873. Sitzung des Bundesrates am 9. Juli 2010
A.
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise begrüßt der Bundesrat das mit dem Grünbuch verfolgte grundsätzliche Anliegen, die Corporate Governance in Finanzinstituten zu stärken. Er teilt die Ansicht der Kommission, wonach das Fehlen von wirksamen Kontrollmechanismen entscheidend dazu beigetragen hat, dass Finanzinstitute überhöhte Risiken eingegangen sind. Um derartige Entwicklungen in Zukunft wirksam einzudämmen, können auch einheitliche europäische Vorgaben geboten sein, soweit für das jeweilige Rechtsetzungsvorhaben in seiner konkreten Ausgestaltung eine Kompetenz der Union gegeben ist.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die gleichzeitige Wahrnehmung mehrerer Verwaltungsratsposten in verschiedenen Finanzinstituten nicht nur eine hinreichende Befassung mit dem jeweiligen Unternehmen erschweren, sondern auch zu Interessenkollisionen führen kann. Zur Gewährleistung einer wirkungsvollen Arbeitsweise des Verwaltungsrates und einer umfassenden Wahrung der Unternehmensinteressen kann auch die in dem Grünbuch angedachte Begrenzung der Anzahl gleichzeitig wahrnehmbarer Mandate von Verwaltungsratsmitgliedern auf maximal drei beitragen. Bei Vorsitzenden eines Verwaltungsrates sollte angesichts deren zentraler Rolle über weitere Begrenzungen nachgedacht werden.
- 3. Eine höhere Anzahl von weiblichen Verwaltungsratsmitgliedern stellt nach Ansicht des Bundesrates nicht nur eine gleichstellungspolitische, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit dar, die das wirksame Funktionieren der Verwaltungsräte und den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen verbessern kann. Die Entwicklung in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten zeigt jedoch, dass allein mit freiwilligen Maßnahmen zur Förderung des Frauenanteils keine nennenswerten Erfolge erzielt werden können. Vor diesem Hintergrund wäre auch eine Mindestbeteiligungsquote für beide Geschlechter im Verwaltungsrat börsennotierter Unternehmen in Betracht zu ziehen, sofern nicht in absehbarer Zeit noch eine spürbare Erhöhung des Frauenanteils durch die Wirtschaft erfolgt. Eine etwaige verbindliche Quote müsste den betroffenen Unternehmen jedoch einen schonenden Übergang ermöglichen und sollte nach Ansicht des Bundesrates daher nur stufenweise ansteigen und angemessene Übergangsfristen vorsehen.
- 4. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, dass das Interesse an einem nachhaltigen Unternehmenswachstum bei vielen Finanzinstituten in den Hintergrund getreten ist. Der Bundesrat begrüßt daher die Überlegungen der Kommission, wonach Finanzinstitute bei Entscheidungen neben den Interessen ihrer Aktionäre auch den Interessen anderer Beteiligter, wie Einleger und sonstiger Gläubiger, Rechnung tragen sollen. Maßstab für die Unternehmensleitung sollte nicht eine kurzfristige Profitmaximierung, sondern eine nachhaltige und auf den langfristigen Erfolg ausgerichtete Unternehmensführung sein.
- 5. Soweit in dem Grünbuch allgemein die Vergütungspolitik im Rahmen börsennotierter Gesellschaften angesprochen wird, ist der Bundesrat der Ansicht, dass Verantwortung und Haftung wieder zusammengeführt werden müssen. Dies gilt insbesondere im Finanzbereich, wo das von kurzfristigem Gewinnstreben geleitete Eingehen übermäßiger Risiken zu erheblichen Auswirkungen für die Allgemeinheit führen kann. Außergewöhnlich hohe Gehälter von Managern oder Mitarbeitern von Finanz- und Wirtschaftsunternehmen sollten daher an die langfristige Unternehmensentwicklung gekoppelt werden. Dies könnte etwa durch Vorgaben geschehen, wonach zunächst nur ein Teil der Vergütung zur Auszahlung gebracht werden darf. Hinsichtlich der restlichen einbehaltenen Vergütung könnte durch entsprechende Reduzierungsmöglichkeiten gewährleistet werden, dass auch eine Teilhabe an einer negativen Unternehmensentwicklung erfolgt.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch im Bereich der Abfindungszahlungen die Verantwortung der Beteiligten für die Unternehmensentwicklung angemessen berücksichtigt werden muss. Abfindungen sollten auf ein akzeptables Maß zurückgeführt werden. Das von der Kommission angesprochene generelle Verbot von Abfindungszahlungen ist jedoch u. a. aus Gründen der Vertragsfreiheit abzulehnen.
- 7. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B.
- 8. Der Finanzausschuss, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.