Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat
Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(8. GWB-ÄndG)

Der Bundesrat hat in seiner 903. Sitzung am 23. November 2012 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 18. Oktober 2012 verabschiedeten Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen zu verlangen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 12 (§§ 31 bis 31b GWB)

Der Bundesrat hält es für erforderlich im Gesetz klarzustellen, dass im Rahmen der Missbrauchskontrolle keine Durchleitungsansprüche im Bereich der Wasserversorgung ermöglicht werden.

Begründung:

Durch das Entfallen von § 103 Absatz 5 Satz 2 Nummer 4 GWB ist nicht mehr dokumentiert, dass Durchleitungsansprüche, die vor allem aus technischen und hygienischen Gründen nicht sinnvoll erscheinen, nicht ermöglicht werden sollen.

Gegenüber diesem Anliegen wird argumentiert, dass schon bisher nicht hätte geschlossen werden können, dass im Bereich der Wasserwirtschaft Durchleitungsansprüche immer ausgeschlossen waren. Unter den in § 19 Absatz 2 Nummer 4 GWB beschriebenen Voraussetzungen sei es verboten, einem anderen Unternehmen den Zugang zum eigenen Netz zu verweigern. Sofern dies aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen, zu denen auch technische und hygienische Gründe gehören können, unmöglich sei, schließe dies bereits auf der Basis des geltenden Rechts einen Missbrauch aus.

Die Argumentation zeigt, dass die Bundesregierung durchaus von Durchleitungsansprüchen im Bereich der Trinkwasserversorgung ausgeht und diese nur dann für ausgeschlossen hält, wenn eine Unmöglichkeit aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen vorliege. Damit erscheint eine Regelung, die Rechtssicherheit schafft, aus Sicht des Bundesrates nach wie vor nötig.

2. Zu Artikel 1 Nummer 46a - neu - (§ 130 Absatz 1 Satz 1a - neu - GWB)

Nach Artikel 1 Nummer 46 ist folgende Nummer einzufügen:

Begründung:

Öffentlichrechtlich ausgestaltete Versorgungs- und Leistungsverhältnisse, vor allem Gebühren, unterliegen keiner kartellrechtlichen Prüfung. Ansatz des GWB ist die kartellrechtliche Entgeltkontrolle privater Unternehmen. Dies kann nicht auf eine landesrechtlich ausgestaltete kostenorientierte Gebührenerhebung übertragen werden. Gebühren und Beiträge sind nach den landesrechtlichen Vorschriften der Kommunalabgabengesetze kostendeckend zu erheben. Aus dem kommunalabgabenrechtlichen Kostendeckungsprinzip ergeben sich Limitierungen hinsichtlich der Gebührenhöhe. Kalkulation und Abrechnung unterliegen der kommunalaufsichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Für eine kartellrechtliche Prüfung besteht daher kein Raum.

3. Zur kartellrechtlichen Fusionskontrolle bei der Zusammenlegung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe im Zusammenhang mit kommunalen Gebietsreformen

Das Gesetz sollte an geeigneter Stelle und in geeigneter Form um eine klarstellende Regelung dahingehend ergänzt werden, dass die mit einer kommunalen Gebietsreform einhergehende Zusammenlegung von öffentlichen Einrichtungen und Betrieben nicht der kartellrechtlichen Fusionskontrolle unterliegt.

Begründung:

Ziel von kommunalen Gebietsreformen ist es nicht, wirtschaftliche Unternehmen zu vergrößern, um einen größeren Anteil am Markt zu erlangen. Stattdessen geht es darum, die öffentlichen Aufgaben der Gebietskörperschaften im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger besser zu bewältigen. Wettbewerbsregelungen dürfen deshalb nicht dazu führen, kommunale Gebietsreformen zu erschweren bzw. unmöglich zu machen. Entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie lösen kommunale Gebietsreformen und die damit verbundenen Zusammenlegungen kommunaler Einrichtungen und Betriebe eine kartellrechtliche Fusionskontrolle nicht aus. Das soll mit der erbetenen Ergänzung des Gesetzes klargestellt werden.

4. Zu Artikel 3 Nummer 1 (§ 4 Absatz 3 Satz 2 und 3 SGB V), Nummer 2 ( § 172a SGB V) und Artikel 5 Absatz 8 ( § 51 Absatz 3 SGG)

Begründung:

Die im Gesetzesbeschluss vorgesehenen Änderungen führen zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgungssituation und der Rechte und Möglichkeiten der gesetzlich Krankenversicherten.

Eine Gleichsetzung der am Gemeinwohl orientierten Krankenkassen mit privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Unternehmen zieht eine Unterordnung der Patienteninteressen unter die des Wettbewerbs nach sich.

Durch die Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundeskartellamtes würde eine zusätzliche Behörde mit der Aufsicht über die Krankenkassen mit dem Ergebnis beauftragt, dass neue Bürokratie aufgebaut wird, ohne dass den Krankenkassen angemessene wettbewerbliche Handlungsspielräume eröffnet werden.

Krankenkassen sind keine Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne. Ihr Verhalten sollte daher weiterhin nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben und allein durch die zuständigen Rechtsaufsichtsbehörden beurteilt werden.

Das geplante Verbot der engen Zusammenarbeit der Krankenkassen untereinander widerspricht den Zielvorgaben des Sozialgesetzbuches, denen zufolge Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit eng zusammenarbeiten sollen.

Die uneingeschränkte Übernahme der Vorgaben zu Kartellverbot und Missbrauchsaufsicht rückt die dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten gesetzlichen

Krankenkassen in die unmittelbare Nähe gewinnorientierter Wirtschaftsunternehmen. Dagegen fallen die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht unter den europäischen Unternehmensbegriff und unterliegen daher auch nicht dem EU-Wettbewerbsrecht. Der EuGH begründet dies damit, dass die Krankenkassen nach Maßgabe des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht wettbewerblich und gewinnorientiert sind, sondern in Erfüllung hoheitlicher Aufgaben handeln.

Die GWB-Novelle erhöht in erheblichem Maße die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH in seiner zukünftigen Rechtsprechung die Unternehmenseigenschaft der deutschen gesetzlichen Krankenkassen bejahen wird. Das hätte dann erhebliche Folgewirkungen in verschiedenen Bereichen, die nicht im Patienteninteresse stehen.

Dann würde das europäische Wettbewerbsrecht für das gesamte deutsche Gesundheitswesen gelten, also auch für die Beziehungen der Krankenkassen zu Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken und so weiter. Der deutsche Gesetzgeber kann dann nur noch im Rahmen der dann geltenden europarechtlichen Vorgaben das deutsche Gesundheitssystem gestalten.

Durch den Vorrang der wettbewerbsrechtlichen Fusionskontrolle vor der sozialrechtlichen Genehmigung einer Vereinigung von Krankenkassen durch die Aufsichtsbehörden besteht die Gefahr, dass so genannte "Rettungsfusionen" von insolvenzgefährdeten Kassen erschwert und verzögert werden könnten bis hin zu ihrer Verhinderung. Gleichzeitig wird damit nachdrücklich in die gesetzlich normierte Aufgabenwahrnehmung der Länder eingegriffen, weil - mangels einer der Ministererlaubnis vergleichbaren Kompetenz der zuständigen Landes-Aufsichtsbehörden - gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundeskartellamtes keine Genehmigung einer Fusion zulässig ist.

Außerdem ist zu befürchten, dass Kostensteuerungsmechanismen aufgrund von Kooperationen und verbandsmäßiger Koordination, wie zum Beispiel Arzneimittelrabattverträge, durch die geplanten kartellrechtlichen Änderungen in Frage gestellt werden.

Darüber hinaus ist für Rechtsstreitigkeiten in diesen Bereichen ein Zurückdrängen der Zuständigkeit der Sozialgerichte zu Gunsten der Kartellsenate der Oberlandesgerichte vorgesehen, ohne dass hierfür eine Notwendigkeit ersichtlich ist.

Die vom Deutschen Bundestag im Rahmen seiner Beratungen eingefügte Klarstellung, dass bei der Anwendung des Gesetzes zur Änderung gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) der Versorgungsauftrag der Krankenkassen zu berücksichtigen sein soll, ist nicht ausreichend, die Bedenken gegen den Gesetzesbeschluss auszuräumen. Da die Maxime des GWB nicht die Sicherstellung einer flächendeckenden, effizienten Aufgabenerfüllung der Krankenkassen durch freiwillig gestaltete Kooperation ist, sondern der Schutz des Wettbewerbs, sind bei Inkrafttreten dieses Gesetzes Zielkonflikte zwischen Wettbewerbsrecht und Sozialrecht weiterhin unausweichlich.

Angesichts zahlreicher öffentlicher Einlassungen des Bundeskartellamtes bestehen erhebliche Zweifel, ob das Amt diesen Konflikt im Sinne der Versorgungsqualität, also zu Gunsten eines "Primats des Sozialrechtes" auflösen wird. Damit würden jedoch die Krankenkassen bei allen Kooperationen, für die kein ausdrücklicher gesetzlicher Auftrag besteht, mit einem erheblichen Prognoserisiko bezüglich der Zulässigkeit ihres Handelns belastet, welches zu einer Lähmung von Innovationskräften und zur Verhinderung von Effizienzsteigerungen bei der Versorgung von Versicherten führen wird.