Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Berlin, den 20. Mai 2010
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Bremen haben beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage mit Begründung beigefügten Antrag für eine
- Entschließung des Bundesrates zur Verhinderung des Marktzugangs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit einzubringen.
Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 4. Juni 2010 zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck
Entschließung des Bundesrates zur Verhinderung des Marktzugangs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat bedauert, dass das Problem der ausbeuterischen Kinderarbeit in vielen Ländern unverändert fortbesteht und auch für die Exportwirtschaft produzierte Waren unter den schlimmsten Formen der Kinderarbeit hergestellt werden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt das gestiegene Verantwortungsbewusstsein von Institutionen, Unternehmen und Konsumenten, ausschließlich Produkte zu erwerben, die unter Einhaltung des Übereinkommens 182 der ILO hergestellt wurden.
Der Bundesrat bedauert in diesem Zusammenhang, dass trotz gemeinnütziger Initiativen eine Kontrolle bzw. Identifizierung der von Kinderarbeit hergestellten Produkte nur sehr eingeschränkt möglich ist.
- 3. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich verstärkt international dafür einzusetzen, dass das im Rahmen des ILO-Übereinkommens 182 verabschiedete Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit weltweit umgesetzt wird und unverzüglich geeignete Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels ergriffen werden.
- 4. Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung zu prüfen, ob im Rahmen der handelspolitischen Vertragsverpflichtungen der Ratifizierung und Einhaltung des IAO-Übereinkommens 182 besondere Beachtung geschenkt werden kann.
- 5. Ferner bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich in der WTO dafür einzusetzen, dass analog zu dem nach Artikel XX (e) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) möglichen Importverbot für Produkte, die in Gefängnissen hergestellt sind, künftig geeignete Maßnahmen gegen Produkte ergriffen werden können, die nachweislich durch Zwangsarbeit von Kindern hergestellt wurden.
Begründung
- 1. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) schätzt, dass weltweit immer noch 165 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren unter ausbeuterischen und sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen, die ihre physische und psychische Entwicklung in erheblichem Maße beeinträchtigen. Berichte aus indischen Steinbrüchen zeigten zum Beispiel, unter welch dramatischen Arbeitsbedingungen Kinder dort Steine brechen müssen, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Rund 69% der Kinder arbeiten in der Landwirtschaft, 22% im Dienstleistungssektor. Etwa 9% der ausgebeuteten Kinder sind in der Industrie beschäftigt. Ein Teil der unter Einsatz von ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellten landwirtschaftlichen und industriellen Produkte wird für den Exportmarkt produziert.
Kinderarbeit ist eine direkte Folge von Armut - wenn der geringe Verdienst der Eltern nicht für das Überleben der Familie ausreicht, werden oft auch die Kinder gezwungen, zu arbeiten. Viele Kinder geraten zudem in langjährige Schuldknechtschaft, weil ihre Familien die Arbeitskraft der Kinder aufgrund von nicht bezahlbaren Schulden verkaufen müssen. Die von ausbeuterischer Kinderarbeit und Schuldknechtschaft betroffenen Kinder haben in der Regel keinen Zugang zu einer ordentlichen Schul- und/oder Berufsausbildung, und damit keine Möglichkeit mehr, den Kreislauf aus Armut und Unterentwicklung zu durchbrechen.
Alle Strategien zur Bekämpfung der Kinderarbeit müssen daher gleichzeitig von wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut als der unmittelbaren Ursache der Kinderarbeit begleitet werden.
- 2. Besondere Bedeutung für die Bekämpfung der Kinderarbeit kommt der Ratifizierung und Umsetzung der Normen der ILO zu, weil diese oft mit konkreten Maßnahmen gegen Kinderarbeit in den einzelnen Staaten einhergehen und einen ersten Schritt zur Bekämpfung ausbeuterischer Kinderarbeit darstellen. Eine Schlüsselrolle spielt hierbei die Ratifizierung und Umsetzung des Übereinkommens 182 der ILO, welches das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit regelt. Dieses Abkommens ist mittlerweile von über 90% der Mitgliedsstaaten ratifiziert worden.
- 3. Am 18. April 2002 hat die Bundesrepublik Deutschland das ILO-Übereinkommen 182 vom 17. Juni 1999 ratifiziert. Das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit ist Bestandteil dieser Konvention. Die Konvention ist völkerrechtlich bindend, damit hat sich auch die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, sich aktiv mit konkreten Maßnahmen für die Einhaltung der Kernarbeitsnormen einzusetzen. So fordert beispielsweise Artikel 8 der Konvention die Mitglieder dazu auf, geeignete Schritte zu unternehmen, um sich gegenseitig bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zu helfen, und zwar durch verstärkte internationale Zusammenarbeit und/oder Hilfeleistung, einschließlich der Unterstützung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung, für Programme zur Beseitigung von Armut und für universelle Bildung.
Mittlerweile haben 90% der Mitgliedsstaaten der ILO das Übereinkommen 182 ratifiziert. Bisher haben die seitens der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zur Umsetzung der ILO Konvention 182 keine greifbaren Ergebnisse gezeigt, im Gegenteil: Bis heute bestehen in vielen Staaten der Erde die schlimmsten Formen der Kinderarbeit fort. Daher sieht es der Bundesrat als humanitäre Verpflichtung der Bundesregierung sowie aller beteiligten Institutionen an, mit neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen wirksam dazu beizutragen, die Ursachen der Kinderarbeit international zu bekämpfen.
- 4. Ungeachtet des noch bestehenden Potenzials zur Stärkung eines verantwortungsvollen Handelns ist insbesondere bei den Endverbrauchern, aber auch bei Institutionen, Unternehmen und der öffentlichen Hand, ein gestiegenes Verantwortungs- und Problembewusstsein hinsichtlich der Vermeidung von Produkten aus Kinderarbeit erkennbar. Eine bewusste Kaufentscheidung wird jedoch erheblich erschwert, da nicht erkennbar ist, ob ein Produkt aus Kinderarbeit stammt, da keine Kontrolle des Produktes hinsichtlich seiner produktionsbezogenen Merkmale bereits bei der Einfuhr vorgeschaltet ist. Die Konsumenten können sich bislang nur an entsprechenden Informationen privater oder gemeinnütziger Initiativen orientieren, die durch eigene Labels den Ausschluss von Kinderarbeit gewährleisten.
Viele Länder und Kommunen in Deutschland haben bereits Initiativen ergriffen, die Beschaffung von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu verhindern. Sie fordern in ihren Ausschreibungen die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen bei der Herstellung von Produkten, die für den Export nach Deutschland bestimmt sind. Dies ist möglich geworden, da im Vergaberecht jetzt zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden können, die insbesondere auch soziale Aspekte betreffen ( § 97 Abs. 4 GWB). Die Berücksichtigung ethischer und sozialer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe bedeutet, dass sich der öffentliche Auftraggeber nicht nur von der Bietereignung und der Wirtschaftlichkeit des Angebots, sondern darüber hinaus auch von ethischen und sozialen Motiven, sog. vergabefremden Aspekten, leiten lässt. In der Begründung zum Gesetz heißt es, dass der öffentliche Auftraggeber die Vorgabe der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen bei Importen für die gesamte Lieferkette bis ins Ursprungsland erstrecken kann.