassungen an die Klimaänderung zu ermöglichen und ihr Ausmaß zu begrenzen. Trotz Umsetzung der bereits beschlossenen Politiken dürften die globalen Emissionen in den kommenden zwei Jahrzehnten steigen und globale Reduktionen um mindestens 15 % bis 2050 gegenüber dem Stand von 1990 dürften notwendig sein, was wiederum erhebliche Anstrengungen verlangt.
Abwarten ist keine sinnvolle Option. Je weiter Maßnahmen aufgeschoben werden, desto größer die Gefahr irreparabler Klimaschäden, da die Gelegenheiten zur Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen auf einem niedrigeren Niveau ungenutzt verstreichen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Klimaänderung entwickeln sich weiter und werden uns vielleicht schon bald zeigen, dass sich der Klimawandel sogar rascher vollzieht als heute angenommen. Daher sollte eine pragmatische mittel- und langfristige Klimaschutzpolitik auf einer "Strategie der offenen Türen" beruhen. Sie sollte es ermöglichen, künftig auf eine niedrigere Konzentration hinzuarbeiten als zunächst angestrebt, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse dies erforderlich machen.
Die Reduktionsmaßnahmen erfordern einschneidende Anpassungen unserer Gesellschaften und Wirtschaften, z.B. die Umstellung von Energie- und Verkehrssystemen. Daher ist es dringend geboten, den effizientesten und kostenwirksamsten Mix von Anpassungs- und Reduktionsmaßnahmen einzusetzen, um unsere Umweltziele zu erreichen und gleichzeitig unsere Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Die künftige Klimaschutzstrategie der EU muss folgende Elemente enthalten:
(1) Breitere Beteiligung: Die EU wird weiterhin eine Vorreiterrolle bei den multilateralen Anstrengungen im Kampf gegen die Klimaänderung spielen, aber eine noch breitere Beteiligung auf der Grundlage sowohl gemeinsamer wie differenzierter Verpflichtungen ist dringend erforderlich. Echte Fortschritte im Hinblick auf das Ziel von 2°C sind nur möglich, wenn mehr Länder effektive Maßnahmen ergreifen. Zur Minimierung negativer wirtschaftlicher Auswirkungen müssen die weiteren politischen Anstrengungen der EU ferner durch vergleichbare Maßnahmen anderer großer Verursacherländer ergänzt werden. Auch muss die Politik zur Bekämpfung der Klimaänderung in Einklang mit anderen zentralen Zielen stehen bzw. zu deren Erreichung beitragen (z.B. Bekämpfung der Armut), wobei die relativ unterschiedlichen Bedingungen der derzeitigen und künftigen Verursacher zu berücksichtigen sind.
Die Verhandlungsstrategie der EU sollte auf einen internationalen Prozess für die Aushandlung von Maßnahmen zur Emissionsverringerung abzielen, um alle großen Verursacherländer einzubeziehen und in die Pflicht zu nehmen. Diese Maßnahmen könnten spezifische Projekte oder Programme zur Verbesserung der Energieeffizienz oder zur Förderung von kohlenstoffarmer Technologien umfassen oder weiter gefasste politische Konzepte zum Gegenstand haben, einschließlich Ziele.
(2) Einbeziehung weiterer Politikbereiche: Die internationalen Maßnahmen müssen auf alle Treibhausgase und Sektoren ausgeweitet werden. Besonders die stark zunehmenden Emissionen aus dem Luft- und dem Seeverkehr sollten in die Maßnahmen einbezogen werden. Ein neuer Ansatz ist auch erforderlich, um der voranschreitenden Abholzung der Wälder auf der Welt Einhalt zu gebieten. Das gezielte Angehen dieses Problems in bestimmten Regionen ist notwendig, da nahezu 20 % der globalen Treibhausgas-Emissionen derzeit infolge von Änderungen der Landnutzung entstehen.
(3) Vorantreiben der Innovation: Die erforderliche Umstellung von Energie - und Verkehrssystemen ist mit einer großen Innovationsaufgabe verbunden. Im Kontext der Lissabonner Strategie sollte eine Technologiepolitik mit einem optimalen Mix von "Push"- und "Pull"-Instrumenten entwickelt werden, um diese Umstellung zu unterstützen. Die kostenwirksame Emissionsminderung sollte dabei unbedingt einen Schwerpunkt bilden. Verschiedene Technologien mit niedrigen Emissionen stehen bereits zur Verfügung und müssen intensiver verbreitet werden. Weitere Forschungsarbeiten sind nötig, um neue Technologien dem Markt näher zu bringen.
(4) Fortgesetzte Nutzung marktorientierter und flexibler Instrumente: Erfolgreiche zentrale Elemente des Kyoto-Protokolls sollten auch in einem neuen System nach 2012 beibehalten werden. Dazu gehören der Emissionshandel, wie von der Europäischen Union eingeführt, auf der Grundlage von Emissionsbeschränkungen und projektbezogene Mechanismen als Bausteine eines echten internationalen Kohlenstoffmarktes, die Regeln für die Überwachung der Emissionen und die Berichterstattung sowie eine multilaterale Erfüllungsregeln.
Bei weiterer Unterstützung des Konzepts der Ziele und Zeitpläne muss der Rahmen der internationalen Verhandlungen ausgeweitet werden, um konkrete Verbindungen zwischen der Klimaänderungsproblematik und Forschung, Entwicklung sowie Etablierung und Verbreitung neuer Technologien herzustellen, die Energieeffizienz zu verbessern, kohlenstoffarme Energieträger zu entwickeln und die Entwicklungspolitik voranzutreiben. Diese Ausweitung des Verhandlungsrahmens muss als Weg zur Schaffung von Anreizen und Motivation für mehr Länder verstanden werden, sich an Maßnahmen gegen die Klimaänderung zu beteiligen.
Die Entwicklungsländer werden in den kommenden Jahrzehnten enorme Investitionen in ihre Energieinfrastruktur tätigen. Öffentliche Mittel, die über Weltbank, EIB, EBWE und andere Entwicklungsbanken fließen, müssen genutzt werden, um die Eigenmittel der Entwicklungsländer in klimaverträgliche Investitionen vor allem im Energiesektor zu lenken. Die Möglichkeiten eines globalen Programms für kohlenstoffarme Energie, den Technologietransfer und die Mittelverteilung unter besonderer Berücksichtigung der wichtigsten Schwellenländer müssen ausgelotet werden.
(5) Einbeziehung von Anpassungsstrategien: Mehr Ressourcen müssen in der EU für die effektive Anpassung an die Klimaänderung bereitgestellt werden. Die Anpassungsanstrengungen der ärmsten und am schwersten betroffenen Länder sollten finanziell unterstützt werden.
8. Empfehlungen für die Klimapolitik der EU: die nächsten Schritte
Der Europäische Rat will auf seiner nächsten Sitzung "Strategien - einschließlich Zielvorgaben - zur mittel- und langfristigen Emissionsverringerung" erörtern. Diese Diskussionen werden die Grundlage für die künftige Klimapolitik der EU bilden und das Handeln der Union im Zusammenwirken mit ihren internationalen Partnern bestimmen. Aufgrund der Analyse und der Schlussfolgerungen in dieser Mitteilung und in der beigefügten Arbeitsunterlage hat die Kommission eine Reihe von Komponenten ermittelt, die nach ihrer Auffassung in die künftige Klimapolitik der EU einbezogen werden sollten. Die Kommission empfiehlt dem Europäischen Rat die Billigung des folgenden Konzepts zur Entwicklung der Klimapolitik der Union:
- - Unmittelbare und effektive Umsetzung der vereinbarten Politiken: die EU konnte ihre Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 3% senken, muss aber noch sehr viel mehr tun, um das im Kyoto-Protokoll festgelegte Ziel einer Emissionsreduzierung von 8% zu erreichen. Maßnahmen, die im Grünbuch zur Energieversorgungssicherheit und im Weißbuch zur Verkehrspolitik aufgeführt sind, z.B. Infrastrukturgebühren, Überprüfung der Richtlinie für die Eurovignette und Maßnahmen zur Förderung eines Ausgleichs zwischen den Verkehrsträgern und einer stärkeren Nutzung der Schienenwege und Binnenwasserstraßen, wie sie z.B. im Konzept für das transeuropäische Verkehrsnetz vorgesehen sind, müssen vollständig umgesetzt werden. Die Beseitigung von Hindernissen für die Verbreitung bestehender oder viel versprechender neuer Technologien und die Durchführung neuer Initiativen (z.B. Bewertung der Möglichkeiten eines EU-Marktes für grüne Zertifikate, zügige Umsetzung des Aktionsplans für Umwelttechnologie) sollte ebenfalls vorangetrieben werden. Von zentraler Bedeutung ist eine stärkere Förderung von Investitionen in klimafreundliche Technologien unter Haushaltslinien des neuen Gemeinschaftshaushalts im Zeitraum 2007 bis 2013. Auch sind in ganz Europa intensive neue Anstrengungen erforderlich, um echte Fortschritte bei der Energieeffizienz zu erzielen: eine neue Europaweite Initiative im Bereich Energieeffizienz.
- - Das öffentliche Bewusstsein sollte geschärft werden durch ein strategisches Programm zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Problematik der Klimaänderung, u.a. durch eine EU-weite Kampagne mit dieser Zielsetzung.
- - Mehr und zielgerichtetere Forschung sollte durchgeführt werden zur Verbesserung der Kenntnisse über die Klimaänderung, einschließlich der Wechselwirkungen mit ozeanischen Prozessen, zur Untersuchung globaler und regionaler Auswirkungen, zur Entwicklung kostenwirksamer Anpassungs- und Abhilfestrategien, einschließlich Nicht-CO₂-Gase. Dies könnte zum Beispiel über eine wesentliche Aufstockung der EU-Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich klimaverträgliche Technologien beim siebten Rahmenprogramm ermöglicht werden, unter besonderer Berücksichtigung der Bereiche Energie und Verkehr, aber auch Landwirtschaft und Industrie.
- - Eine engere Zusammenarbeit mit Drittländern könnte gefördert werden durch ein strategisches Programm für einen intensiveren Technologietransfer (einschl. Fonds für die Technologieverbreitung) und wissenschaftliche FuE-Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Technologien mit niedrigem Treibhausgasausstoß für die Bereiche Energie, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. Klimaverträgliche Entwicklungspolitiken sollten in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern konzipiert werden, insbesondere für die Bereiche Energie und Luftqualität. Bei der Umsetzung dieser Empfehlungen ist auf Kohärenz zwischen der internen und der externen Dimension der EU-Politik zur Klimaänderung zu achten. So könnte im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik besonderes Gewicht auf die frühzeitige Umsetzung und Anwendung der klimaspezifischen Teile des Gemeinschaftsrechts und die Konvergenz mit der EU-Klimapolitik gelegt werden. Das gleiche Konzept könnte auch bei den Heranführungsstrategien verfolgt werden. Die Stärkung der Anpassungsfähigkeit, insbesondere bei den am meisten gefährdeten Entwicklungsländern, sollte fester Bestandteil der Entwicklungshilfe werden.
- - Neue Phase des europäischen Programms zur Klimaänderung 2005: Die Kommission wird die bisherigen Fortschritte bewerten und neue Maßnahmen erwägen, um eine systematische Ausnutzung kostenwirksamer Optionen für die Emissionsreduzierung im Zusammenwirken mit der Lissabonner Strategie zu ermöglichen. Besondere Schwerpunkte werden sein: Energieeffizienz, erneuerbare Energien, der Verkehrssektor (einschl. Luft- und Seeverkehr), sowie Kohlenstoffbindung und -speicherung. Die Rolle der EU bei der Gefährdungsverringerung und der Förderung der Anpassungsfähigkeit sollte unter Einbeziehung der Versicherungswirtschaft der EU untersucht werden.
Beim Aufbau der Kooperation bei weiteren multilateralen Maßnahmen gegen die Klimaänderung sollte die EU einen echten Dialog mit ihren internationalen Partnern suchen. Die Kommission hält es für sinnvoll, dass die EU im Jahr 2005 mit den wichtigsten Partnern die Optionen für eine Strategie nach 2012 erörtert, bevor sie ihre Position für die kommenden Verhandlungen festlegt. In bilateralen Kontakten mit den betroffenen Ländern, einschließlich der größten Verursacherländer, sollte ermittelt werden, welche Maßnahmen diese in bestimmten Fristen und unter bestimmten Bedingungen durchzuführen bereit sind. Die EU sollte ihre internationale Vorreiterrolle im Bereich der Klimaänderung in diesem Sinne nutzen, um einen handlungsorientierten Ansatz auf internationaler Ebene zu propagieren.
Die Ergebnisse der bilateralen Kontakte könnten dann in Form von Verpflichtungen zur Durchführung von Maßnahmen oder zur Einhaltung von Zielen in die UNFCCC-Verhandlungen einfließen. Anzustreben ist die Entwicklung eines multilateralen Konzepts für die Bekämpfung der Klimaänderung nach 2012 mit einer sinnvollen Einbeziehung aller Industrieländer sowie von Entwicklungsländern, das die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 2 °C ermöglicht und allen wichtigen Beteiligten das Empfinden einer gerechten Verteilung der Anstrengungen gibt. Die Reduktionsverpflichtungen der EU im Rahmen eines solchen Konzepts sollten sich nach dem Grad und der Art und Weise der Beteiligung der größten Verursacherländer richten. Die Kommission empfiehlt daher zu jetzigen Zeitpunkt nicht die Festlegung eines spezifischen EU-Ziels.
Auf der Grundlage der Analyse und der Überlegungen in dieser Mitteilung sollte die EU deutlich machen, dass sie sich weiterhin im Kampf gegen die globale Klimaänderung einsetzen und auf die Einhaltung ihrer bisherigen Verpflichtungen hinarbeiten wird. Die EU sollte jetzt ihre Entschlossenheit zeigen, stärkere und längerfristigere Reduzierungen ihrer Treibhausgas-Emissionen zu erreichen, und zwar im Kontext einer internationalen Vereinbarung für eine Strategie nach 2012, die zu globalen Reduktionen in Übereinstimmung mit dem Ziel von 2°C führen wird. Je nach Ausgang der internationalen Konsultationen im Jahr 2005 wird die Kommission dem Rat weitere Vorschläge vorlegen, um die Verhandlungsstrategie der EU für die nächste Runde der globalen Klimaschutzverhandlungen weiter zu entwickeln.