846. Sitzung des Bundesrates am 4. Juli 2008
A.
- 1. Der federführende Rechtsausschuss und der Gesundheitsausschuss und empfehlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes in folgender Fassung beim Deutschen Bundestag einzubringen:
- "Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe (... StrÄndG)
A. Problem und Ziel
- In Deutschland zeichnen sich mit erheblichen Gefahren verbundene Entwicklungen ab die zum Ziel haben, Suizidbeihilfe in gewerblicher und/oder organisierter Form anzubieten. Bieten Gewerbetreibende zur Selbsttötung geeignete Mittel und Gegenstände oder Organisationen einen vermeintlich leichten Weg in den Tod an, so wird es Menschen geben, die, etwa in einer momentanen Verzweiflungssituation, die unumkehrbare Entscheidung zum Suizid treffen, wohingegen sie dies ohne die erleichterte Verfügbarkeit von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln und Gegenständen oder auf sich allein gestellt nicht getan hätten. Dabei ist keinesfalls gewährleistet, dass es sich um in freier Verantwortung getroffene Suizidentscheidungen handelt.
- Durch die Existenz von Suizidbeihilfe-Organisationen kann im Übrigen ein, wenn auch nur subjektiv empfundener, Erwartungsdruck auf schwer kranke und alte Menschen entstehen den Suizid auch tatsächlich zu wählen. Langfristig lässt sich selbst nicht ausschließen, dass sich durch die scheinbare Normalität der Selbsttötung, wie sie in einem darauf gerichteten Dienstleistungsangebot ihren Ausdruck findet, eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entwickelt, dass schwer kranke und alte Menschen ihren Angehörigen oder der Gemeinschaft nicht dauerhaft zur Last fallen.
- Hinzu kommt die Gefahr der Kommerzialisierung. Es widerspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, wenn mit dem Suizid und mit dem Leid anderer Menschen Geschäfte gemacht werden.
- Der sich daraus ergebenden Gefährdung menschlichen Lebens, wie sie mit der individuellen Beteiligung an fremdem Suizid nicht verbunden ist, ist mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Der Entwurf zielt darauf ab, der gewerblichen und der organisierten Suizidbeihilfe die Basis zu entziehen.
B. Lösung
- Es wird ein Straftatbestand gegen gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe geschaffen.
C. Alternativen
- Keine
D. Kosten der öffentlichen Haushalte
- 1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
- 2. Vollzugsaufwand
Durch die Einführung des neuen Straftatbestandes kann gewisser Mehraufwand bei den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten entstehen, dessen Umfang nicht hinreichend genau abschätzbar ist.
E. Sonstige Kosten
- Keine
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe (... StrÄndG)
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
- 1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 217 wie folgt gefasst:
§ 217 Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe
- 2. Nach § 216 wird folgender § 217 eingefügt:"
§ 217 Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe
- (1) Wer ein Gewerbe betreibt oder eine Vereinigung gründet, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren oder zu verschaffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
- (2) Ebenso wird bestraft, wer für eine Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied oder Außenstehender geistig oder wirtschaftlich eine maßgebende Rolle spielt."
Artikel 2
Inkrafttreten
- Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeines
I. Zielsetzung des Gesetzentwurfs
In Deutschland zeichnen sich mit erheblichen Gefahren verbundene Entwicklungen ab die zum Ziel haben, Suizidbeihilfe in gewerblicher und/oder organisierter Form anzubieten. Bieten Gewerbetreibende zur Selbsttötung geeignete Mittel und Gegenstände oder Organisationen einen vermeintlich leichten Weg in den Tod an, so wird es Menschen geben, die, etwa in einer momentanen Verzweiflungssituation, die unumkehrbare Entscheidung zum Suizid treffen, wohingegen sie dies ohne die erleichterte Verfügbarkeit von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln und Gegenständen oder auf sich allein gestellt nicht getan hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach den Ergebnissen der Suizidforschung nur ein kleiner Teil der Suizidentscheidungen in freier Verantwortung getroffen wird. Vielfach werden psychisch kranke auch altersdemente, depressive oder unter akutem Liebeskummer leidende Personen betroffen sein.
Zudem kann nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass durch die Existenz von Suizidbeihilfe-Organisationen ein, wenn auch nur subjektiv empfundener, Erwartungsdruck auf schwer kranke und alte Menschen entsteht, den Suizid auch tatsächlich zu wählen. Langfristig lässt sich selbst nicht ausschließen, dass sich durch die scheinbare Normalität der Selbsttötung, wie sie in einem darauf gerichteten Dienstleistungsangebot ihren Ausdruck findet, eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entwickelt dass schwer kranke und alte Menschen ihren Angehörigen oder der Gemeinschaft nicht dauerhaft zur Last fallen. Diese besondere Gefährdung menschlichen Lebens ergibt sich nicht aus der individuellen Beteiligung an fremdem Suizid, sondern gerade daraus, dass eine entsprechende Dienstleistung organisiert und beworben wird.
Hinzu kommt die Gefahr der Kommerzialisierung. Es widerspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, wenn mit dem Suizid und mit dem Leid anderer Menschen Geschäfte gemacht werden. Ein Markt für Suizidbeihilfeleistungen würde nach den Gesetzen des Marktes beispielsweise dazu führen, dass zur Selbsttötung geeignete Mittel oder Gegenstände quasi als Ware zum Verkauf, auch im Wege des Versandhandels, angeboten und "Kunden" akquiriert werden. Derartiges ist schlechterdings nicht hinnehmbar.
Aus den genannten Gründen ist der Entwicklung mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Der Entwurf zielt darauf ab, der gewerblichen und der organisierten Suizidbeihilfe die Basis zu entziehen.
Um der Etablierung der gewerblichen und/oder der organisierten Gewährung oder Verschaffung der Gelegenheit zur Selbsttötung, wie sie sich in neuerer Zeit in Deutschland abzuzeichnen droht, zu begegnen, ist die Pönalisierung des Betriebs einschlägiger Gewerbe und der Gründung von Suizidbeihilfe-Organisationen sowie der Betätigung des Führungspersonals solcher Organisationen zur Förderung von deren Zielen erforderlich, aber auch ausreichend. Dadurch wird es möglich, den Betrieb solcher Gewerbe und die Neugründung von Suizidbeihilfe-Organisationen zu verhindern. Für bestehende Suizidbeihilfe-Organisationen reicht es aus, das Führungspersonal strafrechtlich zu erfassen, weil die Tätigkeit der Vereinigung rasch zum Erliegen kommen wird, wenn die sie tragenden Personen durch das Strafrecht an einer weiteren Betätigung gehindert werden.
Dieser Lösungsansatz beschränkt sich darauf, die Etablierung von Gewerbetreibenden und Vereinigungen oder Organisationen zu verhindern, die Gelegenheit zur Selbsttötung vermitteln oder verschaffen. Es besteht kein hinreichender Anlass, durch eine weitergehende Strafvorschrift schwierige und ungeklärte Fragen der Strafbarkeit einer Beteiligung an fremdem Suizid aufzugreifen.
II. Gesetzgebungskompetenz
Bei den vorgeschlagenen Regelungen handelt es sich um auf Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützte Änderungen des Strafgesetzbuches.
Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.
III. Auswirkungen
Durch die Einführung neuer Straftatbestände kann mehr Aufwand bei den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten entstehen, dessen Umfang im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hinreichend genau abschätzbar ist. Abgesehen davon wird das Vorhaben Bund, Länder und Gemeinden nicht mit nennenswerten Mehrkosten belasten.
Da sich der Entwurf auf die Einführung von Strafvorschriften beschränkt, die die Wirtschaft nicht mit zusätzlichen Kosten belasten, sind Auswirkungen auf Einzelpreise, das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, oder die Umwelt nicht zu erwarten.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
Redaktionelle Folgeänderung im Hinblick auf die Einfügung des § 217 (Nummer 2).
Zu Nummer 2 (§ 217)
In Absatz 1 werden der Betrieb eines Gewerbes und die Gründung einer Vereinigung unter Strafe gestellt, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren oder zu verschaffen. Absatz 2 pönalisiert die Tätigkeit des Führungspersonals von Suizidbeihilfe-Organisationen. Der Entwurf schafft demgemäß auch Organisationsdelikte. Die Vorschrift fügt sich in den Sechzehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs ein, weil sie mittelbar dem Schutz menschlichen Lebens dient.
Ungerechtfertigte Strafbarkeitslücken sind nicht zu befürchten. Suizidbeihilfe, wie sie der Entwurf im Blick hat, erfordert eine Gewinnerzielungsabsicht und/oder einen nicht unerheblichen logistischen Aufwand, der nur von einer Personenmehrheit bewältigt werden kann. Andererseits wäre es nicht wünschenswert, etwa denjenigen unter Strafe zu stellen, der einem todkranken Angehörigen Hilfestellung leisten will.
Zu Absatz 1
- - Der Begriff des Gewerbebetriebs ist im privatrechtlichen Sinne zu verstehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betreibt ein Gewerbe in diesem Sinne derjenige, welcher berufsmäßig ein Geschäft betreibt, das von der Absicht der Gewinnerzielung beherrscht wird (vgl. BGHZ 74, 273 <276> mit weiteren Nachweisen).
- - Der Begriff der Vereinigung entspricht dem in § 129 StGB und anderen Strafvorschriften verwendeten Terminus. Wie dort ist ein organisatorischer Zusammenschluss mehrerer Personen von einer gewissen Dauer erforderlich. Allerdings ist der Begriff im Rahmen des § 217 StGB-E eigenständig zu interpretieren.
Das folgt aus der spezifischen Ausrichtung des Tatbestandes, der durch den in der Strafvorschrift selbst angegebenen Zweck der Suizidbeihilfe sein Gepräge erhält. Anders als im Rahmen des § 129 StGB sind über den Personenzusammenschluss zu diesem Zweck hinaus keine zusätzlichen Voraussetzungen an einen Gesamtwillen und die inneren Strukturen zu erfüllen (vgl. dazu Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 129, Rnr. 7). Auch hierarchisch strukturierte Organisationen unterfallen der Strafvorschrift. Die Vereinigung muss zumindest aus zwei Personen bestehen.
- - "Gründen" bedeutet Neubildung der Vereinigung. Rechtsprechung und Schrifttum zu dem auch in § 129 StGB verwendeten Merkmal können herangezogen werden (vgl. Nachweise bei Fischer, a.a.O., Rnr. 23).
- - Zweck oder Tätigkeit des Gewerbetreibenden oder der Vereinigung muss darauf gerichtet sein, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren oder zu verschaffen. Gewährung und Verschaffung der Gelegenheit müssen nicht der einzige Zweck des Gewerbebetriebs oder der Vereinigung sein. Es genügt, wenn dies ihr prägender Zweck ist. Das ist nicht quantitativ, sondern qualitativ zu verstehen. Deswegen ändert es an der Strafbarkeit nichts, wenn der Gewerbetreibende oder die Vereinigung eine Reihe anderer, für sich genommen unbedenklicher Tätigkeiten entfaltet.
Dass Krankenhäuser, Hospize und andere palliativmedizinische Einrichtungen nicht unter den Vereinigungsbegriff fallen, versteht sich von selbst. Deren Tätigkeit ist nicht dadurch geprägt, dass sie die Gelegenheit zur Selbsttötung gewähren oder verschaffen. Einer besonderen Regelung bedarf es daher nicht.
Gelegenheit ist gewährt bei Herbeiführung äußerer Umstände, durch die die Selbsttötung ermöglicht oder wesentlich erleichtert wird. Verschaffen umfasst beispielsweise den Nachweis oder das Besorgen eines geeigneten Orts, der erforderlichen Geräte oder das Zurverfügungstellen von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln oder Gegenständen. Auch Vermittlungstätigkeiten sind einbezogen.
- - Bei der Bemessung der Strafandrohung berücksichtigt der Entwurf, dass ein Verhalten mit Strafe bedroht wird, das weit im Vorfeld denkbarer Rechtsgutsverletzungen angesiedelt ist. Hinzu kommt, dass es in den tatbestandsrelevanten Fällen weniger auf die Höhe der Strafe ankommen wird, als auf die Existenz des strafbewehrten Verbots (dazu schon A. Allgemeines, Ziffer I). Es ermöglicht namentlich auch Maßnahmen der Sicherheitsbehörden.
Zu Absatz 2
Durch Absatz 2 wird die Tätigkeit des Führungspersonals von Suizidbeihilfe-Organisationen unter Strafe gestellt. Zu deren Führungspersonal zählen sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder der Organisation, sofern sie auf die Organisationsstruktur, Zielsetzung oder die konkreten Planungen usw. bestimmenden Einfluss haben.
Aus der Pönalisierung nur des Führungspersonals ergibt sich zugleich, dass die Strafdrohung nicht etwa das "einfache", Beitrag zahlende Mitglied einschlägiger Vereine erfasst, und zwar auch nicht in Form der Beihilfe ( § 27 StGB). Denn in Absatz 2 werden bewusst nur hervorgehobene, zur Täterschaft verselbstständigte Beihilfehandlungen unter Strafe gestellt.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten."
Begründung (nur für das Plenum):
Mit dem nunmehr vorgelegten Ersetzungsantrag wird der in der Sitzung der Arbeitsgruppe der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der Länder unter Federführung des Freistaats Thüringen am 29. Mai 2008 gefundene Kompromissvorschlag zur Lösung der widerstreitenden Interessen der Befürworter der Vorlage in der ursprünglichen Fassung einerseits und der Befürworter des im Rechtsausschuss des Bundesrates am 9. April 2008 zu Protokoll gegebenen Ersetzungsantrags andererseits umgesetzt.
Mit dem aktuellen Entwurf wird in hinreichend konturenscharfer und verfassungskonformer Weise der organisierten Suizidbeihilfe die Basis entzogen und zudem die in Wiederholungsabsicht erfolgende Suizidbeihilfe von Einzeltätern, sofern diese gewerblich handeln, unter Strafe gestellt.
B.
- 2. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, den Gesetzentwurf nicht beim Deutschen Bundestag einzubringen.
C.
- 3. Der federführende Rechtausschuss schlägt dem Bundesrat vor, Ministerin Marion Walsmann (Thüringen) gemäß § 33 der Geschäftsordnung des Bundesrates zur Beauftragten des Bundesrates für die Beratungen des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen zu bestellen.