Punkt 104 b der 910. Sitzung des Bundesrates am 7. Juni 2013
Der Bundesrat möge die Entschließung in der nachfolgenden Fassung beschließen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vereinbarung zwischen der EU und den USA, Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen zeitnah zu beginnen. Der Bundesrat betrachtet ein transatlantisches Freihandelsabkommen als Chance, der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise und der hohen Arbeitslosigkeit in einigen Mitgliedstaaten der EU mit einer gemeinsamen transatlantischen Agenda im Bereich der nachhaltigen Wettbewerbsförderung zu begegnen.
- 2. Der Bundesrat erkennt erhebliche Chancen für die europäische wie auch für die US-amerikanische Wirtschaft und befürwortet, dass durch ein solches Abkommen qualitative Arbeitsplätze geschaffen werden sollen und der Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantiks gemehrt werden soll. Dies betrifft nach Auffassung des Bundesrates die Chancen in einer Vielzahl von Marktsegmenten für einen einfacheren Marktzugang, den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse, den Zollabbau und die Harmonisierung industrieller Normen. Für Unternehmen liegt ein erhebliches Potential in der Generierung neuer Handelsanreize sowie in der Möglichkeit, Kosten einzusparen.
- 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass ein besonderes Augenmerk auf die Errungenschaften in der Europäischen Union im Bereich der Sozial-, Umwelt-, Lebensmittel-, Gesundheits- und Datenschutzstandards sowie der Verbraucherrechte gelegt wird. In den Verhandlungen soll darauf hingewirkt werden, weitere Verbesserungen für die Partner in diesem Bereich zu ermöglichen. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auch auf den "acquis communautaire" der EU im Bereich der Produktsicherheit, des Umweltschutzes, des Gesundheits- und Tierschutzes sowie der ILO-Standards und des Arbeitsschutzes. Das Vorsorgeprinzip darf in den Verhandlungen nicht abgeschwächt werden. Um ein höchstmögliches Schutzniveau für europäische und amerikanische Verbraucherinnen und Verbraucher zu erreichen und zu sichern, sollte der jeweils höherwertige Standard des Partnerlandes übernommen bzw. anerkannt werden.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass für den Agrarsektor in den Verhandlungen und im Mandatstext besondere Regelungen vorgesehen werden. Aus gutem Grund haben sich die EU und die Mitgliedstaaten entschieden, in Europa bestimmte Produkte nicht zuzulassen und entsprechende Importverbote erlassen. Dies betrifft vor allem Produkte, die nicht der EU-Kennzeichnungsrichtlinie entsprechen, GVO-Produkte (Produkte, die aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder daraus hergestellt werden), Tiere, die mit Wachstumshormonen behandelt wurden, und das Inverkehrbringen von Lebensmitteln von geklonten Tieren. Gleiches gilt für Lebensmittel, die mit Substanzen behandelt wurden, die in der EU verboten sind.
- 5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, darauf zu dringen, dass in den Verhandlungen über Investitionsregeln auf einen Interessenausgleich geachtet und das bereits erreichte hohe Niveau des Rechtsschutzes in Europa berücksichtigt wird. Bei den Verhandlungen muss weiter sichergestellt werden, dass rechtlich gesicherte Freiheiten im Internet nicht eingeschränkt werden. Hinsichtlich der Patentrechte bei Pflanzen und Tieren muss sich die Bundesregierung für die im interfraktionellen Beschluss der Regierungs- und Oppositionsfraktionen des Deutschen Bundestages genannten Forderungen (BT-Drucksachen 17/8344 und 17/8614) sowohl im Verhandlungsmandat als auch im Verlauf der Verhandlungen einsetzen.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass für den Bereich der Dienstleistungen das multilaterale GATS-Abkommen bereits vielfältige Verpflichtungen zur Liberalisierung enthält. Insbesondere für die gemischtfinanzierten Bildungsdienstleistungen hält er daher weitere Liberalisierungsschritte nicht für erforderlich.
- 7. Der Bundesrat bekräftigt, dass die EU-Institutionen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik die Befugnis besitzen, für die EU Handelsabkommen mit anderen Ländern und Regionen auszuhandeln, abzuschließen und umzusetzen. Der Bundesrat betont zugleich, dass Abkommen, die nicht nur Zuständigkeiten der EU, sondern auch solche der Mitgliedstaaten betreffen, auch die Zustimmung der Mitgliedstaaten und je nach nationalem Verfassungsrecht auch die der jeweiligen nationalen Parlamentskammern erfordern.
- 8. Angesichts der Ankündigungen von EU- und US-Entscheidungsträgern, das beabsichtigte Freihandelsabkommen inhaltlich sehr weit zu fassen, weist der Bundesrat vorsorglich auf seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen hin.
- 9. Der Bundesrat fordert angesichts der Tragweite und Bedeutung des zu verhandelnden Abkommens die Bundesregierung auf, sich für die Veröffentlichung der Verhandlungsmandate sowie eine transparente Verhandlungsführung einzusetzen.
- 10. Der Bundesrat ruft die Bundesregierung dazu auf, die Länder in regelmäßigen Abständen zum Fortgang der Beratungen im handelspolitischen Ausschuss der EU umfassend und kontinuierlich zu informieren, insbesondere im Hinblick auf die möglicherweise tangierten Länderkompetenzen und die im Falle eines Inkrafttretens möglicherweise umzusetzenden Rechtsvorschriften. Der Bundesrat verweist diesbezüglich auf die Verpflichtungen, die für die Bundesregierung aus dem Lindauer Abkommen erwachsen.