Der Bundesrat hat in seiner 879. Sitzung am 11. Februar 2011 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Soweit die Kommission ankündigt, für schwerste Verstöße gegen Finanzdienstleistungsvorschriften die Einführung strafrechtlicher Sanktionen und die Festlegung von Mindestvorschriften zur Bestimmung von Straftaten und Strafen zur Gewährleistung zu prüfen, weist der Bundesrat darauf hin, dass die am Ende von Fußnote 23 der Mitteilung erwähnte Rechtsgrundlage des Artikels 83 AEUV in ihrem Absatz 1 zwar eine Grundlage zur Schaffung von Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität bietet, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Die Aufzählung der einschlägigen Kriminalitätsbereiche in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV erfasst jedoch nicht Straftaten im Finanzdienstleistungssektor. Diese allgemeine Ermächtigung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform eng auszulegen. Eine Ausdehnung des Katalogs besonders schwerer grenzüberschreitender Kriminalität gemäß Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV unterliegt dem Gesetzesvorbehalt des Artikels 23 Absatz 1 Satz 2 GG. Von der europäischen Rahmenvorschrift darf nur die grenzüberschreitende Dimension des konkreten Tatbestands angesprochen werden; eine denkbare Form der Schonung der im Grundsatz integrationsfesten mitgliedstaatlichen Strafkompetenz kann dadurch erreicht werden, dass die Mindestvorschrift nicht einen ganzen Deliktsbereich, sondern lediglich einzelne Tatbestandsvarianten erfasst (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. -, Rn. 352 ff., 363). Auch die Annexzuständigkeit nach Artikel 83 Absatz 2 AEUV ist eng auszulegen. Die Angleichung entsprechender Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ist nur dann zulässig, wenn nachweisbar feststeht, dass ein gravierendes Vollzugsdefizit für die wirksame Durchführung der Politik der EU auf dem harmonisierten Rechtsgebiet tatsächlich besteht und nur durch Strafdrohung beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 352 ff., 362).
- 2. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission es für nützlich hält, über gemeinsame Bestimmungen nachzudenken, deren Ziel es unter anderem ist, unter bestimmten, genau festgelegten strengen Bedingungen das Strafmaß für Personen herabzusetzen, die ihre Beteiligung an einem Verstoß gegen bestimmte Vorschriften zugeben (Kronzeugenregelungen). Bei diesem Vorhaben ergibt sich aus der vorliegenden Mitteilung nicht, was im Einzelnen Gegenstand der Initiativen der Kommission sein soll und welchen Inhalt diese haben werden. Der Bundesrat wird sich zu gegebener Zeit eingehend mit den Vorschlägen der Kommission befassen und dazu Stellung beziehen. Dabei erwartet der Bundesrat, dass bei den konkreten Vorschlägen das Subsidiaritätsprinzip sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Für den Fall, dass durch die Kommission auch an strafrechtliche Bestimmungen gedacht werden sollte, weist der Bundesrat darauf hin, dass eine Rechtsgrundlage jedenfalls nicht in Artikel 83 Absatz 1 oder 2 AEUV zu finden sein dürfte, da diese Regelungen nur "Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen" in Bereichen besonders schwerer Kriminalität bzw. auf einem harmonisierten Rechtsgebiet zulassen. Die Zuständigkeiten der EU im Bereich der Strafrechtspflege müssen zudem in einer Weise ausgelegt werden, die den Anforderungen des Schuldprinzips genügt (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 364). Kronzeugenregelungen stehen in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zu dem in Deutschland verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip. Der Bundesrat bittet die Kommission daher, für etwaige Bestimmungen eine Pflicht zur Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nur insoweit vorzusehen, als eine solche im Einklang mit der jeweiligen nationalen Rechtsordnung erfolgen kann.