Freistaat Thüringen
Erfurt, 1. Juli 2016
Der Ministerpräsident
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung des Freistaats Thüringen hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates: Handelsabkommen CETA muss nationalen Parlamenten vorgelegt werden zuzuleiten.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 8. Juli 2016 zu setzen und eine sofortige Sachentscheidung herbeizuführen.
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow
Entschließung des Bundesrates: Handelsabkommen CETA muss nationalen Parlamenten vorgelegt werden
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat bekräftigt seine anlässlich der Aufnahme von Verhandlungen zwischen der EU und den USA über ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) vertretene Auffassung, dass Abkommen, die nicht nur Zuständigkeiten der EU, sondern auch solche der Mitgliedstaaten betreffen, der Zustimmung der Mitgliedstaaten und - je nach dem einschlägigen nationalem Verfassungsrecht - auch der jeweiligen nationalen Gesetzgebungsorgane bedürfen, und dass TTIP nur als gemischtes Abkommen abgeschlossen werden kann.
- 2. Vor diesem Hintergrund begrüßt und unterstützt der Bundesrat die mehrfach von der Bundesregierung vorgetragene Haltung, dass auch das zwischen der EU und Kanada ausgehandelte Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ein gemischtes Abkommen ist und gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen obersten Bundesorgane bedarf.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass CETA weitreichend in die Kompetenzen und Angelegenheiten der Länder eingreift.
- 4. Der Bundesrat bedauert daher die Ankündigung der Europäischen Kommission, CETA nicht von den nationalen Parlamenten ratifizieren zu lassen, und betont, dass auch CETA vor einem Inkrafttreten der Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats bedarf.
- 5. Der Bundesrat übermittelt diese Entschließung direkt an die Kommission.
Begründung:
Bereits in seiner Entschließung zur Aufnahme von Verhandlungen zwischen der EU und den USA über ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen hatte der Bundesrat die Mitwirkungspflichten auch der Länder bei bestimmten EU-Handelsabkommen angemahnt (Beschluss vom 7. Juni 2013, BR-Drs. 464/13(B) ) und die Einstufung von TTIP als gemischtes Abkommen gefordert (Beschluss vom 11. Juli 2014, BR-Drs. 295/14(B) ).
Die von der Bundesregierung mehrfach vorgetragene Haltung, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt, wird juristisch durch eine Reihe von Rechtsgutachten gestützt (vgl. etwa:
- (1) Stellt das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) ein gemischtes Abkommen dar? Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, erstellt von Prof. Dr. Franz C. Mayer, Bielefeld 2014,
- (2) Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada (CETA). Juristisches Kurzgutachten im Auftrag von attac/München, erstellt von Prof. Dr. Andreas Fischer*Lescano, Johan Horst, Bremen 2014). Auch politisch ist eine Befassung der nationalen Parlamente bei der Verabschiedung eines so weitreichend in die Befugnisse der Mitgliedsstaaten eingreifenden Abkommens wie CETA angezeigt, um nicht einem weiteren Prozess des Vertrauensverlustes in europäische Institutionen und in den Fortgang des europäischen Integrationsprozesses Vorschub zu leisten.
Aus dem vorliegenden Vertragstext von CETA geht eindeutig hervor, dass die Kompetenzen und Befugnisse der Länder durch das Abkommen weitreichend tangiert sind, zum Beispiel im Bereich der Kultur- und Medienpolitik, der Bildungs- und Hochschulpolitik, des Verbraucherschutzes sowie der Gesundheitspolitik. Aus der Anwendung der in CETA niedergelegten Investitionsschutz- regeln ergeben sich zudem potenziell Fälle der Staatshaftung.