Antrag des Freistaates Bayern
Entschließung des Bundesrates "Überlegungen zur kommenden 5-Jahres-Strategie der Europäischen Kommission"

Der Bayerische Ministerpräsident München, den 11. Januar 2010

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen

Sehr geehrter Herr Präsident,

gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich die als Anlage beigefügte


mit dem Antrag, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Ich bitte, die Entschließung den Ausschüssen zuzuweisen.


Mit freundlichen Grüßen
Horst Seehofer

Entschließung des Bundesrates
"Überlegungen zur kommenden 5-Jahres-Strategie der Europäischen Kommission"

Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:

Der Bundesrat übermittelt folgende Anregungen für die kommende 5-Jahres-Strategie der Europäischen Kommission:

1. Reform des EU-Finanzsystems

Ausgabenseite

Die von allen Mitgliedstaaten geforderten Sparanstrengungen zur Konsolidierung ihrer nationalen Haushalte müssen durch nachweisbare Sparanstrengungen im EU-Haushalt flankiert werden. Die Kommission sollte den EU-Haushalt umfassend auf Einsparpotentiale durchforsten, sich messbare Ziele setzen und deren Erfüllung gegenüber den Mitgliedstaaten nachweisen. Die Ausgabenobergrenze muss auf 1 % des EU-BNE begrenzt bleiben. Die Finanzierungen der EU dürfen nur im Rahmen ihrer Kompetenzen und unter Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, also insbesondere des Vorliegens eines europäischen Mehrwerts, erfolgen. Es sollte eine erkennbare Umschichtung der Mittel hin zu den Zielen der Lissabon-Strategie und eine Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik, die verlässliche Perspektiven für die Landwirtschaft bietet, erreicht werden.

Einnahmeseite

Der Bundesrat lehnt eine EU-Steuer oder einen EU-Anteil an einer nationalen Steuer ab, weil die Erhebung von Steuern zu den Kernelementen der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten zählt. Der EU dürfen keine Kompetenzen zur Abgabenerhebung oder zur eigenen Kreditaufnahme und Verschuldung eingeräumt werden. Zudem muss künftig durch einen allgemeinen Korrekturmechanismus eine faire Lastenverteilung bei den Beiträgen der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt gewährleistet werden.

2. Kohäsion

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die europäische Kohäsionspolitik ein Kernstück der Europäischen Solidarität ist, das sich in den letzten Jahren bewährt hat. Die Kohäsionspolitik soll als Ausdruck der Solidarität einen Schwerpunkt auf die Förderung der Regionen mit wirtschaftlichen Entwicklungsrückständen legen und diese im Ziel "Konvergenz" fördern. Für Regionen, die ab 2014 nicht mehr zu den Konvergenzregionen zählen, muss eine gerechte Übergangsregelung gefunden werden. Darüber hinaus muss die Kohäsion im Rahmen der Förderung von Regionaler Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung allen Regionen der EU zugutekommen können. Die Kohäsionspolitik darf kein reines Transfermittel werden, das Gelder nur von den reichen in die ärmeren Regionen umverteilt. Vielmehr muss ein Ziel der Kohäsionspolitik darin bestehen, die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen EU zu verbessern; dazu müssen auch Regionen gezielt gefördert werden können, die schon heute einen wichtigen Beitrag zur globalen Wettbewerbsfähigkeit der EU leisten. Aus diesen Gründen fordert der Bundesrat, das Ziel "Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" weiterzuführen und die flächendeckende Förderfähigkeit geeigneter Projekte aus diesem Ziel zu gewährleisten. Zur Unterstützung der grenzüberschreitenden, transnationalen und interregionalen Zusammenarbeit kann der Zusammenschluss von Akteuren in Europaregionen und Metropolregionen sinnvoll sein. Um die Kontinuität und Planungssicherheit zu gewährleisten, müssen auch hier die bereits bestehenden Strukturen und Instrumente der Kohäsionspolitik genutzt werden.

3. Der Euro als gemeinsame starke Währung

Der Bundesrat bekennt sich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt für den Euro-Raum. Es sind nicht zuletzt die deutschen Länder, die mit den in Art. 109, 143d GG enthaltenen Regelungen einen wichtigen Beitrag für die Stabilität unserer Währung leisten. Der Bundesrat erwartet daher von allen europäischen Partnern konsequente Anstrengungen zur Einhaltung der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Er wird allen Versuchen entgegentreten, die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank anzutasten.

4. Deutsche Sprache, Übersetzungsstrategie der Kommission

Der Bundesrat bedauert, dass die Kommission bisher keine wesentlichen Fortschritte erzielen konnte, um in der Sprachen- und Übersetzungsfrage zugunsten des Deutschen befriedigende Lösungen zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Praxis der Kommission misslich, wichtige Konkretisierungen ihrer offiziellen Dokumente oft nicht mehr in diesen selbst, sondern in nicht übersetzten Anhängen zu platzieren. Der Bundesrat betont erneut nachdrücklich, dass der deutschen Sprache als einer der drei Arbeitssprachen der Kommission und als meistgesprochener Muttersprache innerhalb der EU auch in der Arbeit der Kommission entsprechender Stellenwert eingeräumt werden muss. Dazu ist sicherzustellen, dass alle Kommissionsbeamten in allen drei Arbeitssprachen arbeitsfähig sind. Der Bundesrat erhofft sich hierzu von der neuen Kommission zielführende Vorschläge und erneuertes Engagement.

5. Einstellungspraxis: Deutsches Personal bei der EU

Eine regional ausgewogene Zusammensetzung der EU-Beamtenschaft ist eine strategische Schlüsselgröße für die langfristige Ausrichtung der Kommissionsarbeit. Der Bundesrat erhofft sich, dass die Kommission nach Auslauf der sog. Derogationsverordnungen 401/2004 und 1760/2006 spätestens ab 2012 aktive Anstrengungen unternimmt, die zwischenzeitlich eingetretene deutliche Unterrepräsentation der alten Mitgliedstaaten auf AD5-Ebene und bei der Laureateneinstellung rasch zu beheben. Die durch die Derogationsverordnungen eingetretenen gravierenden regionalen Verzerrungen auf AD5-Ebene gilt es durch ein ausgewogenes Einstellungskonzept rasch aufzulösen, um sie nicht schon mittelfristig auf die darüber liegenden Beförderungsebenen zu übertragen. Das im Beamtenstatut der EU verankerte Prinzip der Bestenauslese muss dabei wieder konsequent beachtet werden.

6. Erweiterung

Der Bundesrat erwartet eine Erweiterungspolitik mit Augenmaß. Alle Erweiterungsverhandlungen werden ergebnisoffen geführt. Die strikte Erfüllung der Kopenhagener Kriterien ist die unabdingbare Voraussetzung für einen Beitritt.

Maßgeblich sind in allen Fällen sowohl die Beitrittsfähigkeit der Kandidaten als auch die Aufnahmefähigkeit der EU. Abstriche bei diesen Kriterien oder einen Beitrittsautomatismus darf es nicht geben. Der Bundesrat ist unter diesen Voraussetzungen für einen Beitritt Kroatiens offen. Auch bei einem etwaigen Beitritt Islands müssen alle Kriterien geprüft und erfüllt sein. Nach den Erweiterungen der letzten Jahre müssen die institutionellen Reformen des Vertrags von Lissabon mit Leben gefüllt werden, um die EU nach innen zu konsolidieren. Nur so kann vermieden werden, dass die EU bei künftigen Erweiterungen vor zu große Herausforderungen für die politische und finanzielle Integrationskraft der Gemeinschaft gestellt wird.

7. Wahrung von Kompetenz und Verhältnismäßigkeit

Das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung müssen strikt beachtet werden. Die EU kann nur rechtsetzend tätig werden, wenn eine entsprechende Rechtsgrundlage existiert, nachgewiesen werden kann, dass die Mitgliedstaaten keine ausreichende Regelung gewährleisten können, und eine Regelung auf europäischer Ebene besser ist als auf nationaler. Der Bundesrat bittet die Kommission, die Prüfung ihrer Kompetenz in den Begründungen oder Erwägungsgründen von Rechtsakten, aber auch bei Rechtsakten vorbereitenden Grünbüchern künftig gründlich zu dokumentieren.

8. Wahrung regionaler Handlungsspielräume

Es sind vor allem die Regionen und Kommunen Europas, die den Menschen Heimat und Verbundenheit bieten und so zur Identifikation auch mit der europäischen Ebene beitragen. Sie müssen bei der Wahrnehmung ihrer lokalen und regionalen Aufgaben daher ausreichenden Gestaltungsspielraum behalten und dürfen nicht durch unnötige europäische Regulierung eingeschränkt werden. Gerade im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, vor allem der Daseinsvorsorge, sind die Belange der Kommunen zu wahren und deren Entscheidungsspielräume zu schützen. Die Wahrung der Subsidiarität ist dafür erste Voraussetzung.

9. Erneuerte Lissabon-Strategie

Der Bundesrat unterstützt eine erneuerte Lissabon-Strategie, die nach dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet ist. Sie muss ein schlanker Prozess mit einer überschaubaren Zahl klarer Ziele werden. Die Stärkung von Wirtschaft, Wissen, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit hat dabei für den Bundesrat weiter oberste Priorität. Schädliche staatliche Eingriffe in unternehmerische Entscheidungen oder interventionsgeprägte Industriepolitik sind dabei zu vermeiden. Welche Branchen und Technologien erfolgreich werden, muss letztlich der Markt entscheiden. Der Bundesrat setzt sich in diesem Zusammenhang weiter für einen wirksamen Abbau von Bürokratiekosten ein und regt an, die geplante Verringerung um 25 % bis 2012 aktiv zu betreiben und auch über 2012 hinaus engagiert zu verfolgen. Die Vorschläge der "Hochrangigen Gruppe" gilt es nach Möglichkeit rasch umzusetzen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Bereiche Forschung und Innovation entscheidend für die zukünftige Entwicklung Europas sind. Das Ziel, bis zum Jahr 2010 Forschungsinvestitionen aus allen Sektoren von insgesamt 3 % des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen, ist europaweit noch nicht umgesetzt. Im globalen Wettbewerb kann Europa jedoch nur durch verstärkte Anstrengungen in Forschung und Entwicklung bestehen.

10. EU-Agenturen

Der Bundesrat bittet die Kommission, bezüglich EU-Agenturen die Ziele engagiert zu verfolgen, die sie sich selbst gesetzt hat (Kommissionsmitteilung vom 11. März 2008 [KOM (2008) 135 endg., BR-Drs. 228/08]). Er bekräftigt seine Auffassung, dass die ausufernde Gründung und Aufgabenerweiterung von Agenturen den Zielen der Lissabon-Strategie nach Bürokratieabbau und Deregulierung widerspricht. Der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass EU-Agenturen einer wirksamen Haushaltskontrolle unterstellt, ihr Zweck und weitere Notwendigkeit regelmäßig überprüft und ihre Zahl möglichst wieder reduziert werden.

11. Rechtsbereinigung auf EU-Ebene

Der Bundesrat regt an, in der bevorstehenden Amtsperiode der Kommission eine systematische und vollständige Sichtung und Bereinigung des bestehenden EU-Rechts auf entbehrlich gewordene Vorschriften vorzunehmen und so den aktuellen Normenbestand auch formal zu reduzieren. Das wäre ein Beitrag zur Nutzerfreundlichkeit des EU-Rechts.

12. Wahrung der Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten

Auch in den Bereichen, in denen eine unterstützende Tätigkeit der EU möglich ist, muss die Offene Methode der Koordinierung weiterhin als Instrument des freiwilligen voneinander Lernens ausgestaltet bleiben. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten in der Beschäftigungs-, Sozial-, Familien-, Frauen-, Integrations- und Gesundheitspolitik muss gewahrt bleiben, d.h. ihnen muss das Recht verbleiben, die wesentlichen konzeptionellen Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.

13. Gesetzesfolgenabschätzung

Der Bundesrat fordert die Einsetzung eines unabhängigen Rates für Bürokratieabbau bei der Kommission, der neue Vorhaben der EU auf die Vermeidung von unnötigen Verwaltungslasten prüft und Vorschläge zur Vereinfachung oder Deregulierung dieser Vorhaben unterbreitet. Vorbild könnte insoweit auch der Deutsche Normenkontrollrat sein. Er bekräftigt seine Forderung nach einem "Norm-TÜV" auf europäischer Ebene und ist überzeugt, dass ein umfassender Prüfauftrag erreicht werden kann, ohne das institutionelle Gleichgewicht der Gemeinschaft zu gefährden.

14. Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die GAP ein wesentliches Politikfeld der EU darstellt. Die GAP trägt entscheidend zur Weiterentwicklung des ländlichen Raums weit über den Agrarsektor hinaus bei. Daher muss die GAP vitale ländliche Räume innerhalb der EU sicher stellen. Systembrüche, die vitale ländliche Räume gefährden, sind nicht vertretbar. Die GAP muss darüber hinaus einen aktiven Beitrag zur Sicherung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung leisten. Der Bundesrat fordert, das europäische Landwirtschaftsmodell weiter zu entwickeln und über 2013 hinaus fortzusetzen. Dazu müssen entsprechende Ziele und Instrumente erarbeitet werden, die auch neuen Herausforderungen, wie dem Klimawandel sowie einem verbesserten Wassermanagement, Rechnung tragen.