916. Sitzung des Bundesrates am 8. November 2013
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV),
der Finanzausschuss (Fz) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Ansinnen der Kommission, den Biodiversitätsverlust sowie soziale und wirtschaftliche Schäden durch gebietsfremde invasive Arten zu begrenzen, und stimmt mit der Kommission überein, dass die Probleme und enormen Kosten, die durch diese Arten verursacht werden, nur in einem gemeinschaftlichen, insbesondere auf Prävention ausgerichteten Ansatz zu lösen sind.
- 2. Der Bundesrat hält die Wahl der in der Verordnungsbegründung genannten Option 2.4 (mit der Verpflichtung zur sofortigen Tilgung sich neu etablierender invasiver gebietsfremder Arten von EU-weiter Bedeutung) für zielführend, da hierdurch ein europaweit einheitlicher Rechtsvollzug auf Grundlage des präventiven Ansatzes sichergestellt wird.
Zum Verwaltungsaufwand
- 3. Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass auf Grund der gewählten konzeptionellen Vorgehensweise (Kontrollen, Erhebung von Daten, Ausführung von Eindämmungsmaßnahmen) die Kommission stark auf die nationalen Verwaltungen und im Rahmen der föderalen Aufgabenverteilung in Deutschland auf die Landesverwaltungen angewiesen ist. Dies bedeutet einen erheblichen zusätzlichen finanziellen Aufwand für die Länder. Schon die Umsetzung des jetzigen EU-Rechts im Bereich der Biodiversität stellt die Länder vor erhebliche Personal- und Haushaltsprobleme. Der Bundesrat sieht daher die Notwendigkeit, die im Verordnungsvorschlag vorgesehenen Maßnahmen auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken.
Zur Vermeidung von Doppelstrukturen
- 4. Darüber hinaus sollte vermieden werden, dass mit der geplanten EU-Verordnung unnötige Doppelstrukturen für die Überwachung bestimmter Arten aufgebaut werden.
Zum Klärungsbedarf über den Mehraufwand
- 5. Die Umsetzung der in der vorgeschlagenen Verordnung vorgesehenen Maßnahmen wird zu erheblichem [Verwaltungs-] sowie {personellen} und finanziellen {Mehr}aufwand bei {Bund und} Ländern führen.
- 6. Zur Beurteilung der entstehenden Kosten sind die vorgesehenen Maßnahmen näher zu erläutern. Dies betrifft insbesondere:
- - Aktionspläne gemäß Artikel 11, - das Überwachungssystem gemäß Artikel 12,
- - die Verfahren, Leitlinien und Schulungsprogramme gemäß Artikel 13 Absatz 6 und 7 im Rahmen von Grenzkontrollen,
- - die Maßnahmen zur Früherkennung gemäß Artikel 14, - die Kontrollmaßnahmen gemäß Artikel 17, - den Umfang von Maßnahmen zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme sowie
- - die Mechanismen zur Informationsunterstützung gemäß Artikel 20 des Verordnungsvorschlags.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, dass die finanziellen Verpflichtungen, die sich für die Länder im Zuge der Umsetzung ergeben, sich an den derzeitigen Verpflichtungen im Rahmen der nationalen Regelungen zu invasiven Arten entsprechend dem geltenden Recht orientieren.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, mit den Ländern zeitnah in Verhandlungen zu treten, um praktikable Lösungen und eine aufgabengerechte Kostenverteilung sicherzustellen. Da den Einfuhrkontrollen an den EU-Außengrenzen eine besondere Bedeutung zukommt, sollte insbesondere den primären Einfuhrstellen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine finanzielle Unterstützung zum Ausgleich des erhöhten Kontrollbedarfs gewährt werden.
Zum Umfang der Tilgungsmaßnahmen
- 9. Da die Mitgliedstaaten Rechtssicherheit in Bezug auf den Umfang und die Kosten der sich aus der geplanten Verordnung ergebenden Maßnahmen benötigen, bittet der Bundesrat sicherzustellen, dass die konkrete Auflistung der invasiven gebietsfremden Arten von EU-weiter Bedeutung gemäß Artikel 4 bereits jetzt und künftig fester Bestandteil der Verordnung und den Mitgliedstaaten im Vorfeld die Möglichkeit der Mitwirkung und Abstimmung eingeräumt wird.
- 10. Die Liste der invasiven Arten von EU-weiter Bedeutung soll zunächst auf 50 Arten beschränkt und im Laufe von fünf Jahren evaluiert werden (gemäß Artikel 4 Absatz 4 und Artikel 19 Absatz 3). Dieser stufenweise Ansatz wird mit der Rechtssicherheit und zu erlangenden Gewissheit über die Kosten für die Mitgliedstaaten begründet. Der Bundesrat begrüßt diesen Ansatz grundsätzlich.
- 11. Er hat jedoch Bedenken, dass die strikte Begrenzung auf 50 Arten einschließlich dringender Fälle nicht praxisgerecht ist, da davon auszugehen ist, dass bei etwa 12.000 gebietsfremden Arten innerhalb des Territoriums der EU etwa 1.500 invasive Arten vorkommen. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, in den weiteren Verhandlungen die Notwendigkeit einer Begrenzung auf 50 Arten zu überprüfen und sich dafür einzusetzen, dass bei dringenden Fällen auch darüber hinausgegangen werden kann.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf zu achten, dass die nachteiligen Auswirkungen auf die Biodiversität bei der Auswahl der Arten und in der Risikobewertung eine ausreichende Gewichtung erhalten.
- 13. Der Bundesrat sieht es als klärungsbedürftig an, ob für gebietsfremde invasive Arten, die nicht auf der Liste "gebietsfremder invasiver Arten von EU-weiter Bedeutung" gemäß Artikel 4 Absatz 3 des Vorschlags stehen, auch - weiterhin - Tilgungsmaßnahmen durchgeführt werden können. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass Bekämpfungsmaßnahmen für in einem Mitgliedstaat vorkommende gebietsfremde invasive Arten auf nationaler Ebene weiterhin möglich sind. Bekämpfungsmaßnahmen auf nationaler Ebene ergänzen die mit dem Verordnungsvorschlag angestrebten Bemühungen zum Erhalt der Biodiversität.
Zur Liste invasiver Arten
- 14. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass mit § 40 BNatSchG bereits eine umfängliche Regelung besteht und lediglich deren Verzahnung mit dem EU-Recht zur Verhinderung von Einschleppungen aus Gebieten außerhalb Deutschlands erforderlich ist.
- 15. Den Erfolgsaussichten kommt bei der Bekämpfung invasiver gebietsfremder Arten eine zentrale Bedeutung zu. Deshalb sollten, wie im Verordnungsvorschlag vorgesehen, auch keine etablierten invasiven gebietsfremden Arten berücksichtigt werden, bei denen nach Experteneinschätzung Kontroll- und Tilgungsmaßnahmen aussichtslos sind.
- 16. Neben den Erfolgsaussichten muss im Einzelfall auch die soziale Akzeptanz von Maßnahmen Berücksichtigung finden können (Artikel 16).
- 17. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Kriterien für die Erstellung der nach Artikel 4 vorgesehenen Liste invasiver gebietsfremder Arten von EU-weiter Bedeutung so ergänzt werden, dass lediglich Arten aufgenommen werden, die in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten noch nicht etabliert sind und für die Tilgungsmaßnahmen existieren, die Aussicht auf Erfolg haben und deren Erfolg nicht außer Verhältnis zum erforderlichen Aufwand steht.
- 18. Dem Bundesrat fehlt im Verordnungsvorschlag der Kommission - ungeachtet der Ausführungen in Artikel 25 - eine stärkere Reglementierung der aktiven, bewussten oder fahrlässigen Einbringung invasiver gebietsfremder Arten. Im deutschen Naturschutzrecht ist bereits eine Regelung enthalten ( § 40 Absatz 4 BNatSchG), die die Einbringung invasiver gebietsfremder Arten unter Genehmigungsvorbehalt stellt und ein Zuwiderhandeln bußgeldbewährt ( § 69 Absatz 6 BNatSchG). Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass auch auf europäischer Ebene entsprechende für alle Mitgliedstaaten einheitliche Vorgaben eingeführt werden.
Zu weiteren Vorschriften
- 19. Die Folgen des vorliegenden Verordnungsvorschlags sind derzeit noch nicht abschätzbar. Einige auf die Länder ggf. zukommende Aufgaben werden kaum zu realisieren sein. Die Schwierigkeiten seien anhand der folgenden Beispiele kurz erläutert:
- [- Anhand bestimmter Kriterien will die Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten eine Liste invasiver gebietsfremder Arten von EU-weiter Bedeutung erstellen (Artikel 4). Dies wird grundsätzlich begrüßt, allerdings sollte es sich hierbei nicht um eine abschließende EU-weit geltende Liste handeln, sondern sie sollte vielmehr der Vielzahl der biogeographischen Regionen, die im Gebiet der EU betroffen sind, Rechnung tragen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass das im Verordnungsentwurf dargestellte Verfahren zur Erstellung der Kriterien- und Artenliste in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten durchgeführt wird.]
- - Nach definierten Kriterien sollten Risikobewertungen hinsichtlich der Auswirkungen bestimmter Arten auf ihr Umfeld durchgeführt werden (Artikel 5). Risikobewertungen erscheinen nur bei solchen Arten sinnvoll, die noch keine weite Verbreitung aufweisen und für die effiziente Bekämpfungsmethoden bekannt sind. Einzelmaßnahmen, z.B. gegen weit verbreitete Arten, sollten in das Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten gestellt werden können.
- - Verhinderung der absichtlichen Einbringung bestimmter invasiver Arten (Artikel 7)
Grundsätzlich ist diese Regelung zu begrüßen, es bedarf aber des Hinweises, dass der Absichtsbegriff auf europäischer Ebene in der Regel anders ausgelegt wird als im deutschen Recht. Hierdurch könnten sich bei der Beurteilung des Vollzugs durch die Kommission Probleme ergeben.
- - Ermittlung der Pfade, über die unbeabsichtigt invasive Arten eingeschleppt werden könnten; Erstellung nationaler Aktionspläne (Artikel 11)
Hierbei handelt es sich nicht um Probleme, die sich auf den Gebieten der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben, sondern die Grenzen der Mitgliedstaaten - möglicherweise innerhalb bestimmter biogeographischer Regionen - überschreiten. Der Verordnungsentwurf verfolgt das Ziel, ein einheitliches Vorgehen innerhalb der EU zu etablieren. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass entsprechende Aktionspläne sowie Pfade unbeabsichtigter Einschleppung durch die Kommission erarbeitet und mit den Mitgliedstaaten abgestimmt werden.
- - Einrichtung entsprechender umfassender amtlicher Überwachungssysteme (Artikel 12, Artikel 19) Der Verordnungsentwurf erlaubt, im Rahmen anderer Programme erhobene Daten zur Erfüllung dieser Verpflichtungen zu verwenden. Die erforderlichen Überwachungs- und Monitoringprogramme müssten in der Regel neu geschaffen werden. Dies und die zugehörigen Berichtspflichten erfordern zusätzliche finanzielle und personelle Kapazitäten; eine Anpassung an bereits bestehende EU-Berichtspflichten ist erforderlich.
- - Regelungen zur Tilgung invasiver Arten (Artikel 15)
Hier sind weitere erläuternde Regelungen notwendig, u.a. um abschätzen zu können, ob der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zum möglichen Erfolg steht und technische Möglichkeiten zur Erfüllung dieser Verpflichtungen zur Verfügung stehen. So ist die Entfernung zweifelsfrei invasiver Organismen in marinen und limnischen Lebensräumen häufig nicht möglich.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen,
- - Artikel 16 dahingehend zu ändern, dass es den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, über Ausnahmen von der sofortigen Ausrottungspflicht eigenverantwortlich zu entscheiden,
- 22.
- - in Artikel 11 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags den Zeitraum " 18 Monate" durch "24 Monate" zu ersetzen,
- - in Artikel 11 Absatz 4 des Verordnungsvorschlags den Zeitraum für die Überarbeitung des Aktionsplans von vier auf sechs Jahre zu erhöhen; ebenso sollte in Artikel 19 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags der Zeitraum für die Berichterstattung von vier auf sechs Jahre erhöht werden,
- 23. - in Artikel 5 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags die Befugnis der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte durch die Befugnis zum Erlass von Durchführungsrechtsakten nach dem Prüfverfahren gemäß Artikel 22 Absatz 2 der vorgeschlagenen Verordnung zu ersetzen. Der Artikel 23 kann entfallen.
- 24. Im Verordnungsvorschlag werden neben dem Schutz natürlicher Lebensgemeinschaften auch die Auswirkungen invasiver Arten auf die menschliche Gesundheit und Wirtschaftsabläufe problematisiert. Verordnungsteile, die sich mit der Lösung der beiden letztgenannten Problemfelder befassen, fallen nicht in die Handlungsfelder des Naturschutzes. So lösen beispielsweise die Pollen einiger Pflanzen erhebliche gesundheitliche Probleme beim Menschen aus (z.B. Ambrosiapollen). Diese Auswirkungen fallen häufig aber nicht unter die naturschutzfachliche Definition des Begriffs "invasive Arten". Die Bundesregierung wird gebeten, sich dafür einzusetzen, für derartige Situationen fachspezifische Lösungsansätze (z.B. Gesundheit, Wirtschaft, Landwirtschaft) herbeizuführen. Hier bedarf es klarstellender Regelungen im Verordnungsentwurf, die eine klar definierte Zuordnung der Handlungsfelder erkennen lassen.
- 25. Vor dem Hintergrund der Komplexität des hier diskutierten Problems erscheint der durch die Kommission veranschlagte Zeitrahmen zu kurz. Insbesondere in Deutschland mit seinen föderalen Strukturen bedarf es eines deutlich größeren Zeitfensters, um die fachlichen und verwaltungstechnischen Gesichtspunkte angemessen diskutieren zu können. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, die Kommission zu bitten, die Problematiken im Rahmen eines zeitlich angemessen gestalteten Verfahrens mit den Mitgliedstaaten zu diskutieren.