Zum Kapitel "Einsatz der Kernenergie"
Punkt 41 der 881. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011
Der Bundesrat möge wie folgt Stellung nehmen:
Die dramatischen und tragischen Ereignisse in Japan mit einer Atomkatastrophe noch nicht einschätzbaren Ausmaßes zeigen, dass die nukleare Technologie Risiken beinhaltet, die weder kontrollierbar noch im Krisenfall beherrschbar sind. Dass atomare Störfälle mit gravierender Freisetzung von Radioaktivität selbst bei japanischen Kraftwerken eintreten, deren Schutzniveau mit denen deutscher kerntechnischer Anlagen vergleichbar ist, muss daher auch zukunftsweisende Folgen für die Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Das von der Bundesregierung verkündete dreimonatige Moratorium für die vereinbarte Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke greift zu kurz. Die Ankündigung korrigiert weder die grundsätzlich falschen politischen und gesetzlichen Weichenstellungen, noch gibt sie Antworten auf die Frage, wie ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Energiekonzept für die Bundesrepublik aussieht.
- 1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag auf, die im Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 28. Oktober 2010 beschlossene Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke unverzüglich in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zurückzunehmen und auf der Grundlage des im Jahr 2002 verabschiedeten Atomenergiebeendigungsgesetzes den vollständigen Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der Nutzung der Atomenergie festzuschreiben. Das Energiekonzept der Bundesregierung ist auf der Grundlage des Atomenergiebeendigungsgesetzes unter Beteiligung der Länder zu überarbeiten.
- 2. Der Bundesrat fordert die unverzügliche und endgültige Stilllegung der ältesten und am schlechtesten gegen Flugzeugabsturz geschützten Reaktoren Biblis A, Biblis B, Brunsbüttel, Neckarwestheim I, Philippsburg I, Isar I, Unterweser und Krümmel. Die Stilllegung dieser acht Atomkraftwerke wird die Sicherheit der Stromversorgung nicht gefährden und die Großhandelspreise für Strom nur geringfügig beeinflussen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die derzeit erfolgende Abschaltung der älteren Atomkraftwerke auf der Grundlage von Anordnungen nach § 19 Abs. 3 Atomgesetz der zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder rechtlich nicht tragfähig ist.
- 3. Unabhängig von der Rücknahme der Laufzeitverlängerung ist angesichts der Ereignisse in Japan eine Neubewertung aller Atomkraftwerke nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich. Die neuen Maßstäbe müssen sich konsequent am Ziel einer wirksamen Schadensvorsorge orientieren. Die Sicherheit darf nicht am Einwand wirtschaftlicher Unzumutbarkeit scheitern.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, das kerntechnische Regelwerk des Jahres 2009 sofort in Kraft zu setzen, um den Stand von Wissenschaft und Technik zum Maßstab für den Betrieb deutscher Atomkraftwerke und kerntechnischer Anlagen zu machen. Hierzu gehört auch die Auslegung der deutschen Atomkraftwerke gegen einen gezielten terroristisch herbeigeführten Absturz von Flugzeugen, auf die im Laufzeitverlängerungsbeschluss aus wirtschaftlichen Erwägungen verzichtet wurde. Zudem soll die Erdbebensicherheit geprüft werden.
- 5. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich die für Fragen der Reaktorsicherheit zuständigen Sachverständigengremien mit der Erarbeitung von Vorschlägen zu beauftragen.
- 6. Ein Energiekonzept der Zukunft kann nur mit einer konsequenten Neuausrichtung der gesamten Energiepolitik und deren Strukturen hin auf den schnellstmöglichen Umstieg zu erneuerbaren Energien erreicht werden. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Verbindung mit dem Einsatz hocheffizienter Kraftwerke möglichst in Kraft-Wärme-Kopplung wird in der Lage sein, die Atomkraft zu kompensieren. Die Rücknahme der Laufzeitverlängerung ergibt Chancen am Energiemarkt für neue Anbieter, verstärkt den Wettbewerb und schafft Anreize für den Umbau unseres Energiesystems. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, diesen Weg jetzt forciert und zielgerichtet einzuschlagen. Dazu zählen auch die Ausschöpfung der Potentiale der Energieeinsparung und der Energieeffizienz sowie die Förderung von Innovationen für eine dezentrale und nachhaltige Energieversorgung. Hinzu kommt der notwendige Ausbau von Übertragungs- und Verteilnetzen.
- 7. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich auch auf europäischer Ebene für einen raschen und konsequenten Atomausstieg einzusetzen. Dabei muss vorrangig die Stilllegung von Atomkraftwerken, die vor 1980 gebaut wurden und die in erdbebengefährdeten Gebieten liegen, eingeleitet werden. Darüber hinaus ist die europäische Energiepolitik grundlegend neu auszurichten, insbesondere im Hinblick auf ihre Klimastrategie und die dafür benötigten Finanzinstrumente.