Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, den 6. Juli 2010
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister
Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat in seiner Sitzung am 6. Juli 2010 beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte
Entschließung des Bundesrates zur Erklärung des 8. Mai als Tag der Befreiung zum nationalen Gedenktag zuzuleiten.
Ich bitte Sie, den Antrag gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates den zuständigen Ausschüssen zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wowereit
Entschließung des Bundesrates zur Erklärung des 8. Mai als Tag der Befreiung zum nationalen Gedenktag
Der Bundesrat setzt sich dafür ein, den 8. Mai als Tag der Befreiung zum nationalen Gedenktag zu erklären.
Der Bundesrat bittet den Bundespräsidenten, dieser Entschließung durch Proklamation des 8. Mai zum nationalen Gedenktag nachzukommen.
Begründung:
Auszüge aus der Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges:
"Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Seinem Schicksal gemäß hat jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle.
Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein finden. Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter. Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.
Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Es ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.
Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit unterschiedliche Erfahrungen zurück.
Es war schwer, sich alsbald klar zu orientieren. Ungewißheit erfüllte das Land. Die militärische Kapitulation war bedingungslos. Unser Schicksal in der Hand der Feinde.
Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.
Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.
Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.
Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.
Es gab keine "Stunde Null", aber wir hatten die Chance zu einem Neubeginn. Wir haben sie genutzt, so gut wir konnten. An die Stelle der Unfreiheit haben wir die demokratische Freiheit gesetzt.
Vier Jahre nach Kriegsende, 1949, am 8. Mai, beschloss der Parlamentarische Rat unser Grundgesetz. Über Parteigrenzen hinweg gaben seine Demokraten die Antwort auf Krieg und Gewaltherrschaft in Artikel 1 unserer Verfassung:
"Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit auf der Welt."
Auch an diese Bedeutung des 8. Mai gilt es heute zu erinnern.
Wir (Älteren) müssen den Jüngeren helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten.
Die Bitte an die jungen Menschen lautet:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß
- - gegen andere Menschen,
- - gegen Russen oder Amerikaner,
- - gegen Juden oder Türken,
- - gegen Alternative oder Konservative,
- - gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben.
Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge."
Damals wie heute charakterisieren diese Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker die Bedeutung des 8. Mai in der deutschen Geschichte.
Die Entwicklung nach dem 8. Mai 1945 hat gezeigt, dass wir aus unserer Geschichte wichtige Lehren gezogen und in der Staatswirklichkeit verankert haben. Es gilt, diese mahnende Erinnerung auch für künftige Generationen durch die Begehung eines Gedenktages wach zu halten.
Richard von Weizsäcker sprach in seiner Rede auch von der Zuversicht der Deutschen, dass der 8. Mai nicht dass letzte Datum unserer Geschichte bleibt, das für alle Deutschen verbindlich ist. In dem Wissen, dass sich diese Zuversicht durch die Wiedervereinigung Deutschlands verwirklicht hat, und in Anbetracht der seit der Rede in den vergangenen 25 Jahren vollzogenen Geschichte auch über die Grenzen Deutschlands hinaus, wozu insbesondere das Zusammenwachsen der europäischen Staaten in Freiheit unter dem Dach der Europäischen Union und über diesen Staatenbund hinaus zählt, ist die Bewertung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, dass der 8. Mai 1945 für uns Deutsche ein Tag der Befreiung war, aktueller denn je. Das heutige Deutschland und das Europa in seiner gegenwärtigen Form wären nicht möglich ohne den 8. Mai 1945.
Die Bedeutung des 8. Mai für Deutschland wird angemessen gewürdigt, indem dieses Datum als Tag der Befreiung als nationaler Gedenktag in den Erinnerungskalender aufgenommen wird. In der gemeinsamen Erinnerung an die mit diesem Datum verbundenen historischen Erfahrungen in ihrer Gesamtheit werden die Grundwerte, welche die deutsche Staats- und Verfassungsordnung fundieren, anschaulich und erlebbar. Ein nationaler Gedenktag 8. Mai trägt damit auch zur Konsensbildung und Identifikation mit unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung bei.