A. Problem
- Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das mit seiner Grenze zur Schweiz eine EU-Außengrenze hat, an der unterschiedliche agrarpolitische Systeme mit einem weit auseinanderklaffenden Preis- und Subventionsniveau in der Landwirtschaft und den daraus resultierenden einseitigen Vor- und Nachteilen aufeinandertreffen.
- Seit Jahren entstehen durch Veräußerungen und Verpachtungen landwirtschaftlicher Grundstücke an Schweizer Landwirte Verwerfungen mit erheblichen Nachteilen für die Agrarstruktur im deutschschweizerischen Grenzgebiet. Im Durchschnitt der Jahre 1993-2002 gingen deutschen Landwirten, die diese Flächen gepachtet hatten oder auf sie zur Aufstockung zur Sicherung der Existenz ihrer Betriebe dringend angewiesen wären, jährlich rd. 78 ha verloren. Dies entspricht der Durchschnittsgröße von 2 landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieben in der Region. Im Jahre 2003 schnellte die an Schweizer Landwirte veräußerte und verpachtete Fläche auf insgesamt 310 ha hoch. Im 1. Halbjahr 2004 setzte sich der Trend mit 138 ha fort.
- Auch wenn Schweizer Landwirte als Nichtlandwirte beurteilt werden, was nach einer vorläufigen Auskunft der Europäischen Kommission trotz des am 01.06.2002 in Kraft getretenen Personenfreizügigkeitsabkommens zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz weiterhin möglich ist, kann in fast allen Fällen den Kaufverträgen mit Schweizer Landwirten die Genehmigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 3 GrdstVG nicht versagt bzw. können die Pachtverträge nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3 LPachtVG nicht beanstandet werden. Das bestehende Regelungsdefizit ist mit den Zielsetzungen des
- Grundstück- und des Landpachtverkehrsgesetzes als Gesetze zum Schutz und zur Verbesserung der Agrarstruktur nicht zu vereinbaren.
B. Lösung
- Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung für bestimmte Landesteile Schwellenwerte für das Vorliegen eines groben Missverhältnisses im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG festzulegen, die von dem durch die Rechtsprechung entwickelten Schwellenwert von 150 vom Hundert des Verkehrswerts abweichen können, aber die Grenze von 120 vom Hundert des Verkehrswerts nicht unterschreiten dürfen. Der Schwellenwert von 120 vom Hundert entspricht der Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe. Die entsprechende Festlegung soll in Bezug auf § 4 Abs. 1 Nr. 3 LPachtVG gelten.
C. Alternativen
- Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der Schweiz über die Erhebung von Importzöllen für die Einfuhr der von Schweizer Landwirten in der deutschen Zollgrenzzone erzeugten landwirtschaftlichen Produkte in die Schweiz keine.
D. Kosten für die öffentlichen Haushalte
- Geringfügiger Verwaltungsmehraufwand für die Erstellung der Bescheide bei höherer Versagungsquote.
E. Sonstige Kosten
Keine
Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundstückverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes
Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart, den 7. Oktober 2004
Der Minister
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten Dieter Althaus
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Regierung des Landes Baden-Württemberg hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundstücksverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes
zuzuleiten.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 15. Oktober 2004 aufzunehmen. Nach Vorstellung im Plenum soll der Gesetzentwurf den Ausschüssen zur weiteren Beratung überwiesen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph-E. Palmer Anlage Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundstückverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
In § 9 Abs. 4 des Grundstückverkehrsgesetzes vom 28. Juli 1961 (BGBl. I S. 1091), zuletzt geändert durch das Gesetz über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2191), werden folgende Sätze 2 bis 4 angefügt:
- Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung für bestimmte Teile des Landesgebiets (Landesteil) Schwellenwerte für das Vorliegen eines groben Missverhältnisses im Sinne von Absatz 1 Nr. 3 festlegen, wenn die für die Einkommen in der Land- oder Forstwirtschaft eines angrenzenden Gebiets maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse oder andere externe Einflussfaktoren die Annahme begründen, dass der von Erwerbern aus dem angrenzenden Gebiet entrichtete Gegenwert erheblich vom ortsüblichen land- oder forstwirtschaftlichen Verkehrswert abweicht und sich die Preisentwicklung nachteilig auf die Agrarstruktur in diesem Landesteil auswirkt. Der Schwellenwert darf 120 vom Hundert des sich aus der Kaufpreisstatistik ergebenden durchschnittlichen land- oder forstwirtschaftlichen Verkehrswerts in dem Landesteil nicht unterschreiten. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung auf eine andere Stelle übertragen.
Artikel 2
Nach § 4 Absatz 5 des Landpachtverkehrsgesetzes vom 8. November 1985 (BGBl. I S. 2075), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) vom 19. Juli 2001 (BGBl. I S. 1149), wird folgender Absatz 6 angefügt:
- (6) Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung für bestimmte Teile des Landesgebiets (Landesteil) Schwellenwerte für das Vorliegen eines nicht angemessenen Verhältnisses im Sinne des Absatz 1 Nr. 3 festlegen, wenn die für die Einkommen in der Land- oder Forstwirtschaft eines angrenzenden Gebiets maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse oder andere externe Einflussfaktoren die Annahme begründen, dass der von Pächtern aus dem angrenzenden Gebiet entrichtete Pachtzins erheblich vom ortsüblichen ertragsangemessenen Pachtzins abweicht und sich die Pachtzinsentwicklung nachteilig auf die Agrarstruktur in diesem Landesteil auswirkt. Der Schwellenwert darf 120 vom Hundert des durchschnittlichen ertragsangemessenen Pachtzinses in dem Landesteil nicht unterschreiten. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung auf eine andere Stelle übertragen.
Artikel 3
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Nach gefestigter Rechtsprechung ist der Tatbestand des Versagungsgrunds der ungesunden Verteilung von Grund und Boden (§ 9 Abs. 1 Nr. GrdstVG) in der Regel erfüllt wenn ein landwirtschaftliches Grundstück an einen Nichtlandwirt veräußert wird während ein leistungsfähiger Voll- oder Nebenerwerbslandwirt, dessen Betrieb dringend der Aufstockung bedarf, zum Erwerb der Flächen zu den in dem Kaufvertrag vereinbarten Bedingungen bereit und in der Lage ist. Ist kein aufstockungsbedürftiger Landwirt gewillt, den im Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreis zu zahlen, liegt keine ungesunde Verteilung des Grund und Bodens vor. Die Genehmigung muss erteilt werden.
Der Versagungsgrund des groben Missverhältnisses zwischen vereinbartem Gegenwert und landwirtschaftlichem Wert des Grundstücks -ortsüblichem Verkehrswert - (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG) liegt nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung vor wenn der Kaufpreis den Wert des Grundstücks um mehr als die Hälfte übersteigt und nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.
Konkurrieren Landwirte aus unterschiedlichen agrarpolitischen Systemen wie z.B. dem der Schweiz und dem der EU um zum Kauf stehende landwirtschaftliche Flächen in Deutschland, stellt die bisherige Rechtslage in Deutschland den Bewerber aus dem System besser, das durch höhere staatliche Direktzahlungen und weitergehende Stützungsmaßnahmen auf den Märkten seinen Landwirten zu einer höheren Finanzkraft verhilft. Dies führt zu Ungleichgewichten und Wettbewerbsverzerrungen, die sich zum Nachteil der deutschen Agrarstruktur auswirken und mit den Zielsetzung des Grundstückverkehrsgesetzes als Gesetz zum Schutz und zur Verbesserung der Agrarstruktur nicht vereinbar sind.
Schweizer Landwirte erzielen auf angestammten Flächen in der deutschen Zollgrenzzone um das Dreieinhalbfache, auf nicht angestammten Flächen um mindestens 60 % höhere Deckungsbeiträge für Marktfrüchte als deutsche Landwirte. Grund dafür ist, dass Schweizer Landwirte die in der deutschen Zollgrenzzone erzeugten Produkte zollfrei in die Schweiz einführen können und dort bis zu dreifach höhere Markterlöse erzielen. Daneben erhalten sie für Flächen, die sie seit mindestens 01.05.1984 bewirtschaften, bis zu dreifach höhere staatliche Direktzahlungen.
Die zwischen den veräußernden deutschen Grundstückseigentümern und den kaufenden Schweizer Landwirten, die nach der Rechtsprechung (BGHZ 101,95) in Deutschland rechtlich Nichtlandwirten gleichgestellt werden dürfen, vereinbarten Kaufpreise für landwirtschaftliche Grundstücke liegen regelmäßig zwischen 25 und 49 % über dem Verkehrswert. Um dem Kaufvertrag mit dem Schweizer Landwirt die Genehmigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrdstVG versagen zu können, müsste somit ein aufstockungsbedürftiger deutscher Landwirt auf einen Preis eingehen, der nicht auf der Grundlage der für die einheimischen Betriebe maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auf der Basis der für die landwirtschaftlichen Betriebe günstigeren wirtschaftlichen Faktoren der benachbarten Schweiz kalkuliert ist. Zur Zahlung solcher Preise sind deutsche Landwirte unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der EU nicht in der Lage. Nach den vorliegenden Erkenntnissen stellt ein Preis von höchstens 20 % über dem Verkehrswert das Äußerste dar, was betriebswirtschaftlich vertretbar ist. Die Bereitschaft zu einem solchen Aufschlag genügt indessen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht.
Folge ist, dass deutsche Landwirte in der Zollgrenzzone zunehmend Pachtflächen an Schweizer Landwirte verlieren und nicht mehr an die in zumutbarer Entfernung zu ihren Höfen liegenden, dringend zur Sicherung der Existenz ihrer Betriebe benötigten Aufstockungsflächen kommen.
Schweizer Landwirte setzen ihre höhere Finanzkraft bewusst und gezielt dazu ein, um im Korridor zwischen dem bei maximal 20 % über dem Verkehrswert liegenden Limit der finanziellen Leistungsfähigkeit der einheimischen Betriebe und dem von der Rechtsprechung gesetzten Schwellenwert für das Vorliegen eines groben Missverhältnisses die Versagungsgründe des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GrdstVG zu unterlaufen. Eine rechtliche Handhabe dagegen besteht bisher nicht.
Die Ausführungen gelten für die Verpachtung landwirtschaftlicher Grundstücke und das Verhältnis von § 4 Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3 LPachtVG entsprechend. Mit Rücksicht auf die in der Regel langfristige Wirkung von Landpachtverträgen soll darauf verzichtet werden, Erwerb und Pacht landwirtschaftlicher Grundstücke bei Festlegung von Schwellenwerten unterschiedlich zu behandeln.
B. Besonderer Teil
Mit der vorgeschlagenen Ergänzung des Grundstück- und des Landpachtverkehrsgesetzes wird die Grundlage geschaffen, dass Baden-Württemberg das aufgezeigte Regelungsdefizit zwischen den Versagungsgründen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 3 GrdstVG bzw. den Beanstandungsgründen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3
LPachtVG beseitigen und der agrarstrukturell nachteiligen Entwicklung im deutschschweizerischen Grenzgebiet Einhalt bieten kann. Sie stellt zugleich die Weichen für die Herstellung annähernd gleicher Wettbewerbschancen zwischen den Landwirten diesseits und jenseits der Grenze.