Der Bundesrat hat in seiner 966. Sitzung am 23. März 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage insgesamt
- 1. Der Bundesrat begrüßt das mit dem Verordnungsvorschlag verfolgte Ziel, im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Waren einen vertieften und gerechteren Binnenmarkt zu verwirklichen.
- 2. Allerdings gibt er zu bedenken, dass eine Konsolidierung des im Bereich der gegenseitigen Anerkennung bestehenden Rechtsrahmens auf der Grundlage des vorliegenden Vorschlags im Interesse einer Vereinfachung und besseren Anwendbarkeit nicht erreicht wird.
- 3. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass es bei der Verordnung (EG) Nr. 764/2008 vom 9. Juli 2008 zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind (Verordnung (EG) Nr. 764/2008 ), in einigen Mitgliedstaaten und bei einigen Wirtschaftsakteuren zu Schwierigkeiten bei der Anwendung in der Praxis gekommen ist. Soweit einzelne Mitgliedstaaten die Verordnung (EG) Nr. 764/2008 nicht richtig umgesetzt haben, sollte dieses aber zunächst als bilaterales Problem zwischen der Kommission und diesen Mitgliedstaaten betrachtet und nicht zu einem generellen Problem und Gegenstand einer Reglementierung aller Mitgliedstaaten erklärt werden. Dies kann auch durch eine Verstärkung der Beratungsaktivitäten der Kommission in den Mitgliedstaaten erfolgen.
- 4. Sollte die Kommission dennoch am Erlass der vorgeschlagenen Verordnung festhalten, hält der Bundesrat aus folgenden Gründen eine Überarbeitung für erforderlich:
Zum gesundheitlichen Verbraucherschutz
- 5. Der Bundesrat stellt fest, dass zur Sicherung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes in Deutschland verhindert werden muss, dass Produkte, die weitergehende nationale Bestimmungen (unter anderem Tabakrecht und Tätowiermittelverordnung) nicht einhalten, auf dem deutschen Markt in Verkehr gebracht werden dürfen.
- 6. Er bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass stattdessen die bisher nicht harmonisierten Rechtsbereiche durch harmonisierte Regelungen ersetzt werden.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner sicherzustellen, dass - übereinstimmend mit Erwägungsgrund Nr. 27 des Verordnungsvorschlags - das Verbieten des Inverkehrbringens von Waren, die in anderen europäischen Staaten in den Verkehr gebracht werden dürfen, aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes weiterhin möglich ist. Dies betrifft beispielsweise Produkte, die die strengeren Anforderungen für Blei und Nitrosamine nach der nationalen Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug nicht erfüllen. Solche Spielzeuge sollen auch weiterhin nicht auf dem deutschen Markt bereitgestellt werden dürfen, selbst wenn sie rechtmäßig in anderen EU-Mitgliedstaaten im Verkehr sind.
Zu Straßenbahnfahrzeugen und Straßenbahnsystemen
- 8. Der Bundesrat stellt zunächst fest, dass bisher keine spezifischen europäischen Produktrichtlinien für Straßenbahnfahrzeuge oder Straßenbahnsysteme entwickelt wurden und deshalb die Verordnung (EG) Nr. 764/2008 auch für das Inverkehrbringen von Straßenbahnfahrzeugen und deren Komponenten sowie die Marktüberwachung von Straßenbahnsystemen gilt.
- 9. Er betont, dass sich dieses System der Verordnung (EG) Nr. 764/2008 in Deutschland bewährt hat. Innovative Unternehmen mit einer modernen Fahrzeugpalette sind Ausdruck der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schienenfahrzeughersteller. Leistungsfähige Verkehrsunternehmen tragen mit modernen Fahrzeugkonzepten und einer ausgeprägten Kundenorientierung zu einem leistungsfähigen, sicheren und wirtschaftlichen Öffentlichen Personennahverkehr bei. Die im Verordnungsvorschlag durch die Kommission bezeichneten Schwierigkeiten bei Behörden oder Wirtschaftsakteuren sind in diesem Sektor in Deutschland bislang nicht aufgetreten.
- 10. Der Bundesrat weist mit Sorge darauf hin, dass zahlreiche Vorschläge zu einer deutlichen Steigerung des bürokratischen Aufwands sowohl bei den Fahrzeugherstellern als auch bei den Aufsichtsbehörden der Länder führen. Die Einführung umfangreicher neuer Berichterstattungs- und Informationspflichten bindet personelle Kapazitäten, ohne dass damit ein Zugewinn bei der Produktsicherheit verbunden ist. Für die eigentliche Überwachung des Marktzutritts, zum Beispiel durch Prüfung von Produkten, wären bei den Aufsichtsbehörden der Länder zukünftig nur noch in unzureichender Weise Personal und Sachmittel verfügbar. Letztlich führt diese Entwicklung zu Mehrkosten bei der Zulassung und Inbetriebnahme von Fahrzeugen, ohne dass ein Mehrwert erkennbar ist. Preissteigerungen für die Fahrgäste und somit ein Verlust der Attraktivität des Öffentlichen Personennahverkehrs wären die Folge. Ein Teil der Vorschläge ist zudem in sich widersprüchlich oder verwirrend; andere Maßnahmen sind überflüssig.
- 11. Der Bundesrat hält insbesondere eine Überarbeitung von Artikel 6 des Verordnungsvorschlags für erforderlich. Die dort vorgesehene Regelung führt dazu, dass Waren im Allgemeinen, Straßenbahnen oder Komponenten im speziellen Fall, in den Unionsmarkt gelangen können, ohne dass eine abschließende Bewertung erfolgt ist. Ein solcher Markteintritt trifft auf erhebliche Sicherheitsbedenken, wird doch ein nicht unerhebliches Risiko für die Allgemeinheit billigend in Kauf genommen. Sollte sich nach einiger Zeit herausstellen, dass von einem bereits im Markt befindlichen Produkt ein Risiko für die Allgemeinheit ausgeht, wären nachträglich umfangreiche Maßnahmen im gesamten Unionsgebiet erforderlich.
- 12. Er stellt fest, dass das System der Produktinfostellen sinnvoll ist. Die Verzahnung aus Holschuld bei den Wirtschaftsakteuren und Bringschuld bei den Produktinfostellen verspricht einen funktionierenden Informationsaustausch und effiziente Verwaltungsverfahren. Bedenken äußert der Bundesrat gegenüber der Regelung, dass zukünftig jeder Wirtschaftsakteur Anfragen an Produktinfostellen richten kann, unabhängig vom Vorliegen eines realen Falles des Inverkehrbringens. Art und Umfang der daraus entstehenden Verwaltungslasten können nicht abgeschätzt werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf geeignete Art und Weise sicherzustellen, dass die Einführung dieser Informationspflichten für die Behörden der Länder kostenneutral erfolgt.
Zu den Bauprodukten
- 13. Der Bundesrat hält die Abstimmung der Vorlage mit der bestehenden Verordnung (EU) Nr. 305/2011 vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierten Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten (Bauproduktenverordnung) für nicht ausreichend. Die vorliegende Fassung des Vorschlags lässt systematische Eigenheiten des Bausektors unberücksichtigt, die im spezifischen Harmonisierungsrecht für Bauprodukte nach der Bauproduktenverordnung akzeptiert sind. Insbesondere wird verkannt, dass die Verwendbarkeit eines Bauprodukts nur dann gegeben ist, wenn die Produktleistungen den Bauwerksanforderungen entsprechen, die die Mitgliedstaaten in ihrer Zuständigkeit zur Gewährleistung der Bauwerkssicherheit erlassen haben. Im Ergebnis fördert der vorgelegte Vorschlag den Binnenmarkt im Bausektor nicht, sondern schafft aufgrund divergierenden Sekundärrechts Marktunsicherheiten und damit zusätzliche Markthindernisse.
- 14. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Beteiligung der für das Bauordnungsrecht zuständigen Gremien der Länder sicherzustellen und bei den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass für den Bauproduktensektor eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags geschaffen wird. Zumindest ist der Anwendungsbereich auf die Produktinformationsstellen zu begrenzen.
Sowohl im harmonisierten als auch im nicht harmonisierten Bereich des Bauproduktensektors bestimmen die Mitgliedstaaten ihre Anforderungen an Bauwerke und das im jeweiligen Hoheitsgebiet zu erreichende nationale Sicherheitsniveau in eigener Kompetenz und Verantwortung. Anders als bei anderen EU-Harmonisierungssektoren im Bereich der Produktsicherheit wird durch die Bauproduktenverordnung und hierauf basierenden harmonisierten technischen Normen im Bauproduktenbereich kein einheitlicher europäischer Sicherheitsstandard, sondern lediglich eine "gemeinsame Fachsprache" zur Ermittlung der Beständigkeit und Angabe von Produktleistungen ("performance"-basierter Ansatz) definiert. Damit wird den an der Errichtung von Bauwerken Beteiligten die Auswahl solcher Bauprodukte für die Errichtung ermöglicht, mit denen mitgliedstaatliche Anforderungen an Bauwerke erfüllt werden können. Die Mitgliedstaaten passen im harmonisierten Bereich hierzu ihre Vorschriften an die gemeinsame europäische Fachsprache für Bauprodukte an. Im Ergebnis differiert das Sicherheitsniveau im Bausektor von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat; das spezifische Harmonisierungsrecht im Bausektor respektiert diesen Umstand.
- 15. Jedenfalls aber sieht er für den vorliegenden Vorschlag einen erheblichen Überarbeitungs- und Nachbesserungsbedarf, der die im harmonisierten Bereich respektierten strukturellen Unterschiede auch bei der Regelung eines neuen Rechtsrahmens im nicht harmonisierten Produktbereich umfassend berücksichtigt, insbesondere durch
- - klarstellende Ergänzung der beispielhaften Aufzählung "zwingender Gründe des Allgemeininteresses" in Erwägungsgrund (4) um "die Wirksamkeit der Bauaufsicht",
- - Gewährleistung, dass eine Prüfung des neuen Instruments der Eigenerklärung für den Bestimmungsmitgliedstaat ex ante ermöglicht wird,
- - Gewährleistung, dass in der Eigenerklärung sektorspezifische Angaben im Hinblick auf die im Bestimmungsmitgliedstaat geltenden Bauwerksanforderungen und diesbezüglich bestehenden produktspezifischen technischen Methoden enthalten sein müssen.
- 16. Kritisch sieht der Bundesrat, dass der Vorschlag in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, das Niveau der Bauwerkssicherheit selbst festzulegen, eingreift, da er faktisch nicht nur das Inverkehrbringen von Waren, sondern auch die Frage der Verwendbarkeit im konkreten Fall erfasst. Hierdurch wird die Wirksamkeit der Bauaufsicht, die ausschließlich in der Hoheit der Länder liegt, gefährdet.
Zu einzelnen Vorschriften
- 17. Der Bundesrat bittet darum, dass die Begriffsbestimmung "Bereitstellung auf dem Inlandsmarkt eines Mitgliedstaates" in Artikel 3 Nummer 2 des Verordnungsvorschlags ergänzt wird um das "Anwenden" eines Produktes ("Bereitstellen und Anwenden ..."). Dies ist notwendig, damit auch Produkte, die im Rahmen einer Dienstleistung angewendet werden (zum Beispiel Tätowiermittel), unter die Verordnung fallen.
- 18. Teil des Vorschlags der Kommission ist die Einführung einer Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung. Der Bundesrat begrüßt diese Erklärung, trägt sie doch zum gegenseitigen Vertrauen und damit auch zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Straßenbahnfahrzeughersteller bei, indem sie das System der Anerkennung vereinfacht und zu einer Erhöhung der Transparenz führt. Dies kann zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Fahrzeughersteller führen.
- 19. Jedoch stellt der Bundesrat fest, dass die "Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung für die Zwecke der Verordnung" im Anhang des Verordnungsvorschlags zu unbestimmt und in dieser Form nicht verwendbar ist.
Weiteres
- 20. Er merkt an, dass die Durchsetzung von Maßnahmen gegenüber einem Hersteller, der seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, alle Daten und Konformitäten zu den Produkten offenzulegen, derzeit nicht möglich ist. Um den Vollzug möglich zu machen, müssen Sanktionsmaßnahmen ergänzt werden.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung abschließend, bei den weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass im Zuge einer grundlegenden Überarbeitung des Vorschlags die bürokratischen Belastungen für die Zulassungsbehörden und die Marktteilnehmer reduziert werden und, soweit möglich, auf überflüssige Vorschläge, die keinen nennenswerten Mehrwert erbringen, verzichtet wird.