Der Bundesrat hat in seiner 900. Sitzung am 21. September 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Internationales Regelungsumfeld
- 1. Der Bundesrat begrüßt den vorliegenden Richtlinienvorschlag der Kommission, mit dem ein EU-Rahmen für ein effektives Krisenmanagement im Bankensektor errichtet werden soll. Der Vorschlag steht im Einklang mit mehreren wichtigen Beschlüssen auf G-20-Ebene und den vom "Financial Stability Board" (FSB) erarbeiteten Kernelementen eines effektiven Abwicklungsregimes vom November 2011.
Zum Richtlinienvorschlag allgemein
- 2. Der Bundesrat erwartet, dass die Richtlinie einen Beitrag insbesondere zur Lösung von Krisen grenzüberschreitender Bankengruppen im Binnenmarkt leisten wird. Die aktuelle Bankenkrise hat bereits mehrfach deutlich aufgezeigt, dass die vorhandenen bankaufsichtsrechtlichen Instrumente und Befugnisse nicht oder nur äußerst bedingt dazu geeignet sind, um die Insolvenz einer mittelgroßen und zugleich stark vernetzten Bank ohne Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems bewältigen zu können. Dies gilt auch für das reguläre Insolvenzrecht, mit dem eine geordnete Sanierung und Abwicklung von Banken ebenfalls nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund befürwortet der Bundesrat die mit dem vorgelegten Regelwerk verfolgte Zielstellung, aufsichtsrechtliche Instrumente und Befugnisse einzuführen, um Bankenkrisen im Interesse der Finanzstabilität rechtzeitig abwenden und eine Inanspruchnahme des Steuerzahlers bei Bankeninsolvenzen vermeiden zu können. Die Schaffung einheitlicher Vorgaben auf EU-Ebene, die eine geordnete Sanierung und Abwicklung von Banken in Schieflage ohne Gefahr für die Finanzstabilität ermöglichen, stellt nach Ansicht des Bundesrates einen weiteren wichtigen Baustein bei der Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzsektors dar. Mit Blick auf die aktuelle Krisensituation im Bankensektor und insbesondere in Spanien weist der Bundesrat dabei auf die Dringlichkeit dieses Rechtsetzungsvorhabens hin. Das Bankensystem ist nach wie vor instabil und trägt in Kombination mit der starken wechselseitigen Abhängigkeit von Staatshaushalten und Banken in erheblichem Maße zur derzeitigen Krisensituation in der Eurozone bei.
Verhältnis zum deutschen Restrukturierungsgesetz
- 3. Deutschland hatte mit dem Restrukturierungsgesetz bereits im Jahr 2010 die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Krisenmanagement geschaffen und damit eine Vorreiterrolle beim Thema "Krisenmanagement im Bankensektor" eingenommen. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass zahlreiche Weichenstellungen des Richtlinienvorschlags mit dem Restrukturierungsgesetz deckungsgleich sind. In Anbetracht der G-20-Beschlüsse und der Empfehlungen des FSB dürfte allerdings ein gewisser Anpassungsbedarf - insbesondere im Interesse eines international abgestimmten Vorgehens - an einigen Stellen des Restrukturierungsgesetzes unumgänglich werden.
Geschäftstätigkeit als Brückeninstitut und Übernahme von Vermögensteilen durch öffentliche Stellen (Zu den Erwägungsgründen 9, 28, 31, 36 ff. und 59)
- 4. Die Bundesregierung sollte im Verhandlungsfortgang sicherstellen, dass auch öffentliche Stellen Geschäftstätigkeiten eines Brückeninstitutes oder übertragene Vermögensteile eines abzuwickelnden Institutes übernehmen können, soweit dies zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben notwendig ist und mit der Transaktion keine ungerechtfertigte Begünstigung gegenüber anderen Interessenten und keine staatlichen Beihilfen einhergehen. Teilweise dienen Geschäftsbereiche von öffentlichrechtlichen Kreditinstituten unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Diese sind von den Ländern im Rahmen ihrer grundgesetzlichen Kompetenzen durch öffentliches Recht geregelt. Aus Sicht des Bundesrates gilt es sicherzustellen, dass diese Teilbereiche mit unmittelbaren öffentlichen Aufgaben auch bei Rettungs- und Abwicklungsverfahren nach dem Richtlinienvorschlag durch Maßnahmen der abwickelnden Behörde nicht nur in privaten Besitz veräußert werden können. Der Verbleib einer solchen Aufgabenerledigung in öffentlichrechtlicher Rechtsform und in öffentlichrechtlicher Trägerschaft muss möglich bleiben. In der Richtlinie müssen entsprechende Freiräume für die nationale Umsetzung bestehen. Dem könnten insbesondere die Formulierungen in den Erwägungsgründen 9, 28, 31, 36 ff., 59 und in Artikeln 27 Absatz 1, 35 Absatz 2 des Vorschlags widersprechen.
EU-Abwicklungsregime/Gefahr für die Stabilität des gesamten Finanzsystems (zu Artikel 1)
- 5. Kritisch sieht der Bundesrat, dass das künftige EU-Abwicklungsregime nach dem Richtlinienvorschlag auf alle Kreditinstitute in der EU Anwendung finden soll.
Im Fokus europäischer Vorgaben für eine geordnete Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen sollten nach Ansicht des Bundesrates in erster Linie solche Institute stehen, deren Schieflage eine Gefahr für die Stabilität des gesamten Finanzsystems bedeuten würde. Zur Identifizierung solcher Institute und Bestimmung ihres systemischen Risikos sollten insbesondere Kriterien wie die Größe eines Instituts, der Risikogehalt seines Geschäftsmodells und seine Vernetzung im Finanzsektor herangezogen werden. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang auf seine Aussage in der Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission "Ein EU-Rahmen für Krisenmanagement im Finanzsektor" hin (BR-Drucksache 664/10(B) ), dass solche Institute von den europäischen Regelungen ausgenommen werden sollten, von denen keine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems ausgehen kann. Bereits zu dieser Mitteilung hatte der Bundesrat gefordert, dass insbesondere Institute ausgeklammert werden sollten, die im Fall einer Schieflage aufgrund von bestehender Anstaltslast und Gewährträgerhaftung oder institutssichernden Einrichtungen nicht in die Insolvenz entlassen werden.
Zwar teilt er die Auffassung der Kommission, dass von allen Kreditinstituten - unabhängig von ihrer Größe - Dominoeffekte ausgehen können und in diesen Fällen die Anwendung des gewöhnlichen Insolvenzrechts ausscheidet. Er hält es aber für geboten, die Förderbanken der Länder wegen ihres gesetzlich klar umrissenen Förderauftrags und ihrer staatlichen Absicherung vom Abwicklungsregime auszunehmen.
Proportionalitätsprinzip (zu Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 1)
- 6. Daneben sollten lokal tätige Institute wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken keinesfalls im Hauptfokus der Richtlinie stehen. Ihrer spezifischen Situation sollte man vielmehr dadurch Rechnung tragen, indem den nationalen Aufsehern die Entscheidung überlassen bleibt, ob und ggf. wie detailliert Sanierungs- und Abwicklungspläne zu erstellen sind.
Der Bundesrat steht dem vorgeschlagenen System aufsichtsbehördlicher Instrumente und Befugnisse gestuft in "Vorbereitung und Prävention", "Frühintervention" und "Abwicklung" im Grundsatz positiv gegenüber. Die auf den einzelnen Stufen angesiedelten aufsichtsrechtlichen Instrumentarien müssen dabei aber auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Die vorgeschlagene Verpflichtung eines jeden Instituts, einen Sanierungsplan zu erstellen und fortzuschreiben, ist auch nach Ansicht des Bundesrates sinnvoll. Mit solchen Plänen und den hierin vorgehaltenen Maßnahmen kann der Verwirklichung von Risiken bereits in einem frühen Stadium entgegengewirkt und so das Risiko einer Bankeninsolvenz wirksam verringert werden. Unter Risikogesichtspunkten, und um einen nicht gerechtfertigten Verwaltungsaufwand für diese Institute zu vermeiden, sollten kleinere Kreditinstitute, von denen keine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems ausgehen kann, von dieser Pflicht ausgenommen werden. Dies gilt insbesondere für kleinere Institute, die einem institutsbezogenen Sicherungssystem im Sinne von Artikel 80 Absatz 8 der Richtlinie 2006/48/EG angeschlossen sind, da der mit dieser Pflicht verfolgte Zweck durch die in der zweiten Säule der Institutssicherungssysteme vorgesehenen Handlungspläne für Sanierungen erreicht wird. Aus denselben Erwägungen und, um unverhältnismäßige Belastungen dieser Institute durch die Bereitstellung der für die Erstellung von Abwicklungsplänen erforderlichen Informationen zu vermeiden, sollten kleinere - und dabei insbesondere Institute mit institutsbezogenem Sicherungssystem - auch von den durch die Abwicklungsbehörden zu erstellenden Abwicklungsplänen ausgenommen werden.
Denn gerade bei sehr kleinen Instituten führt die Aufstellung von Abwicklungsplänen zu großen Belastungen von Aufsehern, Abwicklungsbehörden und Instituten ohne durchgreifenden Vorteil für die Finanzstabilität.
Verhältnis zum regulären Insolvenzrecht
- 7. Zu begrüßen ist, dass sich die Kommission ausdrücklich gegen eine EU-weite Ungleichbehandlung der Einlagensicherungssysteme gegenüber ungesicherten, nicht bevorrechtigten Forderungen im regulären Insolvenzverfahren ausgesprochen hat (vgl. Artikel 99 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags). Dies entspricht der derzeitigen insolvenzrechtlichen Handhabung bei Einlagen in Deutschland.
Befugnisse der Kommission/Begrenzung der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Kommission
- 8. Der Bundesrat sieht mit Besorgnis, dass der Richtlinienvorschlag an zahlreichen Stellen die Möglichkeit des Erlasses von delegierten Rechtsakten (z.B. Artikel 4 Absatz 2, Artikel 27 Absatz 5 oder Artikel 39 Absatz 7) durch die Kommission und zur Entwicklung sogenannter technischer Regulierungsstandards (z.B. Artikel 6 Absatz 5, Artikel 9 Absatz 5 oder Artikel 27 Absatz 4) durch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) eröffnet. Auf diese Weise wird die Regelung materiell bedeutsamer Sachverhalte demokratisch nur schwach legitimierten Institutionen übertragen.
Er hält die weitreichenden Befugnisse der Kommission an verschiedenen Stellen deshalb für äußerst bedenklich. Insbesondere sollte ihr nicht die Befugnis zukommen, die Begriffe "Ausfall" und "Risiko eines Ausfalls" zu konkretisieren (vgl. Artikel 27 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags). Diese Begriffe haben grundlegende Bedeutung im Abwicklungsregime und sollten daher im weiteren Rechtsetzungsverfahren konkretisiert werden. Darüber hinaus sollte sie nicht die Kriterien für eine grenzüberschreitende Finanzierung von Abwicklungsfonds in Mitgliedstaaten festlegen dürfen (vgl. Artikel 99 Absatz 4). Diese gemeinschaftliche Haftung der Banken ist aus Sicht Deutschlands ohnehin abzulehnen.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass die Regelung materiell bedeutsamer Sachverhalte in der Richtlinie selbst stattfindet.
Befugnisse der EBA/Keine Trennung von Entscheidungsbefugnissen und finanzieller Verantwortung
- 9. Daneben spricht sich der Bundesrat gegen die Befugnis der EBA aus, bei Streitigkeiten zwischen Abwicklungsbehörden - wie beispielsweise bei der Aufstellung von Gruppenabwicklungsplänen (Artikel 12 des Richtlinienvorschlags) vorgesehen - die Letztentscheidung zu treffen. Das gleiche gilt für die Befugnisse der EBA bei der Planung und Durchführung von Abwicklungsmaßnahmen. Alle Entscheidungsbefugnisse sollten so lange bei den nationalen Abwicklungsbehörden bleiben, wie die finanzielle Verantwortung bei den nationalen Regierungen und Steuerzahlern liegt.
"Bail-In-Instrument"/Grundlegende Überarbeitung des Instruments (zu Artikel 37 ff)
- 10. Der Bundesrat begrüßt die dem Richtlinienvorschlag zu Grunde liegenden prinzipiellen Erwägungen der Kommission. Mit den europäischen Vorgaben muss die Bewältigung von Schieflagen auch von systemrelevanten Banken in einem geordneten Verfahren und ohne Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems möglich sein. Im Ergebnis sollen Banken dabei wie Wirtschaftsunternehmen auch im Insolvenzfall abgewickelt werden können. Sie sollen in Zukunft nicht mehr darauf vertrauen dürfen, dass sie "too big to fail" oder "too connected to fail" sind. Banken sollen im Notfall nicht mehr auf staatliche Unterstützung zählen dürfen; vielmehr müssen sie für Verluste aus ihrer Geschäftstätigkeit haften. Eine vorrangige und umfassende Heranziehung von Banken, ihren Eigentümern und Gläubigern zur Tragung von Verlusten im Insolvenzfall ist nach Ansicht des Bundesrates zugleich ein geeigneter und zielführender Ansatz, um Wettbewerbsverzerrungen im Finanzsektor entgegenzuwirken, die durch den staatlichen Sonderschutz für systemrelevante Banken entstehen. Verluste müssen dabei auf der ersten Stufe von der angeschlagenen Bank selbst und den nächsten Stufen von ihren Eigentümern und Gläubigern getragen werden. Für die Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen muss der Bankensektor zur Abwehr von Gefahren für die Finanzmarktstabilität zudem in Form eines eigenen Fonds vorsorgen. Eine erneute Inanspruchnahme öffentlicher Haushalte und damit der Steuerzahler bei Bankenschieflagen ist zu vermeiden. Banken selbst sowie ihre Eigentümer und Gläubiger müssen notfalls auch gegen ihren Willen für Verluste aus ihren Geschäften, dabei aber unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Schutz des Eigentums in Anspruch genommen werden können.
- 11. Das im Richtlinienvorschlag vorgesehene "Bail-In-Instrument" lehnt der Bundesrat allerdings ab. Zwar steht der generelle Ansatz des Instruments, gerade bei systemrelevanten Instituten eine stärkere Gläubigerbeteiligung im Krisenfall zu ermöglichen und damit die Steuerzahler zu schonen, außer Frage. Die Ausgestaltung muss aber noch an zahlreichen Stellen - bis hin zu den Grundpfeilern - deutlich verbessert werden, um in der Praxis überhaupt anwendbar zu sein:
- - Die Grundausrichtung des Instruments, Verbindlichkeiten in Eigenkapital umzuwandeln, passt nicht zu den Besonderheiten von öffentlichrechtlichen Kreditinstituten (z.B. Sparkassen oder Landesbanken) oder genossenschaftlich organisierten Banken. - Zudem bleibt unklar, wie eine Vernetzung innerhalb der Kreditbranche über bailinfähige Forderungen verhindert werden soll. Regulatorische Anreize dürften nicht ausreichen. Bei jedem Bail-In-Einsatz droht ein Domino-Effekt, dem letztlich nur mit Mitteln der Steuerzahler begegnet werden kann.
- - Ein Mindestbestand an bailinfähigen Verbindlichkeiten (Artikel 39 des Richtlinienvorschlags) sollte auf die Auswirkungen für die Refinanzierungsmöglichkeiten der Institute sowie auf das Zusammenwirken mit anderen Regulierungsmaßnahmen Rücksicht nehmen. Für überprüfungswürdig hält der Bundesrat vor allem die Wechselwirkung mit der Umsetzung von Basel III - vor allem der geplanten Liquiditätskennziffer "Net Stable Funding Ratio" (NSFR) - und den Kapitalanforderungen im Solvency-II-Rahmenwerk für Versicherer.
- - Insgesamt darf die deutsche Kreditwirtschaft durch das Bail-In-Instrument nicht in die Situation kommen, dass die Finanzierung der Realwirtschaft nur zu deutlich höheren Kosten möglich wird oder sich die Refinanzierung der Kreditinstitute generell auf sehr wenige Investoren reduziert. Dies könnte die Funktion der Kreditwirtschaft für Wachstum und Beschäftigung gefährden.
- 12. Der Bundesrat geht davon aus, dass sich die in Deutschland für Sparkassen und Genossenschaftsbanken bestehenden Sicherungseinrichtungen bewährt haben. Daher erscheint die unmittelbare Anwendung der in der Richtlinie genannten Abwicklungsinstrumente, insbesondere die des "Bailin" (Artikel 37), auf diese Kreditinstitute fragwürdig. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich in den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die in der Richtlinie genannten Abwicklungsinstrumente (Artikel 31) lediglich sinngemäß auf die Sparkassen und Genossenschaftsbanken anzuwenden sind.
Anfechtungsrechte
- 13. Der Bundesrat befürwortet die in Artikel 78 Absatz 1 vorgesehene Garantie gerichtlicher Anfechtungsmöglichkeiten zugunsten eines jeden, der von Entscheidungen über die Einleitung von Abwicklungsverfahren oder -maßnahmen betroffen ist. Die vorgesehene Regelung steht im Einklang mit dem in Artikel 47 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der EU verbürgten Grundrecht jeder Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
- 14. Nicht unerheblichen Bedenken begegnet es indes vor diesem Hintergrund, welch weitreichenden und grundsätzlichen Einschränkungen dieser Rechtsschutz nach Maßgabe von Artikel 78 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags unterworfen werden soll: Da weder einstweilen noch in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfen automatisch aufschiebende Wirkung zukommt, eine Aussetzung des Vollzugs trotz der jederzeitigen sofortigen Vollziehbarkeit dieser Maßnahmen auch nicht durch ein Gericht angeordnet und schließlich auch keine Restitution von auf rechtswidrigen bzw. sogar für nichtig erklärten Entscheidungen der Abwicklungsbehörden, sondern lediglich entsprechende Entschädigung verlangt werden kann, läuft Artikel 78 Absatz 2 auf eine vollständige Aufgabe effektiven Primärrechtsschutzes zugunsten einer reinen Entschädigungslösung hinaus.
- 15. Der Bundesrat hat erhebliche Zweifel, ob dies mit Sinn und Zweck des Erfordernisses eines "wirksamen" Rechtsbehelfs im Sinne von Artikel 47 Absatz 1 der Grundrechtecharta und mit den Werten der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, zu welchen sich die EU ausdrücklich bekennt, Artikel 2 EUV, in Einklang steht. Staatliche Exekutivorgane sollten nicht vorbehaltlos nach dem Prinzip verfahren dürfen, vollendete Tatsachen losgelöst von der Frage nach der Rechtmäßigkeit derselben schaffen zu können. Nach Einschätzung des Bundesrates erfordern weder die Stabilität des Finanzmarkts noch der Schutz des Vertrauens Dritter der dritten Staatsgewalt eine wirksame Kontrolle von Verwaltungshandeln nur in Gestalt der Zuerkennung von Entschädigungen zu ermöglichen. Abgesehen davon müsste für eine entsprechende Entschädigung wiederum der Steuerzahler aufkommen, was mit den mit der Vorlage verfolgten Prinzipien der bloß subsidiären Verantwortung der Staatshaushalte nur schwer zu vereinbaren ist.
- 16. Nach Einschätzung des Bundesrates wäre daher eine Regelung vorzuziehen, die zumindest einen effektiven einstweiligen Primärrechtsschutz im Eilverfahren zulässt. In einem entsprechenden Eilverfahren sollten wenigstens eine kursorische Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache sowie eine Abwägung der Interessen des Klägers mit dem in Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe d genannten Erfordernis, die Interessen Dritter zu schützen, die im Zuge der Ausübung von Abwicklungsbefugnissen durch die Abwicklungsbehörden in gutem Glauben Vermögenswerte, Rechte und Verbindlichkeiten des in Abwicklung befindlichen Instituts erworben haben, stattfinden. Auch sollte dem Gericht die Befugnis zugesprochen werden, eine Abwicklungsmaßnahme, die nach summarischer Prüfung rechtswidrig erscheint, zumindest für einen begrenzten Zeitraum suspendieren zu können, um gegebenenfalls eine rechtswidrige Maßnahme stoppen zu können. Auch der EuGH für Menschenrechte sieht am Maßstab von Artikel 13 EMRK den Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs grundsätzlich als Voraussetzung für dessen Effektivität an.
- 17. Bereits jetzt weist der Bundesrat im Übrigen darauf hin, dass die Umsetzung der Vorlage in bundesdeutsches Recht, würde sie unverändert als Richtlinie verabschiedet werden, aus den genannten Gründen und angesichts der Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen könnte.
Zielgröße für Finanzierungsmechanismen (zu Artikel 93 Absatz 1)
- 18. Der Bundesrat steht der in Artikel 93 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags definierten Zielgröße für Finanzierungsmechanismen kritisch gegenüber, da sie sich nach einer festen Relation zu dem unter Einlagensicherung befindlichen Einlagenvolumen bestimmt. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung, nach welchen sachgerechteren Kriterien die Zielgröße für die nationalen Abwicklungsfonds ermittelt werden sollte, und darum, im Verfahrensfortgang auf eine entsprechende Gestaltung hinzuwirken. Die Anknüpfung an Einlagenvolumen kann zu einer ungerechtfertigt hohen Zielgröße in Staaten mit höherer Sparquote führen. Währenddessen kann für Staaten mit niedrigem Einlagenbestand und einer hohen Verschuldung der Banken bei institutionellen, nicht einlagengesicherten Kapitalgebern eine in Relation zu den Finanzmarkt-Aktivitäten zu niedrige Zielgröße bestimmt werden. Während zur Sicherung bestimmter Einlagen bereits eigenständige Systeme bestehen, geht es bei Abwicklungsfinanzierungsmechanismen um den Schutz des vernetzten Finanzsystems vor Kettenreaktionen. Die Bemessung der Zielgröße könnte daher insbesondere auch an den nichteinlagengesicherten Verbindlichkeiten der Banken ausgerichtet werden.
Vorgaben für Finanzierungsmechanismen/Keine Vergemeinschaftung der Haftung bei Bankkrisen (zu Artikel 97 Absatz 2)
- 19. Der Bundesrat lehnt die grenzüberschreitende, gegenseitige Unterstützung der Finanzierungsmechanismen nach Artikel 97 des Richtlinienvorschlags ab. Er bittet deshalb die Bundesregierung, im weiteren Rechtsetzungsverfahren auf eine Streichung dieses Vorschlags hinzuwirken. Dieser Schritt würde zu einer Vergemeinschaftung der Haftung bei Bankkrisen führen, ohne dass eine einheitliche Bankenaufsicht EU-weit sichergestellt ist. Der Bundesrat sieht daher den Grundsatz "Haftung folgt der Aufsicht" in Gefahr. Aus demselben Grund lehnt er auch eine Kreditvergabe der Europäischen Zentralbank (EZB) an die nationalen Finanzierungsmechanismen nach Artikel 96 des Richtlinienvorschlags ab.
Eine Verpflichtung dieser Mechanismen, sich im Notfall Geld für die Bewältigung von Bankenschieflagen zur Verfügung stellen zu müssen, bedeutet im Ergebnis die Schaffung eines europäischen Bankenabwicklungsfonds. Dies wäre nicht sachgerecht. Der deutsche Bankensektor und damit auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit ihren risikoärmeren Geschäftsmodellen müssten Maßnahmen zur Abwicklung anderer Institute, die unter Umständen ein risikoreicheres Geschäftsmodell verfolgt haben, EU-weit finanzieren. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass unternehmerisches Risiko und die Haftung hierfür in einer Hand liegen müssen und nicht durchtrennt werden dürfen. Die Möglichkeit zur Vergemeinschaftung von Abwicklungslasten und damit von Verlusten würde nach Ansicht des Bundesrates sowohl die nationale Eigenverantwortung bei der Beaufsichtigung der Institute als auch die Anreize der nationalen Behörden zur Beteiligung von insbesondere nationalen Gläubigern schwächen. Auch könnten sich einige Institute oder ganze Bankenmärkte in der EU durch eine EU-weite Tragung von Abwicklungslasten gegebenenfalls zu einer risikoreicheren Geschäftspolitik verleitet sehen. Bereits jetzt ist absehbar, dass einige auf nationaler Ebene zu gründende Fonds zu unterkapitalisiert sein werden, um eine Reihe von strukturell insolventen Banken des jeweiligen Landes zu restrukturieren. Es ist derzeit nicht absehbar, dass diese in absehbarer Zeit in der Lage sein werden, empfangene Kredite von Fonds anderer EU-Länder zurückzuzahlen. Deshalb würden solche "Kredite" im Ergebnis als verlorene Zuschüsse wirken und damit die kreditgewährenden Finanzierungsmechanismen der Zahlerländer auf Dauer in ihrer Finanzkraft und bei der Aufgabe, Banken des eigenen Landes umzustrukturieren, schwächen. Die Situation wäre vergleichbar der Gründung einer Pflichtversicherung erst nach dem Eintritt eines Schadens, um diesen nachträglich zu ersetzen. Grundprinzip einer Versicherung ist hingegen die Absicherung des in der Zukunft ungewissen Eintritts eines Schadensereignisses.
- 20. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Artikel 97 den Einstieg in eine Bankenunion darstellt. Unabhängig von Argumenten für oder gegen eine Bankenunion sollte diese jedoch mittels eines von Bundestag und Bundesrat beschlossenen legislativen Gesamtpaketes gegründet werden und nicht durch die Vorlage einzelner Richtlinien.
Einlagensicherungssysteme und Finanzierungsmechanismen
- 21. Auf Grundlage der von der Kommission ermittelten Skalen- und Synergieeffekte hält der Bundesrat den Einsatz der Einlagensicherungssysteme als Abwicklungsfonds nach Artikel 99 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags - und damit den Verzicht auf einen eigenständigen Abwicklungsfonds neben den Einlagensicherungssystemen - durchaus für überlegenswert. Vorrangiges Ziel ist dabei eine schlagkräftige und effiziente Abwicklungsstruktur, die dem Drei-Säulen-Modell umfassend Rechnung trägt und in die die Aufsichts- und Abwicklungsbehörden eingebunden werden.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
- 22. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, behördliche Maßnahmen klar am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu orientieren. Die sehr weitreichenden Eingriffsbefugnisse der Abwicklungsbehörde sollten dabei dem jeweiligen Verfahrensstadium (Prävention, Frühintervention und Abwicklung) bzw. der wirtschaftlichen Situation eines Instituts angemessen Rechnung tragen. Insbesondere die Befugnisse in Artikel 6 Absatz 4, Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe g und Artikel 24 des Richtlinienvorschlags bedürfen insoweit einer Überprüfung. Verwiesen wird auf § 45 des Gesetzes über das Kreditwesen, der eine stufenweise Verschärfung von behördlichen Maßnahmen in verschiedenen Phasen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorsieht.
Beitragsregelungen (zu Artikel 94)
- 23. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass die Regelungen zur Beitragsanpassung in Artikel 94 Absatz 7 des Richtlinienvorschlags um Zumutbarkeits- und Belastungsobergrenzen sowie um Freibeträge ergänzt werden. Es genügt nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Vermeidung einer Überlastung des Steuerpflichtigen, die Beiträge nur entsprechend dem Risikoprofil der Institute anzupassen. Die deutschen Vorgaben zur Berechnung der Jahresbeiträge zum Restrukturierungsfonds für Banken enthalten solche Regelungen. Danach ist der Jahresbeitrag auf höchstens 20 Prozent des Jahresergebnisses beschränkt (Zumutbarkeitsgrenze) und die in einem Beitragsjahr insgesamt erhobenen Beiträge dürfen grundsätzlich 50 Prozent des Durchschnitts der Jahresergebnisse der letzten drei Jahre nicht übersteigen (Belastungsobergrenze). Zusätzlich sind die beitragserheblichen Passiva bis zu einem Betrag in Höhe von einschließlich 300 Millionen Euro nicht beitragsrelevant (Freibetrag). Die mit diesen Regelungen bezweckte Verhinderung einer "erdrosselnden Wirkung" der Beiträge und Entlastung kleinerer, nicht systemrelevanter Kreditinstitute sollte nach Ansicht des Bundesrats auch Eingang in die europäischen Vorgaben finden. Dies würde neben einer adäquaten Risikoberücksichtigung auch zu mehr Beitragsgerechtigkeit führen.
- 24. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich im weiteren Verfahren dafür einzusetzen, dass die rechtlich selbstständigen und rechtlich unselbständigen Förderinstitute der Länder nicht in den Kreis der beitragspflichtigen Institute einbezogen werden. Nach dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag sollen die im Hoheitsgebiet eines jeweiligen Mitgliedstaats zugelassenen Institute zu den zu errichtenden Abwicklungsfinanzierungsmechanismen beitragspflichtig sein. In Deutschland sind die rechtlich selbständigen und rechtlich unselbstständigen Förderinstitute der Länder nicht beitragspflichtig zum errichteten Restrukturierungsfonds für Banken. Dies muss auch für die auf europäischer Ebene vorgeschlagenen Abwicklungsfinanzierungsmechanismen gelten. Eine Heranziehung der Förderinstitute der Länder zu einer EU-Bankenabgabe würde ihren gesetzlich verankerten Förderauftrag konterkarieren und wäre zudem sachlich nicht gerechtfertigt. Sie unterliegen einer besonderen staatlichen Aufsicht und bergen kein Risiko für die Stabilität des Finanzsystems. Sie sind nicht in Geschäftsbereichen mit hohem Risiko tätig. Ihnen obliegt unter Gewährträgerhaftung die monetäre Ausführung von öffentlichem Fördergeschäft. Zur Erfüllung dieses öffentlichen Auftrags nehmen sie im Einklang mit den beihilferechtlichen Vorschriften der EU im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben wahr. Dies bedeutet, dass eine Inanspruchnahme von EU-Abwicklungsfinanzierungsmechanismen durch die Förderbanken der Länder von vornherein ausgeschlossen ist.
- 25. Für die Bemessung der Beiträge der verschiedenen Institute zum Erreichen der Zielgröße besteht aus Sicht des Bundesrates Unklarheit, ob die Differenzierung zwischen Artikel 94 Absatz 2 Buchstaben a und b des Vorschlags gerechtfertigt ist. Aus der Begründung der Kommission geht nicht klar hervor, warum die Finanzierung der Abwicklungsinstrumente bei einem vom Einlagensicherungssystem getrennten Finanzierungsmechanismus (Buchstabe b des Richtlinienvorschlags) sich auf alle Verbindlichkeiten bezieht, während nach Buchstabe a gesicherte Einlagen abzuziehen wären. Einlagen sind bereits über gesonderte Systeme gesichert und bereits die Beiträge zu dieser Sicherung werden an den Einlagenvolumina bemessen. Deswegen wäre es aus Sicht des Bunderates naheliegend, auch bei Artikel 94 Absatz 2 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags die Einlagenvolumina von der Bemessung auszunehmen. Die Bundesregierung wird diesbezüglich um Prüfung und gegebenenfalls um Aufgreifen im Verfahrensfortgang gebeten.