A. Problem und Ziel
- Nach dem Verständnis des deutschen Strafrechts ist die eigenverantwortliche Selbsttötung ebenso wie deren Versuch oder die Teilnahme daran straflos, weil sich die Selbsttötung nicht gegen einen anderen Menschen richtet.
- Dies bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass ein Recht auf Selbsttötung besteht insbesondere nicht, dass ein solches grundrechtlich oder im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) anerkannt wäre (vgl. hierzu Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, vor §§ 211 bis 216, Rn. 10a m.w.N.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 216 Rn. 1 m.w.N.; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 216 Rn. 1 m.w.N.; ausführlich auch VG Karlsruhe NJW 1988, 1536, 1537). Die eigenverantwortliche und selbstbestimmte Selbsttötung kann vor dem Hintergrund eines christlich und humanistisch geprägten Gesellschaftsbildes regelmäßig nur als tragisches Ergebnis fehlender Hilfsangebote oder fehlgeschlagener Hilfe zum Leben verstanden werden und nicht als eine von mehreren (gleichwertigen) Optionen im Umgang mit scheinbar ausweglosen Situationen. Auch aus dem Recht auf Leben nach Artikel 2 EMRK oder dem Verbot einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung nach Artikel 3 EMRK kann dabei kein Recht hergeleitet werden, mit Hilfe anderer zu sterben. Vielmehr ist der Staat berechtigt, mit den Mitteln des Strafrechts Handlungen zu untersagen, die für das Leben und die Sicherheit einer Person schädlich sind. Ein dazu notwendiger Eingriff in das Recht auf Achtung der Privatsphäre aus Artikel 8 Abs. 1 EMRK ist durch Artikel 8 Abs. 2 EMRK abgedeckt (EGMR, Urteil vom 29.4.2002 in dem Rechtsstreit Pretty/Vereinigtes Königreich, NJW 2002, 2851, 2852, 2854).
- Das strafrechtliche Spannungsfeld bewegt sich innerhalb dieses Rahmens, indem es einerseits die bloße Unterstützung eines frei verantwortlichen Suizids als straflos anerkennt und andererseits die Grenze zum strafbaren Handeln dort zieht, wo sich ein Dritter aktiv an der Tötung beteiligt (vgl.Tröndle/Fischer, a.a.O., vor §§ 211 bis 216 Rn. 10a). So ist die aktive Sterbehilfe im Sinne einer gezielten Tötung selbst im Falle einer nur geringfügigen Lebensverkürzung auch dann strafbar im Sinne von § 216 StGB, wenn der Sterbende seine Tötung ausdrücklich verlangt.
- Dem auch in diesen Fällen häufig bestehenden Gewissenskonflikt des Täters oder dem durch das Begehren des Opfers verminderten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat trägt das Gesetz durch den gegenüber den sonstigen Tötungsdelikten erheblich herabgesetzten Strafrahmen hinreichend Rechnung (vgl. auch Eser, a.a.O., § 216 Rn. 1). Ungeachtet dessen verfügt auch der Täter des § 216 StGB über fremdes Leben; dieses ist ein hinreichender Grund für die gesetzliche Strafandrohung (vgl. Jähnke, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 2002, § 216 Rn. 1).
- Zulässig und je nach Einzelfall vertretbar ist dagegen zum einen die so genannte "indirekte Sterbehilfe". Sie liegt vor, wenn sicher oder nicht auszuschließen ist, dass eine ärztlich gebotene schmerzlindernde oder bewusstseinsdämpfende Medikation bei einem tödlich Erkrankten oder Sterbenden als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigt (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., vor §§ 211 bis 216 Rn. 18 m.w.N.; Schreiber, DRiZ 2005, 241). Im Einzelfall ebenfalls zulässig ist zum anderen die so genannte "passive Sterbehilfe", bei der die Erkrankung oder Verletzung einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat und auf ihre Behandlung verzichtet oder diese abgebrochen wird.
- Die genaue Markierung der Grenze zwischen strafloser Beihilfe zur Selbsttötung oder zulässiger indirekter und passiver Sterbehilfe auf der einen Seite und aktiver Tötung oder unzulässiger aktiver Sterbehilfe auf der anderen Seite ist häufig problematisch. Es gilt, jeweils bezogen auf den individuellen Fall zu ermitteln, ob sich das Geschehen letztlich als Selbst- oder Fremdverfügung darstellt und ob die freie Willensbildung des Suizidenten tatsächlich eine solche war (vgl. dazu BGH,
- Urteil des 2. Senats vom 14.8.1963, BGHSt 19, 135, 139, 140; OLG München, Beschluss vom 31.7.1987 im Fall "Hackethal", NJW 1987, S. 2940, 2941; Herzberg,
- Der Fall Hackethal, NJW 1986, 1635, 1636; ferner Eser, a.a.O., § 216 Rn. 5, 8, 11; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 216 Rn. 4; Lackner/Kühl, a.a.O., § 216 Rn. 3; Horn, in: Systematischer Kommentar zum StGB, 6. Aufl. 2000, § 216 Rn. 9, 10; Jähnke, a.a.O., § 216 Rn. 11).
- Vielfältige Bedingungen können die vermeintliche Entschlussfreiheit beeinflusst haben seien es psychische Störungen, Depressions- oder Suchterkrankungen oder einfach nur bloße Irrtumslagen (etwa über die Schwere einer Krankheit und ihre Heilungs- oder Behandlungsmöglichkeiten). Die Ernstlichkeit des Tötungsverlangens kann insbesondere bei alters- oder krankheitsbedingten Mängeln der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlen. Daneben können auch Augenblicksstimmungen, akute Versagensängste, vorübergehende Depressionen oder Neurosen die Entschlussfreiheit ausschließen (vgl. BGH, Urteil vom 22.1.1981, NJW 1981, 932; ferner Horn, a.a.O., § 216 Rn. 8; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 216 Rn. 7; Eser, a.a.O., § 216 Rn. 8; Jähnke, a.a.O., § 216 Rn. 7).
- Bislang ist so eine Abgrenzung zwischen einer strafbaren Tötung auf Verlangen ( § 216 StGB) und einer straflosen Teilnahme an einer Selbsttötung zwar nicht immer einfach, im Ergebnis jedoch möglich gewesen. Dies liegt auch darin begründet, dass entsprechende Unterstützungen von Suizidvorhaben bisher nicht im Rahmen einer organisierten Dienstleistung erfolgen, sondern von Menschen mit starken emotionalen Bindungen an den Suizidenten vorgenommen werden und sich regelmäßig auf Fälle beschränken, in denen der Sterbewillige bereits irreversibel und über einen langen Zeitraum hinweg schwer erkrankt ist. Die Unterstützungshandlung ist dabei in der Regel von altruistischen Gedanken motiviert. Derjenige, der einen anderen auf dessen Verlangen hin tötet, ist dabei im Regelfall massiven Konflikten ausgesetzt (vgl. Jähnke, a.a.O., § 216 Rn. 1, 17).
- In jüngster Zeit beginnen sich jedoch in Deutschland Organisationen zu etablieren, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid zu verschaffen. Dies geschieht beispielsweise durch die Vermittlung eines Arztes im Ausland, der ein in Deutschland nicht erhältliches, tödlich wirkendes Medikament verschreibt, und durch das Anbieten einer Wohnung in der Schweiz, in der das Gift anschließend durch den Suizidenten eingenommen werden kann.
- Im Vordergrund des Handelns solcher Organisationen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven, sondern allein die rasche und sichere Abwicklung des gefassten Selbsttötungsentschlusses. Dieses stellt eine qualitative Änderung in der Praxis der Sterbehilfe dar. Besonders problematisch ist dabei, dass diese Organisationen auch Menschen ohne hoffnungslose oder unheilbare Krankheiten oder psychisch Kranken ohne körperliches Leiden, auch altersdementen oder depressiven Menschen eine scheinbar leichte und schmerzlose Selbsttötungsmöglichkeit anbieten.
- Es besteht daneben die Gefahr einer Kommerzialisierung von Selbsttötungen, zumal diese Organisationen neben ihren Mitgliedsbeiträgen auch für ihre jeweiligen Einzelleistungen noch Geld fordern (so auch Schöch/Verrel, Alternativentwurf Sterbebegleitung, GA 2005, 553, 582). In der Schweiz ist es daneben bereits mehrfach dazu gekommen, dass ergänzend Erbeinsetzungen oder Schenkungen durch die Suizidwilligen an die jeweilige Organisation in einer Größenordnung zwischen 20 000 und 130 000 Euro erfolgt sind. Es besteht in diesem Bereich die konkrete Gefahr, dass ein professionelles Angebot den Tod zu einem Geschäft macht.
- Zudem kann auch nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass durch die Existenz derartiger Organisationen ein, wenn auch nur subjektiv wahrgenommener Erwartungsdruck auf schwerkranke und alte Menschen entsteht diesen Weg auch tatsächlich zu wählen (vgl. Schreiber, DRiZ 2005, 241, 243; so ferner bereits OLG München NJW 1987, 2940, 2945; Schöch/Verrel, a.a.O., S. 583). In den Niederlanden ist in diesem Zusammenhang seit der Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe beobachtet worden, dass in einer Vielzahl von Fällen die Einwilligung zur Sterbehilfe nicht mehr durch den Betroffenen selbst erfolgt sondern von Angehörigen oder behandelnden Personen antizipiert wird.
- Es liegt auf der Hand, dass damit die Gefahr einer durch Dritte getroffenen unumkehrbaren Entscheidung besteht, die den subjektiven Interessen des Betroffenen zuwiderläuft. Bislang können so genannte Sterbehilfeorganisationen in Deutschland für ihr Angebot werben und in großem Stil Freitodmöglichkeiten anbieten. Dabei sind nicht die hier geltenden, eingangs aufgezeigten rechtlichen Rahmenbedingungen der Unterstützung eines Suizidenten problematisch, sondern vielmehr der Umstand, dass diese Organisationen erstmals über den Einzelfall hinaus Freitodgelegenheiten in großer Anzahl vermitteln wollen. Gerade aufgrund der bestehenden anderweitigen rechtlichen Möglichkeiten im benachbarten Ausland droht sich hier ein regelrechter "Sterbetourismus" zu entwickeln.
- Dieser ist bereits deshalb bedenklich, weil eine hinreichende Überprüfung des konkreten Einzelfalls in diesen Fällen nicht mehr gewährleistet ist.
- Eine "Einbahnstraße in den Tod binnen 24 Stunden", bei der zudem die Grenzen zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe dann immer weiter verschwimmen, kann so nicht mehr hinreichend sicher ausgeschlossen werden.
- Aktive Sterbehilfe ist indes, nicht zuletzt nach den bisherigen Ergebnissen der Enquete-Kommission des Bundestages "Ethik und Recht der modernen Medizin", in Deutschland auch in Zukunft nicht hinnehmbar. Ihre Legalisierung ist zuletzt durch einen nahezu einstimmig gefassten Beschluss der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 17. November 2005 wegen der Unantastbarkeit fremden Lebens, wegen der Gefahr eines Dammbruchs beim Lebensschutz und wegen der Sorge vor einem Missbrauch entschieden abgelehnt worden.
B. Lösung
- Die bestehende Regelung des § 216 StGB, die zwischen strafbarer aktiver Sterbehilfe und strafloser passiver oder indirekter Sterbehilfe differenziert, hat sich grundsätzlich bewährt. Ein vollständiges gesetzliches Verbot der Beihilfe zum Selbstmord, wie es etwa in Österreich, Italien, England, Portugal, Spanien und Polen besteht, ist in Deutschland nicht erforderlich. Der Entwurf schlägt daher keinerlei Änderungen an der bestehenden Regelung der Tötung auf Verlangen vor.
- Entgegenzuwirken ist aber Entwicklungen, bei denen Organisationen über den Einzelfall hinaus "Serviceleistungen" im Hinblick auf die Vermittlung von Selbstmordgelegenheiten anbieten.
- Dazu schlägt der Entwurf die Schaffung eines neuen Straftatbestandes ( § 217 StGB) vor. Darin wird die geschäftsmäßige Vermittlung oder Verschaffung von Gelegenheiten zur Selbsttötung unter Strafe gestellt. Es wird im Umkehrschluss damit zugleich gesetzlich klargestellt, dass die nicht geschäftsmäßige individuelle Unterstützung von Selbsttötungsvorhaben im bisherigen Umfang zulässig bleibt. Es geht nicht darum, in das Selbstbestimmungsrecht sterbenskranker Menschen einzugreifen. Eine geschäftsmäßige Serviceleistung "Sterbehilfe" aber, wie sie gegenwärtig in Deutschland entgegen der Werteordnung des Grundgesetzes angeboten wird, wäre im Falle einer Realisierung der Gesetzesänderung künftig unzulässig.
- Entsprechende Organisationen könnten sich in Deutschland nicht weiter etablieren.
- Ein mit Strafe bewehrtes Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung ist dabei zwingend erforderlich. Mildere Maßnahmen, etwa eine Zulassungs- oder Kontrollpflicht oder eine unabhängige Beratung des Suizidwilligen, sind nicht ausreichend. Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen, dass die dort zur Kontrolle der Sterbehilfe vorgesehene Anzeigepflicht in der Praxis in nahezu 50 % der Fälle nicht eingehalten worden ist (vgl. etwa Jochemsen, Sterbehilfe in den Niederlanden, DRiZ 2005, 255). Eine bloße staatliche Kontrolle geschäftsmäßig handelnder Sterbehilfeorganisationen liefe so häufig ins Leere. Je schwerwiegender der drohende Schaden aber ist, umso gewichtiger werden Überlegungen der öffentlichen Sicherheit bei ihrer Abwägung gegenüber den Interessen des Einzelnen (vgl. EGMR, Urteil vom 29.4.2002, NJW 2002, 2851, 2855; vgl. auch BVerfGE 96, 171, 182). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Schutz des Lebens nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ein "Höchstwert der Verfassung" ist (BVerfGE 49, 24, 53). Der Gesetzgeber ist in diesem Bereich verpflichtet, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren (vgl. BVerfGE 56, 54, 73). Dem würde es nicht entsprechen, die eigentlich abgelehnte Praxis geschäftsmäßig handelnder Sterbehilfeorganisationen mit einem "Gütesiegel" staatlicher Kontrolle zu versehen.
- Ohne ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßig betriebenen Sterbehilfe ist zudem ein nicht unerheblicher Anstieg der Suizidzahlen zu befürchten. Zwar sind die potentiellen Effekte der Verbreitung von Sterbehilfeorganisationen bisher wissenschaftlich noch nicht abschließend untersucht worden, worauf unter anderem die nationale Ethikkommission der Schweiz für den Bereich "Humanmedizin" in ihrem Abschlussbericht vom Juli 2005 hinweist. Der Bericht verweist jedoch zu Recht auch darauf, dass für ohnehin suizidgefährdete Personen eine Änderung der persönlichen Situation in Form eines verstärkten Anreizes zur Umsetzung ihres Planes eintritt, wenn ihnen bewusst wird, dass sie zur Realisierung ihres Selbsttötungsentschlusses nicht mehr auf unsichere Methoden zurückgreifen müssen (vgl. Empfehlungen der nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, Juli 2005, S. 63).
- Verstärkt wird diese Wirkung der Etablierung von Sterbehilfeorganisationen noch durch den in der Vergangenheit bereits mehrfach registrierten "Nachahmereffekt", wie er beispielsweise nach der Ausstrahlung der ZDF-Serie "Tod eines Schülers" im Jahr 1981 oder nach entsprechenden Presseberichten über Selbstmorde in der U-Bahn zu beobachten war. Dort, wo Sterbehilfeorganisationen bereits heute tätig sind sind die Fallzahlen im Laufe der Zeit erheblich gestiegen, so beispielsweise bei der Schweizer Organisation "Exit" von 110 Fällen in den Jahren 1990 bis 1993 auf nunmehr 389 Fälle in den Jahren 1997 bis 2000. Ein ähnlicher Effekt ist auch in den Niederlanden nach der Lockerung des Verbots der aktiven Sterbehilfe zu beobachten gewesen (Jochemsen, a.a.O., S. 255).
C. Alternativen
- Beibehaltung des bisherigen, unbefriedigenden Zustands.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
- Für den Bund entstehen keine Haushaltskosten.
- Für die Länder kann durch den neuen Straftatbestand ein erhöhter Strafverfolgungs- und Strafvollzugsaufwand entstehen. Dieser Aufwand erscheint jedoch gering und ist angesichts des zu schützenden Rechtsgutes gerechtfertigt.
E. Sonstige Kosten
- Keine.
Gesetzesantrag der Länder Saarland, Thüringen, Hessen
Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung (... StrRÄndG)
Der Ministerpräsident des Saarlandes Saarbrücken, den 27. März 2006
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Regierungen des Saarlandes, des Freistaates Thüringen und des Landes Hessen haben beschlossen, den als Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügten
- Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung (... StrÄndG)
mit dem Antrag vorzulegen, dass der Bundesrat diesen gemäß Art. 76 Abs. 1 GG im Bundestag einbringen möge.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 821. Bundesratssitzung am 7. April 2006 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Müller
- Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung (... StrRÄndG)
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch , wird wie folgt geändert:
- 1. In der Inhaltsübersicht zum Sechzehnten Abschnitt des Besonderen Teils wird die Angabe zu § 217 "(weggefallen)" durch die Angabe "Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" ersetzt.
- 2. Nach § 216 wird folgender neue § 217 eingefügt:
" § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit vermittelt oder verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
I. Allgemeines
Die Selbsttötung und die Teilnahme daran sind straflos. Dagegen steht die Tötung auf Verlangen in § 216 StGB unter einer Strafandrohung.
In diesem Rahmen ist in den vergangenen Jahren vor allem über die aktive, die passive und die indirekte Sterbehilfe diskutiert worden. Auf Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/die GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 15/464) hat der Deutschen Bundestag in seiner 28. Sitzung am 20. Februar 2003 die Einsetzung der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" beschlossen.
Die Kommission hat mittlerweile ihren Bericht übergeben (Bundestagsdrucksache 15/5980). Aus dem Sachstandsbericht der Themengruppe "Menschenwürdig leben bis zuletzt" ergibt sich, dass die Beratungen im Zeitpunkt der vorzeitigen Auflösung des Deutschen Bundestages noch nicht abgeschlossen waren, jedoch Einigkeit darüber bestand, dass jedenfalls die gegenwärtige Rechtslage zur aktiven Sterbehilfe in jedem Fall Bestand haben sollte und eine über die bestehenden Rahmenvorgaben hinausgehende Ausweitung von Sterbehilfe abgelehnt wurde.
Weitgehend unberücksichtigt geblieben ist dabei bisher indes die Rolle von Organisationen, die professionell Gelegenheiten zur Selbsttötung vermitteln. Deren Anliegen ist es, einer Vielzahl von Menschen eine "effiziente" Möglichkeit für eine Selbsttötung zu verschaffen. Im Vordergrund solcher Organisationen steht dabei nicht ein zuverlässiges und kontrolliertes Beratungsangebot über lebensbejahende Perspektiven, sondern allein die rasche Abwicklung des bereits gefassten Selbsttötungsentschlusses.
Besonders problematisch ist dabei, dass diese Organisationen auch solchen Menschen eine scheinbar leichte und schmerzlose Selbsttötungsmöglichkeit anbieten welche nicht hoffnungslos an unerträglichen und unheilbaren Krankheiten leiden. Anstatt den Leidenden und Lebensmüden Hilfe im Leben und im Sterben anzubieten, wird das aktive Beenden des Lebens selbst zum Gegenstand geschäftlicher Tätigkeit gemacht.
Allein durch die Existenz derartiger Einrichtungen kann ein, wenn auch nur subjektiv empfundener Erwartungsdruck entstehen, die Leistungen dieser Organisationen im Falle von unheilbaren Krankheiten oder im hohen Alter auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Es ist zu befürchten, dass das Angebot einer professionellen Vermittlung vermeintlich einfacher Selbsttötungen zu einer nicht unerheblichen Zunahme tatsächlicher Selbsttötungen führt.
Es besteht daneben die Gefahr einer Kommerzialisierung von Selbsttötungen, weil diese Organisationen neben Mitgliedsbeiträgen auch für ihre jeweiligen Einzelleistungen Geld fordern.
Diese Form der über den einzelnen, schweren Konfliktfall hinausgehenden zielgerichteten Förderung von Selbsttötungen ist als eine abstrakt das Leben gefährdende Handlung künftig unter Strafe zu stellen.
II. Zu den einzelnen Bestimmungen
Zu Artikel 1
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
Es handelt sich um eine notwendige Folgeänderung.
Zu Nummer 2 ( § 217 StGB)
Mit der in das Strafgesetzbuch neu einzufügenden Regelung des § 217 wird das geschäftsmäßige Vermitteln oder Verschaffen von Gelegenheiten zur Selbsttötung unter Strafe gestellt.
Die Vorschrift ist systematisch in den Sechzehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB einzufügen, da es sich um eine Straftat gegen das Leben handelt. Für eine Regelung an dieser Stelle spricht daneben die enge inhaltliche Verknüpfung mit der bestehenden Regelung über die Tötung auf Verlangen in § 216 StGB. Dogmatisch handelt es sich bei § 217 StGB um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfehandlung.
Die Norm stellt die bestehende Straflosigkeit der Selbsttötung und der Beihilfe dazu nicht in Frage. Insbesondere bleibt die individuelle Hilfe beim Sterben, die durch enge Vertraute oder durch Angehörige von Heilberufen im Rahmen medizinischer Behandlung geleistet wird, wie bisher straflos, solange nicht die Grenze zu der bereits jetzt nach § 216 StGB verbotenen aktiven Sterbehilfe überschritten wird. Verboten wird künftig lediglich ein "geschäftsmäßiges Handeln".
Geschäftsmäßig im Sinne der Vorschrift handelt, wer die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung macht, und zwar auch dann, wenn er dabei ohne Erwerbsabsicht handelt. Daher steht auch die nicht entgeltliche Hilfeleistung oder die Hilfeleistung aus ideellen Motiven unter der Strafandrohung, soweit sie in organisierter oder gleichartig wiederkehrender Form erfolgt.
Vermitteln ist das Herstellen konkreter persönlicher Beziehungen zwischen dem Sterbewilligen und dem Gehilfen zur Selbsttötung. Zur Vermeidung von nicht akzeptablen Strafbarkeitslücken kann aber nicht nur auf (erfolgreiche) Vermittlungstätigkeiten abgestellt werden. Vielmehr muss alternativ auch die bloße Verschaffung von derartigen Gelegenheiten erfasst sein. Gelegenheiten verschafft, wer äußere Umstände herbeiführt welche die Selbsttötung wesentlich erleichtern. Nicht nur die eigene Verschaffung entsprechender Gelegenheiten durch den Täter ist somit von dem Tatbestand erfasst, sondern auch der Nachweis solcher Gelegenheiten bei Dritten.
Nicht erfasst ist dagegen der bloße individuelle Gedankenaustausch über eine Selbsttötung, beispielsweise in Internetforen, da es hier an einem "geschäftsmäßigen Handeln" fehlt. Nicht erfasst ist weiterhin die Veröffentlichung von zur Unterstützung der Selbsttötung geeigneten Informationen ohne konkreten Adressaten, wie sie beispielsweise in Büchern oder Presseerzeugnissen erfolgen kann, da es sich dabei nicht um das Verschaffen einer (konkreten) Gelegenheit handelt.
Auf subjektiver Seite ist hinsichtlich der Selbsttötung des Anderen und der eigenen Förderung dieser Handlung ein absichtliches Handeln erforderlich. Damit ist ausgeschlossen, dass auch solche Personen der Strafbarkeit unterfallen, die lediglich allgemeine Hinweise für eine mögliche Selbsttötung geben, ohne deren Umsetzung in einem konkreten Einzelfall zu wollen. Schließlich bleiben alle nach bisherigem Recht zulässigen ärztlichen Handlungsweisen im Bereich der Sterbehilfe auch weiterhin straflos (so beispielsweise die so genannte indirekte Sterbehilfe, vgl. BGHSt 40, 301, 305 und die so genannte passive Sterbehilfe, vgl. BGHSt 37, 376, 378 und BGHSt 40, 257, 263). Denn diese Handlungen erfolgen nicht in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, sondern Schmerzen und Leiden zu lindern.
Einer gesonderten Versuchsstrafbarkeit bedarf es nicht, da über die Merkmale des Verschaffens und Vermittelns einer Gelegenheit auch Tathandlungen im zeitlichen Vorfeld des eigentlichen Suizids erfasst sind.
Der vorgesehene Strafrahmen entspricht im Höchstmaß der Strafdrohung des § 216
StGB. Dies ist erforderlich, um auch solche Verhaltensweisen einer angemessenen Strafe zuführen zu können, in denen zu dem geschäftsmäßigen Handeln weitere erschwerende Umstände hinzutreten, zum Beispiel ein Handeln aus Gewinnsucht. Auf der anderen Seite lässt die Ausgestaltung des Strafrahmens ohne besondere Anordnung einer Mindeststrafe hinreichend Raum, um im Einzelfall auch bei weniger gravierenden Sachverhalten strafrechtlich angemessen reagieren zu können.
2. Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten. Es ist nicht erforderlich, den Zeitpunkt des Inkrafttretens aufzuschieben weil die Rechtsunterworfenen keine Zeit benötigen werden, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen. Der Rechtssetzungsprozess in diesem Bereich hat erhebliche Öffentlichkeitswirkung, so dass allen Betroffenen hinreichend Gelegenheit gegeben ist, sich rechtzeitig auf das Inkrafttreten der Regelung einzustellen.