Der Bundesrat hat durch seine Europakammer am 24. Januar 2012 die aus der Anlage ersichtliche Stellungnahme gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV beschlossen.
Der Beschluss ist gemäß § 45 i der Geschäftsordnung des Bundesrates zustande gekommen.
Anlage
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung) KOM (2011) 793 endg.
- 1. Der Bundesrat teilt die Ansicht der Kommission, dass die Durchsetzung des Rechts für die Verbraucher auch über den Weg der außergerichtlichen Streitbeilegung erleichtert werden soll. Die Beilegung von Streitigkeiten außerhalb staatlicher Gerichte kann für die Parteien eines Konflikts mit Vorteilen verbunden sein. Insbesondere sind außergerichtliche Konfliktlösungen häufig kostengünstiger, einfacher zugänglich und im Verfahrensgang flexibler als die Streitlösung durch staatliche Gerichte.
- 2. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der Kommission, den grenzüberschreitenden Einzelhandel und insbesondere den elektronischen Geschäftsverkehr über die Grenzen hinweg weiter zu beflügeln. Zweifelsohne kann die verstärkte Nutzung der Möglichkeiten des grenzüberschreitenden Handels sowohl für die Verbraucher als auch die Unternehmen von Vorteil sein. Der Bundesrat steht daher der Schaffung vertrauensbildender Maßnahmen oder zusätzlicher Anreize für den grenzüberschreitenden Handel auf der Ebene der EU aufgeschlossen gegenüber, sofern sie sachlich sinnvoll und von einer Kompetenz der EU getragen sind.
- 3. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass sich der Vorschlag für eine Richtlinie über alternative Streitbeilegung in der vorliegenden Form nicht auf eine für ein Tätigwerden der EU erforderliche Rechtsgrundlage aus den Verträgen stützen lässt. Der Vorschlag wahrt zudem nicht den Subsidiaritätsgrundsatz.
- 4. Der Vorschlag für eine Richtlinie über alternative Streitbeilegung ist insoweit nicht von der angegebenen Rechtsgrundlage des Artikels 114 AEUV gedeckt, als er auch für rein inländische Streitigkeiten die Errichtung und Finanzierung einer flächendeckenden Infrastruktur an außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen für verbraucherrechtliche Streitigkeiten, die aus dem Kauf von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen hervorgehen, vorsieht.
Nach der Begründung des Vorschlags soll sich der von Artikel 114 AEUV geforderte Binnenmarktbezug daraus ergeben, dass über eine Stärkung des Vertrauens der Verbraucherinnen und Verbraucher in außergerichtliche Streitbeilegungssysteme der grenzübergreifende Einzelhandel beflügelt werden kann.
Nach Auffassung des Bundesrates ist es zumindest denkbar, dass das Vorhandensein einer Infrastruktur für die außergerichtliche Streitbeilegung von grenzüberschreitenden Streitigkeiten das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in den grenzüberschreitenden Handel und die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher nach Produkten und Dienstleistungen, die in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden, stärkt. Es gibt aber keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb die Mitgliedstaaten unter dem Gesichtspunkt der Förderung des grenzübergreifenden Geschäftsverkehrs für rein inländische Sachverhalte verpflichtet werden können, Regelungen zum Rechtsschutzsystem über die außergerichtliche Streitbeilegung zu treffen. Denn die Regelung rein inländischer Streitigkeiten hat keine erkennbare Auswirkung auf die Motivation der Verbraucher, grenzübergreifend einzukaufen.
Sie ist auch nicht erforderlich, um eine funktionierende außergerichtliche Streitbeilegung für grenzüberschreitende Streitigkeiten zu gewährleisten. Denn für grenzüberschreitende Streitigkeiten, bei denen sich zudem besondere Schwierigkeiten ergeben (Sprache der Konfliktlösung, Auffinden des anwendbaren Rechts etc.), können eigene spezialisierte außergerichtliche Streitbeilegungsstellen geschaffen werden.
Ein Rekurs auf Streitbeilegungsstellen für inländische Streitigkeiten ist hierfür nicht notwendig. Er wäre nach Ansicht des Bundesrates in Anbetracht der Anzahl der Streitigkeiten und des Umfangs des Eingriffs in mitgliedstaatliche Zuständigkeiten auch dann nicht verhältnismäßig, wenn unterstellt wird, dass der grenzüberschreitende Einzelhandel in Zukunft an Dynamik gewinnen wird.
- 5. Andere in Betracht kommende Rechtsgrundlagen wie Artikel 81 Absatz 2 Buchstabe g AEUV oder Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b AEUV können den Vorschlag in der vorliegenden Form ebenfalls nicht stützen. Maßnahmen nach Artikel 81 Absatz 2 Buchstabe g AEUV müssen der Entwicklung einer justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug dienen. Auch über diese Kompetenzgrundlage wäre die Union daher auf Maßnahmen, die grenzübergreifende Streitigkeiten betreffen, begrenzt. Über Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b AEUV sind im Bereich des Verbraucherschutzes seitens der EU nur Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten möglich. In der Entscheidung für eine flächendeckende Errichtung und Finanzierung eines außergerichtlichen Streitbeilegungssystems für sämtliche verbraucherrechtliche Streitigkeiten aus Kauf- und Dienstleistungsverträgen liegt aber auch dann keine bloße Unterstützung der mitgliedstaatlichen Verbraucherschutzpolitik, wenn bereits zahlreiche Streitbeilegungsstellen bestehen, auf die bei der Umsetzung der Maßnahme aufgebaut werden könnte. Denn mit der Richtlinie über alternative Streitbeilegung werden grundlegende Weichenstellungen für ein flächendeckendes, staatlich zu beaufsichtigendes System mit bestimmten Qualitätsanforderungen erstmals geschaffen.
- 6. Soweit der Vorschlag für eine Richtlinie über alternative Streitbeilegung auch für inländische Streitigkeiten die Errichtung, Finanzierung und Beaufsichtigung einer flächendeckenden Infrastruktur an außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen vorsieht, verstößt er zudem gegen das Subsidiaritätsprinzip im engen Sinn. Die Erstreckung auf inländische Sachverhalte ist aus den oben genannten Gründen für das Funktionieren des Binnenmarktes nicht erforderlich. Für rein innerstaatliche Sachverhalte reicht eine Regelung der außergerichtlichen Streitbeilegung durch die Mitgliedstaaten aus. Lediglich für grenzübergreifende Streitigkeiten ist ein Handeln der EU mit einem Mehrwert verbunden, weil die Organisation und Vermittlung von außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren bei grenzübergreifenden Streitigkeiten insoweit besser auf der übergeordneten Ebene geleistet werden kann.
- 7. Der Bundesrat hält es daher für geboten, im Einklang mit den Vorschlägen für Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (BR-Drucksache 617/11 (PDF) und zu617/11) und über Online-Streitbeilegung (BR-Drucksache 774/11 (PDF) und zu774/11) sowie mit der geltenden Mediationsrichtlinie (Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen; ABl. L 136 vom 24. Mai 2008, S. 3) den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie auf grenzüberschreitende Sachverhalte zu begrenzen.