Unterrichtung durch die Bundesregierung Erklärung der Bundesregierung zum Beschluss des Bundesrates:
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte, ihre Tätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszuüben KOM (2005) 280 endg.; Ratsdok. 10774/05

Bundesministerium Berlin, den 5. Juli 2006
des Auswärtigen

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen

Sehr geehrter Herr Präsident,

zum Ende der österreichischen EU-Präsidentschaft möchte ich Sie über den gegenwärtigen Verhandlungsstand im Hinblick auf die Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte unterrichten.

Dabei geht es neben dem Verordnungsentwurf der Kommission auch um den Vorschlag eines Ratsbeschlusses zur Ermächtigung der Agentur, ihre Tätigkeit in den Bereichen nach Titel VI des Vertrages über die Europäische Union auszuüben. Der Bundesrat hatte im September 2005 zu beiden Vorschlägen Stellung genommen. " siehe Drucksache 518/05(B) HTML PDF

Die Entscheidung über die Errichtung der Grundrechteagentur hatte der Europäische Rat im Jahr 2003 getroffen; 2004 und auf seiner jüngsten Sitzung am 15. und 16. Juni 2006 wurde dieser Entschluss bekräftigt. Deutschland stellt die politische Grundsatzentscheidung des Europäischen Rates zur Gründung der Agentur nicht in Frage. Die Bundesregierung trägt aber der kritischen Haltung von Bundestag und Bundesrat Rechnung, indem sie - im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament - eine sehr restriktive Position vertritt.

Dabei kommt es uns vor allem darauf an, bei der Ausgestaltung des Zuständigkeitsbereichs der Grundrechteagentur Doppelungen mit bereits bestehenden Institutionen der Europäischen Union, der EU-Mitgliedstaaten und der Internationalen Organisationen so weit wie möglich zu vermeiden. Der sachliche und räumliche Zuständigkeitsbereich der Agentur sollte eng begrenzt bleiben.

Auf der Grundlage dieser Verhandlungslinie teilt die Bundesregierung in zentralen Fragen weitgehend die Haltung des Bundesrates. So sollte die Zuständigkeit der Agentur nicht auf den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Titel VI EUV) erstreckt werden. Dazu fehlt es nach unserer Auffassung an einer Rechtsgrundlage. Eine Beteiligung der Agentur im Rahmen von Verfahren nach Art. 7 EUV würde den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Agentur überdehnen. Die Agentur würde politisiert und in ihrer Unabhängigkeit gefährdet. Die Grundrechteagentur sollte ihren Schwerpunkt auf die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten legen. Um die Kohärenz der Menschenrechtspolitik der EU gerade auch im Hinblick auf den Erweiterungsprozess zu gewährleisten, erscheint es sinnvoll, auch Beitrittskandidaten einzubeziehen. Darüber hinaus sollte der räumliche Zuständigkeitsbereich nicht ausgedehnt werden. Gleichzeitig legt die Bundesregierung großen Wert auf schlanke, effiziente Strukturen, die sich in der personellen und finanziellen Ausstattung der Agentur widerspiegeln sollten.

Die Bundesregierung hat sich im Vorfeld des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen am 12. Juni 2006 erneut nachdrücklich im Sinne der skizzierten restriktiven Linie eingesetzt. Im Rat selbst ist es nicht zu einer Aussprache über die Europäische Grundrechteagentur gekommen, da in wichtigen Fragen keine Aussicht auf Konsens bestand. Das Dossier wurde an den Ausschuss der Ständigen Vertreter zurückverwiesen. Die Verhandlungen sollen unter finnischer Präsidentschaft fortgesetzt werden.

Entgegen der Ansicht des Bundesrates sind die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 EUZBLG zur Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundesrat nach Auffassung der Bundesregierung nicht erfüllt. Nach innerstaatlichem Recht wäre die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich (§ 5 Abs. 3 Alt. 1 EUZBLG). Auch die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 Alt. 2 EUZBLG sind nicht erfüllt. Denn für die Errichtung einer der Europäischen Grundrechteagentur vergleichbaren Institution auf nationaler Ebene wären nicht die Länder, sondern nach Art. 87 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Kompetenz kraft Natur der Sache der Bund zuständig.

Hiervon unabhängig möchte ich Ihnen versichern, dass die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates auch im weiteren Verlauf der Verhandlungen berücksichtigen wird.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. Frank-Walter Steinmeier