Der Bundesrat hat in seiner 879. Sitzung am 11. Februar 2011 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass sich aus der Gesamtschau der Leitinitiativen der EU-2020-Strategie eine zunehmend engere Verschränkung des Bildungsbereichs mit ausschließlich mitgliedstaatlicher Zuständigkeit und dem stärker vergemeinschafteten Beschäftigungsbereich abzeichnet. Die zweckorientierte Reduzierung der Bildungsziele auf die Beschäftigungsfähigkeit verfehlt nach Auffassung des Bundesrates den von deutschen Bildungseinrichtungen praktizierten ganzheitlichen Bildungsanspruch, der auch die Bildung der Persönlichkeit umfasst, auf europäischer Ebene vgl. BR-Drucksache 026/09(B) -.
- 2. Der Bundesrat unterstreicht die strikte Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten im Bildungsbereich, deren Tätigkeiten durch die EU erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt werden können. In diesem Zusammenhang werden die für 2011 geplanten neuen europäischen Durchschnittsbezugswerte für "Bildung für Beschäftigungsfähigkeit" und die für 2012 angekündigten Durchschnittsbezugswerte für Sprachen (Sprachkompetenz) kritisch bewertet.
- 3. Die Prioritäten der Kommission für eine bessere Durchführung, Überwachung und Steuerung der "Flexicurity", d.h. der Verbindung von Flexibilität und Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber für mehr Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Arbeitszufriedenheit, und der für den Arbeitsmarkt erforderlichen Kompetenzen bedeuten einen stark von der europäischen Ebene gesteuerten Prozess, der auch den Bildungsbereich einbezieht. Der Bundesrat unterstreicht in diesem Zusammenhang seine Haltung, dass dabei keine Indikatoren und Durchschnittsbezugswerte definiert werden dürfen, die dem Harmonisierungsverbot im Bildungsbereich zuwiderlaufen.
- 4. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass aus dem Wandel hin zu qualifikations- und kompetenzorientierten Ansätzen eine erhebliche Veränderung in den Bildungssystemen folgen wird.
- 5. Der Bundesrat verweist darauf, dass Deutschland über ein differenziertes und breit ausgebautes Berufsbildungssystem mit vielfältigem Spektrum verfügt, das durch seine enge Bindung an die Unternehmen auf neue Erfordernisse des Arbeitsmarkts reagiert.
- 6. Der Bundesrat befürwortet grundsätzlich den Abbau von Beschäftigungshindernissen für hochqualifizierte Migranten, die legal in der EU leben, um vorhandene Potenziale besser auszuschöpfen. Die Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen ist Gegenstand des von der Bundesregierung angekündigten Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen, dessen Zielsetzungen sich die Länder voraussichtlich für ihren Bereich anschließen werden. Die von der Kommission vorgeschlagene Erfassung der Kompetenzprofile von Drittstaatsangehörigen ist aber aus Sicht des Bundesrates mit einem nicht adäquaten Verwaltungsaufwand verbunden, den die Länder ablehnen.
- 7. Der Bundesrat nimmt das Vorhaben der Kommission, im Rahmen des "Small Business Act" spezifische Schulungsprogramme für Lehrkräfte im Bereich Unternehmertum zu unterstützen, mit Interesse zur Kenntnis und begrüßt die Ankündigung, den Austausch bewährter Verfahren zu fördern. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass Multiplikatoren wie Lehrkräfte und Ausbilder eine Schlüsselfunktion haben, gibt aber zu bedenken, dass Lösungen gefunden werden müssen, die den personellen, organisatorischen und finanziellen Gegebenheiten Rechnung tragen. Die Forderung der Kommission, das Thema Unternehmertum in den Lehrplänen stärker herauszuarbeiten, weist der Bundesrat als Eingriff in mitgliedstaatliche Kompetenzen zurück.
- 8. Im Hinblick auf die Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen fordert der Bundesrat eine größtmögliche Flexibilität in der Vergabe von ESF-Mitteln, um den Bedürfnissen der Länder und Regionen gerecht zu werden. Eine Konzentration der Finanzmittel auf wenige Prioritäten lehnt er ab, da dies eine Einschränkung regionaler Handlungsspielräume bedeuten und nicht den Bedürfnissen größerer, heterogener Regionen gerecht werden würde. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten und Regionen zu strukturellen oder institutionellen bildungspolitischen Reformen als Bedingung für die Zuweisung von Strukturfondsmitteln weist der Bundesrat insbesondere aus Gründen der vertraglichen Kompetenzordnung sowie des Subsidiaritätsprinzips zurück. Zudem stößt eine Messung des Grades der Zielerreichung bei langfristig wirkenden, innovativen und bildungspolitischen Maßnahmen an Grenzen, da qualitätsorientierte Ergebnisse dort erst mit erheblicher Zeitverzögerung vorliegen.