879. Sitzung des Bundesrates am 11. Februar 2011
A
Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb (§ 1 Absatz 3 Nummer 2a AÜG), Nummer 3 (§ 1a Absatz 1 AÜG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Nummer 2 Buchstabe b ist Doppelbuchstabe bb zu streichen.
- b) Nummer 3 ist wie folgt zu fassen:
'3. § 1a Absatz 1 wird wie folgt gefasst:
- (1) Keiner Erlaubnis bedarf
- 1. ein Arbeitgeber mit weniger als 50 Beschäftigten, der zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen an einen Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird, bis zur Dauer von zwölf Monaten überlässt,
- 2. ein Arbeitgeber, der nur gelegentlich an einen Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird, überlässt, wenn er die Überlassung vorher schriftlich der Bundesagentur für Arbeit angezeigt hat."
- (1) Keiner Erlaubnis bedarf
Begründung:
Zu a:
Nach dem neuen Ausnahmetatbestand des § 1 Absatz 3 Nummer 2a AÜG soll die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern, sofern sie nur gelegentlich erfolgt und der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird, vom Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ausgenommen sein.
Folglich wäre für den Verleih weder eine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit erforderlich, noch müsste eine Anzeige der Überlassung erfolgen. Weiterhin würden damit keine sonstigen (Schutz-)Vorschriften des AÜG Anwendung finden. Überlassungen nach dem neuen Ausnahmetatbestand wären einer Datenerhebung und Kontrolle durch die Bundesagentur für Arbeit damit entzogen. Eine Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit, ob die Grenze zur erlaubnispflichtigen Überlassung überschritten ist, ist ihr mangels Kenntnis nicht möglich. Die Arbeitgeber agieren in einem gewissen "Graubereich". Hinzu kommt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff "gelegentlich" für die weitreichende Folge einer grundsätzlichen Nichtanwendbarkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auf diese Arbeitnehmerüberlassung nicht hinreichend bestimmt ist. Dies ist nicht sachgerecht. Die Ausnahmeregelung des § 1 Absatz 3 Nummer 2a AÜG ist deshalb aufzuheben.
Zu b:
Mit der Erweiterung des § 1a Absatz 1 AÜG um eine neue Nummer 2 wird geregelt, dass die nur gelegentlich erfolgende Überlassung von Arbeitnehmern, die nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt werden, - wie die sogenannten Kollegenhilfe (§ 1a Absatz 1 Nummer 1 AÜG) - der Bundesagentur für Arbeit vorher schriftlich angezeigt werden muss. Die Anzeigepflicht ersetzt die grundsätzlich bestehende Erlaubnispflicht.
Durch diese Privilegierung wird sichergestellt, dass nur gelegentlich auftretende Überlassungsfälle zur Deckung eines kurzfristigen Personalbedarfs rasch, unbürokratisch und flexibel abgewickelt werden können.
Gleichzeitig wird der Verleih einer präventiven Kontrolle durch die Arbeitsverwaltung unterstellt. Die vorherige Anzeige ermöglicht der Bundesagentur für Arbeit, die Rechtmäßigkeit des Verleihs vorab zu prüfen und mögliche Rechtsverstöße sowie Missbrauch zu unterbinden. Zugleich wird ihr ein Überblick über die Branche eröffnet.
2. Zu Artikel 1aneu - (§ 4 Nummer 9 - neu -, § 6 Absatz 10 - neu -, § 8 Absatz 3 AEntG)
Nach Artikel 1 ist folgender Artikel einzufügen:
'Artikel 1a
Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
Das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 4 wird wie folgt geändert:
- a) In Nummer 7 werden die Wörter "Winterdienst und" durch das Wort "Winterdienst," ersetzt.
- b) In Nummer 8 wird der abschließende Punkt durch das Wort "und" ersetzt und folgende Nummer angefügt:
"9. für die Arbeitnehmerüberlassung nach dem Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG)."
2. Dem § 6 wird folgender Absatz angefügt:
(10) Im Falle eines Tarifvertrages nach § 4 Nummer 9 findet dieser Abschnitt Anwendung, wenn der Betrieb oder die selbstständige Betriebsabteilung überwiegend Leistungen der Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erbringt."
3. § 8 Absatz 3 wird wie folgt gefasst:
(3) Wird ein Leiharbeitnehmer oder eine Leiharbeitnehmerin vom Entleiher mit Tätigkeiten beschäftigt, die in den Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach den § 4 Nummern 1 bis 8, § 5 Nummern 1 bis 3 und § 6 Absatz 1 bis 9 oder einer Rechtsverordnung nach § 7 fallen, hat der Verleiher in diesem Tarifvertrag oder in dieser Rechtsverordnung vorgeschriebene, gegenüber einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach § 4 Nummer 9 oder einer die Anwendung dieses Tarifvertrages bestimmenden Rechtsverordnung nach § 7 günstigere Arbeitsbedingungen zu gewähren sowie der gemeinsamen Einrichtung nach diesem Tarifvertrag zustehende Beiträge zu leisten. Weitergehende Ansprüche auf Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts ( § 10 Absatz 4 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes) bleiben unberührt." '
Folgeänderung:
Im Titel sind nach den Wörtern "Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes" die Wörter "und des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes" einzufügen.
Begründung:
Zu § 4 Nummer 9 - neu - AEntG:
Die Ergänzung dehnt den Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die Leiharbeitsbranche aus.
Es erscheint dringend erforderlich, die Leiharbeit unverzüglich als weitere Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Vor allem durch den Eintritt der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-Beitrittsländer mit Ausnahme von Bulgarien und Rumänien zum 1. Mai 2011 ist ein solcher Schritt unumgänglich. Nur durch einen einheitlichen und grenzüberschreitend verbindlichen Branchenmindestlohn für die Leiharbeit kann gewährleistet werden, dass es nicht zu einem vor allem auch grenzüberschreitenden - Einsatz von Leiharbeitskräften auf einem sehr niedrigen Lohnniveau kommt. Einen Unterbietungswettbewerb um die niedrigsten Tarifstandards und einen Einsatz von Leiharbeit zu Dumpingbedingungen in denjenigen Branchen, in denen kein Mindestlohntarifvertrag auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine verbindliche Lohnuntergrenze vorschreibt, gilt es zu verhindern.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bildet bereits seit 1996 einen bewährten und verlässlichen Rahmen für die Schaffung und Kontrolle branchenbezogener Mindestlöhne sowie für die Sanktionierung von entsprechenden Verstößen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung verfügt über langjährige Erfahrungen bei der Anwendung des Gesetzes. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz enthält in § 20 besondere Regelungen über die Zusammenarbeit der in- und ausländischen Behörden. § 21 AEntG sieht den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge für Bewerberinnen und Bewerber bis zur nachgewiesenen Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit vor, die wegen eines Verstoßes gegen die Bußgeldvorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes mit einer Geldbuße von wenigstens zweitausendfünfhundert Euro belegt worden sind.
Entsprechende Regelungen vor allem zur wirksamen grenzüberschreitenden Kontrolle der Einhaltung einer Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit enthält das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht. Die Einbeziehung der Leiharbeit in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist daher der Alternative, eine Lohnuntergrenze im Arbeitnehmerüberlassungsrecht zu regeln, vorzuziehen. Unabhängig davon begegnet die Verankerung einer materiellrechtlich wirkenden Lohnuntergrenze im Arbeitnehmerüberlassungsrecht auch systematischen Vorbehalten. Das Arbeitnehmerüberlassungsrecht enthält vorrangig erlaubnisrechtliche Vorschriften. Dem gegenüber wirkt die Regelung einer Lohnuntergrenze für Leiharbeit im Arbeitnehmerüberlassungsrecht unsystematisch und trägt nur zu einer weiteren Zersplitterung der Mindestlohnregelungen bei.
Die weit gefasste Branchenbenennung folgt dem in Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008, Seite 9) weit gefassten Anwendungsbereich und der daher im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erforderlichen und im Gesetzentwurf der Bundesregierung bereits vorgesehenen Streichung der Einschränkung "gewerbsmäßig".
Zu § 6 Absatz 10 - neu - AEntG:
Die Regelung entspricht den üblichen Geltungsbereichsbestimmungen in § 6 AEntG.
Zu § 8 Absatz 3 AEntG:
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sollte wie jedes Gesetz für den Rechtsanwender aus sich heraus verständlich sein. Die Klarstellung der Rangfolge zwischen Ansprüchen aus der für Leiharbeit geltenden Regelung und den übrigen Branchenregelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz stellt klar, dass die für Leiharbeit geltenden Mindestarbeitsbedingungen durch Mindestarbeitsbedingungen anderer Branchen überlagert werden können.
Der Hinweis auf weitergehende Ansprüche aufgrund des Equal Pay/Equal Treatment-Grundsatzes dient ebenfalls nur der Rechtsklarheit für die Norm unterworfenen.
B
- 3. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.