Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart, den 13. Dezember 2005
Der Staatssekretär
An den
Präsidenten des Bundesrates Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Regierung des Landes Baden-Württemberg hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage mit Begründung beigefügte
- Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch
zuzuleiten.
Ich bitte, gemäß § 36 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates die Beratung der Entschließung in den Ausschüssen zu veranlassen.
Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Böhmler
Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass die derzeit geltenden rechtlichen Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden, im Rahmen von Ermittlungsverfahren gewonnene Daten an Sozialleistungsträger zu übermitteln, und der Sozialleistungsträger, die übermittelten Daten im Interesse der Bekämpfung mutmaßlichen Leistungsmissbrauchs im Bereich bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen mit dort vorhandenen Daten abzugleichen, nicht eindeutig genug sind.
- 2. Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, im Bereich bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen so bald wie möglich eindeutige Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen,
- - dass die Ermittlungsbehörden ihnen bekannt gewordene Daten, die aus ihrer Sicht für die Sozialleistungsträger im Interesse der Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch von Interesse sein können, an die Sozialleistungsträger übermitteln dürfen,
- - dass die Sozialleistungsträger die ihnen von den Ermittlungsbehörden übermittelten Daten mit den bei ihnen bereits vorhandenen Daten abgleichen dürfen.
Begründung
- 1. Im Sommer 2005 ist folgender Sachverhalt bekannt geworden:
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt stellte im Rahmen eines im Jahre 2000 durchgeführten Steuerstrafverfahrens gegen Kapitalanleger bei der türkischen Nationalbank zahlreiche Belege über Ein- und Auszahlungen von Kapitalanlegern sicher. Da die Möglichkeit nahe lag, unter diesen Kapitalanlegern könnten sich auch solche befinden, die in Deutschland Arbeitslosenhilfe beziehen und angelegtes Vermögen verschwiegen haben, wurden die auf den Zuständigkeitsbereich des Landes Baden-Württemberg entfallenden Belege - nach entsprechender datentechnischer Aufbereitung - durch das Hauptzollamt Stuttgart an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt, um dieser einen Abgleich mit der Arbeitslosenhilfeempfängerdatei zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt war aufgrund einer früheren Auswertung vergleichbarer Daten damit zu rechnen, dass 30 % der Kapitalanleger bei der Bundesagentur für Arbeit als Bezieher von Arbeitslosenhilfe erfasst sind oder waren. Die Bundesagentur lehnte einen Datenabgleich unter Hinweis darauf ab, dass es an einer Rechtsgrundlage dafür fehle.
- 2. Das geltende Recht kennt zwar das Instrument des präventiven Datenabgleichs. Nach derzeitiger Rechtslage kann es aber Unterschiede in der rechtlichen Beurteilung darüber geben, ob ein solcher Datenabgleich auch die aufgetretene bzw. eine dieser vergleichbare Sachverhaltskonstellation erfasst. Dies kann zur Folge haben, dass Ermittlungsbehörden Datenmengen, auf die sie bei der Durchführung ihrer Ermittlungen - entweder gezielt oder als Zufallsfund - stoßen, zwar für eigene Ermittlungszwecke auswerten, sie aber nicht an die Sozialleistungsträger weiterleiten, um diesen einen Datenabgleich zum Zwecke der präventiven Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch zu ermöglichen. Das Fehlen einer eindeutigen Übermittlungsbefugnis ist besonders unbefriedigend, wenn aus Sicht der Ermittlungsbehörden zwar ein Verdacht auf Sozialleistungsmissbrauch im Raume steht, dieser sich aber noch nicht zu einem strafrechtlich relevanten Anfangsverdacht hinsichtlich bestimmter Personen verdichtet hat. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesgesetzgeber den Sozialleistungsträgern, z.B. im Bereich des SGB III, die Aufgabe der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs ausdrücklich zugeschrieben hat. Die für die Wahrnehmung dieser Aufgabe zur Verfügung gestellten rechtlichen Möglichkeiten erscheinen jedoch nicht eindeutig genug.
Es ist daher dringend erforderlich, im Bereich bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen, die an Einkommen und Vermögen der Antragsteller anknüpfen (z.B. Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld, BaföG), eindeutige Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen,
- - dass die Ermittlungsbehörden ihnen bekannt gewordene Daten, die aus ihrer Sicht für die Sozialleistungsträger im Interesse der Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch von Interesse sein können, an die Sozialleistungsträger übermitteln dürfen,
- - dass die Sozialleistungsträger die ihnen von den Ermittlungsbehörden übermittelten Daten mit den bei ihnen vorhandenen Daten abgleichen dürfen.