Punkt 15 der 806. Sitzung des Bundesrates am 26. November 2004
Der Bundesrat möge anstelle der Empfehlung in Ziffer 4 der Drucksache 846/1/04 beschließen, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes aus folgendem Grund einberufen wird:
Zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe c (Inhaltsübersicht), Nr. 1a - neu - (§ 5 Nr. 8 Buchstabe b StGB), Nr. 10 (§§ 232a - neu -, 233c - neu - StGB)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Nummer 1 ist Buchstabe c wie folgt zu ändern:
- aa) Nach der Angabe zu § 232 ist folgende Angabe einzufügen:
" § 232a Sexueller Missbrauch von Menschenhandelsopfern"
- bb) Folgende Angabe ist anzufügen:
" § 233c Strafmilderung und Absehen von Strafe"
- aa) Nach der Angabe zu § 232 ist folgende Angabe einzufügen:
- b) Nach Nummer 1 ist folgende Nummer 1a einzufügen:
"1a. In § 5 Nr. 8 Buchstabe b wird die Angabe "und 182" durch die Angabe ", 182 und 232a" ersetzt."
- c) Nummer 10 ist wie folgt zu ändern:
- aa) Nach § 232 ist folgender § 232a einzufügen:
" § 232a Sexueller Missbrauch von Menschenhandelsopfern
(1) Wer die durch eine rechtswidrige Tat nach § 232 geschaffene Lage des Opfers eines Menschenhandels dadurch missbraucht, dass er sexuelle Handlungen an diesem vornimmt oder von diesem an oder vor sich oder einem Dritten vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar."
- bb) Nach § 233b ist folgender § 233c einzufügen:
- aa) Nach § 232 ist folgender § 232a einzufügen:
" § 233c Strafmilderung und Absehen von Strafe
Das Gericht kann in den Fällen der §§ 232 bis 233a die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von Strafe nach diesen Vorschriften absehen wenn der Täter
- 1. durch die freiwillige Offenbarung seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden konnte, oder
- 2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass Straftaten nach den §§ 232 bis 233a, von deren Planung er weiß, noch verhindert werden können."
Begründung
Es erscheint unabdingbar, Strafvorschriften gegen die sexuelle Ausbeutung von Menschenhandelsopfern einzuführen. Tag für Tag macht sich eine Vielzahl von "Freiern" die Notlage namentlich von Zwangsprostituierten im Grenzgebiet zu den ehemaligen Ostblockstaaten zunutze. Betroffen sind jedoch auch Frauen und Mädchen, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus den ehemaligen Ostblockstaaten oder der Dritten Welt nach Deutschland gelockt und dort in die Prostitution verbracht worden sind. Selbst dann, wenn den "Freiern" bewusst ist oder sie angesichts der Umstände damit rechnen, dass es sich bei den Prostituierten um Opfer skrupelloser Frauen- und Mädchenhändler handelt, machen sie sich nach geltendem Strafrecht in der Regel nicht strafbar. Denn die Straftaten des Menschenhandels sind zu diesem Zeitpunkt fast ausnahmslos bereits endgültig beendet, weswegen eine strafbare Teilnahme, etwa in Form der Beihilfe, nicht mehr möglich ist.
Dies erscheint nicht länger hinnehmbar. Die Täter beuten die typischerweise gegebene Schwächesituation der Menschenhandelsopfer aus. Derartige Schwächesituationen werden auch sonst vom Sexualstrafrecht geschützt (z.B. in den §§ 174 bis 174c und 182 StGB). Es erscheint geboten, auch in diesem Bereich strafrechtlichen Schutz zu gewähren.
Abgezielt wird ferner darauf, den Menschenhändlern die Basis für ihre Machenschaften zu entziehen. Gäbe es nicht die "Freier", die die Situation gehandelter Frauen und Mädchen missbrauchen, so könnten die Verbrecherringe nicht ihre immensen Gewinne erzielen. Mit einer Verringerung der Nachfrage geht demnach auch eine Verringerung dieser Gewinne einher.
Es wird nicht verkannt, dass der Kampf gegen den Menschenhandel nicht allein mit strafrechtlichen Mitteln geführt werden kann. Notwendig ist neben einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Heimatstaaten der Opfer auch eine Bewusstseinsänderung. Zu dieser Bewusstseinsänderung trägt der neue Tatbestand bei, indem er ein Zeichen setzt. Er bringt klar zum Ausdruck, dass die Rechtsordnung bislang vielfach bedenkenlos begangene Taten der sexuellen Ausbeutung von Menschenhandelsopfern nicht länger hinzunehmen bereit ist und zu deren Eindämmung mit dem Strafrecht zu seiner schärfsten Waffe greift.
Im Einzelnen:
Zu Buchstabe a:
Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einfügung der neuen §§ 232a und 233c StGB.
Zu Buchstabe b:
§ 5 Nr. 8 Buchstabe b StGB erstreckt die deutsche Strafgewalt auf Straftaten Deutscher im Zuge des "Sextourismus" nach § 232a - neu -. Andernfalls könnten Täter, die sich an der sexuellen Ausbeutung von Menschenhandelsopfern etwa in den Staaten des ehemaligen Ostblocks oder auch der Dritten Welt beteiligen (s. unten), in der Regel nicht durch die deutsche Strafjustiz belangt werden.
Zu Buchstabe c:
Zu Doppelbuchstabe aa (§ 232a - neu - StGB):
Kern des Straftatbestandes nach Absatz 1 ist der Missbrauch der durch eine Straftat des Menschenhandels geschaffenen Lage der Menschenhandelsopfer zu sexuellen Handlungen. Typischerweise wird es um Prostitution gehen. Im Hinblick darauf, dass bereits die Ausbeutung der Schwächesituation als solche strafwürdig und strafbedürftig ist, wird jedoch eine Entgeltlichkeit vom Tatbestand nicht verlangt. Denn es sind Konstellationen denkbar, in denen das Opfer ausgebeutet wird, ohne dass Geld fließt. Die Norm bildet insoweit auch einen Auffangtatbestand zur Vergewaltigung in Form der Nötigung zu sexuellen Handlungen unter Ausnutzung einer hilflosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB).
Anders als dort ist insbesondere nötigendes Verhalten nicht erforderlich.
Zur Kennzeichnung des verpönten Unrechts wird statt des gleichfalls in Betracht kommenden aber etwas weniger aussagekräftigen Terminus der "Ausnutzung" der Begriff des "Missbrauchs" verwendet. Darunter ist die bewusste Ausnutzung gerade des Schwächezustands zu verstehen (vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 174 Rnr. 9). Der Begriff des Missbrauchs wird in Tatbeständen herangezogen, bei denen an die Möglichkeit gedacht werden muss, dass sich das Verhalten des Täters aus besonderen Gründen als nicht verwerflich darstellt vgl. Begründung des E 1962, S. 360 f. (vor § 204)). Im hier vorliegenden Zusammenhang dient er namentlich der Ausgrenzung echter Liebesbeziehungen.
Das Spektrum der relevanten sexuellen Handlungen ist bewusst weit umschrieben.
Umfasst sind neben der Prostitution auch sexuelle Handlungen im Rahmen der Pornografie, von Peepshows oder des so genannten Heiratshandels.
Absatz 1 normiert ein Vorsatzdelikt. Bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss zumindest damit gerechnet und billigend in Kauf genommen haben, dass er sich die durch eine Straftat des Menschenhandels geschaffene Lage des Opfer zunutze macht. Damit sind naturgemäß Nachweisprobleme aufgeworfen. Diese wohnen jedoch auch den sonstigen Tatbeständen des Menschenhandels inne und sprechen nicht entscheidend gegen die Pönalisierung. Zunächst ist auf die Signalwirkung des Tatbestands hinzuweisen (vgl. oben). Ferner wird es Konstellationen geben in denen die äußeren Umstände so sehr auf einen vollführten Menschenhandel hinweisen, dass der Einwand des Täters, er habe nichts geahnt, als bloße Schutzbehauptung gelten kann (z.B. schlechter körperlicher Zustand, Merkmale von Gewaltanwendungen).
Der Strafrahmen von fünf Jahren entspricht dem vergleichbarer Straftatbestände des Sexualstrafrechts (§ 174 Abs. 1, §§ 174b, 174c StGB).
Absatz 2 stellt den Versuch unter Strafe.
Zu Doppelbuchstabe bb (§ 233c - neu - StGB):
Straftaten des Menschenhandels sind den so genannten Kontrolldelikten zuzurechnen.
Dies bedeutet, dass auf Grund der spezifischen Situation mit Strafanzeigen nicht zu rechnen ist. Es erscheint deshalb dringend erforderlich, Kronzeugenregelungen zu schaffen. Sie bieten auch die Grundlage, Kooperationsbemühungen von "Freiern" in besonderer Weise bei der Strafzumessung zu honorieren. Die Förderung der Kooperationsbereitschaft solcher Personen erscheint erforderlich um an die Hintermänner heranzukommen.
Begründung (nur für das Plenum):
Ziel ist es, den sexuellen Missbrauch von Menschenhandelsopfern unter Strafe zu stellen, die Strafbarkeit aber abweichend von der Ausschussempfehlung in Ziffer 4 Buchstabe c Doppelbuchstabe aa der Drucksache 846/1/04, wie auch sonst im Bereich der Sexualdelikte, auf Vorsatztaten zu beschränken.
Die von Ziffer 4 Buchstabe c Doppelbuchstabe bb der Drucksache 846/1/04 darüber hinaus geforderte Kronzeugenregelung wurde in den vorliegenden Plenarantrag unverändert übernommen.