Freistaat Bayern München, den 11. Dezember 2012
Der Ministerpräsident
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates - Einführung von Volksentscheiden zu grundlegenden Fragen der politischen und finanziellen Entwicklung Europas mit dem Antrag, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Ich bitte, die Entschließung den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Seehofer
Entschließung des Bundesrates - Einführung von Volksentscheiden zu grundlegenden Fragen der politischen und finanziellen Entwicklung Europas
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Bundestag und Bundesregierung werden aufgefordert, sich gemeinsam mit dem Bundesrat so rasch wie möglich für die Einführung von Volksentscheiden zu grundlegenden Fragen der politischen und finanziellen Entwicklung Europas und eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes einzusetzen.
- 2. Es sollte im Grundgesetz die Möglichkeit geschaffen werden, dem Volk europapolitische Entscheidungen von besonderer Tragweite - etwa zur Übertragung von wesentlichen Kompetenzen auf die Europäische Union, dem Beitritt weiterer Staaten oder der Übernahme erheblicher Finanzleistungen bei der Bewältigung der Krise in der Eurozone - zur Abstimmung vorzulegen.
Begründung:
Politik und Rechtsetzung werden immer stärker auf europäischer Ebene bestimmt. Für die Europäische Union gilt entsprechend ihrer vertraglichen Grundlagen zwar rechtlich nach wie vor das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die europäische Wirklichkeit hat sich jedoch vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich verschoben: Die Institutionen der Europäischen Union auf der einen Seite, unmittelbare zwischenstaatliche Vereinbarungen etwa der Euro-Staaten auf der anderen Seite beanspruchen im politischen Alltag inzwischen breiten Raum und entwickeln zugleich eine starke Eigendynamik.
Die Bürgerinnen und Bürger sehen sich mit diesen europäischen Entwicklungen konfrontiert. Gleichzeitig nimmt bei ihnen das Gefühl zu, diese Entwicklungen selbst nicht mehr hinreichend beeinflussen zu können. Hinzu kommt, dass die Regierungen auf europäischer Ebene oft auf kurze Frist Entscheidungen von großer Tragweite treffen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits wiederholt angemahnt, dass dabei ausreichende parlamentarische und demokratische Rückbindung notwendig ist.
Das Volk muss bei der rasanten europäischen Entwicklung mitgenommen werden, wenn die Akzeptanz und demokratische Legitimation Europas ungeschmälert erhalten bleiben soll.
Innerhalb Deutschlands kann mit jeder Wahl neu über die politische Grundausrichtung entschieden werden. Innerstaatliche Gesetze können bei veränderter politischer Lage jederzeit wieder geändert werden. Sie sind weder endgültig noch in Stein gemeißelt. Sie sind rückholbar. Völkerrechtliche Bindungen Deutschlands sind dagegen - gleichgültig ob politisch oder finanziell - nicht mehr ohne weiteres rückholbar. Einmal beschlossen, kann das deutsche Volk über sie in der Regel nicht mehr ohne weiteres verfügen. Gleiches gilt für die Abgabe weiterer Hoheitsrechte an die Europäische Union.
Jedes nur auf Zeit gewählte Parlament und jede nur auf Zeit ernannte Regierung schultert große Verantwortung, wenn sie gravierende Entscheidungen auf europäischem Parkett trotz des nur zeitlich begrenzten Mandats treffen sollen. Es liegt nahe, in diesen Fällen das Volk als den Souverän einzubinden, von dem alle Staatsgewalt ausgehen muss (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) .
Um die Souveränität und die demokratische Rückkopplung aller Staatsmacht in Bezug auf die europäischen Entwicklungen zu stärken, soll die Möglichkeit eröffnet werden, dem Volk europapolitische Entscheidungen von besonderer Tragweite zur Abstimmung vorzulegen. Gleiches gilt für eine denkbare Überforderung der finanziellen Leistungskraft Deutschlands im europäischen Verbund.