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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Rechtsausschuss (R), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Übernahme des Athener Übereinkommens von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See in der Fassung des Protokolls von 2002 in Gemeinschaftsrecht, weil dadurch eine Verbesserung der Haftungsregeln zu Gunsten von Reisenden auf See durch die Einführung einer beschränkten Gefährdungshaftung und durch die Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen erreicht wird.
- 2. Der Bundesrat hält es jedoch nicht für sinnvoll, durch den Verordnungsvorschlag den Geltungsbereich des Athener Übereinkommens von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See in der Fassung des Protokolls von 2002 auf den Inlandsverkehr und die Personenbeförderung im Binnenschiffsverkehr auszuweiten.
- 3. Der Bundesrat hat insbesondere im Hinblick auf den Subsidiaritätsgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip erhebliche Bedenken gegen den Verordnungsvorschlag, soweit rein innerstaatliche Sachverhalte betroffen sind. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Schutz der Reisenden auch rein innerstaatliche Sachverhalte erfassen muss. Insoweit bestehen zumindest in der Bundesrepublik Deutschland bereits Regelungen in § 664 HGB und in § 77 des Binnenschifffahrtgesetzes (BinSchG) vom 15. Juni 1895 (RGBl. S. 301), die derzeit zwar noch den Stand des Athener Übereinkommens von 1974 wiedergeben, allerdings durch den nationalen Gesetzgeber angepasst werden können. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Änderungsprotokoll zum Athener Übereinkommen bereits gezeichnet. Es ist anzunehmen, dass die anderen Mitgliedstaaten ebenfalls Vertragsparteien dieser Übereinkommen sind. Damit dürfte ein weit gehend ähnliches Schutzniveau bereits auf der Ebene der Mitgliedstaaten erreicht werden.
Die pauschale Begründung der Kommission zur Erforderlichkeit der Einbeziehung des Inlandverkehrs überzeugt nicht. Insbesondere dürfte nicht zutreffend sein, dass es aus Sicht des Reisenden keinen Unterschied macht, ob er grenzüberschreitend oder im Inland befördert wird. Eine einheitliche Regelung mag zwar im Interesse des Reisenden liegen; dies rechtfertigt jedoch noch keine Harmonisierung des rein innerstaatlichen Schiffsverkehrs. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb die Entscheidung, ob und inwieweit eine Anpassung der Vorschriften für den Binnenverkehr zu erfolgen hat, nicht den Mitgliedstaaten überlassen werden kann. Auch das Argument der Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen führt nicht zur Erforderlichkeit einer einheitlichen Regelung auf der Gemeinschaftsebene. Die Kommission legt nicht dar, aus welchen Gründen es zu einer Verzerrung des Wettbewerbs bei reinen Inlandssachverhalten kommen soll.
Der Bundesrat verweist insoweit auf seine Stellungnahme zu dem ebenfalls Binnensachverhalte erfassenden Verordnungsvorschlag über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (BR-Drucksache 213/04(Beschluss) vom 14. Mai 2004).
Im Fall des Verordnungsvorschlags zu den Rechten und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (KOM (2004) 143 endg.; Ratsdok. 7149/04) ist eine Beschränkung auf grenzüberschreitende Fahrten vorgesehen. Es ist nicht ersichtlich, wieso dies im Fall des Schiffsverkehrs anders geregelt werden muss.
Der Bundesrat hat auch erhebliche Bedenken gegen die Regelung des innerstaatlichen Schiffsverkehrs in der Rechtsform der Verordnung. Eine Richtlinie würde zur Verbesserung des Schutzes der Passagiere und zur Förderung des Wettbewerbs ausreichen. Wieso den Mitgliedstaaten kein Spielraum zur Umsetzung des Athener Übereinkommens gelassen werden kann, wird von der Kommission nicht begründet und ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht überzeugend, weshalb die Mitgliedstaaten keine höheren Haftungsobergrenzen festlegen dürften, die grundsätzlich im Interesse der Reisenden wären. Zudem muss die Vorgehensweise bei der Umsetzung von internationalen Übereinkommen in anderen Verkehrsarten nicht zwingend auf die Schifffahrt übertragen werden.
- 4. Eine Gleichstellung der Haftungshöchstgrenzen für Schäden bei der Beförderung von Reisenden im See- und Binnenschiffsverkehr trägt nicht den unterschiedlich hohen Gefährdungspotenzialen Rechnung. Der Bundesrat stellt hier-zu fest, dass aufgrund der nautischen Rahmenbedingungen im Seeverkehr ein deutlich höheres Gefährdungspotenzial gegeben ist als im Binnenschiffsverkehr.
- 5. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass mit der Gleichstellung der Haftungshöchstgrenzen für Schäden bei der Beförderung von Reisenden im See- und Binnenschiffsverkehr für das mittelständisch geprägte Gewerbe der Fahrgastschifffahrt eine deutliche Anhebung der Versicherungsprämien verbunden und erhebliche wirtschaftliche Belastungen für die mittelständischen Unternehmen verbunden sind, die angesichts der tatsächlichen Risikolage nicht gerechtfertigt sind.
- 6. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich im Rahmen der weiteren Beratungen des Verordnungsvorschlags dafür einzusetzen, dass die Haftungssummern für die Fahrgastschiffe in der Binnenschifffahrt nicht erhöht werden.
Begründung zu Ziffern 1, 2, 4 bis 6 (nur gegenüber dem Plenum):
Nach dem Straßburger Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschifffahrt (CLNI) vom 4. November 1988 i. V. m. dem Zustimmungsgesetz vom 6. August 1998 (BGBl. 1998 II S. 1643) ist die Haftung in der Binnenschifffahrt bei Personenschäden auf maximal zwölf Millionen Sonderziehungsrechten limitiert; dies entspricht der Regelung des § 5k BinSchG. Fälle, in denen dieser Betrag zur Befriedigung der Ansprüche von Geschädigten nicht ausreicht, sind in der Binnenschifffahrt auf Grund der Sicherheitsvorteile im Vergleich zur Seeschifffahrt aus der Vergangenheit nicht bekannt und derzeit auch für die Zukunft nicht ersichtlich.
Die Risikolage in der Binnenschifffahrt unterscheidet sich grundsätzlich von der Risikolage auf See. In der Binnenschifffahrt sind Havarien mit mehreren Getöteten in den letzten Jahrzehnten nicht bekannt. Die Gleichstellung der Haftungshöchstgrenzen für Schäden bei der Beförderung von Reisenden im See- und Binnenschiffsverkehr berücksichtigt nicht das wesentlich höhere Gefährdungspotenzial im Seeverkehr im Vergleich zum Binnenschiffsverkehr. Der Verordnungsvorschlag begründet nicht, dass für Inlandsverkehre und die Binnenschifffahrt Bedarf für die Anhebung der Haftungshöchstgrenzen besteht.
Die Anwendung der Haftungssummern für Schäden bei der Beförderung von Reisen auf Inlandsfahrten und in der Binnenschifffahrt (Fahrgastschifffahrt) ist daher nicht vertretbar, weil damit die bisher geltenden Haftungssummern im Binnenschiffsverkehr ohne ausreichende Bewertung der unterschiedlichen Risiken im See- und Binnenschiffsverkehr deutlich angehoben werden.
B
- 7. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.