Punkt 24 der 900. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012
Der Bundesrat möge beschließen, in Ersetzung der Ausschussempfehlungen in Drucksache 419/1/12, Buchstabe A, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung:
- 1. Der Bundesrat lehnt den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b) ab.
- 2. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, mit den Ländern in Gespräche einzutreten, um gemeinsam eine Grundgesetzänderung und eine angemessene Finanzausstattung zu beraten mit dem Ziel, nachhaltige und dauerhafte Verbesserungen im Wissenschafts- und Bildungsbereich zu erreichen.
- 3. Eine Prioritätensetzung zu Gunsten von Bildung stellt die Weichen für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Länder und Kommunen tragen in Deutschland trotz ihrer äußerst knappen finanziellen Möglichkeiten den weitaus größten Anteil an den öffentlichen Ausgaben im Bereich der Schul- und Hochschulbildung sowie der frühkindlichen Bildung. Der Bundesrat weist auf die Gefahr hin, dass das Erreichen bildungspolitischer Ziele und Herausforderungen durch die Länder mit den vorhandenen Ressourcen und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Schuldenregeln nicht sichergestellt ist. Der Bundesrat fordert vor diesem Hintergrund, dass der Bund die Länderhaushalte zur Erreichung der bildungspolitischen Zielsetzungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung mit zusätzlichen Ressourcen - gegebenenfalls mit einem höheren Anteil an Umsatzsteuermitteln - unterstützt.
- 4. Soweit es bei einer Neuausrichtung der Bildungsfinanzierung in Deutschland um die Reform der institutionellen Strukturen und die Schaffung neuer - auch verfassungsrechtlicher - Möglichkeiten für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bundesstaat geht, sind aus Sicht des Bundesrates folgende Grundsätze zu beachten:
- - Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich muss auf gemeinsamen Vereinbarungen beruhen, die die finanziellen Möglichkeiten aller Länder im Bildungsbereich verbessern. - Eine Einschränkung auf bestimmte Bildungsbereiche - etwa auf den Hochschulbereich oder sogar nur auf einzelne Vorhaben innerhalb des Hochschulbereichs - erscheint nicht problemadäquat. Vielmehr geht es darum, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich in der Gesamtheit zu verbessern.
- - Die finanzielle Beteiligung des Bundes muss dauerhaft erfolgen und darf sich nicht nur auf eine Anschubfinanzierung beschränken. Auf die Verankerung von Kofinanzierungsvorschriften sollte möglichst verzichtet werden.
- 5. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes beschränkt sich auf die Modifikation des Artikels 91b mit dem Ziel, künftig neben der Förderung von Vorhaben auch eine Förderung von Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen zu ermöglichen. Der Bundesrat stellt fest, dass eine solche Grundgesetzänderung den bildungspolitischen Herausforderungen und den zuvor formulierten Grundsätzen nicht gerecht wird.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Finanzierungsherausforderungen vor allem im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung bestehen. Er verweist auf die Ergebnisse empirischer Studien, dass Investitionen in diesem Bereich mit den stärksten positiven Effekten auf den Bildungserfolg verbunden und deshalb unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten besonders vorteilhaft sind.
Begründung:
- 7. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung können die aktuellen Herausforderungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich nicht bewältigt werden.
Der Gesetzentwurf beschränkt sich darauf, durch eine Änderung des Artikels 91b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes künftig neben der Förderung von Vorhaben auch eine Förderung von Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen zu ermöglichen. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist ausgeführt, dass eine kontinuierliche Förderung an den Nachweis überregionaler Bedeutung der zu fördernden Einrichtung gebunden ist. Die Einrichtung müsse Ausstrahlungskraft über das einzelne Land hinaus haben und bedeutend sein im nationalen oder internationalen Kontext. Einrichtungen, die nur für ein einzelnes Land von Bedeutung seien, sollen nicht darunter fallen.
Der Gesetzentwurf sieht damit ausdrücklich nicht vor, dass Bund und Länder in der Breite im Hochschulbereich zusammenwirken können. Vielmehr zielt er explizit darauf ab, ausschließlich exzellente Einrichtungen zu fördern, ohne dies näher zu definieren.
Dabei ist unbestritten, dass die Bedingungen in Forschung und Lehre weiter verbessert werden müssen. Insbesondere vor dem Hintergrund steigender Studierendenzahlen und des wachsenden Investitionsbedarfs im Hochschulbau ist es dringend geboten, eine ganzheitliche Strategie zur flächendeckenden Unterstützung der Hochschulen zu entwickeln und umzusetzen. Mit der selektiven Intention des vorliegenden Gesetzentwurfs, eine gemeinsame Förderung nur für wenige ausgewählte Hochschuleinrichtungen zu ermöglichen, sind diese Aufgaben nicht zu lösen.
Die Initiative der Bundesregierung greift aber auch insbesondere deswegen zu kurz, weil sie den Bildungsbereich jenseits der Hochschulen ausklammert. Auch hier bestehen große Herausforderungen; hierzu zählen insbesondere:
- - die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich,
- - die Stärkung der Integrationspolitik durch Bildung,
- - die Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung,
- - die Sicherung kommunaler Bildungsinfrastrukturen,
- - der weitere quantitative und qualitative Aufbau von Ganztagsschulen,
- - die Bekämpfung des funktionalen Analphabetismus und die weitere drastische Reduzierung der Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher.
Allein diese beispielhaft genannten Aufgaben, die Bund, Länder und Kommunen nur in gemeinsamer Kraftanstrengung bewältigen können, zeigen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung den Anforderungen nicht gerecht wird. Es geht ausdrücklich nicht darum, in die Zuständigkeit der Länder bei der Schulgesetzgebung einzugreifen, sondern die sozialpolitische Dimension des Zugangs zu Bildung gesamtstaatlich zu stärken.
Vor dem Hintergrund mehrerer Bildungsgipfel, die bislang ohne vorzeigbares finanzielles Ergebnis geblieben sind, müssen neue Wege der Zusammenarbeit gefunden werden, die insbesondere eine dauerhafte und angemessene Finanzausstattung sichern. Die gegenwärtigen rechtlichen Regelungen sind dafür unzureichend.
Verschiedene Initiativen und Gutachten haben Wege aufgezeigt, wie Bildung bei Wahrung der Bildungshoheit der Länder als gesamtstaatliche Aufgabe verstanden werden kann. Die Bundesregierung ist nun gefordert, mit den Ländern in Gespräche einzutreten, um gemeinsam neue Wege der Zusammenarbeit in Bildung und Wissenschaft zu finden und notwendige gesetzliche Änderungen zu beraten.