936. Sitzung des Bundesrates am 25. September 2015
A
Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes mit folgender Maßgabe zuzustimmen:
1. Zu Artikel 1 (§ 3 Nummer 1 LuftVO)
In Artikel 1 § 3 Nummer 1 sind die Wörter "der Länder" durch die Wörter "die für die Polizei zuständigen obersten Landesbehörden oder eine von ihnen bestimmte Stelle" zu ersetzen.
Begründung:
Die in § 3 Nummer 1 LuftVO vorgesehene Festlegung der zuständigen (Polizei-)Behörde berücksichtigt nicht im erforderlichen Umfang die unterschiedliche Organisationsstruktur der Polizeien der Länder und erscheint nicht hinreichend klar. Mit der vorgeschlagenen Klarstellung wird sichergestellt, dass eine auf die jeweilige Organisationsstruktur des Polizeiflugdienstes der Länder abgestimmte eindeutige Zuständigkeitsregelung für die Gewährung von Ausnahmen für den besonderen Flugbetrieb nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a und b der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 durch die Luftverkehrs-Ordnung besteht bzw. vom zuständigen Landesministerium für die Polizei getroffen werden kann.
B
- 2. Der federführende Verkehrsausschuss, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.
C
- 3. Der federführende Verkehrsausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, die folgende Entschließung zu fassen:
- a) Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Verordnung (EU) Nr. 923/2012 europaweit bei Flügen nach Sichtflugregeln über Städten, anderen dicht besiedelten Gebieten und Menschenansammlungen eine Mindestflughöhe von 300 Metern, in allen anderen Fällen von 150 Metern festsetzt und keine davon abweichende Regelung für Überlandflüge zulässt.
- b) Der Bundesrat kritisiert die damit verbundene Aufhebung der bisher in Deutschland geltenden Mindestflughöhe von 600 Metern über Grund bei Überlandflügen nach Sichtflugregeln mit motorgetriebenen Luftfahrzeugen aus Lärmschutzgründen.
- c) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich unverzüglich und nachdrücklich auf europäischer Ebene für eine Änderung der Verordnung (EU) Nr. 923/2012 mit dem Ziel einzusetzen, den Mitgliedstaaten zumindest die Möglichkeit einzuräumen, mit einer nationalen Regelung eine Mindestflughöhe von bis zu 600 Metern über Grund bei Überlandflügen nach Sichtflugregeln mit motorgetriebenen Luftfahrzeugen festzulegen.
- d) Der Bundesrat begrüßt, dass der speziell dem Schutz vor Fluglärm dienende bisherige § 1 Absatz 2 Luftverkehrsordnung (LuftVO) a.F. und der dazugehörige Ordnungswidrigkeiten-Tatbestand in §§ 5 bzw. 44 Absatz 1 Nummer 3 LuftVO n.F. wortgleich bestehen bleiben. Damit ist sichergestellt, dass sich in Bezug auf den Schutz vor vermeidbarem Fluglärm durch die Neufassung keine Einschränkung der bisherigen Anforderungen ergibt und die Handlungsmöglichkeiten z.B. der Fluglärmschutzbeauftragten der Länder oder des Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung gewahrt bleiben.
- e) Die bisherige Generalklausel zur Normierung des Gebots des guten luftfahrerischen Verhaltens ("Good Airmanship"), also die Verhaltenspflicht der Luftverkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer zur Einhaltung von Sicherheit und Ordnung im Luftverkehr, mit dem Ziel, dass niemand geschädigt oder vermeidbar behindert oder belästigt wird, entfällt hingegen durch die ersatzlose Streichung des § 1 Absatz 1 LuftVO a.F. sowie des Ordnungswidrigkeiten-Tatbestands in § 43 Nummer 1 LuftVO a.F. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Folgen des Wegfalls zu überwachen.
- f) Falls sich bei der Überprüfung ergeben sollte, dass der Wegfall des § 1 Absatz 1 LuftVO a.F. trotz der vorhandenen umfangreichen Einzelregelungen in der Praxis negative Folgen für die Sicherstellung der Sicherheit und Ordnung im Luftverkehr hat, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, diese Vorschriften wieder einzuführen. Dies gilt ebenso, falls sich ergeben sollte, dass die Ahndung von Verstößen nicht vollständig durch den Katalog der in § 44 LuftVO n.F. normierten speziellen Ordnungswidrigkeiten-Tatbestände abgedeckt werden kann.
Begründung:
Die bisher nach § 6 Absatz 3 der Luftverkehrsordnung geltende Festlegung der Mindestflughöhe von 600 Metern über Grund bei Überlandflügen mit motorgetriebenen Luftfahrzeugen erfolgte ausweislich der Begründung (BR-Drucksache 020/95 ) auch aus Lärmschutzgründen. Diese durch die vorrangige Geltung der Verordnung (EU) Nr. 923/2012 außer Kraft gesetzte Regelung ist aus Sicht des Bundesrates zum Schutz der von den Überflügen betroffenen Menschen vor Fluglärm weiterhin erforderlich. Der Bundesrat lehnt es ab, dass vorrangiges europäisches Recht bewährte nationale Standards zum Schutz der Umwelt und der Menschen vor Fluglärm aufweicht und auf niedrigem Niveau vereinheitlicht.
Der Bundesrat teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass die Verordnung (EU) Nr. 923/2012 derzeit keine rechtliche Möglichkeit zulässt, in Deutschland abweichende Regelungen für Mindestflughöhen bei Überlandflügen festzusetzen. Deshalb ist es erforderlich, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene unverzüglich und nachdrücklich für die Möglichkeit zur Rückkehr zur bisher geltenden nationalen Regelung einsetzt.
Nach den Ausführungen der Bundesregierung in der Begründung soll geprüft werden, ob die nach europäischem Recht mögliche Festlegung spezifischer Flugbeschränkungsgebiete genutzt werden kann, um neuen, unverträglichen Lärmbelastungen zum Beispiel durch tieffliegende Sportflugzeuge zu begegnen. Diese, zumal mit hohem Verwaltungsaufwand verbundene, Möglichkeit reicht bei weitem nicht aus, um das bisherige, flächendeckend geltende und höhere Lärmschutzniveau bei Überlandflügen aufrechterhalten zu können.
Der Umstand und die Gründe, warum die Generalklausel in §§ 1 Absatz 1 und 43 Nummer 1 LuftVO a.F. gestrichen wurde, wird in der Begründung zum Entwurf nicht thematisiert. Der Entwurf geht lediglich generell auf das Bedürfnis ein, die LuftVO von Regelungen zu bereinigen, die bereits durch die SERA-VO vorgeprägt sind, um Doppelungen zu dem unmittelbar anwendbaren europäischen Recht zu vermeiden. Einzuräumen ist zwar, dass sich Aspekte des "Good Airmanship" in verschiedenen SERA-Vorschriften finden (z.B. SERA.3101, wonach Luftfahrzeuge nicht in fahrlässig oder vorsätzlich riskanter Weise so betrieben werden dürfen, dass Menschenleben oder Sachen Dritter gefährdet werden); eine dem § 1 Absatz 1 LuftVO a.F. entsprechende umfassende generalklauselartige SERA-Bestimmung findet sich allerdings nicht.
Aufgrund der umfangreichen Einzelregelungen zu Verhaltenspflichten und der zugehörigen Ordnungswidrigkeiten-Tatbestände bei Missachtung dürfte die verbleibende Relevanz der entfallenden Vorschrift gering und aufgrund unmittelbar anwendbaren vorrangigen Europarechts weitgehend obsolet sein. Der Wegfall der §§ 1 Absatz 1 und 43 Nummer 1 LuftVO a.F. sollte gleichwohl, im Hinblick auf seine Folgen für die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Flugverkehrs sowie die Ahndung von Verstößen, durch den Bund überwacht werden. Es sollte ausgeschlossen werden, dass durch die Novelle unbeabsichtigt Regelungslücken entstehen. Denkbar wären zum Beispiel die Verhinderung vermeidbarer Belästigungen jenseits des Schutzes vor Fluglärm (z.B. Emission von Luftschadstoffen), aber auch Sicherheitsbzw. Aspekte der Ordnung, wenn es um das umfassende Gebot geht, sich als Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Luftverkehr so zu verhalten, dass kein anderer Schaden nimmt bzw. mehr als unvermeidbar belästigt wird. Sollten solche Folgen erkennbar werden, sollte die Vorschrift wieder eingeführt werden. Ihr Wegfall ergibt sich nicht zwingend aus den Vorgaben des europäischen Rechts.