Punkt 44 der 903. Sitzung des Bundesrates am 23. November 2012
Der Bundesrat möge zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung nehmen:
Zu Kapitel IV Transparenz:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass der Vorschlag für den EGFL und den ELER erneut eine namentliche Veröffentlichung nicht nur juristischer, sondern auch natürlicher Personen über einem bestimmten Schwellenwert vorsieht. Dabei schlägt die Kommission abermals vor, dass über den Vor- und Nachnamen hinaus auch die Angabe des Wohnorts veröffentlicht werden muss. Demgegenüber steht eine ungleiche Vorgehensweise bei den EU-Strukturfonds, bei deren Förderung nur die Namen aller Begünstigten ohne vergleichbare Ortsangaben veröffentlicht werden sollen.
- 2. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass die Kommission ihre ursprüngliche Verordnung und deren gesellschaftspolitische Folgen für den ländlichen Raum nicht ausreichend reflektiert hat. Das Urteil des EuGH vom 9. November 2010, das die Veröffentlichung unmittelbar stoppte, wird im Sinne einer Güterabwägung zwischen gewollter Transparenz und dem Schutz persönlicher Daten im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit und Angemessenheit einer Datenveröffentlichung nicht gebührend berücksichtigt.
So verweist der Bundesrat darauf, dass trotz des klarstellenden und eindeutigen Urteils des EuGH die um eine genauere Maßnahmenbeschreibung ergänzten Vorschläge der Kommission im Kern identisch mit der ursprünglichen Verordnung (EG) Nr. 259/2008 vom 18. März 2008 sind und nun lediglich anders begründet werden.
- 3. Der Bundesrat weist auf die negativen Erfahrungen aus der Zeit der Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem EGFL und ELER in den Jahren 2009 und 2010 hin. Die namentliche Veröffentlichung hat zu Neiddiskussionen in der Gesellschaft und Missbrauch der veröffentlichten Daten geführt. Ein Mehr an Transparenz im Sinne einer öffentlichen Diskussion über die Wirkung der Instrumente der gemeinsamen Agrarpolitik wurde durch die Veröffentlichung massenhafter personenbezogener Einzeldaten jedenfalls nicht erreicht. Vielmehr kann die Transparenz für die Gesellschaft auch ohne personen- und ortsbezogene Veröffentlichung der Daten erhöht werden. Zudem sind aggregierte Darstellungen der Zahlungen, wie sie beispielsweise bei der Agrarberichterstattung üblich sind, wesentlich besser geeignet. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahmen vom 7. Juli 2006 (BR-Drucksache 349/06(B) und BR-Drucksache 390/06(B) ) sowie vom 11. Mai 2007 (BR-Drucksache 208/07(B) ).
- 4. Der Bundesrat hält die Festlegung des Schwellenwerts für eine Veröffentlichung anhand der sogenannten Kleinlandwirteregelung für unausgewogen. Die dort festgelegten Obergrenzen können den unterschiedlichen Betriebsstrukturen in den Mitgliedstaaten nicht ausreichend Rechnung tragen und führen dazu, dass nicht in jedem Mitgliedstaat ein in etwa gleicher Anteil an Zahlungsempfängern bzw. des Mittelvolumens zu veröffentlichen ist.
- 5. Der Bundesrat hat erhebliche Bedenken, mit dem Vorschlag eine öffentliche Kontrolle über die Agrarzahlungen erreichen zu wollen. Die Erwägungen u.a. in Grund 70e, die Veröffentlichung von Daten habe "vorbeugende und abschreckende Wirkung", unterstellen implizit den Vorwurf regelmäßiger Betrugsabsichten durch die Zahlungsempfänger.
- 6. Der Bundesrat betont, dass die sachgerechte Mittelverwaltung gerade im Agrarsektor und somit der Schutz der finanziellen Interessen der EU bereits jetzt durch zahlreiche, in Intensität und Komplexität beispiellose Kontrollsysteme besser sichergestellt sind. Daher lehnt der Bundesrat den Vorschlag ab, staatliche Kontrollsysteme durch ein Kontrollsystem von Begünstigten und von Bürgerinnen und Bürgern untereinander auf Basis von Internetveröffentlichungen ergänzen zu wollen.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass eine Veröffentlichung von Empfängern von EU-Zahlungen erst verpflichtend wird, wenn der Vorschlag den negativen Erfahrungen aus den bisherigen Veröffentlichungen und dem EUGH-Urteil ausreichend Rechnung trägt. Dabei sind insbesondere die Rechte der Betroffenen gegen das Interesse der Transparenz stärker zu gewichten.