Der Bundesrat hat in seiner 947. Sitzung am 8. Juli 2016 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 2. Juni 2016 verabschiedeten Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst:
Zu Artikel 2a (§ 71 Absatz 3 und § 232a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V)
Nach Artikel 2a des Gesetzes sollen auch Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen werden. Der Bundesrat kann die gesetzgeberische Intention nachvollziehen, Folgeänderungen zu den am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Rechtsvereinfachungen zur Versicherungspflicht der Beziehenden von Arbeitslosengeld II (ALG II) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorzunehmen.
Der Bundesrat bedauert aber, dass er hierzu nur eingeschränkt beteiligt worden ist. Vor dem Hintergrund einer immer noch unzureichenden Finanzierung der GKV-Beiträge von ALG II-Beziehern durch den Bund sowie des Anstiegs des ALG II-Bezugs durch Flüchtlinge wäre eine ausführlichere Diskussion in einem regulären Bundesratsverfahren geboten gewesen.
Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, bei der Umsetzung von § 232a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V transparent und zeitnah die Leistungsausgaben der Krankenkassen und die geleisteten Beiträge für ALG II-Bezieher zu evaluieren.
Der Bundesrat bittet ferner die Bundesregierung, bei einer zunehmenden Belastung der Solidargemeinschaft der Beitragszahler der GKV durch unzureichende Beiträge für ALG II-Bezieher in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren geeignete Abhilfe zu schaffen.
Begründung:
Seit 1. Januar 2016 zahlt der Bund entsprechend § 232a Absatz l Satz 2 SGB V für jeden ALG II-Empfänger einen wegen des Wegfalls der Familienversicherung reduzierten Krankenkassenbeitrag in Höhe von 90,36 Euro pro Monat. Die Änderung des § 232a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V sieht vor, dass der Faktor auf Basis aktuell verfügbarer Daten des Jahres 2015 von "0,2060" auf "0,2155" angehoben wird. Der vom Bund zu tragende Beitrag soll damit um 4,17 Euro auf 94,53 Euro erhöht werden.
An der Revisionsklausel nach § 232a Absatz 1a SGB V, wonach die Zuweisungshöhe erst im Jahr 2018 evaluiert und gegebenenfalls zum 1. Januar 2018 angepasst werden soll, soll festgehalten werden.
Die vorgesehene Korrektur ist im bestehenden rechtlichen Rahmen nachvollziehbar, erscheint jedoch im Ergebnis nicht ausreichend: Bis Ende 2015 erhielten die Krankenkassen als Zuweisung vom Bund für jeden ALG II-Empfänger und alle über ihn familienversicherten Personen noch rund 140 Euro. Den um 4,17 Euro auf 94,53 Euro angehobenen Zuweisungen des Bundes stehen noch immer wesentlich höhere Leistungsausgaben gegenüber. Die durchschnittlichen Leistungsausgaben der GKV je Versicherten/Monat betragen laut Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt 234,49 Euro in 2015 bzw. 245,49 Euro in 2016. Es gibt daher keinen Anhalt, dass den Leistungsausgaben der Krankenkassen für ALG II-Empfänger kostendeckende Beiträge gegenüberstehen.
Eine konkrete Gesetzesfolgenabschätzung der Kosten für die GKV durch die Änderung des § 232a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V fehlt. Ferner ist eine Evaluation der Finanzwirkung in der GKV durch die seit 1. Januar 2016 umgesetzte Rechtsänderung des GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes (GKV-FQWG) insgesamt erforderlich.
Soweit die Gesetzesbegründung auf eine finanzielle Neutralität der mit dem GKV-FQWG eingeführten Rechtsänderungen abstellt, bezieht sich diese auf den Stand vor dem 1. Januar 2016. Der GKV-Spitzenverband hat bereits in der Vergangenheit auf nicht kostendeckende Kassenbeiträge für ALG II-Empfänger hingewiesen. Gerade angesichts einer zunehmenden Zahl von Flüchtlingen, die nach Abschluss der jeweiligen Asylverfahren mit ALG II-Bezug zu Mitgliedern der GKV werden, ist nicht zu erwarten, dass die Änderung des § 232a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V finanzneutral für die Beitragszahler der Solidargemeinschaft ist.