Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 305440 - vom 22. April 2005. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 10. März 2005 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in Belarus und insbesondere die Entschließungen vom 16. September 20041 und vom 28. Oktober 2004 zur politischen Lage in Belarus nach den Parlamentswahlen und dem Referendum vom 17. Oktober 20042,
- - unter Hinweis auf die von der Venedig-Kommission des Europarats auf ihrer 60. Vollversammlung vom 8./9. Oktober 2004 verabschiedete Stellungnahme Nr. 314/2004 zu dem Referendum vom 17. Oktober 2004 in Belarus,
- - unter Hinweis auf die abschließenden Feststellungen der internationalen Wahlbeobachtungsmission der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 9. Dezember 2004,
- - unter Hinweis auf die Entschließungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Lage in Belarus und insbesondere deren Entschließung 13 72(2004) vom 28. April 2004 zur Verfolgung der Presse in der Republik Belarus,
- - unter Hinweis auf die Erklärung des Leiters des OSZE-Büros in Minsk von September 2004 zu den gegen zwei Mitglieder der belarussischen Opposition verhängten Freiheitsstrafen wegen Verleumdung des Präsidenten von Belarus,
- - unter besonderem Hinweis auf den von seiner Delegation für die Beziehungen zu Belarus am 23. Februar 2005 verabschiedeten EU-Aktionsplan für die Förderung der Demokratie in Belarus,
- - unter besonderem Hinweis auf seine Entschließung vom 11. Februar 2003 zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus: auf dem Weg zu einer künftigen Zusammenarbeit3,
- - unter Hinweis auf den von ihm verliehenen Sacharow-Preis für geistige Freiheit, der im Dezember 2004 an den Journalistenverband von Belarus vergeben wurde,
- - unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 12. Mai 2004 zur Europäischen Nachbarschaftspolitik (KOM (2004) 0373),
- - unter Hinweis auf die Resolution der UN-Menschenrechtskommission vom 15. April 2004 zur Lage der Menschenrechte,
- - unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und besonders die Artikel 19 und 21, in denen das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung garantiert wird,
- - unter Hinweis auf die am 2. Juli 2004 gegen offizielle Vertreter von Belarus verhängten EU-Sanktionen als Reaktion auf das Verschwinden von drei belarussischen Oppositionsführern und einem Journalisten,
- - gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
1 Angenommene Texte, P6_TA(2004)0011.
2 Angenommene Texte, P6_TA(2004)0045.
3 ABI. C 43 E vom 19.2.2004, S. 60.
A. in der Erwägung, dass die Parlamentarische Troika zu dem Ergebnis gekommen ist, dass weder die Parlaments- noch die Präsidentschaftswahlen von 2000 bzw. 2001 frei und fair verlaufen sind und dass diesen Wahlen Willkürmaßnahmen der Regierung gegen die politische Opposition, die unabhängigen Medien und die Organisationen zur Wahlbeobachtung vorausgegangen sind, durch die die Grundsätze der Demokratie erheblich missachtet worden sind,
B. in der Erwägung, dass sich die Situation in Belarus keineswegs verbessert hat, sondern weiter verschlechtert und einen Punkt erreicht hat, an dem die Menschenrechte und die Minderheitenrechte mit Füßen getreten werden, das Repräsentantenhaus über keinerlei Gesetzgebungsbefugnisse verfügt und das Wirtschaftsleben vom Präsidenten geregelt wird, ferner in der Erwägung, dass diese Verstöße die Inhaftierung und andere Formen von Repressalien gegen die Mitglieder der demokratischen Opposition, die Streichung politischer Parteien aus dem Register im Vorfeld der Wahlen, die Schikanierung und Einschüchterung der Kandidaten der Opposition und das Verbot der Anwesenheit von Vertretern der Oppositionsparteien in den Wahllokalen umfassen,
C. in der Erwägung, dass die Europäische Union bereits mehrfach die Verhaftung wichtiger Oppositionsführer durch die Regierung Lukaschenko angeprangert hat und dass keine Fortschritte bezüglich der ungeklärten Fälle mehrer verschwundener Personen zu verzeichnen sind,
D. unter Hinweis darauf, dass Michail Marynitsch, früherer Minister für Außenwirtschaftsbeziehungen und ehemaliger Botschafter und Präsidentschaftskandidat bei der Wahl Mitte 2001, zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden ist, die am 18. Februar 2005 auf drei Jahre und sechs Monate reduziert wurden,
E. in der Erwägung, dass in den vergangenen Jahren mehrere politische Parteien und über fünfzig demokratische nichtstaatliche Organisationen auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, 25 unabhängige Massenmedienorgane und verschiedene Bildungseinrichtungen "aus technischen Gründen" geschlossen bzw. aufgelöst werden mussten, dass aber diese Organisationen in allen Fällen eindeutig wegen Kritik am Präsidenten und seiner Politik bestraft wurden,
F. in der Erwägung, dass es in Belarus nach wie vor zu politisch motivierten Festnahmen und Verfahren gegen Aktivisten der demokratischen Bewegung und unabhängige Journalisten sowie zur Deportation ausländischer Bürger kommt und dass im September 2004 zwei Mitglieder der belarussischen Opposition, Waleri Lewonewski und Alexander Wasiljew, wegen Verleumdung des belarussischen Präsidenten zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden,
G. unter Hinweis darauf, dass auf laufende friedliche Proteste durch Kleinhändler mit Einschüchterung von Seiten der Regierung reagiert wurde und die Urheber dieser Streiks in Haft genommen und mit Geldbußen belegt wurden,
H. unter Hinweis darauf, dass in der Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 28. Mai 2004 Nachweise einer Beteiligung führender staatlicher Vertreter an der Entführung und angeblichen Ermordung führender Persönlichkeiten der Opposition 1999 festgestellt wurden, und darauf, dass der Europarat im Mai 2004 einen Antrag von Belarus abgelehnt hat, dessen Sonderstatus beim Europarat zu verlängern, der 1997 ausgesetzt worden war, als Präsident Lukaschenko das Parlament auflöste,
I. zutiefst besorgt über die Entscheidung der belarussischen Regierung, der international anerkannten Europäischen Humanistischen Universität Minsk, die ein bemerkenswertes Beispiel für die Freiheit der Lehre und Forschung und die Arbeit für echte europäische Werte in Lehr- und Forschungsprogrammen darstellte, die Erlaubnis zur Tätigkeit als Rechtspersönlichkeit zu entziehen, was verheerende Folgen für die akademische Zukunft Hunderter Studenten und Lehrer hat,
J. unter Hinweis darauf, dass die UN-Menschenrechtskommission im April 2004 Kritik an Belarus übte, weil es ständig Meldungen gab über willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen und wegen der Behelligung von nichtstaatlichen Organisationen, Oppositionsparteien und Personen, die sich für Demokratie einsetzen,
- 1. verurteilt nachdrücklich die systematische und noch zunehmende Verfolgung und Einschüchterung von Journalisten, Redakteuren und Medienorganen, die dem Präsidenten oder der Regierung von Belarus kritisch gegenüberstehen, durch Staatsbedienstete, insbesondere das Informationsministerium, ebenso die wahllosen Übergriffe auf Mitglieder der Opposition, Menschenrechtsaktivisten und generell jeden, der versucht, in Freiheit Kritik am Präsidenten und am Regime zu äußern, wobei diese Übergriffe als willkürliche Festnahmen, die Misshandlung von Häftlingen, das Verschleppen von Personen, politisch motivierte Verfolgung und andere Akte der Repression vorkommen, die gegen die wesentlichen Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen;
- 2. vertritt die Auffassung, dass der Prozess gegen Michail Marynitsch politisch motiviert war und dass die Verurteilung einen politisch motivierten Missbrauch der Justiz darstellt, woran sich erneut der Mangel an Unabhängigkeit der Justiz in Belarus sowie eine generelle Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und ein allgegenwärtiges Klima der politischen Unterdrückung zeigen;
- 3. verlangt von den Staatsorganen von Belarus die unverzügliche und bedingungslose Freilassung von Michail Marynitsch;
- 4. fordert die belarussischen Staatsorgane auf, Waleri Lewonewski, Alexander Wasiljew und alle anderen inhaftierten politischen Gegner des Regimes unverzüglich freizulassen;
- 5. verlangt erneut die sofortige Freilassung von Professor Bandaschewsky, einem auf Nuklearmedizin spezialisierten medizinischen Wissenschaftler, der am 18. Juni 2001 wegen seiner offenen Kritik an den staatlichen Behörden im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Kernreaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde;
- 6. verlangt eine unabhängige Untersuchung unter Leitung eines neutralen Ermittlers über die Fälle des Verschwindens des früheren Innenministers Juri Sacharenko, des früheren Parlamentsvizepräsidenten Viktor Gontschar, des Geschäftsmannes Anatoli Krasowski und des Kameramanns Dmitry Savadski von der russischen Fernsehanstalt ORT;
- 7. fordert die Staatsorgane von Belarus auf, friedliche Proteste von Kleinhändlern zuzulassen und die Veranstalter und Initiatoren dieser Proteste aus der Haft zu entlassen;
- 8. betrachtet die Verlängerung des Präsidentenamts durch Präsident Lukaschenko als eine zusätzliche Bestätigung seiner autoritären Beherrschung des Landes;
- 9. weist darauf hin, dass Belarus wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen der einzige europäische Staat ohne vertragliche Beziehungen zur Europäischen Union ist, und fordert den Rat auf, das gegenwärtige Regime von Belarus als Diktatur und Präsident Lukaschenko als Diktator zu missbilligen;
- 10. fordert den Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, die persönlichen Guthaben von Präsident Lukaschenko und denjenigen führenden Angehörigen des Regimes, die die Fortführung der Diktatur gewährleisten, zu ermitteln und einzufrieren;
- 11. fordert den Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, die Liste der Vertreter des belarussischen Staates zu erweitern, die der Visumsperre zur Verhinderung ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten unterliegen;
- 12. weist darauf hin, dass alle relevanten Bestimmungen des UN-Übereinkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der europäischen Übereinkünfte über die Asylgewährung auch auf die Opfer des Lukaschenko-Regimes Anwendung finden;
- 13. fordert Belarus auf, die Maßnahmen seiner Polizei und seiner Sicherheitskräfte in Einklang mit seinen Verpflichtungen auf Grund des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte zu bringen;
- 14. fordert die belarussischen Staatsorgane auf, die Repressalien gegen sämtliche Bildungseinrichtungen des Landes einzustellen und die Grundprinzipien der Freiheit und Autonomie von Forschung und Lehre sowie der Toleranz in der Bildung zu achten;
- 15. verlangt die Einrichtung eines gezielten bildungspolitischen Programms, aus dem Stipendien, besonders für Studierende der Europäischen Humanistischen Universität (EHU) in Minsk, die in der Europäischen Union studieren möchten, vergeben werden und aus dem wissenschaftliche Einrichtungen finanziell gefördert werden, die bereit sind, diese Studierenden aufzunehmen; verlangt die Einführung eines Adhoc-Verfahrens, durch das die Studienleistungen der Studierenden der EHU angerechnet werden können;
- 16. betont, dass eine Politik der Sanktionen gegen Belarus nur auf die Organe dieses Staates ausgerichtet ist und in keiner Weise Auswirkungen auf die Gesellschaft von Belarus haben wird, wie in dem vor Kurzem von seiner Delegation für die Beziehungen zu Belarus verabschiedeten EU-Aktionsplan für die Förderung der Demokratie in Belarus vorgeschlagen wird;
- 17. befürwortet die Stärkung der Zivilgesellschaft in Belarus und begrüßt die Entscheidung der Kommission, im Rahmen der Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) Projekte in Belarus zu finanzieren;
- 18. weist darauf hin, dass keine diplomatischen und politischen Anstrengungen gescheut werden sollten, um Belarus in die Familie der europäischen Länder zurückzuführen und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, die ihm zukommende wichtige Rolle bei der Gestaltung der europäischen Nachbarschaftspolitik zu spielen;
- 19. betont erneut, dass die weitere Entwicklung der Beziehungen der Europäischen Union zu Belarus nach wie vor von Fortschritten bei der Verwirklichung von Demokratisierung und Reformen im Land abhängig ist;
- 20. fordert die Kommission, den Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, gemeinsam mit anderen demokratischen Ländern und internationalen Institutionen einen Aktionsplan in Bezug auf weitere Mittel und Wege zur Unterstützung für alle noch vorhandenen demokratischen Kräfte in Belarus aufzustellen und diejenigen im Land stärker zu unterstützen, die sich für den demokratischen Wandel in Belarus einsetzen;
- 21. befürwortet die Schaffung alternativer und zugänglicher Informationsquellen wie Fernseh und Radioanstalten in den umgebenden Ländern (Polen und/oder Litauen) zu dem Zweck, die Isolation von Belarus zu überwinden und möglichst viele Menschen zu erreichen;
- 22. erklärt sich enttäuscht darüber, dass die Kommission nach dem letzten Treffen der Troika EU-Russland nichts von möglichen Beratungen über die Menschenrechtssituation in Belarus zu berichten hatte, insbesondere nichts über die Themen politisch motivierte Verschleppungen und rigorose Unterdrückung der Redefreiheit, was besonders zu bedauern ist, weil die Troika "Demokratie und Menschenrechte in der gemeinsamen Nachbarschaft der EU und Russlands" behandeln sollte;
- 23. ruft die EU-Organe auf, darauf zu bestehen, dass die Menschenrechte ein ständiger Punkt auf der Tagesordnung sämtlicher künftiger Treffen zwischen der Europäischen Union und Russland sind, und vertritt die Auffassung, dass die Lage in Belarus auch auf der Tagesordnung aller regelmäßigen Konsultationen zwischen der EU und Russland stehen sollte;
- 24. fordert den Rat und die Mitgliedstaaten auf, eine unabhängige Ermittlung der politisch gelagerten Fälle von Verschleppungen in Belarus vorzunehmen und einen Fonds zu gründen, der den Angehörigen der verschwundenen Personen und sonstiger Opfer des Regimes von Belarus Hilfe leistet;
- 25. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament von Belarus sowie den Parlamentarischen Versammlungen der OSZE und des Europarates zu übermitteln.