Berichtigung
Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung
(Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG)

Es wird gebeten, die Anlage des Normenkontrollrates in der Drucksache 170/12 (PDF) auszutauschen.

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Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 2033:
Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung

Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des o.g. Gesetzes geprüft.

Das Gesetz hat Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand von Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung.

Nach Schätzung des Ressorts sinkt der jährliche Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger im Saldo um 800 Stunden und rund 93 Tsd. Euro. Zusätzlich entsteht für Bürgerinnen und Bürger eine einmalige Belastung von 6.400 Stunden und rund 20 Tsd. Euro. Für die Verwaltung entsteht im Saldo jährlicher Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 15,4 Mio. Euro und einmaliger Aufwand in Höhe von rund 5,4 Mio. Euro. Für die Wirtschaft entsteht im Saldo jährlicher Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 4,6 Mio. Euro und einmaliger Aufwand in Höhe von rund 2,4 Mio. Euro.

Der Normenkontrollrat hat hierzu folgende Anmerkungen:

Die Veränderungen des Erfüllungsaufwandes zielen insbesondere darauf ab, Beratung und Transparenz in der Pflege zu verbessern.

Dies gilt nicht, wenn die Pflegekasse bzw. Versicherung die Verzögerung nicht zu vertreten hat. Durch diese Verpflichtung entsteht laut Ressort Aufwand für die Administration der Zusatzzahlung in geschätzter Höhe von rund 4 Mio. Euro jährlich. Hinzu kommt die Zusatzzahlung selbst. Die Größenordnung dieser Zahlung hängt insbesondere davon ab, in wie vielen Fällen die Kassen und Unternehmen die Verzögerung zu vertreten haben.

Vor dem Hintergrund der vom Ressort ermittelten Kosten stellt sich die Frage der Erforderlichkeit dieser Verpflichtung und ob es eine weniger belastende Alternative gibt:

Laut Fünftem Pflegebericht der Bundesregierung vom 20. Dezember 2011 haben sich die Bearbeitungszeiten im untersuchten Zeitraum zwischen 2006 und 2010 erheblich reduziert. Im Jahr 2006 betrug die durchschnittliche Dauer der Begutachtung für den ambulanten Bereich 40,9 Tage, im Jahr 2010 betrug sie 23,8 Tage. Eine Bescheidung des Antragstellers innerhalb von fünf Wochen ist in der Regel dann möglich, wenn die Begutachtung innerhalb von vier Wochen abgeschlossen ist. Dies war im Jahr 2010 bei 68 Prozent aller Begutachtungen im ambulanten Bereich der Fall gegenüber nur 30,3 Prozent im Jahr 2006. Auch wenn immer noch in rund 30 Prozent aller Fälle im ambulanten Bereich die Begutachtung innerhalb von vier Wochen erfolgt, ist eine positive Tendenz erkennbar. Die Einführung des Systems der Zusatzzahlung an sich wird voraussichtlich zu einer weiteren Beschleunigung der Verfahren führen.

Durch die Pflicht zur Leistung der Zusatzzahlung wird ein zusätzliches Anspruchsverfahren eingeführt. In jedem Fall der Verzögerung muss die Pflegekasse prüfen, ob sie die Verzögerung zu vertreten hat. Kommt sie zur Erkenntnis, dass sie die Verzögerung nicht vertreten muss, ist es Sache des Pflegebedürftigen, dies nachprüfen zu lassen. Somit kann folgendes Dilemma entstehen: Entweder ist der Pflegebedürftige mit der Entscheidung der Pflegekasse nicht einverstanden. In diesem Fall wird er den Rechtsweg beschreiten, was zu Klageverfahren führen würde. Oder der Pflegebedürftige will sich aufgrund der Tatsache, dass er primär die Feststellung der Pflegebedürftigkeit begehrt, nicht mit einem weiteren Verfahren belasten. In diesem Fall würde die Regelung keine weitere nennenswerte Wirksamkeit entfalten.

Dem NKR stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob nicht zumindest ein kostengünstigeres Mittel zur Verfügung steht. So könnten zum Beispiel die Pflegekassen und Versicherungsunternehmen auch dadurch zur Verfahrensbeschleunigung angehalten werden, indem die Dauer der Begutachtung bzw. Bescheiderteilung der einzelnen Kassen und Unternehmen transparenter als bisher gemacht wird. Ein Mehr an Transparenz dürfte dazu führen, dass Pflegekassen und Versicherungsunternehmen weitere Anstrengungen unternehmen, um die sich (mindestens) seit 2006 abzeichnende positive Entwicklung bei den Bearbeitungszeiten zu befördern. Außerdem müssten auf diese Weise keine Ressourcen darauf verwendet werden, das nach § 18 Absatz 3a SGB XI vorgesehene Verfahren zu administrieren, was letztlich wiederum der Bearbeitung der Pflegeanträge zugute kommen könnte.

Die Änderung knüpft laut Begründung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) an, insbesondere an ein Urteil vom 13. Dezember 2007 (Az. III ZR 172/07). Der BGH hatte hierin festgestellt, "dass keine Grundlage dafür besteht, dem Bewohner das volle Verpflegungsentgelt zu berechnen, wenn er aus Gründen, die mit seiner Lebenssituation zwingend verbunden sind, die normale Verpflegung nicht entgegennehmen kann. Es ist insbesondere nicht gerechtfertigt, Bewohner, die mit Sondernahrung verpflegt werden müssen, durch die bestehen bleibende Verpflichtung, das normale Verpflegungsentgelt zusätzlich zu entrichten, zu einem Solidarausgleich für die Vergütung eines Leistungsbestandteils heranzuziehen, den sie aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht in Anspruch nehmen können."

Das Urteil ging von dem Fall aus, dass das Pflegeheim für einen längeren Zeitraum vorausschauend planen konnte, dass der Pflegebedürftige Sondernahrung und damit keine normale Verpflegung einnehmen musste, und dass das Pflegeheim bei einer Reduzierung des Entgelts keine Einbußen erleidet, da es sich beim Einkauf der Lebensmittel darauf einrichten kann. Für den Gesetzentwurf spielt die Frage, warum und wie lange der Pflegebedürftige an der Verpflegung nicht teilnimmt, keine Rolle. Folge wird voraussichtlich sein, dass der Betreiber des Pflegeheims letztlich taggenau beweisen muss, dass der Pflegebedürftige tatsächlich die Verpflegung in Anspruch genommen hat. Dies erfordert im Ergebnis eine zusätzliche Dokumentation. Daneben ist das Pflegeheim weiterhin gehalten, Verpflegung vorzuhalten, es darf aber in der Abrechnung nur die Tage in Ansatz bringen, an denen Verpflegung tatsächlich in Anspruch genommen wurde. Hierdurch entsteht zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

Da durch den vorliegenden Entwurf der Aufwand für die Wirtschaft ansteigen wird, müssen zusätzliche entlastende Maßnahmen identifiziert werden. Sollten diese Maßnahmen im parlamentarischen Verfahren dieses Gesetzentwurfs als Formulierungshilfe eingebracht werden, bittet der NKR um eine frühzeitige Beteiligung durch das Ressort.

Der NKR bittet das Ressort, in seiner möglichen Stellungnahme nach § 6 Absatz 1 Satz 2 NKR-Gesetz insbesondere auch auf die zu § 18 Absatz 3a SGB XI geäußerten Bedenken einzugehen.

Dr. Ludewig Catenhusen
Vorsitzender Berichterstatter