Der Bundesrat hat in seiner 941. Sitzung am 29. Januar 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Finanzdienstleistungen spielen eine zentrale Rolle im Leben aller Bürgerinnen und Bürger der EU. Private Altersvorsorge oder Immobilienfinanzierungen sind langfristige Entscheidungen, zudem sollen Versicherungen oft unerwartete Schadensfälle oder besondere Risiken absichern. Für den Abschluss von Versicherungsverträgen oder Verbraucherverträgen im Finanzdienstleistungssektor benötigen Verbraucherinnen und Verbraucher daher nicht nur ausreichende Informationen, sondern Vertrauen, dass die Leistungen im Schadensfall erbracht werden. Die Gewährleistung eines wirksamen Verbraucherschutzes muss daher einer der zentralen Grundsätze sein, auf dem ein grenzüberschreitender Finanzdienstleistungsmarkt aufbaut. Der Bundesrat begrüßt daher die Einleitung eines Konsultationsverfahrens zur Schaffung eines europäischen Marktes für Finanzdienstleistungen für Privatkunden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Pläne der Kommission zur Verbesserung des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen für Privatkunden durch den Abbau von Hindernissen, die Verbraucherinnen und Verbraucher von der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Finanzprodukten und -dienstleistungen abhalten. Er teilt dabei auch die Auffassung der Kommission, dass ein europaweit ausgerichteter Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen das Angebot an Produkten für die Verbraucherinnen und Verbraucher erweitern und gleichzeitig Unternehmen den Zugang zu neuen Märkten erleichtern kann.
- 3. Positiv bewertet der Bundesrat weiterhin die von der Kommission gewählte Vorgehensweise, zunächst die bestehenden Hindernisse zu evaluieren und diese sodann mit dem für das Jahr 2016 angekündigten Aktionsplan anzugehen.
- 4. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass eine zu starke Konzentration auf wenige Anbieter die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher ungerechtfertigt einschränkt. Er stellt positiv fest, dass die Situation in Deutschland im europaweiten Vergleich insoweit sehr verbraucherfreundlich ist. Deutschland liegt nach Darstellung der Kommission gemeinsam mit Luxemburg bei der Konzentration des Bankensektors (die fünf größten Anbieter haben einen Marktanteil von 30 Prozent) auf dem verbraucherfreundlichsten Platz. Gleiches gilt - gemeinsam mit Kroatien - für den Versicherungssektor (die fünf größten Anbieter haben einen Marktanteil von 40 Prozent).
- 5. Aus Sicht des Bundesrates darf der angekündigte Aktionsplan diese positive Situation nicht gefährden. Kleine und mittlere Banken tragen ebenso wie regionale Versicherer zur Angebotsvielfalt im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Im Rahmen des Aktionsplanes sollte deshalb das Augenmerk auf den grenzüberschreitenden Zugang zu Bank- und Versicherungsdienstleistungen gelegt werden. Verbraucherinnen und Verbrauchern in Mitgliedstaaten mit einer hohen Konzentration - die fünf größten Anbieter im Bankensektor haben laut der Kommission zum Beispiel in Griechenland einen Marktanteil von 95 Prozent und die fünf größten Anbieter im Bankensektor in Estland und Malta einen Marktanteil von 100 Prozent - wäre durch einen einfachen und transparenten Zugang zu Finanzdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten am besten gedient. Nur dies dient im Übrigen der Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes.
- 6. Der Bundesrat bewertet den Abbau von Hindernissen bei der Inanspruchnahme von grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen grundsätzlich positiv, dies gilt insbesondere für die sogenannte Portabilität von Finanzdienstleistungen in andere EU-Mitgliedstaaten beispielsweise bei einem Umzug ins EU-Ausland. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass ein grenzübergreifendes Angebot dazu beitragen kann, die Auswahl der angebotenen Finanzdienstleistungen zu vergrößern und das Preisniveau für Verbraucherinnen und Verbraucher abzusenken. Es ist hierzu jedoch ein hohes Schutzniveau erforderlich, das Vermögensschäden verhindert, um so das Vertrauen in die Finanzmärkte zu stärken. Das Ziel eines echten europäischen Marktes für Finanzdienstleistungen darf keinesfalls dazu führen, dass verbraucherschützende Vorschriften beschnitten werden. Das Schutzniveau der anlegerschützenden Regelungen auf EU-Ebene darf nicht abgesenkt werden.
- 7. Eine weitere Konzentration der Märkte durch den Aktionsplan gilt es aus Sicht des Bundesrates im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher unbedingt zu vermeiden. Deshalb sollte der Aktionsplan ebenso wie alle folgenden Einzelmaßnahmen dazu beitragen, die Angebotsvielfalt durch grenzüberschreitende Angebote zu verbessern und nicht durch unnötig komplizierte und detaillierte Regelungen kleine und mittlere Anbieter wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken vom Markt zu verdrängen.
- 8. Beim Aktionsplan und bei den folgenden Einzelmaßnahmen sollte berücksichtigt werden, dass die Regulierungen, die in jüngster Zeit auf europäischer Ebene in den Bereichen Zahlungsverkehr, Zahlungskonten und Hypothekarkreditverträge erfolgt sind, zunächst in nationale Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten umgesetzt und angewendet werden müssen. Erst dann können nach Auffassung des Bundesrates die Auswirkungen auf dem Finanzbinnenmarkt für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen eingefangen und beurteilt werden. Nur wenn diese Evaluation deutlichen Handlungsbedarf aufzeigt, sollte die notwendige Anpassung erfolgen.
- 9. Der Bundesrat begrüßt, dass sich die Kommission mit der Digitalisierung von Finanzdienstleistungen und den hierdurch entstehenden neuen Geschäftsmodellen im Bereich des Fernabsatzes wie beispielsweise der Vergabe von SMS-Krediten beschäftigt. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass die Digitalisierung große Chancen für einen besseren Zugang zu Finanzprodukten und mehr Wettbewerb bieten kann. Allerdings ist der Bundesrat der Ansicht, dass neue Zahlungsanbieter und -verfahren das bestehende Regelwerk nicht unterlaufen dürfen. Vielmehr sollte geprüft werden, wo die digitale Realität Anpassungsbedarf im Regelwerk notwendig macht. Zudem darf unterschiedliche Regulierung nicht zum Wettbewerbsvorteil werden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen auch bei europaweiten Finanzdienstleistungen auf einen angemessenen Verbraucherschutz und einheitliche Sicherheitsstandards zählen können. Der Bundesrat beurteilt die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen auf elektronischem Wege und über mobile Geräte im Hinblick auf den notwendigen Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern skeptisch. Das Fehlen einer persönlichen Beratung birgt besondere Risiken. Der rein elektronische Vertrieb von Finanzdienstleistungen bedarf insbesondere einer klaren und verständlichen Darstellung des Leistungsangebots und der Risiken. Der Bundesrat bezweifelt, dass diese Anforderungen beispielsweise bei der Nutzung eines Smartphones mit kleinem Bildschirm erfüllt werden können. Er gibt außerdem zu bedenken, dass insbesondere die Nutzung von Smartphones und Tablets häufig "nebenbei" geschieht. Es besteht die Gefahr, dass die Förderung des Vertriebs über mobile Geräte die Fehlvorstellung begünstigt, Entscheidungen über Finanzanlagen könnten beiläufig getroffen werden; er verweist insoweit auf die Regelungen in den skandinavischen Ländern als Resultat unüberlegter Überschuldung durch die Inanspruchnahme von SMS-Krediten von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
- 10. Der Bundesrat schätzt das Potential für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen und damit den Handlungsbedarf der Union weniger hoch ein als die Kommission. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher legen nach wie vor großen Wert auf die Möglichkeit eines persönlichen Kontakts mit ihrer Bank, ihrem Versicherungsunternehmen und den gegebenenfalls beteiligten Vermittlern. Gerade bei Finanzdienstleistungen, die wie beispielsweise eine Immobilienfinanzierung oder ein Altersvorsorgeprodukt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und regelmäßig mit einer langfristigen vertraglichen Verpflichtung verbunden sind, wird eine persönliche Beratung aus Gründen des Verbraucherschutzes als sehr wichtig angesehen. Hinzu kommt, dass die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher darauf angewiesen sind, die Beratung und alle vertragsrelevanten Informationen in ihrer Muttersprache zu erhalten.
- 11. Der Bundesrat sieht außerdem die Schwierigkeit, bei grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen eine effektive individuelle wie auch behördliche Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten. Diese Schwierigkeiten lassen sich auch durch eine Stärkung der weiterhin überwiegend auf nationale Sachverhalte ausgerichteten Schlichtungsverfahren nicht vollständig beseitigen.
- 12. Er teilt jedoch die Auffassung der Kommission, dass der digitale Wandel auch Chancen für Verbraucherinnen und Verbraucher bieten kann, sofern angemessene Sicherheitsstandards vorhanden sind. Eine besondere Herausforderung wird hierbei sein, das bisherige Schutzniveau für Verbraucherinnen und Verbraucher auch bei neuen Marktteilnehmern im Bereich der digitalen Finanzdienstleistungen zum Beispiel im Hinblick auf den Datenschutz zu erhalten, die nicht in demselben Umfang dem bestehenden Regulierungs- und Aufsichtsrahmen unterliegen wie die etablierten Marktteilnehmer. Dem Verbraucherschutz ist hier konsequent und mit Nachdruck EU-weit Geltung zu verschaffen, insbesondere bei Normsetzung und Aufsicht.
- 13. Dass die Kommission im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung und Weiterentwicklung von Finanzdienstleistungen die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher und insbesondere den Datenschutz in den Blick nimmt, wird begrüßt. Der Bundesrat spricht sich dabei dafür aus, den Verbraucherinnen und Verbrauchern grundsätzlich die Wahlfreiheit zwischen digitalen und nichtdigitalen Finanzdienstleistungen zu belassen und diese nötigenfalls gesetzlich abzusichern. Dies gilt unter anderem für die Möglichkeit der Bezahlung mit Bargeld, die eine datensparsame, von technischen Systemen unabhängige und damit auch in Ausnahmesituationen funktionierende Form der Echtzeitzahlung darstellt.
- 14. Der Bundesrat unterstreicht das Anliegen, die finanzielle Allgemeinbildung von Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich zu stärken. Verbraucherinnen und Verbraucher können auf dem vom Wettbewerb geprägten Finanzdienstleistungsmarkt nur bestehen, wenn sie über das dafür erforderliche Wissen verfügen. Die Bestrebungen, die finanzielle Allgemeinbildung zu verbessern, sollten daher ausgebaut werden. Weiterhin regt der Bundesrat eine stärkere Unterstützung derartiger Maßnahmen durch die EU an.
Zu Einzelfragen
- 15. Laut Grünbuch ist eine Ursache für die EU-weite Fragmentierung des Finanzdienstleistungssektors, dass bei einer Reihe von Finanz- bzw. Versicherungsprodukten erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. Zudem haben Verbraucherinnen und Verbraucher häufig keinen Zugang zu Informationen über grenzübergreifende Angebote von Finanzdienstleistungen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die mangelnde Wechselbereitschaft nicht an einem zu geringen Angebot liegt, sondern vielmehr daran, dass Entscheidungen über Finanzmarktprodukte in besonderer Weise die Sicherheit und Lebensplanung der Verbraucherinnen und Verbraucher betreffen und daher große Unsicherheiten gegenüber unbekannten Produkten und Anbietern bestehen. Verbraucherinnen und Verbraucher werden grenzübergreifende Angebote nur dann in Anspruch nehmen, wenn es auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Finanzprodukte gibt und sie sich darauf verlassen können, dass sie vor und nach dem Erwerb eines solchen Produktes in angemessener Weise geschützt sind, unabhängig davon, wo in der EU sie dieses Finanzprodukt erwerben; dies betrifft insbesondere auch den Schutz vor einer Insolvenz der Anbieter. Neben einer ausreichenden und leicht verständlichen Verbraucherinformation beispielsweise über Vergleichswebsites mit festgelegten Qualitätskriterien könnte hier eine Standardisierung der angebotenen Finanzprodukte die Transparenz und Vergleichbarkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher und somit die Akzeptanz dieser Produkte erhöhen.
- 16. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission, Mitte 2016 entsprechende Gesetzgebungsvorschläge vorzulegen, um ungerechtfertigtes Geoblocking und eine Diskriminierung von Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihrer Staatsangehörigkeit abzustellen. Es scheint hier sinnvoll, verschiedene Diskriminierungspotentiale in den Blick zu nehmen. Augenfällig wird dies insbesondere im Bereich der Zahlungskonten, bei denen in einigen Mitgliedstaaten Anforderungen zur Feststellung der Kundenidentität existieren, die eine Inanspruchnahme grenzüberschreitender Dienste unmöglich machen.
- 17. Der Bundesrat erkennt das Bedürfnis an, Verträge über bestimmte Finanzdienstleistungen auch bei einem Wohnsitzwechsel in einen anderen Mitgliedstaat fortführen zu können. Zugleich gibt er zu bedenken, dass sich Vertragsverhältnisse beispielsweise wegen der Unterschiedlichkeit der mitgliedstaatlichen sozialen Sicherungs- und Versicherungssysteme nicht immer ohne Weiteres in einem anderen Mitgliedstaat fortsetzen lassen. Dies ist auch bei den im Grünbuch angedeuteten Überlegungen zur Schaffung eines optionalen europäischen Versicherungsvertragsrechts zu berücksichtigen, bei dem zudem gewährleistet sein müsste, dass Verbraucherinnen und Verbraucher keine Nachteile gegenüber den nationalen Schutzstandards erleiden.
- 18. Der Bundesrat ist außerdem der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit haben sollen, bei der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben wie beispielsweise der Hypothekarkreditrichtlinie oder der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) auf die wirtschaftliche, soziale und demographische Situation im Mitgliedstaat sowie weitere Faktoren, die das Angebot und die Nachfrage in Bezug auf Finanzdienstleistungen bestimmen, Rücksicht zu nehmen. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für die Gestaltung des Angebots von Finanzdienstleistungen und Finanzprodukten, die sich in einen wirtschaftlichen und sozialen Gesamtkontext einbetten, der von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein kann.
- 19. Mit der Zunahme der Digitalisierung wird bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern vermehrt auf vereinfachte Methoden der Datenerhebung in der digitalen Welt zurückgegriffen. Gleichzeitig werden immer komplexere Verfahren in Form von Algorithmen zur Beurteilung der Verbraucherinnen und Verbraucher verwendet. Ungeachtet der Regelungen in der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung betont der Bundesrat, dass bei einer Bonitätsbewertung die Verwendung von Daten, die an die Anschrift der Betroffenen oder dessen Wohnumfeld (sogenanntes Geoscoring) anknüpfen, und von verbraucherbezogenen Daten aus sozialen Netzwerken verboten werden sollte, um eine aus Verbrauchersicht als unsachgemäß und diskriminierend empfundene Berechnung von Score-Werten wirksam zu unterbinden. Es sind hohe Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit und Prognosegenauigkeit von Scoring-Verfahren zu stellen. Er setzt sich für ein hohes Schutzniveau für Verbraucherinnen und Verbraucher ein und fordert eine umfassende Transparenz und Auskunftspflicht über die durchgeführten Scoring-Verfahren gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 20. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.