Der Bundesrat hat in seiner 899. Sitzung am 6. Juli 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, die Beihilfenkontrolle zu vereinfachen. Der Bundesrat unterstützt die von der Kommission angestrebten Ziele:
- - Förderung eines nachhaltigen, intelligenten und integrativen Wachstums in einem wettbewerbsfähigen Binnenmarkt, - Konzentration der Exante-Prüfung der Kommission auf Fälle mit besonders großen Auswirkungen auf den Binnenmarkt und Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung der EU-Beihilfevorschriften sowie
- - Straffung der Regeln und schnellerer Erlass von Beschlüssen.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass sich die Prüfung der beihilferechtlichen Vereinbarkeit staatlicher Maßnahmen auf die Auswirkungen auf den binnenmarktrelevanten Wettbewerb zu beschränken hat. Die Prüfung der Auswirkungen einer Fördermaßnahme auf den Haushalt des Mitgliedstaats obliegt allein dem Mitgliedstaat.
- 3. Der Bundesrat bittet die Kommission, in die Reformüberlegungen auch die Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels anzunehmen ist bzw. wann eine Tätigkeit keine Binnenmarktrelevanz entfaltet, einzubeziehen.
- 4. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission beabsichtigte Erarbeitung und Festlegung der allgemeinen Grundsätze zur Vereinbarkeitsprüfung sowie die Überarbeitung und Straffung der Beihilfeleitlinien. Damit würde der bereits in der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung erfolgte positive Ansatz einer Straffung und Konsolidierung auch auf die Ebene nichtfreigestellter Beihilfen übertragen.
- 5. Eine Einbeziehung von Qualitäts- und Effizienzerwägungen in die Vereinbarkeitsprüfung lehnt der Bundesrat ab. Qualitäts- und Effizienzgesichtspunkte fallen grundsätzlich nicht in den durch das Wettbewerbskapitel des AEUV begründeten Zuständigkeitsbereich der Kommission. Neben der Kompetenzüberschreitung sieht der Bundesrat die Gefahr, dass Ermessensspielräume in der Förderpolitik der Mitgliedstaaten eingeschränkt werden und sich der Verwaltungsaufwand im Rahmen angemeldeter Vorhaben unangemessen erhöht.
- 6. Bei der Erarbeitung der allgemeinen Grundsätze sollte allerdings der von der Kommission betonte Gedanke der Konzentration im Vordergrund stehen. Wünschenswert wäre es, die allgemeinen Grundsätze in einer einzigen Mitteilung umfassend zu erläutern sowie Begriffe einheitlich und präzise zu verwenden. Dabei ist so weit wie möglich auf auslegungsbedürftige Formulierungen zu verzichten. Der in der Vergangenheit gelegentlich beobachtete Versuch, möglichst viele denkbare Konstellationen im Voraus zu regeln und die Rechtsprechung der Unionsgerichte in aller Breite nachzuvollziehen, sollte nicht wiederholt werden.
- 7. Der Bundesrat unterstützt die Absicht der Kommission, Änderungen bestehender Freistellungsverordnungen zu initiieren, um eine stärkere Priorisierung der Beihilfenkontrolle zu erreichen. Auch die damit verbundene stärkere Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Ausübung der Beihilfenkontrolle wird begrüßt. Aus der Sicht des Bundesrates sollten dabei die folgenden Punkte berücksichtigt werden:
- - Eine Kodifizierung weiterer Freistellungsoptionen sollte so konzise erfolgen, dass nicht in der Praxis Unsicherheit über ihre Anwendung entsteht. - Bestehende Spielräume der Mitgliedstaaten, etwa im Bereich sozialer und kultureller Dienstleistungen, dürfen nicht auf dem Umweg über eine beabsichtigte Verfahrensvereinfachung eingeschränkt werden.
- - Die EU-weit einheitliche Handhabung der Beihilfenkontrolle muss gewährleistet sein, ohne dass die Expost-Kontrolle durch die Kommission im Ergebnis zu einem vollständig zweistufigen Verfahren führt.
- - Die angestrebte Vereinfachung der Beihilfenkontrolle und die stärkere Einbindung der Mitgliedstaaten dürfen nicht durch eine Ausweitung der Berichtspflichten konterkariert werden.
- 8. Auch bei der Prüfung von Fällen mit besonders starken Auswirkungen auf den Binnenmarkt sollte das Prüfprogramm so präzis und knapp wie möglich gehalten werden. Überhöhte Anforderungen, etwa an das Vorliegen eines Anreizeffekts, sollten im Interesse rechtssicherer und schneller Entscheidungen vermieden werden.
- 9. Die beabsichtigte Verschlankung des Beschwerdeverfahrens liegt auch im Interesse der Länder und wird daher ausdrücklich unterstützt. Die Absicht der Kommission, "von den Marktteilnehmern rechtzeitig alle erforderlichen Informationen einzuholen", wird allerdings nachdrücklich zurückgewiesen. Eine solche Ermittlungsbefugnis widerspräche dem AEUV, da sich die Beihilfenregeln an die Mitgliedstaaten und nicht an die Unternehmen richten. Die Transparenz des Verfahrens in seiner Gesamtheit muss für die Mitgliedstaaten gewahrt bleiben; Kontaktaufnahmen zu Beteiligten durch die Kommission ohne Kenntnis und gegebenenfalls Anwesenheit durch die Mitgliedstaaten werden abgelehnt. Im Übrigen bezweifelt der Bundesrat, dass Unternehmen der Kommission auf direkte Anforderung Informationen zur Verfügung stellen würden, die sie verweigern, wenn die Anforderung über die jeweilige Regierung weitergeleitet wird.
- 10. Der Bundesrat stellt fest, dass Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in der Mitteilung der Kommission nicht erwähnt werden und die Auswirkungen der in der Mitteilung genannten Zielsetzungen auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse unklar sind. Auf die Stellungnahme des Bundesrates vom 27. Mai 2011 wird verwiesen (BR-Drucksache 177/11(B) ).
- 11. Da die Kommission ausweislich ihrer Mitteilung begriffliche Präzisierungen und Anreizeffekte anstrebt und mehr Gewicht auf Qualität und Effizienz der Zuwendungen legen will, hegt der Bundesrat die Sorge, dass der in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegende weite Ermessensspielraum hinsichtlich Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beeinträchtigt werden könnte. Artikel 14 AEUV legt fest, dass die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese Dienste zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren, unberührt bleibt. Demgemäß wird im Protokoll (Nr. 26) über Dienste von allgemeinem Interesse auch der weite Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten, diese Dienste zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren, betont. Vor diesem Hintergrund lehnt der Bundesrat nach wie vor insbesondere Maßnahmen der EU betreffend die Qualität der angebotenen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ab.
- 12. Der Bundesrat erinnert auch an die Ausnahmevorschrift des Artikels 106 Absatz 2 AEUV, wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, die allgemeinen Wettbewerbsregeln nur insoweit gelten, als die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der diesen Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.
- 13. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch nach der Neuregelung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in dem aus dem Freistellungsbeschluss und den beiden Mitteilungen vom 20. Dezember 2011 sowie der Deminimis-Verordnung vom 25. April 2012 zusammengesetzten Paket die Erbringung dieser Dienstleistungen, selbst wenn es sich dabei - in den Worten der vorliegenden Mitteilung - um "Fälle lokalerer
Art mit geringen Auswirkungen auf den Handel" sowie um die Leistung von Ausgleichszahlungen als "gute Beihilfen" handelt, weiterhin mit erheblichen bürokratischen Anforderungen, namentlich Kontrollpflichten, belastet ist.
- 14. Die Regelungen der Beihilfenkontrolle sind im Rahmen der Strukturfondsförderung zu beachten, für die am 1. Januar 2014 eine neue Förderperiode beginnt. Der Bundesrat bittet die Kommission, bei der Überarbeitung der Beihilferegeln den Zeitplan bis Ende 2013 einzuhalten und die Verwendung gemeinsamer Begrifflichkeiten bei Beihilfen- und Förderrecht sicherzustellen.
- 15. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.