A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und
der Ausschuss für Kulturfragen (K)
empfehlen dem Bundesrat,
zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt
Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt den Vorschlag der Kommission für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur transnationalen Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu Bildungs- und Ausbildungszwecken sowie die Absicht der Kommission, die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen in den Status einer so genannten "Europäischen Qualitätscharta für Mobilität" zu erheben, zur Kenntnis; er tritt jedoch mit Nachdruck der in der Begründung des Kommissionsvorschlags enthaltenen Behauptung der Kommission entgegen, die Mitgliedstaaten unterstützten den Kommissionsvorschlag. Der Bundesrat betont, dass die Zustimmung von einzelnen, durch die Mitgliedstaaten nominierten Experten im Rahmen einer Sitzung einer Arbeitsgruppe der Kommission nicht das vorgesehene legislative Verfahren (Behandlung im EU-Bildungsausschuss sowie EU-Bildungsministerrat mit anschließender Fassung eines Gemeinsamen Standpunkts des Rates) ersetzen kann.
- 2. Der Bundesrat teilt zwar die Ansicht der Kommission, dass grenzüberschreitende Mobilität einer sorgfältigen Vorbereitung durch sowohl die entsendende Einrichtung bzw. - im Falle der individuellen Mobilität - durch die Bildungswilligen selbst als auch durch die aufnehmende Einrichtung bedarf, bekräftigt aber in diesem Zusammenhang nachdrücklich seine in Bezug auf den Mobilitätsbericht der Kommission (KOM (2004) 21 endg.; Ratsdok. 5780/04) beschlossene Stellungnahme vom 2. April 2004 (BR-Drucksache 129/04 (Beschluss)), indem er eine Leitlinien- und Überwachungskompetenz der EU im Bereich der Bildungsmobilität zurückweist und die Kommission auffordert, den in den Artikeln 149 und 150 EGV festgelegten gemeinschaftlichen Handlungsrahmen für Aktivitäten im Bildungsbereich einzuhalten.
- 3. Im vorliegenden Fall hat der Bundesrat erhebliche Zweifel, ob die vorgeschlagene Empfehlung sich noch innerhalb des Kompetenzrahmens der Artikel 149/150 EGV bewegt. Danach steht der Gemeinschaft zwar das Recht zu, Empfehlungen (Artikel 149 EGV) bzw. Maßnahmen zur Verwirklichung von Artikel 150 EGV unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung (Artikel 150 EGV) zu erlassen - vom Recht auf Festlegung von Leitlinien ist aber weder in Artikel 149 noch in Artikel 150 EGV die Rede. Ein auf Artikel 149/150 EGV gestützter Rechtsakt, mit dem den Mitgliedstaaten empfohlen wird, eine so genannte Charta anzunehmen, die sich ihrerseits als eine Festlegung von Leitlinien versteht, stellt nach Ansicht des Bundesrates einen Missbrauch des Rechts auf Erlass von Empfehlungen dar. Nach Auffassung des Bundesrates darf gemäß Artikel 249 EGV eine Empfehlung in keinem ihrer Teile Verbindlichkeit beanspruchen oder zu Verpflichtungen führen. Nummer 10 der Charta macht jedoch deutlich, dass sich aus ihr Verpflichtungen ergeben sollen. Diesen Anspruch weist der Bundesrat zurück. Darüber hinaus bittet er die Bundesregierung, den Juristischen Dienst des Rates um eine Stellungnahme zu der Frage zu ersuchen, ob die Festlegung von Leitlinien durch das Recht der Gemeinschaft auf Erlass von Empfehlungen gedeckt ist.
- 4. Der Bundesrat verweist darauf, dass die Kommission selbst in dem Vorschlag feststellt, dass mit diesem Vorschlag kein verbindlicher europäischer Rechtsrahmen geschaffen werden soll und der Vertrag dies auch nicht zulässt. Nach Ansicht der Kommission sollen die Mitgliedstaaten die Empfehlung nur als Anregung nutzen und ihren Inhalt in dem jeweiligen nationalen Kontext in angemessener Form umsetzen.
Eine wie auch immer verbindliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung verbunden mit einem Berichts- und Überwachungssystem kann nach Ansicht des Bundesrates nicht aus der Empfehlung abgeleitet werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, diese Position in den Schlussfolgerungen des Rates oder zumindest in einer Erklärung dazu klarzustellen.
- 5. In der Sache stellt der Bundesrat fest, dass sich die Kommission in ihrem Vorschlag von einem Ansatz leiten lässt, der die Verantwortung des Einzelnen für die eigene Mobilität nur am Rande wahrnimmt und diese fast ausschließlich auf Dritte überträgt. Der Bundesrat weist darauf hin, dass diese Sichtweise allenfalls für Mobilitätsmaßnahmen im schulischen Bereich zutrifft, in der Regel jedoch der verantwortlichen Gestaltung des eigenen Lernwegs durch mündige Bürgerinnen und Bürger nicht gerecht wird. In der aus dieser Gesamtsicht resultierenden Bürokratisierung von Mobilitätsmaßnahmen sieht der Bundesrat keinen Beitrag zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Mobilität.
- 6. Bei der in der Vorlage enthaltenen Aufzählung von Aspekten, die für Mobilitätsmaßnahmen relevant sein können, vermag der Bundesrat weder einen kohärenten, zielführenden Ansatz noch eine über die im deutschen Kontext bereits bestehenden Maßnahmen zur Vor- und Nachbereitung von Mobilitätsmaßnahmen - etwa des Pädagogischen Austauschdiensts, des Deutschen Akademischen Austauschdiensts oder der akademischen Auslandsämter der Hochschulen - hinausgehende innovative Komponente zur Schaffung einer dem Subsidiaritätserfordernis gerecht werdenden europäischen Dimension zu erkennen.
- 7. Der Bundesrat sieht es im Sinne der Qualitätssicherung für Mobilität als nicht zielführend an, einheitliche Vorgaben für die stark heterogene Personengruppe im Bereich der Bildungsmobilität als generelles Qualitätskriterium auszugeben. Das betrifft z.B. die Forderung, dass jeder Mobilitätsphase zu Bildungs- oder Ausbildungszwecken die Erstellung eines Lernplans vorauszugehen hätte, dem Entsende- und Aufnahmeorganisation sowie die mobile Person zustimmen müssten (Nummer 3 der Charta). Im Bereich eines Praktikums (placement) kann das sinnvoll und machbar sein - im Bereich z.B. eines kompletten Auslandsstudiums ist es jedoch unrealistisch anzunehmen, die aufnehmende Universität würde gemeinsam mit jedem auswärtigen Studierenden einen individuellen Lernplan erstellen wollen oder können. Im Bereich kurzfristiger Studienaufenthalte oder bei Teilnahme an ausländischen Kursangeboten kann das Angebot nur in der Form wahrgenommen werden, wie es vom Anbieter konzipiert ist. Lernpläne haben hier ebenso wenig Raum wie im Bereich der informellen Bildung. Auch die Forderung, Mobilität nach persönlichen Belangen der Teilnehmenden zu konzipieren (Nummer 3 der Charta), wird auf der Angebotsseite in aller Regel nicht erfüllbar sein. Damit reduziert sich das Qualitätskriterium "Personalisierung" auf die Selbstverständlichkeit, dass eine mobilitätswillige Person sich ein zu ihrer Situation passendes Angebot suchen sollte. Ähnlich selbstverständlich erscheint es dem Bundesrat, dass Mobilität einer bedarfs- und situationsgerechten Vorbereitung bedarf (Nummer 4 der Charta). In der Auflistung solcher Selbstverständlichkeiten vermag der Bundesrat jedoch keine Qualitätsreferenz in Sachen Mobilität zu erkennen.
- 8. Der Bundesrat bemängelt, dass die Kommission zwar einerseits behauptet, ihr Vorschlag zöge keine finanziellen oder administrativen Belastungen oder Kosten nach sich, andererseits aber eine Reihe von Maßnahmen vorschlägt, ohne die für die mitgliedstaatliche Ebene weit reichenden Implikationen finanzieller und administrativer Art zu bedenken. Besonders gravierende Beispiele für hinsichtlich der Kosten- und Administrationsrelevanz nicht durchdachte Ansätze lassen sich z.B. in den Empfehlungsteilen 5 (sprachliche Aspekte), 7 (Mentoring) und 9 (Wiedereingliederung) finden.
- 9. Der Bundesrat bedauert, dass Gemeinschaftsinitiativen, die speziell der Qualitätssicherung und -steigerung der Mobilität in Europa und der Welt dienen (z.B. Europass, ERASMUS MUNDUS) bei der Abfassung des vorliegenden Vorschlags offenbar unreflektiert geblieben sind. Auch der Ansatz, eine Qualitätsreferenz für Mobilität nur auf den Bereich der EU und des europäischen Wirtschaftsraums zu beziehen, scheint dem Bundesrat im Widerspruch zu stehen zu dem Ansatz des Arbeitsprogramms, das Bildungswesen Europas gegenüber der Welt zu öffnen und zu einer global führenden Qualitätsadresse zu machen. Eine europäische Qualitätsreferenz muss nach Auffassung des Bundesrates diesen globalen Aspekt der Bildungs- und Ausbildungsmobilität mit berücksichtigen.
- 10. Eine vertragskonforme Qualitätsreferenz dieser Art könnte nach Auffassung des Bundesrates z.B. in einer ausgewogenen und politisch ausdiskutierten Beispielsammlung bestehen, in der gute Praktiken der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung unterschiedlicher Mobilitätsarten und unterschiedlicher Teilnehmer sowie der internationalen institutionellen Zusammenarbeit geschildert und den Mitgliedstaaten als Orientierung empfohlen werden. Mit der Herstellung einer solchen Sammlung könnten Rat und Parlament die Kommission beauftragen.
B
- 11.
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik,
der Ausschuss für Frauen und Jugend und
der Wirtschaftsausschuss
empfehlen dem Bundesrat,
von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG
Kenntnis zu nehmen.